Stadtblatt 2013.09

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Selbst ist der Mann

Er hat vor 20 Jahren das Trash eröffnet, später das Polly Esther’s. Seine jüngsten Erfolge sind der Shop »Made in Osnabrück« und die Designermesse DeMO. Steve McGuire ist einer der kreativsten Macher dieser Stadt. Höchste Zeit für ein Porträt. VON BOBBY FISCHER | FOTO MAIK REISHAUS

ngegrauter Wuschelkopf, Brille, Sechs-Tage-Bart, dunkelblauer Anzug, weißes T-Shirt, weiße Turnschuhe mit drei orangen Streifen, antikes Fahrrad, Butterbrot in der Hand – so kommt Steve McGuire zum Gespräch mit dem STADTBLATT. Dieser Mann, so der erste Eindruck, bewegt sich zwischen Kalkulation und Spontaneität. Irgendwann, es muss in den 80er oder 90er Jahren gewesen sein, erhielt Steve McGuire einen Spitznamen: McGyver. Der Serienheld ist nicht nur der Liebling von Marge Simpsons Schwestern Patty und Selma. Er ist auch ein Meister darin, Auswege aus scheinbar aussichtlosen Situationen zu finden. Mit einem Schweizer Messer und etwas Klebeband konnte er jede noch so knifflige Falle sprengen. „Diesen Spitznamen habe ich immer als Kompliment aufgefasst“, sagt Steve McGuire. Er habe auch aus der Not das Maximum herausgeholt. Vor allem sehe er Potenziale, meint er. Dinge, die andere Leute wegschmeißen, erweckt er wieder zum Leben. „Ich bin ein Recycling-Freak.“ Und das war er schon lange bevor das englische Wort in den deutschen Sprachgebrauch aufgenommen wurde. Ein Wort, das vor spätestens 20 Jahren in den Sprachschatz der Osnabrücker Aufnahme fand, ist: Trash. Der englische Begriff für Müll gab dem ehemaligen Meller Stübchen seinen neuen Namen. „Da saßen mehrere hundert Jahre Knast vor der Theke. Und die Pflanzen mussten nicht gegossen werden – die lebten von der Feuchtigkeit in der Luft“, erinnert sich McGuire schmunzelnd. Er habe aber das Potenzial der Kneipe erkannt. „Der Laden sah aus wie eine Kneipe im New Yorker Bezirk Soho.“ Dort hatte er etwa sechs Monate lang gelebt, bevor er am 26. August 1993 nach Osnabrück zurück kehrte, um das Trash umzubauen. Am 31. August wird im Trash übrigens der 20. Geburtstag gefeiert. Die Kneipe an der Meller Straße lebt noch heute vom Ideenreichtum McGuires. Dabei stand er bei

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der Übernahme der Location buchstäblich vor dem Nichts. „Das Trash war eine fixe Idee“, sagt er heute. Eine langjährige Beziehung war in die Brüche gegangen, er musste weg aus Osnabrück, flog in die USA, fuhr dort mit einem Auto ohne Versicherung durch das Land, kam ins Gefängnis und bekam den Blues, als er wieder hier war. „Ich dachte, das Leben in Osnabrück ist total langweilig.“ Dann sah er das leer stehende Meller Stübchen. Mobiliar gab es nicht. Aus dem Kantinen des abgewrackten Klöckner-Stahlwerks holte er sich Tische und Stühle. Früher hingen Telefone von der Decke, die McGuire eines Nachts entdeckte, als er mit seinem VW Käfer am Arbeitsamt am Johannistorwall vorbei fuhr. Dort schmissen Arbeiter alte Fernsprechgeräte in einen Müll-Container. McGuire fragte höflich, ob er sie mitnehmen kann, packte 300 Stück in seinen Käfer und transportierte sie zur Meller Straße. Etwas später sah ein Freund, wie in einem alten Friseur-Salon in der Spindelstraße Trockenhauben abmontiert wurden. Der alarmierte McGuire, der die Dinger über die Theke im Trash anbrachte. „Alles, was wir an Material hatten, kam vom Müll“, sagt er und lacht. Über die drei Jahre im Trash sagt er heute: „Es war eine Goldgräberstimmung.“ Die Kneipe erwies sich nicht nur aus finanzieller Sicht als Goldgrube,

„Als ich wieder hier war, war ich besitzlos. Ich hatte nichts.“ Steve McGuire sie war für McGuire auch ein wunderbares Terrain, um seine Ideen-Wut auszutoben. Nach drei Jahren hat er die Kneipe verkauft. „Mir war langweilig“, sagt er. Also ging er wieder in die USA, fuhr mit dem Auto durch das Land bis runter nach Mexiko,

wo er einen Achsenbruch in der Wüste erlebte und beinahe das Opfer von zwei Schlangen wurde. Nach einem halben Jahr führt sein Weg über Amsterdam und Osnabrück nach Kotau in Thailand. „Da habe ich dummerweise wieder Gastro gemacht.“ Er eröffnete eine Strandbar und ein Restaurant, die, wie er sagt, zu gut liefen. „Das gefiel den Einheimischen nicht“, sagt er mit Understatement. Die ortsansässige Mafia rückte ihm auf die Pelle. Er erhielt Morddrohungen und musste seine Geschäfte für einen lächerlichen Preis verkaufen. Sonst wäre der Wuschelkopf jetzt nicht mehr auf McGuires Hals. Also führte der Weg zurück nach Osnabrück – in Schlappen und Shorts. In Malaysia war er bestohlen worden. Zwar hatte er sein Geld und seinen Ausweis behalten, da er die am Leib trug. Ansonsten: „Als ich wieder hier war, war ich besitzlos. Ich hatte nichts.“ Doch Steve McGuire hatte Fußstapfen in Osnabrück hinterlassen, in die er wieder hineintreten konnte. „Wenn man etwas helle im Kopf ist, kann man so weiterleben.“ Er betrieb zunächst eine Galerie und eine Werbeagentur. Dann eröffnete er das Ultrashall im Katharinenviertel, das im Stil von Star Trek eingerichtet war. „Das war die erste Kneipe in Osnabrück mit einem DJ.“ Die Reise in die unendlichen Weiten dauerte aber nur ein Jahr. Dann eröffnete er das Polly Esther’s an der Herrenteichstraße. Auch dort hing der Recycle-Gedanke unter der Decke. Ausgediente Lampen aus der Sparkasse sorgten in der Bar für Licht. Nachdem durch die Baustelle bei L+T das Licht ausgeknipst wurde, widmete sich Steve McGuire seinem Sohn. Das Polly Esther’s war die letzte Kneipe, die er in Osnabrück betrieben hat. In beruflicher Hinsicht kehrte Steve McGuire nach dem Ende des Polly Esther’s zu seinen Wurzeln zurück. Er gestaltete zum Beispiel die Inneneinrichtung des Alando Palais. Vor allem malte er die Wände voll. Das hatte er in den 80er Jahren mit seinem Freund Andreas Bauch gemacht. Der F STADTBLATT 9.2013 13


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