Magazin «umwelt» 2/2010 - Biodiversität belebt

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vorsorglichen Schutz vor Elektrosmog – zusammen mit Italien, Luxemburg und Belgien – nach wie vor zu den Vorreitern.

der UMTS-Frequenzen zum bestehenden GSM-Netz –, entspricht dies quasi einer Verdoppelung der Emissionen.

Welche Auswirkungen hat die NISV auf den Bau von Versorgungsanlagen?

Elektrosensible Personen klagen trotz eingehaltener Anlagegrenzwerte über gesundheitliche Störungen durch NIS. Was ist über dieses Phänomen bekannt?

Der geltende Anlagegrenzwert für neue Hochspannungsleitungen erfordert im Siedlungsgebiet zum Teil eine andere Linienführung, als dies vor Inkrafttre­ ten der NISV der Fall gewesen wäre. Im Einzelfall sind Ausnahmen zulässig, etwa wenn eine Elektrizitätsgesellschaft nachweisen kann, dass keine Alterna­ tive besteht. Die Limiten gelten indes nicht für bestehende Leitungen, weil der Bundesrat entschieden hat, ein Ab­ bruch solcher Anlagen – um nicht nach­ gewiesenen, sondern nur eventuellen Gesundheitsrisiken vorzubeugen – wäre unverhältnismässig. Sollte sich jedoch zum Beispiel der Leukämieverdacht bei Kindern erhärten, wären wir in einer anderen Situation. Ein erwiesener schäd­ licher Effekt würde gemäss USG eine An­ passung der Grenzwerte erfordern. Beim Mobilfunk hingegen macht die NISV keinen Unterschied zwischen neu­ en und bestehenden Anlagen.

Es gibt leidende Personen, was auch ihre Ärzte attestieren. Allerdings existiert für das Phänomen der Elektrosensibilität keine medizinische Diagnose. Wie Pilot­ projekte mit Betroffenen zeigen, stehen bei etwa zwei Dritteln aller Fälle andere Krankheitsursachen im Vordergrund. Bei immerhin rund einem Drittel kom­ men elektromagnetische Felder als plausibler Grund in Frage. Obwohl die WHO einen Wirkungszusammenhang verneint und von Einbildung spricht, sind solche Klagen nicht völlig von der Hand zu weisen. In der Schweiz haben die Ärztinnen und Ärzte für Umweltschutz ein Be­ ratungsnetz aufgebaut, bei dem sich Betroffene untersuchen lassen können. Auch das BAFU erhofft sich davon mehr Klarheit.

Inwiefern hat die strenge Vorsorgeregelung zur Entwicklung von neuen strahlungsarmen Technologien beigetragen?

Zum Schutz von elektrosensiblen Personen und im Interesse der Vorsorge verlangen verschiedene Ärzte eine weitere Verschärfung der Anlagegrenzwerte.

Im Bereich der Stromtransformatoren hat die Industrie neue Konzepte für strahlungsarme Anlagen entwickelt. Auch bei Abschirmungen – zum Beispiel für Trafostationen oder Kabelleitungen – gibt es interessante Ansätze. Dagegen fehlen solche Erfolge beim Mobilfunk weitgehend. Hier wären Konzepte für Funknetze gefragt, die insgesamt, aber auch lokal mit weniger Strahlung aus­ kommen. Generell lässt sich sagen, dass die Funknetze immer dichter werden, was tendenziell geringere Sendeleistungen bedingt. Kommt jedoch eine ganze Funk­ generation neu hinzu – wie jetzt im Fall

Ein Restrisiko bleibt auch mit den schweizerischen Vorsorgegrenzwerten, denn wir wissen letztlich nicht, ob diese Limiten ausreichen, obwohl sie 10- bis 300-mal strenger sind als die aufgrund des gesicherten Wissens als notwendig erachteten Vorgaben der WHO. Wollte man wirklich jedes Risiko ausschliessen, müsste auf bestimmte Technologien ganz verzichtet werden. Nach heutiger Einschätzung würden deutlich tiefere Vorsorgegrenzwerte wohl das Aus für gewisse Technologien – wie beispielswei­ se den Mobilfunk – bedeuten. Es wäre nämlich schwierig, flächendeckende, leistungs­fähige Netze mit einem Zehntel

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oder sogar einem Hundertstel der heu­ tigen Anlagegrenzwerte der NISV zu be­ treiben. Macht die technische Entwick­ lung jedoch weitere Fortschritte, sodass sich Mobilfunkanlagen und andere An­ wendungen mit weniger Strahlung be­ treiben lassen, dann können wir einen Schritt weiter gehen. Was rät das BAFU den Leuten zur Reduktion ihrer persönlichen NIS-Belastung?

Für Geräte im eigenen Haushalt heisst die erste Regel Abstand halten. So ist etwa das Magnetfeld eines Radio­weckers in einem Meter Entfernung vom Bett kaum mehr messbar. Wer sich im Schlafzimmer durch den Elektrosmog der Elektroinstallation gestört fühlt, kann einen Netzfreischalter einbauen lassen, der die elektrische Spannung unterbricht, sobald zum Beispiel die Nachttischlampe ausgeschaltet wird. Neuerdings sind auch Schnurlostelefone verfügbar, deren Basisstation nur noch während des Gesprächs strahlt. Beim Kauf eines Mobiltelefons empfiehlt sich ein Gerät mit möglichst tiefem Strah­ lungsbelastungswert (SAR). Zudem be­ steht die Möglichkeit, mit Kopfhörern zu telefonieren, was die Belastung des Kopfes ebenfalls reduziert. Wer sich hingegen durch Versor­ gungsanlagen belästigt fühlt, obschon die Grenzwerte eingehalten sind, dem bleibt oft nur ein Wohnungswechsel, denn sofern Abschirmungen technisch überhaupt möglich sind, kommen sie meist ziemlich teuer zu stehen. Interview: Beat Jordi www.umwelt-schweiz.ch/magazin2010-2-15

KONTAKT Jürg Baumann Chef der Sektion Nichtionisierende Strahlung, BAFU 031 322 69 64 juerg.baumann@bafu.admin.ch

umwelt 2/2010 > Elektrosmog

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