Brixner 226 - November 2008

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Politik & Gesellschaft

Hans Widmann: „Die Arbeitnehmerbewegung hat sich in den vergangenen Jahren leider überhaupt nicht bewegt“

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Natürlich! In meinem Buch „Hofers Erben vor der Wahl“ stelle ich fest, dass sie die Chance nicht genutzt haben. Man kann weder den Bauern noch den Unternehmern die Schuld geben, weil sie natürlich ihre Interessen vertreten. 2003 war man in manchen Kreisen eher schockiert, dass die Arbeitnehmer im neuen Landtag so stark vertreten waren. Man befürchtete, dass diese Gruppe einiges bewegen könnte. Geschehen ist aber leider nichts. Wenn man ein Drittel der Fraktion stellt, kann man ordentlich auf den Tisch hauen und die konkreten Probleme der Arbeitnehmer in den Betrieben einbringen. Wäre die Landesregierung nicht auf die Forderungen eingegangen, hätte man auch einmal einfach aufstehen und gehen können. Danach hätte es ganz sicher in der SVP eine Krisensitzung gegeben, und man hätte den Ernst der Situation erkannt. Dass man nach dem Debakel der Parlamentswahlen noch schnell ein Sozialpaket geschnürt hat, war zwar in Ordnung, aber die Leute haben uns nicht mehr geglaubt, dass es sich hierbei um eine ernst gemeinte Sozialpolitik handeln würde. Der Grund für dieses Sozialpaket war die Angst vor den Landtagswahlen – es ist nicht so, dass man den Arbeitnehmern damit einen Gefallen machen wollte. Warum fühlen sich viele Arbeitnehmer von der SVP nicht mehr vertreten? Die Arbeitnehmer innerhalb der SVP nennen sich „Arbeitnehmerbewegung“, aber diese hat sich in den vergangenen Jahren leider überhaupt nicht bewegt. Man hätte müssen auf Orts-, Bezirks- und

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Landesebene ständig Kontakt mit den Arbeitnehmern pflegen, dann wären automatisch deren Bedürfnisse zu Tage getreten. Diese Wünsche und die entsprechenden Forderungen hätte man dann auch in der Partei diskutieren müssen. Ist der Name „Arbeitnehmer“ für diese Bewegung noch zeitgemäß, oder sollte man lieber von einem sozialdemokratischen Flügel sprechen, damit sich der typische Arbeitnehmer auch mit Rechtsanwälten wie Julia Unterberger identifizieren kann? Grundsätzlich kann man nicht jedem „Reichen“ absprechen, sozial zu sein. Ich kenne genügend Leute, die sehr gut situiert sind und doch eine soziale Ader besitzen. Julia Unterberger wurde von den Arbeitnehmern nicht verstanden, weil sie eine ganz andere Sprache spricht und weil sie sich ausschließlich für einen ausgeprägten Feminismus eingesetzt hat. Es stimmt schon, der Begriff „Arbeitnehmer“ kann einengend sein. Aber auch „Sozialdemokratie“ trifft es in Südtirol vielleicht nicht. Ich kenne viele Arbeitnehmer, die sich nicht als Sozialdemokraten, sondern eher als Christlich-Soziale fühlen, womit wir wieder ein ähnliches Identifikationsproblem hätten. Wenn, dann müsste man allein den Begriff „Sozial“ verankern. Ausschlag gebend ist diese Diskussion aber nicht; es geht viel mehr darum, ob man als Politiker einen Gerechtigkeitssinn verspürt oder nicht. Hat die Landesregierung in den vergangenen zehn Jahren arbeitnehmerfeindliche Entscheidungen getroffen?

Nein. Im Vergleich zu anderen Ländern Europas und auch anderen Regionen Italiens verfügt Südtirol sogar über ein sehr engmaschiges soziales Netz. Allerdings hat man bei uns sehr wohl das Gefühl, dass die Politik Macht und Sessel nach Belieben verteilt. Das stört die Arbeitnehmer, denn sie wollen, dass die Posten von denen besetzt werden, die jeweils die besten Fähigkeiten dafür haben. Wenn sich Leute bei uns einen Posten einfach nehmen, wie es im Fall des Handelskammerpräsidenten war, dann stört dies die Arbeitnehmer gewaltig. Auch im sozialen Wohnbau muss festgestellt werden, dass zwar viel getan wurde, die Anzahl der Wohnungen aber immer noch zu gering ist. Und: Die Wohnungen des freien Marktes sind sowohl im Kauf als auch in der Miete unbezahlbar. Der Kaufkraftverlust hat sich außerdem besonders auf die Arbeitnehmer negativ ausgewirkt: Auf der einen Seite sind die Preise nach der Einführung des Euro enorm gestiegen, auf der anderen Seite haben sich die Unternehmer geweigert, Landeszusatzverträge oder Betriebsabkommen abzuschließen. Diejenigen, die sich geweigert haben, sitzen in den Verbänden, die wiederum Politik in Südtirol gestalten. Grundsätzlich kann man sagen, dass die Arbeitnehmer mit ihren Gehältern oft nicht mehr auskommen. Die Unternehmer verweisen auf zu hohe Steuern und sagen, dass sie die Löhne nicht steigern können. Auf diese Weise verarmen aber die Arbeitnehmer zunehmends. Der Unternehmer verweist viel mehr auf die viel zu hohen Lohnnebenkosten…


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