SON 630 – Sibelius, Sämtliche Werke, Serie I, Bd. 22

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XX phonie, Valse triste und Finlandia; außerdem wurden vier Lieder sowie der langsame Satz aus dem Violinkonzert (mit Klavierbegleitung) aufgeführt. Das Konzert wurde in der Birmingham Daily Gazette kurz besprochen; die Resonanz auf Valse lyrique fiel nicht sehr günstig aus: „Wir müssen Herrn Appleby Matthews für den Besuch von Sibelius im Königlichen Theater am gestrigen Abend danken, als der berühmte Finne einige seiner bekanntesten Kompositionen dirigierte: ,Finlandia‘, den ,Traurigen Walzer‘ und den ,Lyrischen Walzer‘ – letzterer war das schwächste Stück im Programm –, was natürlich eine Wiederholung verdiente.“51 Eine Woche später dirigierte Sibelius Valse lyrique in London mit dem New Queen’s Hall Orchestra; über dieses Konzert liegen allerdings keine Berichte vor, die den Walzer erwähnen. Nach den Aufführungen in England wurde Valse lyrique am 21. März 1921 in Bergen von den Musikselskabet Harmonien unter Leitung des Komponisten gespielt. Die anderen Werke in diesem Programm waren Finlandia, Tuonelan joutsen, Valse triste, die 2. Symphonie sowie Elegie und Musette aus der Kung Kristian II.-Suite. Die Zeitungsberichte konzentrierten sich auf die Symphonie und auf Valse triste: die dortige Zeitung Dagen erwähnte Valse lyrique überhaupt nicht, das Stück wurde aber in Bergens tidende recht warmherzig aufgenommen: „Valse triste, der weltberühmte dämonische Tanz mit dem Tod, mit dieser genial getroffenen, entsetzlichen Atmosphäre hatte beinahe sein künstlerisches Gegenstück in der neu komponierten Valse lyrique – eine bezaubernde und frühlingshaft helle Atmosphäre – eine Ausnahme in der Tondichtung des großen Melancholikers. Das Stück musste wiederholt werden.“52 Valse lyrique wurde bald sowohl in getanzter Form als auch in verschiedenen Bearbeitungen ein beliebtes Stück. Es wurde am 25. Juni 1921 von einem „Music trio“ an der Finnischen Oper in Helsinki als Begleitung zu einer Tanzaufführung gespielt,53 und Nicolaï van Gilse van der Pals (1891–1966) dirigierte es am 3. April 1922 in Helsinki als Beitrag zu einer Feier der deutsch-finnischen Gesellschaft „Finnlandkämpfer“ in einer Bearbeitung für Streichorchester.54 Die finnische Erstaufführung der Orchesterfassung der Valse lyrique fand am 6. April 1922 im Festsaal der Universität Helsinki statt; es spielte das Stadtorchester Helsinki unter der Leitung von Karl Ekman (1869–1947). Veröffentlichung Die Veröffentlichungsgeschichte der Valse lyrique erscheint ziemlich verwickelt, und die Nachweise, die Licht auf die Ereigniskette werfen könnten, enthalten bemerkenswerte Lücken.55 Sibelius unterzeichnete im Februar 1920 einen Verlagsvertrag mit Westerlund, und dieser verkaufte das Copyright für Veröffentlichungen innerhalb des British Empire an den Londoner Verlag Hawkes & Son; Wilhelm Hansen (Kopenhagen) erwarb 1921 die Veröffentlichungsrechte außerhalb des britischen Weltreichs und Finnlands. Westerlund, der die Rechte für Finnland besaß, beauftragte wahrscheinlich Emil Kauppi (1875–1930) mit der Abschrift der Orchesterpartitur.56 Nach den Erstaufführungen in England und Norwegen äußerte Wilhelm Hansen 1921 seine Bereitschaft, Valse lyrique zu veröffentlichen: „Da wir sehr gern die Orchesterausgabe der ,Valse lyrique‘ herausbringen würden, bitten wir Sie, uns freundlicherweise die Partitur zuzuschicken. Ihrer Auskunft zufolge wurde sie damals nach London geschickt.“57 Die fragliche Partitur war die Abschrift, die Kauppi angefertigt hatte (Quelle B); sie diente als Vorlage zu den Stimmen, die bei den Aufführungen in England und Norwegen verwendet worden waren (Quelle C). Sibelius schrieb am 29. Juni in sein Tagebuch: „Gestern Partitur von ,Valse lyrique‘ an Hansen geschickt.“58 Kurz darauf bestätigte der Verlag den Erhalt der Partitur.59 Vermutlich hatte Sibelius die autographe Partitur (Quelle A) geschickt, da der Verlag auf der Titelseite das Datum „13. Juli“ in Bleistift ergänzte.60 Die autographe Partitur blieb in Wilhelm Hansens Besitz.61 Auch Kauppis Abschrift wurde irgendwann nach Kopenhagen geschickt, und dieses Exemplar diente als Vorlage für einen wei-

teren Stimmensatz (Quelle D), mit dem eine Aufführung der Valse lyrique am 9. September 1921 in Tivoli ermöglicht wurde.62 Offenbar schickte Wilhelm Hansen Kauppis Abschrift im Herbst 1921 an Sibelius zurück. Der Komponist dürfte einiges in der Partitur überarbeitet haben, bevor er sie letztlich, vermutlich im Dezember 1921, Wilhelm Hansen zurückschickte. Der Verlag bestätigte den Eingang der Partitur und der Stimmen zu Valse lyrique, und die Vorbereitungen zur Veröffentlichung konnten fortgesetzt werden.63 Kauppis Abschrift diente dann als Stichvorlage für die Erstausgabe der Partitur, doch bevor der Notenstich erfolgte, wurde die Stichvorlage – zusammen mit der Partitur von Autrefois op. 96b – in die USA geschickt, damit dort die Revision für die Registrierung des Copyrights erfolgen konnte.64 Die Stimmen für die ersten Aufführungen (in England und Norwegen) dienten als Stichvorlagen für die Orchesterstimmen. Mit dem Stich von Partitur und Stimmen wurde im April 1922 begonnen; Sibelius erhielt die Korrekturabzüge im Mai.65 Die Erstausgabe kam im Spätherbst 1922 heraus. Valse chevaleresque op. 96c Wann genau die Klavier- und die Orchesterfassung der Valse chevaleresque abgeschlossen wurden, ist nicht gesichert. Sibelius erwähnt die Valse chevaleresque in den Tagebucheinträgen zwischen November 1921 und Februar 1922 nur mit ihrem Titel und geht nicht auf die fragliche Fassung ein. Allgemein nimmt man an, dass der Walzer im November 1921 zunächst als Klavierfassung entstand und die Orchesterfassung wohl Mitte Dezember abgeschlossen wurde. Im Tagebuch erwähnte Sibelius, er habe die Komposition im Januar 1922 überarbeitet; am 10. Januar war er in der Lage, die Partitur Wilhelm Hansen zuzusenden: „Ich schicke anbei zur Veröffentlichung einen neuen Walzer: ,Valse chevaleresque‘ für Orchester oder Klavier. […] Ja, der Walzer ist eingängig, und ich glaube, dass er ein Erfolg wird.66 Sibelius’ Tagebuch zufolge kündigte Wilhelm Hansen Ende Januar 1922 die Veröffentlichung der Valse chevaleresque an. Im Februar schrieb er Sibelius: „Vor vier, fünf Tagen haben wir […] das Manuskript der ,Valse chevaleresque‘ nach Amerika [zur Registrierung des Copyrights] geschickt, und wir sind daher in der Lage, Ihnen eine Abschrift der Partitur zuzusenden. Wir beabsichtigen, die Partitur und die Stimmen so bald wie möglich zu drucken.“67 Der Veröffentlichungsprozess ging jedoch entgegen den Intentionen des Verlags langsam voran. Erst Ende Dezember 1922 konnte der Verlag versichern: „Als Antwort auf Ihren Brief informieren wir Sie darüber, dass die Orchesterpartitur und die Stimmen von AUTREFOIS und VALSE CHEVALERESQUE in Deutschland gedruckt werden. Heute haben wir der Druckerei geschrieben und sie darum gebeten, dass man Ihnen im Januar von allem ein Exemplar zuschickt.“68 Sibelius’ Portraitkonzert im Februar 1923 rückte näher und der Komponist war besorgt, ob die Materiale zu Autrefois op. 96b, Valse chevaleresque und Suite champêtre op. 98b rechtzeitig gedruckt und lieferbar sein würden. Offenbar war die Leipziger Druckerei Oscar Brandstetter damit beauftragt worden, zunächst die Orchesterstimmen eventuell nur als Korrekturabzüge zu produzieren, sie Sibelius zur Verwendung bei der Erstaufführung zuzuschicken und mit dem Stich der Partituren noch zu warten. Am 11. Januar wurden Sibelius aus Leipzig die Orchestermateriale zu Autrefois und zu Valse chevaleresque geschickt, aber etwas ging schief, sodass dieser einige Zeit später nur die Materiale zu Autrefois erhielt.69 Am 8. Februar schrieb Wilhelm Hansen nach einer angespannten Korrespondenz in dieser Sache an Sibelius: „Wie wir Ihnen in unserem Brief vom 31. Januar mitgeteilt hatten, hätte Ihnen das Material zu Valse chevaleresque am 11. Januar zugeschickt werden sollen. Auf jeden Fall hoffen wir, dass die Materiale, die wir heute abgeschickt haben, sicher bei Ihnen ankommen.“70 Der Stich der Partitur der Valse chevaleresque konnte nicht vor der Uraufführung abgeschlossen werden, und wahrscheinlich bat Sibelius


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