Bregenzerwald Spektrum IX

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„Gesundheit!“, sagt der Wald Die letzten 300 Jahre Krankengeschichte im Wald und die gegenwärtige Situation sowie ein Ausblick in die Zukunft neuer Gesundheitsschulen „Willst du von Krankheit bleiben frei, meid Sorg, Zorn, Neid, Melancholei.“ (aus: Artur Schwarz, Alte Hausmittel und Heilsprüche, Vorarlberger Volkskalender 1958)

Text: Georg Sutterlüty

Ein Pionier der Vorsorgemedizin Es war um 1800, als der Bezauer Wundarzt Josef Gabriel ­Moosbrugger zu hören bekam, dass in England ein Impfstoff gegen die Pocken ent­ deckt worden war, der als äußerst wirksam galt. Moosbrugger packte die Neugierde. Er ließ sich aus Ulm Bücher und Journale schicken und vertiefte sich in das Thema, um schließlich aus ­Bregenz den Impfstoff anzufordern. Die Pocken breiteten sich im Wald nämlich in regelmäßigem Abstand aus und waren schwer unter Kontrolle zu bringen. Sie konnten in kurzer Zeit ganze Familien dahinraffen. So zum Beispiel 1796 in Alberschwende, als innerhalb von zwei Wochen vier Kinder einer Familie an den Pocken starben. Moosbrugger begann, die Bezauer Kinder zu impfen. Anfangs ohne Erfolg, der Impfstoff war zu schwach. Doch, so wird über­ mittelt, beim 24. Versuch soll die gewünschte Wirkung eingetreten sein. Als sich 1806 im Wald wieder eine Pocken-Epidemie ausbrei­ tete, blieben die von Moosbrugger behandelten Kinder von einer Ansteckung verschont. Das sprach sich herum und der Bezauer Arzt musste fortan im gesamten Tal Impfungen vornehmen. Moosbrugger war ein Pionier auf dem Gebiet der Vorsorge – welt­ weit. Man kann ihn zudem als einen der Vorreiter der modernen Medizin im ländlichen Raum bezeichnen. Mit seinem Wirken setzte sich auch hier die auf naturwissenschaftliche Erkenntnisse bau­ ende Medizin gegen die auf Tradition und Volksglauben gründende Erfahrungsmedizin allmählich durch. Die letzte Pocken-Epidemie wurde Anfang des 20. Jahrhunderts im Hinterwald registriert. Seit­ dem ist die Viruserkrankung im Tal nicht mehr aufgetreten. Aber natürlich traten wie stets auch kritische Geister auf den Plan. So musste sich Moosbrugger etwa gegen den Vorwurf der Scharlatanerie wehren. Und noch in den 1880er Jahren verhöhnte der Andelsbucher Gemeindearzt Johann Michael König jegliche Art der Pockenimpfung. Er schmähte sie in der Öffentlichkeit als „Vergiftungsanstalt“. Die Krätze in Alberschwende Mit dem Aufschwung der modernen Medizin blühte im Wald das Ärztewesen auf. In der Talschaft war im 19. Jahrhundert die Ärzte­ dichte ähnlich hoch wie in den Städten. Davor gab es keine festge­ legten Regeln, wer praktizieren durfte und wer nicht. Nur der Wund­ arzt hatte eine Art Lehre und Gesellenjahre zu absolvieren, um dann als Meister praktizieren zu können. Er war in erster Linie für chir­ urgische Eingriffe zuständig. Er zog Zähne, renkte Gelenke ein und nahm auch Amputationen vor – ohne Narkose und Schmerzmittel. Bei ernsten Erkrankungen wurden zuerst Brechmittel verschrieben.

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