Hotelier 11 2015

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REPORT HOTEL-STADT GENF

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ean-Jacques Gauer, Genf gilt seit Jahren als eine der teuersten, wenn nicht überhaupt die teuerste Hotel-Stadt der Welt. Warum ist das so? Genf ist die internationale Stadt der Schweiz schlechthin, bekannt wegen internationaler Organisationen wie UNO, CERN, IKRK, WHO und unzähligen anderen weltweit agierenden Organisationen. Der weltweite Erdölhandel wird von Genf aus gesteuert, zudem ist Genf eine internationale Finanz- und Bankenstadt. Allerdings: Wien hat als internationale Stadt aufgeholt! So wie auch Zürich aufgeholt hat, vor allem natürlich im Bezug auf Shopping und Kultur: Die Zürcher Bahnhofstrasse ist für Menschen, vor allem aus den Golfstaaten, heute attraktiver als die Rue de Rhone in Genf. Zürich bietet zudem mehr Sicherheit und Sauberkeit. Trotzdem verfügt Genf über eine Dichte an Luxus-Hotels, die es in keiner anderen Schweizer Stadt gibt, alle verteilt auf einer Fläche von knapp zwei Kilometern rund ums Seebecken. Welche Rolle spielt der Genfer Flughafen für die Hotellerie in der Rhonestadt? Auch hier gräbt Zürich den Genfern langsam, aber sicher das Feld ab. Am Zürcher Flughafen wird nie gestreikt. In Genf ist das anders. Trotzdem: Die Genfer Hotels haben Zimmerraten, von denen vergleichbare Betriebe in anderen Städten nur träumen können. Das ist so. Schauen Sie sich das «Four Seasons des Bergues» an, ein Top-Luxus-Hotel, das in der Genfer Luxus-Hotellerie ganz klar den Ton angibt, wenn es um Service und Preise geht. Die verlangen dort durchschnittliche Raten von über 1000 Franken pro Nacht. Damit treiben sie die Preise in der Stadt generell in die Höhe. Auch an den ruhigen Wochenenden? Genf ist keine Wochenend-Destination. Egal, was das Bundesamt für Statistik sagt: Ich glaube nicht, dass Genf laut der jüngsten Studie zu den attraktivsten europäischen Wochenend-Städtedestinationen gehört. Wie sieht es während der Woche in Genf aus? Gibt es da aktuell Rückgänge zu verzeichnen? Welcher Hotelier hat in der Schweiz keine Rückgänge bei den Logiernächten zu verzeichnen? Zürich ist wohl die einzige Stadt, die derzeit nicht leidet. Trotzdem: In Genf wird immer noch gutes Geld verdient, vor allem im Fünfsterne-Bereich. Kann man sagen: Genf ist nicht die Schweiz, sondern ein echter «Sonderfall»? Richtig! Genf ist weit entfernt von der normalen Schweiz, vom Appenzell und von Toni Brunner mit seiner SVP. Gehen Sie mal nach Mitternacht in die Bar des Grand Hotel Kempinski in

Genf. Das ist eine völlig andere Welt! Da fl iesst der Champagner aus Imperial-Flaschen, es wird Russisch und Arabisch gesprochen. Davon lebt diese Stadt! Ist die französische Grenzregion denn keine Konkurrenz für den Genfer Hotel-Markt? Nein. Zwar ist Genf nicht so schick und elegant wie Zürich, aber die Stadt hat etwas sehr Sympathisches. Denken Sie zum Beispiel an die Gastronomie. Die hohen Preise spielen für die internationale Kundschaft eine zweitrangige Rolle.

« DIE HOHEN PREISE SPIE-

LEN FÜR DIE INTERNATIONALE KUNDSCHAFT IN GENF EINE ZWEITRANGIGE ROLLE.

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JEAN-JACQUES GAUER

Existiert eigentlich eine gute MittelklasseHotellerie in Genf? In diesem Bereich hat sich in Genf einiges getan. Ich persönlich mag das Warwick-Hotel beim Bahnhof oder das Hotel Ambassador. Ein Schulfreund betreibt die «Auberge d'Hermance» ausserhalb von Genf. Nur ein paar Zimmer und ein schmuckes Restaurant. Im Sommer holt er seine Gäste aus den Genfer Luxus-Hotels mit dem Boot zum Essen ab – und ist immer ausgebucht! Das sind die speziellen und schönen Seiten von Genf, etwas am Rande gelegen. Was unterscheidet Lausanne von Genf? Wir in Lausanne sind Provinz, Genf ist die Hauptstadt. Profitiert Lausanne von Genf? Ja, weil wir am gleichen Seeufer liegen. So wie Montreux und Evian auch. Und die Zimmerraten in Lausanne? In Lausanne sind die Zimmerraten rund 50 Prozent tiefer. In Genf sind Luxus-Hotel-Ketten präsent, die es sonst in der Schweiz nicht gibt: «Four Seasons» oder «Mandarin Oriental» zum Beispiel. «Ritz-Carlton» übernimmt jetzt im Dezember ein Haus in Genf. Hat die Stadt für solche Häuser noch Potenzial? Ich setze ein Fragezeichen – und zwar für die ganze Schweiz, nicht nur für Genf. Schauen Sie, der Markt ist zu wenig dynamisch. Wir haben schwierige Gesamtarbeitsverträge, viel schwieriger als in Frankreich. Doch die Zimmerpreise in Frankreich sind dieselben …

studie 2 GENF AN DER SPITZE DER REVPAR-ZAHLEN Im Jahr 2014 war Dublin die Stadt mit dem stärksten prognostizierten Wachstum der Einnahmen pro HotelZimmer (RevPAR), gefolgt von London und Paris sowie Edinburgh, Berlin, Frankfurt, Wien und Moskau. 2015 dürfte London das stärkste Wachstum der Einnahmen pro HotelZimmer verzeichnen, gefolgt von Dublin, Lissabon, Prag, Moskau, Edinburgh, Zürich und Frankfurt. In absoluten RevPAR-Zahlen liegt aber Genf an der Spitze – dank hoher und konstanter durchschnittlicher Zimmerraten (ADR). Nicolas Mayer, Leiter Tourismus & Hotellerie von PWC Schweiz, meint dazu: «Die Leistung der Genfer Hotels ist im Vergleich zum europäischen Markt weiterhin stark. Der Spitzenplatz von Genf bei den Einnahmen pro Hotel-Zimmer zeigt die Widerstandskraft der Schweizer Wirtschaft gegenüber dem jüngsten europaweiten Abschwung.» Die Belegungsraten der Genfer Hotels blieben in den letzten Jahren stabil um 65 Prozent, während die durchschnittlichen Zimmerraten kontinuierlich zurückgingen. Dieser Trend setzte sich 2014 fort: Die jährliche Belegungsrate betrug 65,2 Prozent, während die Zimmerrate von CHF 296.20 auf CHF 287.70 fiel. Die Einnahmen pro Hotel-Zimmer in Genf dürften infolge besserer Belegungsraten, aufgrund weiterer Zuflüsse aus dem Auslandsgeschäft und der anhaltenden Konjunkturerholung weiter ansteigen. Die Studie zum Download: www.pwc.ch (Publikationen)

Wie sehen Sie die Zukunft des Tourismus-Landes Schweiz? Ich denke, dass es in der Schweiz nur gewisse Destinationen langfristig schaffen werden. Orte wie Gstaad, Zürich, St. Moritz, Zermatt, Basel, Genf. Der Rest hat ein Kostenproblem. H 11 I2015

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