BOXEN HEUTE Magazin Oktober

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insider

Aus der Mitte der Gesellschaft an den Rand Vor 20 Jahren verschwand Boxen aus dem Schulsport

„Die Schulen sind auf Mädchen zugeschnitten. Was sucht ein Junge im Alter von 14, 15 Jahren? Action, Abenteuer, Kräftemessen, Wettstreit mit anderen Jungen. Er ist fas­ ziniert von Waffen, Krieg, Gewalt. Und dann soll er den ganzen Tag in der Schule sitzen, schreiben, lesen?”, so der Niederländische Autor Leon de Winter im Spiegel-­ Interview im August 2013.

Bis zur Wende wurde in der DDR im regulären Schulunterricht, neben Weitsprung oder Kugelstoßen, auch geboxt. In der Bundesrepublik ist der Faustkampf in der Schul-Turn­ halle seit der 68er-Bewegung tabu. Doch gibt es tatsächlich keinen Boxunterricht mehr an deutschen Schulen? Es mag ungewöhnlich erscheinen wenn ein erfolgreicher Trainer auch Kindern das Boxen beibringt. Doch für Hartmut Schröder ist es kein Gegensatz: „Die Kinder sind oft dank­ barer als die Profis.“ Hartmut Schröder, bekannt als Trainer des früheren IBF Weltmeisters Sebastian Sylvester, arbeitet seit drei Jahren mit Berliner Schülern im Box-Gym Köpenick. „Spaß und Bewegung stehen bei uns im Vordergrund. Boxprofi will hier keiner werden“, so Schröder. „Die Kinder die zu uns kommen, haben meist keine Boxerfahrung, wir fangen also bei Null an“. Das Niveau des normalen Sportunterrichts beurteilt Schröder kritisch. „Von der Dreiviertelstunde

Der Profiboxer Ronny Mittag unterstützt Trainer Hartmut Schröder beim Gruppentraining.

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Der erfahrene Boxtrainer Hartmut Schröder unter­­ richtet im Berliner Boxgym Köpenick zwei Mal pro Woche Schulklassen.

gehen allein 15 Minuten für Umziehen drauf. Dann wirft der Sportlehrer einen Ball in die Mitte und das wars.“ Im Gym wollen die wenigsten Schüler Sparing machen. „Die Angst ist am Anfang groß. Statt Schlägen gibt es bei uns Sandsack­ training und Partnerarbeit.“ Noch vor 20 Jahren sah es anders aus. „In der DDR wurde der Sport gefördert und war so angesehen wie andere Sport­ arten auch“, so Schröder. „Aber nach der Wende hat sich die Einstellung aus dem Westen durchgesetzt, dass Boxen nicht in die Schulen und nicht in die Gesellschaft gehört.“ Wo es der Boxsport doch an die Schule schafft, stellen engagierte Sportlehrer und Trainer Angebote in Projektwochen oder an den Nachmittagen fakultativ zur Verfügung. Empfohlen werden solche Einsätze in der Regel auffälligen Kindern und Jugendlichen, was für eine breite Akzeptanz des Sports nicht förderlich ist. Wie wichtig der Schulsport für eine Sportart ist, zeigt sich am Fußball. Das abschließende Fußballspiel krönt jede gelungene Sportstunde, entsprechend sind auch 6,8 Millionen Mitglieder beim Deutschen Fußballbund (DFB) organisiert. Der Deutsche Boxverband (DBV) hat aktuell nur 80.000 Mitglieder. In Niedersachen versucht man das Problem anzugehen. Allerdings auch hier nur Außerschulisch. „Boxe Éducative“ ist ein bundesweit einmaliges Projekt, das als Brückenschlag zwischen Pädagogik und Boxsport zu verstehen ist und auf einem dreijährigen Pilotprojekt basiert. Mit „Boxe Éducative“ können Schülerinnen und Schüler unter fachkundiger Anleitung von Trainern auf völlig gefahrlose und dennoch authentische Weise Grundtechniken des Boxsports erlernen. Die Vermittlung jeder Form des Boxsports im regulären Sportunterricht ist von Amts wegen nicht gestattet. Jürgen Wiedemann, der DBV-Vizepräsident Breitensport und Boxpräsident in Baden Würtemberg, unterrichtet seit


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