Ikonizität und Symbolizität sind also – so viel sollte klar geworden sein – nicht einander ausschließende, sondern im Gegenteil verwobene Größen. Das hat weitreichende Konsequenzen, wenn man die beiden Formen des Objektbezugs mit der Dichotomie von Bild (im medienwissenschaftlichen, nicht im peirceschen Sinne) und Wort verknüpft. Solange Sprache bzw. Schrift als rein symbolisch operierende Systeme modelliert werden, ist diese Dichotomie gegenüber dem Bild als ikonischem Medium aufrechtzuerhalten. Versteht man allerdings Ikon, Index und Symbol als stets verwobene Größen, kommt auch die Wort/Bild-Dichotomie ins Schwanken, da Schrift so notwendigerweise auf semiotische Mittel zurückgreifen muss, die traditionell eher dem Bildlichen zugestanden werden. Genau wie die Aufhebung der Innen/Außen-Dichotomie die Marginalisierung des Materiellen in der Schrift unmöglich macht, rückt die Auflösung der Wort/Bild-Dichotomie die Ikonizität alles Schriftlichen (und die Symbolizität alles Bildlichen) in den Fokus. Zwischen den klassischen Polen Wort und Bild spannt sich der Raum der Schriftbildlichkeit auf, der auf ganz ähnliche Weise auch von Sybille Krämer gefasst wird:
Was aber, wenn ›Sprache‹ und ›Bild‹, somit das Sagen und das Zeigen nur die begrifflich stilisierten Pole einer Skala bilden, auf der alle konkreten, also raum-zeitlich situierten Phänomene nur in je unterschiedlich proportionierten Mischverhältnissen des Diskursiven und Ikonischen auftreten und erfahrbar sind?25 Die Position, welche eine (typo-)grafische Figur in diesem Kontinuum einnimmt, ist also im Wesentlichen eine Frage der Mischung bzw. Konfiguration des Zeichenverbundsystems26 ihrer Wahrnehmung.27 Auch an den Extrema des Schrift-Bild-Kontinuums existieren keine semiotischen Reinkulturen; trotzdem kann in Richtung Bildlichkeit eine stärkere Dominanz des Ikonischen und in Richtung Wort eine stärkere Ausprägung des Symbolischen vermutet werden. Die Unterscheidung zwischen Bild
Ikonizität und Diagrammatik — 59
25 Krämer: »Operationsraum
Schrift. Über einen Perspektivwechsel in der Betrachtung der Schrift«, S. 95. 26 Vgl. Uwe Wirth: »Aufpfropfung als Figur des Wissens in der Kultur- und Mediengeschichte«, in: Kulturgeschichte als Mediengeschichte (oder vice versa?), hrsg. v. Lorenz Engell/ Joseph Vogl/Bernhard Siegert, Weimar: Bauhaus-Universität, 2006, S. 111–121, hier S. 118. 27 Das ist eine These, die in ähnlicher Form auch schon von Katherine McCoy vertreten wurde, die mit ihrem Programm des »Design as Discourse« wesentliche Impulse für die Entwicklung des Grafikdesigns der ausgehenden Achtziger und frühen Neunziger lieferte. Vgl. Stephen Eskilson: Graphic Design. A New History, New Haven: Yale University Press, 2007, S. 356. McCoys Hauptinteresse lag allerdings darin, die Symbolizität des Ikonischen zu untersuchen. Das Kontinuum der Schriftbildlichkeit wurde also primär in eine Richtung geöffnet. Vgl. Katherine McCoy/Michael McCoy: »The New Discourse«, in: Cranbrook Design: The New Discourse, hrsg.v. Hugh Aldersey-Williams u. a., New York: Rizzoli, 1990, S. 14–19, hier S. 16.