Der Geheimcode der Gestaltung ist die Emotion.
Inhaltsverzeichnis
A. Auftakt
B. Emotionen definieren
C. Evolution und Entwicklung
D. Emotionen ergründen
E. Interdisziplinärer Transfer
F. Methodik
G. Emotionsstrategie
H. Praxis vertiefen
Funktion ist die Pflicht, Emotion die Kür!
Eine innige Beziehung zwischen Mensch und Produkt ist ein weiterer Schritt in eine grünere Zukunft.
Der emotionale Darkroom. Schaltet mal eine:r endlich das v*******e Licht an?!
Herzlichen Glückwunsch zu Ihrer Entscheidung für das 450.000 Zeichen starke, ca. 650 Gramm schwere und hochemotionale Methodenpaket. Gerne möchten wir als Autorenteam Sie beim Auspacken dieses Werkes unterstützen. Damit Sie nicht das Gefühl haben, die „Katze im Sack“ gekauft zu haben, besinnen wir uns doch kurz auf die Hauptthematiken dieses Werkes. Emotion, Gestalten, Methodik und Strategie. Vier Schlagwörter, die den Inhalt des Buches treffend umreißen. Im ersten Viertel des Buches führen wir Sie schrittweise an das Thema heran und tauchen im Mittelteil tiefer in die Herleitungen und interdisziplinären Diskurse ein. Im letzten Drittel erläutern wir die Tools und geben Ein- und Ausblicke rund um den Schwerpunkt Emotionsstrategie. Wenn Sie danach noch immer Lust auf mehr bzw. Fragen oder Anregungen haben, kontaktieren Sie uns!
Wir beschäftigen uns seit vielen Jahren ganz gezielt mit der Schnittstelle von Emotion und Design. Alles begann damit, dass wir uns gefragt haben, warum uns gewisse Dinge ansprechen (und andere nicht) und warum wir bei bestimmten Produkten im Regal einfach zugreifen müssen. Dabei ging es uns nicht um Marketingtricks, sondern um die Frage: Können wir den emotionalen Ausdruck von Gestaltung gezielt steuern? Entsprechende Recherchen durch die Designliteratur machten deutlich, dass die Erforschung systematischer Instrumente und methodischer Lösungen sprichwörtlich schwarze Löcher aufweist. Diese zu ergründen, führt zu exakterer Markenkommunikation und Zielgruppenansprache sowie besserer Akzeptanz von Design.
Unsere Vision keimte erstmals 2010 in einem Essay zum Thema „Auswirkungen frühkindlicher Prägung auf die Produktgestaltung“. Sie wurde genährt von diversen Experteninterviews, wuchs zu einer 304-seitigen Forschungsarbeit heran, reifte zur strategischen Designagentur hoch E und gibt nun in diesem Buch einige Facetten von sich preis. Unser Forschungsdrang motiviert uns darüber hinaus als Dozierende, als Betreuende von Abschlussarbeiten sowie als Beratende in zahlreichen Seminaren und Workshops, unsere praktische Erfahrung und unsere theoretisch-methodische Basis weiterzuvermitteln. Mehr als 7 000 Stunden Analyse und Forschung münden in wissenschaftlich fundierte Methoden und treffsichere Gestaltung. Durch den speziellen Forschungsschwerpunkt unserer Agentur sind wir in der Lage, Unternehmenswerte in ein verständliches Designalphabet auszubuchstabieren und ganz gezielt zu mächtigen Wettbewerbsvorteilen zu transformieren. Psychologie, Neuromarketing und Design bieten handfeste Erkenntnisse, die direkt in unsere gestalterische Arbeit einfließen. Das und noch weitaus mehr gibt uns Rückenwind für die fortwährende Auseinandersetzung mit und an der Schnittstelle von Emotion und Design.
„Wenn es doch endlich einmal gelänge, in unserer Sprache ein Wort einzuführen, welches Denken und Fühlen nicht trennt. Ich habe es satt, mich immer für das eine und damit gegen das andere entscheiden zu müssen. Und wie viel Unglück ist erst dadurch entstanden, dass die Menschen auch danach gehandelt haben.“
— Hanna Johansen, Meier-Seethaler, 5Erinnern Sie sich noch an das Gefühl von Liebe auf den ersten Blick? Den unvergesslichen Flirt? Das Kribbeln in der Bauchgegend? Und daran, dass Sie einfach mehr wollen? Eine Beziehung entsteht. Mit Kosenamen, eigener Geschichte, Vergangenheit und Zukunft. Hier geht es nun nicht um den zwischenmenschlichen Funkensprung, sondern um den zwischen Mensch und Design. Was passiert dabei und woran liegt das? Jedes Design hat Primär- und oft mehrere Sekundärbotschaften, die in erster Linie über Form, Farbe und Materialität vermittelt werden. Dabei erwarten Menschen von nahezu allen Produkten, dass die wahrnehmbare Erscheinung ihren persönlichen Vorstellungen und Wünschen entgegenkommt. Über die Wirkungen der Einzelkomponenten und deren Ursachen wird in der Regel nicht reflektiert – nicht von den Betrachtenden bzw. Konsumierenden und meist auch nicht von den Designer:innen. Die Gestaltung wird teilweise intuitiv, aus dem Bauchgefühl heraus komponiert. Das kann passen, muss aber nicht. Machen wir uns hingegen klar, warum bestimmte Formen welche psychologischen Wirkungen haben, wo der Ursprung dieser Empfindungen liegt und wie diese unterschwellig geweckt werden können, verfügen wir über ein machtvolles Gestaltungswerkzeug. Der Geheimcode ist dabei die Emotion. Das Phänomen Emotion verläuft größtenteils unbewusst in unserem Gehirn. So ist das, was uns als Gefühl erscheint, nur die Spitze des Eisbergs. Mehr als 80 Prozent unserer tagtäglichen Entscheidungen steuert das Unterbewusstsein. Unsere Intention ist keinesfalls, ein allumfassendes Patentrezept zu kreieren, was zum Glück auch nicht möglich ist. Der Fokus dieses Buches liegt in der Aufschlüsselung des emotionalen Kerns von Gestaltung. In diesem Sinne öffnen wir die Schleuse unseres Labors, um Ihnen einen exklusiven Einblick in einige unserer Reagenzgläser zu ermöglichen.
Welchen Fragen stellt sich dieses Buch?
· Welche Emotionen sind designrelevant?
· Lassen sich Emotionen und Werte einer Marke erfassen und fokussiert gestalten?
· Aus welchen Gründen werden Produkte zum Beispiel als intelligent, beständig, dumm oder brillant wahrgenommen?
Was bietet dieses Buch?
· Es ermöglicht ein Verständnis dafür, was Emotionen sind.
· Es gibt einen Einblick in die Vernetzung mit anderen Disziplinen.
· Emotion Grid® (basic version)
· Design Elements (basic version)
Was bietet dieses Buch nicht?
· Ein starres Regelwerk oder gar ein Patentrezept. Ist weder möglich noch sinnvoll.
Emotionen definieren
Die Psychologie jongliert mit 101 Emotionsdefinitionen.
Design mit keiner einzigen!
B. Emotionen definieren
Wir haben bereits Bereiche und Facetten umrissen, auf die sich Emotionen im menschlichen Dasein auswirken, und erläutert, welchen Stellenwert diese hinsichtlich der eigenen Existenz einnehmen. Sie begleiten uns fortwährend und bestimmen die wichtigsten Entscheidungen unseres Lebens. Können Sie sich eine Beziehung ohne jegliche Emotion vorstellen? Selbst einer Heirat aus überwiegend finanziellen oder politischen Motiven wohnen starke Emotionen inne, und dabei muss es sich keineswegs um Liebe oder Vertrauen drehen. Und sogar der Forderung nach reiner Sachlichkeit – sei es nun im zwischenmenschlichen Bereich oder in der Gestaltung – liegen mächtige Emotionen zugrunde. Verlangen, der Wunsch nach Verlässlichkeit oder schüchterne Zurückhaltung können sich dahinter verbergen.
Wird allerdings die Produktgestaltung betrachtet, so scheint der emotionale Aspekt eine eher untergeordnete, fast beiläufige Rolle zu spielen. Das Bild von „Emotionen in der dreidimensionalen Gestaltung“ erscheint sehr verschwommen und wird oftmals ungerechtfertigterweise mit Kitsch, organischen Formen oder Dekoration assoziiert.
Bevor wir uns den Details zuwenden, um tiefer in die Materie einzutauchen, ist ein Überblick über die unterschiedlichen Disziplinen, die sich mit Emotionen auseinandersetzen, notwendig. Was sind Emotionen? Was unterscheidet Gefühle von Stimmungen?
Dieser Teil stellt Standpunkte und die doch recht variierenden Definitionen von „Emotionen“ vor. Im Fokus stehen jeweils die Bereiche Psychologie, Biologie, Philosophie und Gestaltung. Neben diesen Fächern haben sich auch die Neurologie, die Soziologie, diverse Kulturwissenschaften, die Physiologie, Psychiatrie, Religion und sicherlich noch viele mehr mit Emotionen beschäftigt. Aufgrund des weiten Themenfelds, das sich bereits anhand der Definitionsvielzahl ankündigt, konzentriert sich dieses Kapitel auf die gestaltungsrelevanten Disziplinen.
B. 1 Philosophie und Biologie: weiche Grenzen
Weder in der Psychologie noch in der Philosophie gibt es eine einheitliche Definition des Begriffs „Emotion“. Allerdings lässt sich feststellen, dass sich die Psychologie seit einigen Jahrzehnten vermehrt mit der Thematik beschäftigt. Der Emotionspsychologe Klaus Scherer bezeichnet unser Zeitalter gar als Zeitalter der Emotion. [Vgl. Kast 2010]
Der Inhalt der Philosophie ist die Deutung und das Verstehen der Welt und der menschlichen Existenz. Hierfür wird vor allem die Ratio angesprochen und oftmals als Maß aller Dinge dargestellt. Nahezu unangreifbar ist allerdings der Ausspruch: „Eine Emotion oder ein Gefühl ist eine Erscheinungsform eines geistigen Phänomens.“ [Wollheim 2001, 15] In der Philosophiegeschichte wurden Emotionen häufig als Affekte (lat. affectus: Zustand des Gefühls) bezeichnet. Bereits Epikur (341–270 v. Chr.) unterschied zwischen den beiden Affekten Lust und Unlust. Der durch ihn begründete Hedonismus sieht die Vermeidung von Unlust und die Suche nach Lust als Bedingung für Glückseligkeit und ein gutes Leben.
Die Naturwissenschaft Biologie beschäftigt sich mit den allgemeinen Gesetzmäßigkeiten des Lebendigen. Das Augenmerk liegt auf speziellen Besonderheiten von Lebewesen, ihrer Entwicklung sowie Strukturen, Prozessen und Organisation. Hier stehen nicht nur menschliche Gefühlsbewegungen und damit verbundene Prozesse, sondern auch die der Tiere im Fokus.
Bereits Charles Darwin hat sich in seiner Schrift Der Ausdruck der Gemütsbewegungen bei dem Menschen und den Tieren ausgiebig mit der Analyse dieser Vorgänge auseinandergesetzt. Der Blick der Biologie auf Gefühle und Emotionen bezieht (ähnlich wie der der Psychologie) sowohl psychologische als auch physiologische Aspekte mit ein. „Die Rückmeldungen der peripher-physiologischen und muskulären Ausdrucksäußerungen von Gefühlen bestimmen Qualität und Intensität der Gefühlsreaktionen mit (James/Lange). Die Rückmeldungen aus den peripheren Erfolgsorganen (‚somantic markers‘) werden im superioren Parietalkortex analysiert und erlauben Gefühlswahrnehmung ohne bewusste Registrierung der auslösenden Reize.“ [Schmidt/Birbaumer, 725]
In anderen Worten: Alles, was der Körper an Gefühlsregungen (Mimik, Herzschlag, Schweiß, Hormonausschüttung etc.) zeigt, wirkt sich natürlich auf die Gefühlsintensität aus. So kann auch aufgrund körperlicher Reaktionen eine Emotion wahrgenommen werden, ohne dass dem Betreffenden der Grund klar wäre.
Die Grenzen zwischen Psychologie und Biologie sind beim Thema Emotion oft fließend. Gefühle bzw. Emotionen bezeichnet die Biologie als Reaktionsmuster und
Emotionen sind nicht an biologische Grundbedürfnisse gebunden, sondern sie entstehen durch Bewertungen bezüglich individueller Wertund Zielorientierungen. Auch werden durch Emotionen nicht starre motorische Verhaltensroutinen reflexhaft in Gang gesetzt. [Rothmund/Eder, 684]
unterteilt diese in drei Verhaltensebenen (subjektiv, physiologisch, motorisch). Und zwar wird entweder eine Annäherungs- oder eine Vermeidungsreaktion in Gang gesetzt, die mit unterschiedlichen Erregungen gekoppelt ist. Die Art und Intensität der Erregung ist ausschlaggebend für den jeweiligen Wert des Reizes.
Auf die Frage, was Gefühle oder Emotionen sind, antwortet die Biologie wie folgt: Gefühle sind Reaktionen auf hedonistisch positive und aversive Reize, die auf drei Reaktionsebenen ablaufen:
· auf der physiologisch-hormonellen,
· auf der motorisch-verhaltensmäßigen und
· auf der subjektiv-psychologischen.
[Schmidt/Birbaumer, 725]
Von besonderem Interesse im Kontext dieses Buches ist folgende Definition: „Gefühle (primäre Emotionen) sind kurze, maximal Sekunden dauernde Reaktionen. Stimmungen sind länger anhaltende Reaktionstendenzen. Jedes Gefühl hat eine kommunikative Bedeutung, die in der Evolution dessen inneren und äußeren Ausdruck formte.“
[Schmidt/Birbaumer, 690]
Lieber Stephan, für welche Aufgaben und Bereiche bist Du bei Hilti zuständig?
Das Corporate Product Design, mein Wirkbereich, definiert alle Designs der Produkte des Portfolios, sei es physischer oder digitaler Natur. Das Industrial Design ist dabei die wesentlichste Komponente dieses Competence Centers, dazu gehören auch alle ergonomischen Aufgabenbereiche. Weiterhin zählen die grafischen Elemente, User Interfaces sowie alle Verpackungslösungen wie der bekannte rote Hilti-Koffer mit dem plakativen weißen Logo zu dem Aufgabenbereich meines Teams.
Im Grunde geht es um die gesamte Experience unserer Produkte neben der rein technischen Funktion. Wir gestalten mittlerweile all das, was für die Anwendenden unserer Produkte sinnlich wahrnehmbar ist.
Konzentrieren wir uns auf die physischen Produkte. Was gefällt den Nutzenden Deiner Meinung nach am meisten?
Die Verlässlichkeit des Produkts in Verbindung mit seiner Leistung. Diese ist vielschichtig, es ist nicht nur die Motorleistung, sondern auch die haptisch wahrnehmbare ergonomische Leistung oder die Qualität der intuitiven Selbsterklärung der Form. Wir entwickeln unsere Produkte so, dass wir unserer Zielgruppe Lösungen offerieren können, die ihre Produktivität erhöhen. Dies gelingt uns nur, wenn wir die Nutzenden zutiefst verstehen gelernt haben und auch im Design vom Lösungssystem bis ins Detail jedes einzelnen Produkts denken. Dieser wichtige
Schwerpunkt unserer Designaufgabe ist als eine rational bewertbare Komponente ein wesentlicher Teil der Kaufentscheidung und dauerhaften Zufriedenheit unserer Zielgruppe.
Zudem bin ich aber davon überzeugt, dass neben diesen rationalen Kriterien auch emotionale Eigenschaften die Begeisterung für unsere Produkte treiben. Das Thema des „Joy of Use“ wird immer wichtiger, und hierbei geht es nicht nur um die emotionale Aufladung der Designsprache, sondern um das Zusammenspiel aller wahrnehmbaren Facetten des Produkterlebnisses. So gesehen gestalten Designer:innen nicht nur eine funktionsgerechte Form, sondern agieren als Vermittelnde zwischen den anderen Disziplinen, die das Produkt mitdefinieren.
Welchen Stellenwert nimmt aus Deiner Sicht das Thema Emotion in der Gestaltung von Hilti-Geräten ein?
Emotion bedeutet für mich einerseits, die Klientel in ihrem Wesen absolut ernst zu nehmen und die Produkte so zu gestalten, dass sie dieser Charakteristik in allerbester Art und Weise gerecht werden.
Emotionalität ist wie gesagt ein wichtiger Punkt. Das Credo des Unternehmens ist, unseren Kundenkreis nachhaltig zu begeistern, nicht nur zufriedenzustellen. Das ist ein hochgestecktes Ziel und wahrlich nicht immer einfach zu erreichen, aber es treibt uns tatsächlich in jedem einzelnen Projekt. Unsere Zielgruppe nimmt wie alle Menschen Dinge emotional wahr und bewertet sie auch eher emotional als rational, auf Basis ihrer Kultur, ihrer Erlebnisse oder ihres individuellen Geschmacks. Es wäre also fahrlässig, wenn wir diese emotionalen Muster nicht in die Gestaltung unserer Produkte einbinden würden, um dieses Ziel zu erreichen.
Stephan Niehaus von HILTI
Wie lässt sich der emotionale Charakter eines Produkts mit maximaler Nutzbarkeit für die Anwendenden kombinieren?
Stephan Niehaus ist Konstrukteur und studierter Industriedesigner. Nach diversen Stationen auf Agenturseite wechselte Niehaus 2003 zur Hilti AG. Hier ist er als Head of Corporate Design für die ganzheitliche Design-Identität der Marke verantwortlich.
Emotion bedeutet für mich einerseits, die Klientel in ihrem Wesen absolut ernst zu nehmen und die Produkte so zu gestalten, dass sie dieser Charakteristik in allerbester Art und Weise gerecht werden. Ein Meißelhammer beispielsweise darf für Profis am Bau eben nicht aussehen wie ein Küchenmixer, sondern wie ein Arbeitsgerät, das seinem Status gerecht wird. Andererseits gilt es, einen Ausdruck in der Produktsprache zu finden, der etwas darüber erzählt, was diesen Produkten inhärent ist: ihre Qualität, Belastungsfähigkeit, Performanz oder manchmal auch Präzision. Das ist gar nicht trivial, wenn wir bedenken, wie unterschiedlich Kulturkreise auf Formen, Proportionen, Dimensionen und auch auf Technologien reagieren bzw. was ihre Erwartungen daran sind. Emotion wird aber auch durch den markengerechten Charakter einer Designsprache hervorgerufen, wenn sie wiedererkannt wird. Das Markenimage ist ein enorm wichtiger Treiber für die Interpretation von Design, und wir sind froh, dass unseres in der globalen Bauindustrie ein äußerst positives ist.
Welche Herausforderungen ergeben sich durch diese Vielschichtigkeit im Design?
Die vielschichtigen Fachbereiche haben naturgemäß unterschiedliche Erwartungshaltungen an das Design, die sie im Designprozess berücksichtigt wissen wollen: Ziele aus der Technik, dem Marketing, der Produktion, dem Markendesign oder dem Controlling, aber auch dem Produktdesign selbst. Unsere Entwicklungsprozesse sind klar strukturiert und betten den Designprozess mit seinen kreativen und umsetzungsorientierten Phasen effektiv ein. Das ist enorm wichtig, um die angesprochenen Zielvorgaben ganzheitlich betrachten und zum richti-
gen Zeitpunkt bewusst einbringen zu können. Für wichtig erachte ich auch, diese Prozesse nicht nur klar zu definieren, sondern sie transparent umzusetzen. Dadurch können Diskussionen wesentlich zielgerichteter geführt werden und sinnvolle, vor allem aber stabile Entscheidungen getroffen werden. Das ist in der Praxis oft nicht so einfach wie in der Theorie. Mitarbeitende in den angrenzenden Fachbereichen haben sehr wohl eine große Expertise in dem, was sie tun, und somit einen großen Einfluss auf das Designkonzept sowie das finale Design.
Für mich sind Designer:innen auch immer Kommunikator:innen. Es muss jemand sein, der oder die nicht nur CAD-Systeme beherrscht und Kreativität in die richtige Richtung lenken kann, sondern auch moderiert und in der Lage ist, die richtige Lösung zu vermitteln.
Zu Beginn hast Du Werte wie Verlässlichkeit und Leistung erwähnt. Wie lasst Ihr diese Werte durch das Design sichtbar werden?
Unsere Markenfarbe Rot hilft mit Sicherheit. Wir setzen sie nicht nur markenrelevant ein, sondern auch in Verbindung damit, dass Rot Kraft ausdrückt und wir sie deswegen im Zentrum der körperhaften Gestaltung an den Geräten einsetzen. Ein weiterer Punkt wäre die „Out of one piece“-Stilistik der Geräte. Diese ist zum Beispiel beim klassischen Kombihammer zu sehen, bei
D. 1 Chaos strukturieren
Wie bereits erörtert, lässt sich das Thema Emotion aufgrund seiner Komplexität in keine Schublade stecken. Aber auch die Differenzierung einzelner Emotionen fällt schwer, da sie in den wenigsten Fällen einzeln auftreten und während des emotionalen Erlebens im seltensten Fall auseinandergehalten werden können. Einen guten Vergleich bringt Otto Kruse, indem er dieses Phänomen mit dem Mehrklang einer Orgel vergleicht: „Man könnte die subjektive Wirkung der Emotionssignale im Bewußtsein mit einer inneren Orgel vergleichen, wobei jede Emotion einem Orgelton entspricht, der mit unterschiedlicher Intensität erklingen kann. Unser Erleben der Emotionen wäre dann an bestimmte ‚Harmonien‘ gewöhnt, d.h. an zusammen auftretende Emotionen, und wie bei der Orgel könnten wir disharmonische Erlebnisse identifizieren. Wie in der Musik könnten wir den Globaleindruck, den ein emotionaler ‚Mehrklang‘ produziert, relativ gut beurteilen, obwohl es schwer sein kann, die einzelnen Emotionen ‚herauszuhören‘.“ [Rost 2001, 88]
Die Vielschichtigkeit des gesamten Themas macht sich auch bei den unterschiedlichen Modellen bzw. Theorien bemerkbar, die sich um Erklärungsansätze für die Emotionen bemühen. Theorien können niemals das gesamte Spektrum eines Forschungsgebiets abdecken. Vielmehr lenken sie das Augenmerk auf einen bestimmten Sachverhalt und beleuchten damit immer nur einen bestimmten Bereich. Gleichzeitig bleiben dabei andere Aspekte im Dunkeln, das lässt sich nicht vermeiden.
Jedes Emotionsmodell beruht auf einer bestimmten Auffassung über das Wesen der Emotion und wie dieses verstanden und interpretiert werden soll, auch wenn Ulich bereits feststellt, dass „die Theorien, wenn überhaupt, bisher nur wenig gesicherte Kenntnisse über Emotionen enthalten“. [Ulich, 122]
Einen Versuch zur Kategorisierung unternimmt Ulich anhand der Frage „Wie werden Emotionen konzipiert, wie sollen sie verstanden und untersucht werden?“ [Ulich, 122]
Dabei ordnet er die Emotionsmodelle in drei Sparten ein und gibt die Hauptthesen und deren Vertreter an (siehe Abbildung nächste Seite). Er betont aber, dass dies lediglich eine von vielen Möglichkeiten der Kategorisierung darstellt und er sie als Versuch zur „Etikettierung“ versteht. Nichtsdestotrotz hilft uns diese Systematik, einen Überblick über den derzeitigen Stand der Forschung und die wichtigsten Thesen in der Emotionspsychologie zu erlangen.
Es geht an dieser Stelle nicht darum, jede einzelne der existierenden Theorien detailliert darzulegen. Vielmehr wird die Bandbreite der unterschiedlichen Ansätze verdeutlicht, um damit auch auf die Schwierigkeit hinzuweisen, sich auf eine Theorie zu beschränken. Da es nicht möglich scheint, Emotionen in ihrer Gesamtheit zu
Kategorisierung der Emotionsmodelle nach Ulich [Vgl. Ulich, 124 f.]
Emotionen sind re-aktivierte, erbbiologisch festgelegte und genetisch gesteuerte, oft nur noch rudimentär oder spurenhaft vorhandene Reaktionsmuster, die als Dispositionen das Überleben der Art garantieren (z. B. Darwin, Plutchik).
Emotionen sind bewusstseinsmäßige Repräsentationen (Rückmeldungen, Informationen) körperlicher (peripherer oder zentraler) Prozesse oder einfacher: Emotionen sind Empfindungen körperlicher Veränderungen (z. B. James/Lange).
Emotionen sind Bewusstseinsinhalte, die als Produkt aus physiologischer Aktivierung (Erregung) und der darauf bezogenen kognitiven Interpretation zustande kommen und möglicherweise nur bei Unterbrechungen von Handlungsverläufen auftreten (z. B. Schachtet/Singer; Mandler).
Emotionen sind zustandsbezogene wertende Stellungnahmen oder Urteile, die als Produkte kognitiver Aktivitäten anzusehen sind (z. B. Lazarus).
Emotionen sind Regulatoren des Anpassungsverhaltens, indem sie mangelnde Anpassung als „Störung“ signalisieren und bessere Anpassung einleiten (z. B. Reykowski, Scherer, Weinrich, teilweise auch Freud).
Emotionen sind erlebnismäßige, triebgesteuerte sowie zwischen „Lust“ und „Unlust“ variierende Zustände der Person, in denen sich immer auch konflikthafte biografische Erfahrungen mit bestimmten gesellschaftlichen Erwartungen, Erziehungsmilieus und Versuchen der eigenen Bedürfnisbefriedigung niederschlagen (Psychoanalyse).
Emotionen sind erlebnismäßige Zustände, in denen sich vor allem Bedürfnisse und Erfahrungen aus frühen zwischenmenschlichen Interaktionen und Beziehungen spiegeln (neuere Psychoanalyse).
Emotionen sind gelernte motivationale Erlebnis- und Handlungsbereitschaften bzw. „sekundäre“ Bedürfnisse, die das Verhalten beeinflussen (neobehavioristische Lerntheorien; teilweise Izard; Tomkins).
Emotionen sind Erlebnisse (oder aktualisierte Erfahrungen oder Antizipationen) der Auseinandersetzungen mit einer bestimmten Umwelt, mit deren Erwartungen, Zwängen und Möglichkeiten. Erlebnisse, Erfahrungen und Einstellungen der Person wie z. B. Hilflosigkeit als Folge einengender Lebensbedingungen oder Angst als Folge undurchschaubarer Lebensbedingungen (soziologische Ansätze, einzelne Theorien aus der klinischen Psychologie, „kritische“ Psychologie, z. B. Holz-Osterkamp 1976).
1. Biologisch-physiologisch begründete Denkmodelle 2. Kognitiv-handlungstheoretisch begründete Denkmodelle 3. Entwicklungsorientierte Denkmodelleuntersuchen, werden wir nachfolgend auf die Modelle näher eingehen, welche eine Antwort auf die genannten Fragen geben. Dabei liefert nicht jedes Modell Antworten auf alle relevanten Fragen. Der bekannte Schweizer Entwicklungspsychologe Jean Piaget zum Beispiel sagt nichts dazu, ob es Basisemotionen gibt und welche das sein könnten – im Gegensatz zu Izard, der davon ausgeht, dass es angeborene neuronale Erregungsmuster für zehn grundlegende diskrete Emotionen gibt:
· Interesse: aufmerksam, konzentriert, wach
· Leid: niedergeschlagen, traurig, entmutigt
· Ekel: Widerwille, angeekelt, Abscheu
· Freude: erfreut, glücklich, froh
· Zorn: aufgebracht, zornig, wütend
· Überraschung: überrascht, verblüfft, erstaunt
· Scham/Schüchternheit: schüchtern, scheu, zurückhaltend
· Furcht: sich fürchtend, bange, ängstlich
· Geringschätzung: geringschätzig, spöttisch, verachtungsvoll
· Schuldgefühl: reuig, schuldig, tadelnswert
[Rost 2001, 52]
Der Fokus liegt auf den drei evolutionspsychologischen Theorien nach Charles Darwin, William McDougall und Robert Plutchik, da diese zum einen bestimmte Basisemotionen festlegen und zum anderen die Frage beantworten, zu welchem Zweck Emotionen existieren. Darüber hinaus berücksichtigen sie auch den mimischen Ausdruck. Diese Aspekte sind für eine tiefer gehende Auseinandersetzung im Hinblick auf die Gestaltung besonders wichtig. Aus evolutionstheoretischer Sicht sind Emotionen „Dispositionen (Erlebnis- und Handlungsbereitschaften), die das Verhalten in Richtung Anpassung steuern. Alle Antworten beziehen sich auf die Frage: Wie helfen Emotionen dem Menschen bei der Bewältigung seiner ‚Überlebens‘-Aufgaben?“ [Ulich, 105] Diese Sichtweise stößt immer wieder auf Kritik aus den Reihen der Emotionsforschenden. Der Nachweis, dass alle Emotionen auf einem evolutionären Zweck beruhen, lässt sich schwer erbringen. Unbestritten ist aber, dass einige Emotionen wie Schreck oder Angst in vielen Situationen eine lebenserhaltende Funktion innehaben.
Darwins grundlegende Hypothese lautet, dass bestimmte Formen des Ausdrucksverhaltens bei Menschen und Tieren nur deshalb existieren, um das Überleben der Art zu sichern. Emotionen unterliegen also einem bestimmten evolutionsbiologischen Zweck, wie zum Beispiel Schutz, Einschüchterung des Gegners oder Vorbereitung zum Kampf. [Vgl. Ulich, 102]
D. 2.9 Scham
Das Gefühl der Scham tritt in der Regel in emotionalen Beziehungen auf oder wenn gewisse Ereignisse nicht wie erwartet verlaufen. Im Gegensatz zur Trauer bzw. Enttäuschung (die oftmals mit der Scham einhergeht) beinhaltet diese Emotion eine persönlich-moralische Komponente, bei der es um das Selbstbild geht. Bei Handlungen, die nicht mit dem Selbstbild vereinbar sind, entsteht Scham.
„Scham tritt im typischen Fall, wenn nicht immer, im Kontext einer Emotionsbeziehung auf. (…) Scham motiviert den Wunsch, sich zu verstecken, zu verschwinden. Scham kann auch ein Gefühl von Dummheit, Unfähigkeit und ein Gefühl, nicht dazuzugehören, hervorrufen. Scham kann ein mächtiger Zwang zur Konformität sein (…) Schamvermeidung kann sofortiges selbstregulierendes Verhalten begünstigen wie auch dauerhafte Programme zur Selbstvervollkommnung.“ [Izard, 114]
Schämt der Mensch sich, fühlt er sich nicht wohl in seiner Haut. Das Abwenden des Blickes, das Senken des Kopfes, ein plötzliches Stottern, ein hochrotes Gesicht und Schweißausbrüche sind nur die offensichtlichsten Anzeichen.
In engem Zusammenhang mit Scham stehen auch die Emotionen Furcht, Ekel, Ärger, Freude und Interesse. Letztere zeigen sich besonders stark in Verbindung mit Sexualität. Hierbei wird vor allem die enge intime Bindung gestärkt, da Sex und das gegenseitige Entblößen eine festigende Wirkung haben.
Darüber hinaus scheint die Scham keinen positiven Nutzen darzustellen und wird meist mit eher unguten Gefühlen verbunden. Gerade im Umgang mit anderen hemmt diese Emotion die soziale und körpersprachliche Kommunikation. Doch Scham sensibilisiert den Menschen. Diese gesteigerte Aufmerksamkeit dient zur Selbstreflexion, Selbstkritik und der Annahme von Kritik. Diese Fähigkeit ist vor allem in sozialen Gemeinschaften lebensnotwendig.
Tritt Scham in Situationen auf, in denen anderen ein Schaden oder Nachteil entsteht, resultiert daraus auch häufig das Schuldgefühl: „Schuldgefühl tritt in Situationen auf, in denen man sich persönlich verantwortlich fühlt. (…) Bei Schuldgefühl haben Menschen ein starkes Empfinden, ‚im Unrecht zu sein‘ gegenüber dem Menschen oder den Menschen, denen sie Schaden zugefügt haben. (…) Intensives und chronisches Schuldgefühl kann das Individuum psychisch verkrüppeln, aber Schuldgefühl kann auch die Basis für persönlich-soziale Verantwortlichkeit sein, und das Motiv, Schuldgefühl zu vermeiden, kann den Sinn eines Menschen für persönliche Verantwortlichkeit verstärken.“ [Izard, 115]
Die Emotion Scham kann – ähnlich wie die Angst – auch dazu führen, dass wir unangenehmen Situationen aus dem Weg gehen oder Vorsicht walten lassen. Somit hat Scham auch einen stark präventiven Charakter. Wir versuchen, Situationen des Sichschämens zu vermeiden, und suchen daher nach unseren Stärken. „Um die Scham wegen ‚Dummheit‘ zu vermeiden, ist das Individuum bemüht, seine Stärken zu finden und sie zu entwickeln.“ [Izard, 447]
Somit gilt die Vermeidung von Scham als Motiv zur Förderung und Entwicklung geistiger, physischer und sozialer Fähigkeiten. Diese Emotion hat daher sehr starke motivational-erlebnishafte Züge, die gerade für das Individuum und die Gesellschaft von besonderer Relevanz sind. [Vgl. Izard, 449 ff.]
D. 2.10 Ekel
Ekel geht in den meisten Fällen mit dem visuellen, dem gustatorischen und olfaktorischen Sinn einher, aber auch der taktile oder der akustische Sinn können eine Rolle spielen. Hin und wieder empfinden wir Oberflächen oder gewisse Laute als ekelhaft, beispielsweise das Quietschen von Kreide auf einer Tafel. Des Weiteren kann auch ein Sittenverfall oder das Überschreiten von moralischen Grenzen ähnliche Reaktionen wecken. „Materieller oder psychologischer Verfall neigt dazu, Ekel hervorzurufen. Wenn man angeekelt ist, fühlt man sich, als ob man einen schlechten Geschmack im Mund hat, und bei intensivem Ekel kann man sich fühlen, als ob einem ‚im Magen übel‘ ist. Ekel kombiniert mit Zorn motiviert unter Umständen destruktives Verhalten, da Zorn ‚Angriff‘ motivieren kann und Ekel den Wunsch, ‚sich zu entledigen‘.“ [Izard, 111]
Ekel mischt sich in solchen Fällen oft mit negativen Emotionen wie Ärger oder Angst. Den reinen Ekel gibt es von daher nicht, weil sich immer ein Beigeschmack einer anderen Emotion untermischt und diese die Tendenz vorgibt. Ekeln wir uns vor anderen Menschen bzw. akzeptieren wir ihre Einstellung und Wertvorstellungen nicht, ist von Geringschätzung die Rede.
„Geringschätzung tritt oft gemeinsam mit Zorn oder Ekel auf oder mit beiden zusammen. Diese drei Gefühle sind die ‚Feindseligkeitstriade‘ genannt worden. (…) Auch heute noch kann die Situation, in der das Individuum das Bedürfnis hat, sich überlegen (stärker, intelligenter, zivilisierter) zu fühlen, zu einem gewissen Grad von Geringschätzung führen. Eine der Gefahren von Geringschätzung ist, daß sie eine ‚kalte‘ Emotion
F. 1 Emotion Grid®
Im Designbereich gab es bisher keine einheitliche und fundierte Methode, um den Zusammenhang zwischen emotionalem Ausdruck und jeweiliger Form, Farbe oder Materialität zu visualisieren und damit auch zu kommunizieren. Ein schwarzes Loch, das seit Jahrzehnten ignoriert und mit „Form follows function“ übergangen wurde. Diese Lücke zu füllen, ist jedoch ein wichtiger Schritt, um „auf Kurs“ zu bleiben. Designer:innen bekommen zudem eine branchengerechte Argumentationsgrundlage, wenn sie das Schaffen gegenüber den weiteren an der Produktentwicklung Beteiligten vertreten und erläutern wollen. Emotionen stehen zwar immer in einem Kontext, sind aber nie beliebig. Ebenso verhält es sich mit den entsprechenden Gestaltungsparametern. Aber dazu im späteren Verlauf mehr.
Die wichtigsten Emotionsmodelle, Einflüsse aus dem Neuromarketing und branchengerechtes Briefingglossar sind nur ein paar Zutaten, die das Emotion Grid® zu einem praxistauglichen Tool für Designer:innen machen. Werte, Sub- und Basisemotionen sind hier kartografiert. Somit können Zonen definiert und im nächsten Schritt mit den Gestaltungsparametern Form, Farbe und Material kommuniziert werden. Denn die erste Hürde, die es im Designprozess zu überwinden gilt, ist die Frage, in welche emotionale Richtung das Produkt steuern soll. Die Definition dieser Zonen geschieht auf der Grundlage von Zielgruppe, Marke und Produktsparte. Für die Konzeption stellt diese Festlegung eine wichtige Basis dar, über die sich Marketing, Unternehmensführung und Designteam einig sein sollten. Doch zunächst sollen Aufbau und Funktionsweise des Emotion Grid® erklärt werden.
Das Grid gliedert sich in zwei grundlegende Bereiche, in denen sich die Emotionslager Lust (weißer Bereich) und Unlust (grauer Bereich) ansiedeln. Die zehn Basisemotionen (rot/grau) verteilen sich mit ihren umliegenden Subemotionen (rot/graue Kontur) in beiden Lagern. Ähnlich der additiven Farbmischung entstehen dadurch Zonen mit emotionalen Schwerpunkten. Ergänzt werden die Emotionen und Subemotionen durch Werte (blaue Kontur); diese sind ausschließlich positiv besetzt.
Werte sind ein wichtiger Bestandteil von Marken und Briefings. Dabei erheben die hier verorteten Werte und Subemotionen keinen Anspruch auf Vollständigkeit; sie dienen der besseren Verortung der Emotion.
Die Basisemotionen selbst clustern sich um die drei sogenannten Emotionsachsen. Dies sind 1. die Faszinationsachse mit den Basisemotionen Interesse und Überraschung, 2. die Triebachse mit Begierde, Zorn und Furcht sowie 3. die Harmonieachse mit Vertrauen.
Die dazwischenliegenden blau gefassten Werteareale (Contenanceareal, Aktivitätsareal, Sinnlichkeitsareal) sind jeweils als Mischform der benachbarten Emotionsachsen anzusehen. In Bezug auf die Gestaltungsparameter lassen sich auch übergeordnete Prinzipien verdeutlichen. Somit bilden sich Zonen, die eine erste gestalterische Einteilung der Emotionen ermöglichen.
Interesse kann formal sowohl in eine kristalline als auch in eine organische Richtung tendieren. Überraschung, Begierde und Zorn zeigen im Gegensatz dazu einen Schwerpunkt zu kristallinen, spitzwinkligen und aktiven Formen. Bei den ruhigen Formen ist die Emotion Vertrauen nahezu zentral. Die primär introvertierten Emotionen (auch Trauer, Scham, Ekel) lassen sich ebenfalls in diesem Feld ansiedeln.
Insgesamt ergibt sich damit eine Karte, auf der sich emotionale Felder für die jeweilige Gestaltung erkennen lassen. Verbunden mit dem gesamten semantischen Umfeld wird somit ein Bereich abgesteckt, der bereits den konzeptionellen Charakter umreißt – sozusagen die Persönlichkeit des Produkts.
Das Emotion Grid® dient als praxistaugliches Werkzeug, stellt in diesem Kontext aber kein Patentrezept dar. Der intelligente Umgang mit diesem Raster macht Gestaltungsprojekte fassbar und dient im ersten Schritt der genaueren Zielfassung zwischen Gestalter:in und Auftraggebenden.
Grundlegender Aufbau + Prinzipien Emotion Grid® [Bereiche | Achsen | Areale, eigene Grafik]F. 2.8 Begierde
Gestaltung muss Begierde wecken, damit sich das Produkt verkauft. Begehren hängt allerdings stark von der Erwartung der Klientel ab und kann beispielsweise auch durch Interesse oder Vertrauen geweckt werden. Dies ist aber nicht zu verwechseln mit Objekten, die selbst Begierde ausstrahlen und damit oftmals einen starken Drang zu Dominanz haben. Begierde kann sich also gestalterisch ausdrücken oder umgekehrt diese beim Betrachter wecken.
Gewisse Elemente wie die asymmetrische Kurve und das Augensymbol, die bei allen lustvollen Emotionen – ungeachtet der jeweiligen Primärdesignsprache – eingeordnet werden können, sind aber besonders für Begierde repräsentativ. Als angeborene Auslösereize sind sie eng verknüpft mit dem, was wir als schön empfinden. Schönheit weckt Begierde und steht oftmals wie ein Motiv hinter ihr. Begierde ist nicht umsonst in ihrer Art eine sehr fordernde und zielstrebige Emotion und äußert sich deutlich durch betont kantige Formen, teils sogar ins Kristalline abdriftend. In Einzelfällen können auch runde oder angerundete Partien für sie stehen. Dies kann paradoxerweise sogar ins gegenüberliegende sinnlich Amorphe umschwenken.
Die Farbwelten sind schon im historischen Rückblick eindeutig belegbar. Dabei stehen neben klaren, seltenen und oft dem Adel vorbehaltenen Farbwelten auch von Edelmetallen abgeleitete Farben wie Gold im Fokus. Ähnliche Hintergründe finden wir bei der Materialpalette. Teure Hölzer, seltene Metalle oder begehrte Tierfelle sind hier charakteristisch. Die Platzierung der Emotion Begierde auf der Triebachse des Emotion Grid® macht ihren Charakter deutlich. Die Subemotionen Sehnsucht, Verlangen und Gelüst weisen auf den sinnlichen Aszendenten hin. Mit Übermut, Stolz oder Habgier und den Werten Rivalität, Autorität und Egoismus wird der aggressive Charakter dieser Emotion deutlich.
BMW M1 Studie: Freiformflächen und akzentuierte Linienführung vereinen sich | Dynamisch strebende Ausrichtung zum Kühlergrill hin symbolisiert Schnelligkeit | Harte Kanten und weiche
Flächen stehen in Bezug zur aktuellen BMW-Designsprache | konsequente Keilform | Lack in „Liquid Orange“ schimmert rot-golden
PuraVida von Hansgrohe: Zylindrischer Aufbau mit abknickender Fläche bildet dynamische Dreiecksform | Fließende Form und präzise umlaufende Kante bilden deutliches Spannungsfeld zwischen Begierde und Vertrauen | Materialität und Farbgebung ungewöhnlich und luxuriös
F. 2.9 Scham
Die Emotion Scham liegt im Emotion Grid® im Unlustbereich und befindet sich in unmittelbarer Nähe zu Begrifflichkeiten wie Intimität, Schüchternheit oder Peinlichkeit. Die Nähe zu Ekel lässt folglich eine geringe Schwelle dieser beiden Emotionen zueinander vermuten.
Dem Ausdruck von Scham sind allerdings kaum direkte Formen zuzuordnen. Scham zeigt sich neben dem mimischen Ausdruck in Unsicherheit und Abschirmung. Das Schämen für ein Ereignis, eine Handlung, eine andere Person oder ein Produkt ist stark von den jeweiligen Rahmenbedingungen abhängig. So kann der Kauf eines bestimmten Gegenstands zunächst erfreuen und die Klaviatur an lustvollen Emotionen anspielen – in einem anderen Kontext ist ein rascher Wechsel hin zur Scham denkbar. Sporteinsteiger:innen kaufen beispielsweise für den Anfang eine eher günstige Ausrüstung, die sicherlich ihren Zweck erfüllt und die kaufende Person zunächst erfreut. Mit zunehmender Erfahrung und vor allem im Umgang mit erfahrenen Sporttreibenden entwickelt sich dann aber die Schamkomponente. Dies führt bisweilen sogar so weit, dass die besagte Erstausrüstung komplett gemieden wird, weil sie den Umständen nicht mehr angemessen erscheint.
Auch der Konflikt Markenartikel (Markenimage) und No-Name-Produkt führt, besonders bei pubertierenden Jugendlichen, zu Scham. Das Image einer Marke kann allerdings auch kontraproduktiv sein. Das Tragen einer Gucci-Sonnenbrille etwa wird in bestimmten sozialen Kreisen als unangemessen empfunden – was mehr mit dem Markenimage als mit der Gestaltung zu tun hat. Farbklänge der Scham sind niemals leuchtend. In Pastellfarben, hell und zurückhaltend wird diese Emotion erlebbar.
Gerade wenn es um die eigene Intimsphäre geht, insbesondere um Sexualität, wird das unfreiwillige Preisgeben als sehr unangenehm empfunden. Erotikartikel werden heutzutage noch immer in undurchsichtige Tüten mit Fremdlabels gepackt, damit sich die (ohnehin schon oft verschämte) Kundschaft keine öffentliche Blöße geben muss.
G. 3.1 nip first moments
Die Marke nip ist ein familiengeführtes Unternehmen, das auf eine nunmehr 90-jährige Geschichte zurückblickt. Als ältester Hersteller von Babysaugern entwickelt und produziert nip ein umfangreiches Sortiment für Säuglinge und Kleinkinder. Zusammen mit ihren Eltern bilden diese eine der sensibelsten Zielgruppen, mit einem extrem hohen Anspruch an Qualität und Produktsicherheit. Ein Anspruch, der sich sowohl in strengen Normen und Materialanforderungen als auch in der Sensibilität für Kommunikation und Designwirkung widerspiegelt.
Als 2018 eine neue Tochtermarke aufgebaut werden sollte, zeigte sich schnell die größte Herausforderung, nämlich das Vertrauen zwischen Mensch und Marke herzustellen. Ein sensibles Feld, nicht zuletzt, weil sich die neue und bis dato fremde Marke speziell an stillende Mütter richtete. Nach einer ausführlichen Betrachtung und Analyse der emotionalen Faktoren, wie zum Beispiel Ängste rund um das Thema Stillen oder Geburt, wurde eine klare Differenzierung zur Dachmarke nip angestrebt. Und das, ohne deren historisch gewachsene Leitwerte – die bereits zu einem Vertrauensvorschuss bei den Nutzenden führen – zu verlassen. Eine Erweiterung der bestehenden Leitwerte durch wichtige neue Dimensionen bildet das strategische Wertefundament. Dieses fließt schlussendlich als Essenz in Markenname und -versprechen ein: first moments. Inspired by mother love.
Parallel zur Markenentwicklung wurde das Produktdesign für das erste Kernsortiment vorangetrieben. Als großer Vorteil hat sich die enge emotionale Verzahnung von Corporate- und Produktdesign sowie der kontinuierliche Abgleich von Entscheidungen auf beiden Seiten erwiesen. Um diesen komplexen Prozess in seinen wesentlichen Zügen zu umreißen, haben wir auf den beiden Folgeseiten eine vereinfachte Darstellung gewählt. Gerade in solchen Prozessen ist das strategische und methodische Vorgehen mit Hilfe des Emotion Grid® und der Design Elements enorm hilfreich – nicht nur innerhalb des Designteams, sondern gerade auch in der Kommunikation mit den Verantwortlichen bei nip.
Projektumfang Prozess Marke:
1. Strategische Positionierung
2. Kommunikationsthema und Name
3. Corporate Design
4. Packaging Design
5. Grafikdesign (Icons, Motive etc.)
Projektumfang Produktdesign:
1. Modulare Weithalsflasche
2. Weithalssauger
3. Muttermilchbehälter
4. Beruhigungssauger
I. Analyse
ESSENZ DER WERTE
nip (Dachmarke)
Familie
Verantwortung
Geborgenheit
Liebe Spaß
nip first moments
Familie
Verantwortung
Begleitung
Anspruch Forschung
STRATEGISCHE NISCHEN & DESIGN MISSION
Wettbewerb
Zielgruppenfokus
Natürlichkeit Gesundheit
Fürsorge
Vertrauen
Flexibilität
Stillsegment
Sanftmut
Natürlichkeit
Geborgenheit
Leistung
Hygiene
ZONE 3
Aktuelle Forschungserkenntnisse
Expertenwissen von Hebammen Forschung
Aktivität
Design Mission
Leitemotion: INTERESSE
ZONE 1
Beratende und begleitende Rolle einnehmen, Ängste und Bedürfnisse erkennen und verstehen
Familie
Verantwortung
Geborgenheit
Begleitung
Design Mission
Leitemotion: VERTRAUEN + SINNLICHKEITSAREAL
90
ZONE 2
Materialqualität, Know-how und Erfahrung, Produktlogik, Einfachheit und Bedienbarkeit Sicherheit
Qualität
Funktionaliät
Anspruch
Design Mission
Leitemotion: VERTRAUEN + CONTENANCEAREAL
II. Transfer
Die Integration der Dachmarke nip war eine besondere Herausforderung. Beide Marken treten gemeinsam auf, unter anderem am Point of Sale. Daher wurde die Kreissymbolik in einer gestalterischen Evolution für die neue Marke aufgegriffen und angepasst. Der Kreis als Symbol für Vertrauen wird zusätzlich durch einen weichen Farbverlauf unterstützt. Dieser repräsentiert Weichheit und Offenheit und verknüpft sinnbildlich die rationalen Markenwerte Forschung und Anspruch (grau) mit den emotionalen Markenwerten Familie, Verantwortung und Begleitung (apricot).
S M L
Neben den beiden primären Markenfarben – einem warmen Grau und einem natürlichen Apricot – ergänzen zwei weitere Farbtöne die Harmonie. Zum Einsatz kommen diese zum Beispiel als Leitsystem für die drei Saugergrößen und innerhalb des Iconsystems der Verpackungen.
Farbe: weiß [Interesse | Vertrauen]
Formelement auf Sauger: Trio [Interesse]
Formverlauf: S-Kurve / Schwung [Vertrauen | Sinnlichkeitsareal]
Mareike Roth | Die Industriedesignerin konzipiert ganzheitliche Beziehungen zwischen Marke, Produkt und Mensch. Zusammen mit Oliver Saiz gründete sie 2012 hoch E , nachdem beide bereits an der Schnittstelle von Design und Emotion geforscht hatten. Zuvor betreute sie als angestellte Projektmanagerin diverse internationale Marken im Bereich Kommunikation im Raum. Von 2012 bis 2017 war sie Dozentin für dreidimensionale Grundlagen und Produktdesign an der HfG Schwäbisch Gmünd. Bis heute gibt sie ihr Wissen an diversen Hochschulen weiter und betreut Abschlussarbeiten.
In diversen Nebenprojekten verknüpft sie Gestaltung mit persönlichen Facetten, wie z. B. in ihrem Label „A Visible Mind“. Auszeiten mit Katze Miu – aka Chief Emotion Officer (CEO) – sind mindestens genauso wichtig. Veränderung und Gestaltungswille sind zwei Werte, die sie persönlich prägen und antreiben. Mit großer Neugier durchdenkt sie psychologische Modelle und die unsichtbaren Einflussfaktoren unserer kulturellen Prägungen. Am liebsten bei einem Spaziergang mit Schaf, Esel oder einfach so in der Natur.
Oliver Saiz | Als Mitgründer von hoch E ist es Oliver Saiz eine Herzensangelegenheit, Menschen zu verstehen und sie weiterzubringen. Hierfür forscht er seit 2010 gemeinsam mit Mareike Roth im Feld Design und Emotion. Fachpublikationen, Dozententätigkeiten sowie langjährige Design- und Beratungserfahrung von Start-ups bis zu Konzernen prägen diesen Weg. Befeuert vom Wunsch einer lebenswerten Zukunft für alle, setzt Oliver seine Professionen als Grafik- und strategischer Industriedesigner ein, um mit Unternehmen und Organisationen die ökologische Transformation voranzutreiben. Sein enthusiastischer Drang nach echter Veränderung verschlägt ihn dafür manchmal in Klima-Camps, Zirkusse oder auf Bäume. Um sich selbst in Balance zu halten, kombiniert der naturverbundene Unternehmer auch mal Schlauchboot-Touren mit Hängemattennächten unter freiem Himmel. Als frisch gebackener Betreiber einer Nistkugel für Zaunkönig:innen entspannt ihn ferner (bei Maduros und warmem Kakao) das Beobachten jener Piepmätze.
hoch E hat sich auf die strategische Gestaltung emotionaler Identität von Marken und Produkten spezialisiert. Das interdisziplinäre Team aus Nürnberg entwickelt Lösungen in den Bereichen Markenstrategie und Industriedesign für ein breites Spektrum internationaler Unternehmen und Start-ups. Für ihren Schwerpunkt an der Schnittstelle von Design und Emotion sind Mareike Roth und Oliver Saiz 2014 von der Bundesregierung mit dem Titel „Kultur- und Kreativpiloten Deutschland” als eines der innovativsten Kreativ-Unternehmen ausgezeichnet worden.
Mehr zu hoch E finden Sie unter: www.hoch-e.com