Bioboom 74

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BIO (UN)VERPACKT

Bio im Spagat __ Ein Bio-Supermarkt 2017, mitten in Berlin: Gurken sind in Plastik eingeschweißt, Mini-Dessert-Portionen warten auf hungrige Kunden, ebenso Sandwiches in Plastikschalen sowie Schokoladen in edel bedruckten bunten Umhüllungen. In den 1980er Jahren sah das noch ganz anders aus: Da trugen die ökobewegten Kunden Gläser und Tüten zurück in den Laden, zapften das Shampoo aus dem Kanister in die wiederverwertbaren Shampoo-Flaschen. Von diesem Ideal hat sich die Bio-Branche heute sehr entfernt. Oder? Plastiktüten für Obst und Gemüse, die so genannten ›Hemdchentüten‹, gibt es in unserem Beispiel-Supermarkt nicht, statt dessen liegen Papiertüten bereit. Und in der Kaffee-Ecke gibt es den Kaffee zwar ›to go‹ – aber die Kaffeetrinker, die ihren wiederverwertbaren Becher mitbringen, dürfen sich über einen Schnäppchenpreis freuen. Ein Beispiel für einen Spagat, den viele Bio-Händler derzeit leisten: einerseits wollen sie Verpackungen vermeiden – andererseits muss das Angebot zahlreiche gesetzliche Anforderungen erfüllen. Und: es muss dem Kunden gefallen und seinen Bedürfnissen entsprechen, die ebenfalls dazu beitragen, dass mehr verpackt wird. So steht Bio, wenn es um Verpackungen geht, zwischen den von ökologischem Anspruch bis hin zur Konsumverweigerung geprägten Idealen der Anfänge und dem Anspruch, viele Menschen zu erreichen und damit auch ›gefällige‹ und

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Zwischen Warenwelt und ZeroWaste gewohnte Einkaufserwartungen zu erfüllen. Bio-Hersteller, Bio-Kunden, Gesetzgeber oder Zeitgeist: Die Zunahme des Verpackungsabfalls indes nur einem in die Schuhe zu schieben, würde zu kurz greifen.

40.000 Tonnen Plastikbecher __ Was sich da so in einem Jahr ansammelt, erfasst das Umweltbundesamt in Dessau. Die aktuellsten Zahlen stammen von 2014: Demnach haben wir Deutschen 17,78 Millionen Tonnen Verpackungsabfälle produziert. Also Glas, Kunststoff, Papier, Aluminium, Weißbleche und vieles mehr. Nehmen wir mal einen 89 Kilogramm schweren Mann – nebenbei das Durchschnittsgewicht eines Deutschen – dann schmeißt dieser demzufolge das Zweieinhalbfache seines Körpergewichts jedes Jahr an Verpackungsmüll in die Tonne. Allein der Trend zu den bequemen Coffee-to-goBechern bedeutet jährlich 2,6 Milliarden

Plastikbecher Müll, also 40.000 Tonnen, wie das hessische Umweltministerium ausgerechnet hat.

Mehrwegquote sinkt, Einweg gewinnt __ Gleichzeitig ist die Mehrwegquote für Getränke in den vergangenen zehn Jahren drastisch gesunken – auch im BioBereich. 80 Prozent Mehrweg, so lautete einmal das Ziel der Bundesregierung – derzeit liegt Deutschland bei 42 Prozent, wie Thomas Fischer von der Deutschen Umwelthilfe (DUH) informiert. Die ist Mitglied in der Initiative ›Pro Mehrweg‹ und beobachtet die Entwicklung mit Sorge. Hauptgrund für die geringe Mehrwegquote sei der knallharte Verdrängungswettbewerb von Mehrweg durch Einweg aus Discountern. Rund jede zweite Mineralwasserflasche werde in einem großen Discounter als Einwegplastikflasche verkauft. ›Auch die BioBranche bekleckert sich nicht mit Ruhm. In immer mehr Bio-Läden finden wir Pro-

2,6 Milliarden Plastikbecher Müll pro Jahr

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