Swiss made
EIN GEREIFTES STÜCK HEXEREI Grether’s Pastillen lösten bei unserem Autor Harry-Potter-Gefühle aus, noch bevor es den Zauberlehrling überhaupt gab.
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Was so spleenig britisch aussieht, ist seit bald 40 Jahren ein Stück Schweiz zum Lutschen.
ls Kind, in einer Zeit vor Harry Potter, da lasen wir auf den goldfarbenen Blechbüchsen, diesen wunderbar altmodischen Blechdosen, woraus die kleinen, schwarzen Dinger gemacht sind, von denen 44 in einer Büchse zu finden sind: «ribis nigri fructus succus», stand da nebst anderen Zutaten. Wir lasen es uns laut vor, und es klang wie ein Zauberspruch, eine Beschwörung, Hexerei. So klingt es noch immer. Und einen gewissen Zauber kann man den kleinen, matt glänzenden, süssen Rachenberuhigern auch nicht absprechen. Da ist dieser eigenwillig attraktive Geschmack: Schwarze Johannisbeere, auch Cassis genannt. Da ist diese Konsistenz: Einmal im Mund, wird die in den Fingern harte Pastille weich, aber nicht zu weich. Man kaut sie und man lutscht sie, man beisst ein Stücklein ab – ein selten komplexes Vergnügen für unseren Mund. Dazu kommt, dass die Grether’s tatsächlich, ganz so, wie es auf der Verpackung versprochen wird, wohltuend sind bei rauem Hals, Heiserkeit, Halsweh und trockenem Mund. Und noch ein Plus hat dieses Produkt: Es strahlt eine typisch britische Spleenigkeit
aus, und so altmodisch wie die Erscheinung der Pastillen, so ist auch ihr Herstellungsprozess von Hand, der mehrere Wochen dauert – denn die kleinen Dinger müssen reifen, nicht unähnlich einem Käse. Das Rezept dieses Schweizer Produkts, das so englisch aussieht, wirkt und klingt, es kommt tatsächlich auch aus England – nicht wir habens erfunden. Seit Mitte des 19. Jahrhunderts wurden die «pastilles» von Allen & Hanburry Ltd in London hergestellt. Erst in den 1970er-Jahren übernahm die kleine Basler Kosmetik- und Pharmafirma Doetsch Grether («Fenjal», «Neo-Angin») Rezeptur und Markenrechte der Pastillen, verlagerte die Produktion in die Schweiz und benannte die schwarzen (und neuerdings auch farbigen) Dinger so, wie man sie heute seit je zu kennen scheint: «Grether’s Pastilles – for throat and voice». «Ribis nigri fructus succus», das sind die Worte, die aus meinem Mund kommen, und sie heissen so viel wie «Fruchtsirup aus Schwarzer Johannisbeere». Dann wandert eine kleine schwarze Pastille in den Mund und wird dort zerkaut auf eine Art und Weise, die sanfter nicht sein könnte.
Von Max Küng Foto Martina Meier
beyond 8/2009
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