VORSPIEL — EDITORIAL
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»128« heißt dieses Magazin der Berliner Philharmoniker, abgeleitet von der Anzahl der Mitglieder des Orchesters (wenn es voll besetzt ist). Mit diesem Namen und dem Seitenumfang des Hefts wollen wir betonen, woraus die Besonderheit dieses Kollektivs erwächst: aus den ganz individuellen Qualitäten jedes einzelnen Musikers, jeder einzelnen Musikerin, die schließlich im Spiel einen einzigartigen Ensemblegeist prägen.
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Liebe Musikfreunde, selten zuvor hat ein schlechter Witz derart heftige Reaktionen ausgelöst – und dabei doch für eine fruchtbare Diskussion gesorgt: Die Causa Böhmermann rief uns allen nachdrücklich in Erinnerung, welch hohes und keineswegs selbstverständliches Gut die Freiheit der Kunst darstellt. Und sie warf auch abseits der politischen Implikationen zahlreiche Fragen auf, denen wir mit unserem Schwerpunkt »Die Musik und die Freiheit« nachgehen wollen: Wie steht es gegenwärtig um die Kunstfreiheit weltweit? Wie ist sie hierzulande geschützt? Welche Grenzen hat sie? Wie haben Künstler in der Vergangenheit auf Zensur und Unterdrückung reagiert? Dass diese Fragen in ganz besonderem Maße für die Musik von Interesse sind, zeigt eine überraschende Statistik, die Sie in unserem »Zahlenspiel« auf Seite 10 finden. Im Ressort »Berliner Philharmoniker« dreht sich wie immer alles um das Orchester und sein Haus. Diesmal kommt dort unser Composer in Residence der neuen Spielzeit ausführlich zu Wort: Der amerikanische Komponist und Dirigent John Adams gibt großzügig Einblick in sein Schaffen und verrät nebenbei auch, wo er die wesentlichen Unterschiede zwischen den Musikszenen der USA und Europas sieht. Fürs »Feuilleton« schließlich waren wir zu Besuch bei einem Klangkörper, den zwar jeder von uns aus den Nachrichten kennt, der aber bei seinen Auftritten meist im Schatten der Aufmerksamkeit steht: beim Stabsmusikkorps der Bundeswehr, das als höchster musikalischer Repräsentant der Bundesrepublik unter anderem für die Begrüßung von Staatsgästen zuständig ist. Ich wünsche Ihnen eine interessante und anregende Lektüre Ihres neuen »128«.
Herzlich, Ihr Martin Hoffmann
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V O R S P I E L — I N H A LT
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INHALT 14
Thema: Die Musik und die Freiheit Ein Schwerpunkt
John Adams Artist in Residence: der Komponist und Dirigent im Gespräch
64
102
Andreas Martin Hofmeir Wie der Tubist zum Star seines Fachs wurde
Stabsmusikkorps Zu Besuch beim musikalischen Repräsentanten der Republik
Fotos: Philippe Gerlach (Hofmeir); Margaretta Mitchell (Adams); Stefan Höderath (Bundeswehr)
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TH E MA: M US I K U N D FR E I H E IT
B E R LI N E R PH I LHAR MON I KE R
14
64
»Bin ich nun frei? Wirklich frei?« Eine kleine Geschichte der Freiheit in der Musik Vo n Vo l k e r H a g e d o r n
22
Nach den Regeln der Kunst Die Kunstfreiheit im Grundgesetz Vo n J o h a n n e s G e r b e r d i n g
26
Willkür und Hoffnung Zur aktuellen Situation der Musikfreiheit rund um den Globus Vo n K a t h a r i n a F l e i s c h e r
34
Wie zum ersten Mal Der Kommentar Vo n I g o r L e v i t
36
Kunst im Knast Junge Häftlinge machen Musik Vo n Ve r e n a M a y e r
44
Das Yin und Yang der Musik Der Komponist und Dirigent John Adams im Gespräch Vo n T h o m a s M a y
70
»Viele Wunder erzählte ihm Scheherazade …« »Tausendundeine Nacht« in der Musik Vo n W o l f g a n g S t ä h r
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… nur du allein sollst die Stadt meiner Albträume sein Wien als Kulturmetropole in den 1920er-Jahren
Lieblings-Freiheitsmusik CD-Tipps unserer Autoren
102
Im Gleichschritt – Beethoven! Zu Besuch beim Stabsmusikkorps der Bundeswehr Vo n N a t a l i e S c h w a r z
112
16 Saiten für die Blume Die Campanula: ein junges Mitglied in der Familie der Streichinstrumente Vo n A n n e t t e K u h n
Vo n J ü r g e n O t t e n
86
Der schwierige Weg der russischen Moderne Der Komponist Samuil Feinberg
Der Ungeschmack des Arrangements Musikalische Bearbeitungen
60
FE U I LLETON
Diese unglaubliche Leichtigkeit des Seins Der Pianist Daniil Trifonov
Vo n W a l t e r W e i d r i n g e r
Vo n K l a u s W a l t e r
Mein Instrument als Lebenspartner Diesmal mit Julia Gartemann und ihrer Bratsche
82
Vo n M e l a n i e U n s e l d
Free at last! Die Sehnsucht nach Freiheit im Pop
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Vo n Vo l k e r Ta r n o w
Zwischen Intellekt, Instinkt und Intuition Wie weit darf die Freiheit der Interpretation gehen?
50
5
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Vo n K a r l B ö h m e r
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Volle Tuba Der Tubist Andreas Martin Hofmeir Vo n O l i v e r H o c h k e p p e l
VOR S PI E L
03 06 08 10
Vorwort Text & Bild Nachrichten Zahlenspiel
NACH S PI E L
118 124 127 128
Bücher und CDs Konzertkalender Cartoon Impressum
VORSPIEL — TE XT & BILD
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TEXT & BILD
JOHANNES GERBERDING
IGOR LEVIT
V E R E N A M AY E R
Johannes Gerberding, geboren 1983, studierte Jura in Hamburg und Philadelphia. Sein Rechtsreferendariat absolvierte er am Hanseatischen Oberlandesgericht. Anschließend war er drei Jahre am Bundesverfassungsgericht tätig und unterstützte dort die Verfassungsrichterinnen und -richter bei ihrer Arbeit. Seit 2014 ist er Wahlberliner. Er arbeitet als wissenschaftlicher Mitarbeiter an der Juristischen Fakultät der HumboldtUniversität und forscht und unterrichtet dort vor allem im Bereich des Verfassungsrechts. Kleinteiligen juristischen Puzzlearbeiten hat er sich in Veröffentlichungen ebenso gewidmet wie dem Zusammenstoß von Recht und Gerechtigkeit in Kleists S.22 »Michael Kohlhaas«. "
Der Pianist Igor Levit gilt der »New York Times« als »einer der eindringlichsten, intelligentesten und fein gebildetsten Künstler der neuen Generation«. Geboren 1987 in Nischni Nowgorod, übersiedelte er im Alter von acht Jahren mit seiner Familie nach Deutschland. Sein Studium an der Musikhochschule Hannover absolvierte er mit der höchsten Punktzahl in der Geschichte des Instituts. Als jüngster Teilnehmer gewann Igor Levit 2005 beim International Arthur Rubinstein Wettbewerb in Tel Aviv die Silbermedaille, den Sonderpreis für Kammermusik, den Publikumspreis und einen Sonderpreis für zeitgenössische Musik. Im Juni 2017 ist er mit Werken von Beethoven und Frederic Rzewski im KammermusikS.34 saal zu Gast. "
Verena Mayer, 1972 in Wien geboren, ist Literaturkritikerin und Autorin in Berlin. Sie hat für die »Frankfurter Allgemeine Zeitung« und den »Tagesspiegel« gearbeitet, derzeit ist sie Berlin-Korrespondentin der »Süddeutschen Zeitung«. Gemeinsam mit Roland Koberg hat sie die Biografie »Elfried Jelinek – ein Porträt« (Rowohlt) verfasst, die in mehrere SpraS.36 chen übersetzt wurde. "
Fotos: B. Ivanjek (Weidringer); Gregor Hohenberg (Levit); Bernd Jaworek (Höderath)
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W A LT E R W E I D R I N G E R
THOMAS MAY
S T E F A N H Ö D E R AT H
Walter Weidringer, 1971 geboren, studierte in Wien Musikwissenschaft, Philosophie, Theaterwissenschaft und Geschichte. Er ist Musikkritiker der Wiener Tageszeitung »Die Presse«, war Verlagsmitarbeiter bei Doblinger und Lehrbeauftragter am Institut für Musikwissenschaft der Universität Wien. Als freier Musikpublizist verfasst er u. a. Programmhefttexte und hält Einführungen für zahlreiche Konzertveranstalter, Festivals und Plattenlabels im deutschsprachigen Raum. Daneben ist er auch wissenschaftlich tätig (etwa für die »Neue MGG«) und absolviert gelegentlich künstlerische Auftritte (2006 Debüt im S.44 Wiener Musikverein). "
Der in Seattle ansässige Musik-, Literatur- und Theaterwissenschaftler Thomas May ist freiberufli her Autor, Kritiker, Lehrer und Übersetzer. Neben dem klassischen Repertoire gilt sein Augenmerk besonders dem Schaffen zeitgenössischer Komponisten. Regelmäßig schreibt er u. a. für die Metropolitan Opera in New York, für das San Francisco Symphony Orchestra, das Boston Symphony Orchestra und die Juilliard School. Außerdem ist er als Kritiker für die Tageszeitung »The Seattle Times« und die renommierte Fachzeitschrift »Musical America« tätig. Neben seinem viel beachteten Buch »Decoding Wagner« über den Bayreuther Meister, hat sich Thomas May vor allem mit seinem Komponisten-Kompendium »The John Adams Reader« auch außerhalb der USA S.64 einen Namen gemacht. "
Der gebürtige Dortmunder Stefan Höderath ist freischaffender Fotograf. Zum Studium der Visuellen Kommunikation und freien Kunst zog es ihn nach Berlin und New York, wo er u. a. bei Brian Eno und Reiner Leist studierte. Seinen Meisterschüler machte er bei Prof. Joachim Sauter an der UdK in Berlin; bis heute lebt und arbeitet er in dieser Stadt. Neben freien künstlerischen Arbeiten, die sich mit dem Sichtbarmachen der Dinge im Spannungsfeld unserer digitalisierten Gesellschaft auseinandersetzen, arbeitet er kommerziell für Kunden wie Sony, Google oder die Deutsche Grammophon. Zu seinen neueren Arbeiten gehört neben dem Coverfoto der letzten Platte von Anne–Sophie Mutter auch das aktuelle Orchesterfoto der BerliS.102 ner Philharmoniker."
VORSPIEL — NACHRICHTEN
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FREIHEIT FÜR DIE T O N K U N S T: B U S O N I AUSS TE LLU NG Der Komponist, Klaviervirtuose, Dirigent und Musiktheoretiker Ferruccio Busoni (1866–1924) zählt zu den herausragenden Künstlerpersönlichkeiten seiner Epoche. Neben Komponisten wie Schönberg, Strawinsky, Bartók und Hindemith gilt er als Wegbereiter der Neuen Musik. In vielen seiner Kompositionen streift er die Atonalität der zeitgenössischen Avantgarde, seine Ästhetik kulminiert in der Vision einer freien Musik (siehe Seite 34). Sein nachhaltiger Einfluss auf unst und Musik des 20. Jahrhunderts macht ihn zu einer der zentralen Figuren der Moderne. Aus Anlass von Ferruccio Busonis 150. Geburtstag am 1. April 2016
präsentiert die Kunstbibliothek in Kooperation mit dem Musikfest Berlin eine umfassende Ausstellung zu Leben und Werk des Komponisten. Sie ist ab dem 4. September 2016 am Kulturforum zu sehen. Im Mittelpunkt steht der Busoni-Nachlass der Staatsbibliothek zu Berlin, einer der kostbarsten musikgeschichtlichen Schätze der Stadt. Er umfasst nicht nur Notenmanuskripte und eine fotografis he Porträtsammlung, sondern auch mehr als 9000 Briefe, die Busoni mit bedeutenden Protagonisten und Förderern der europäischen Moderne und Avantgarde wechselte, darunter Arnold Schönberg, Stefan Zweig, George Bernard Shaw, Max Oppenheimer, Bruno Cassirer, James Simon und Ludwig Rubiner. Besonderes Augenmerk legt die Ausstellung auf die Sammlungs-
bestände der Kunstbibliothek. Busoni besaß eine umfangreiche Privatbibliothek und eine erlesene Kunstsammlung, darunter mehrere Werke des Futurismus. Gezeigt werden eine Auswahl an Prachtexemplaren der Buchkunst und Grafik sowie einzelne erke von Künstlern, die für Busoni eine besondere Rolle gespielt haben, darunter Umberto Boccioni und Pablo Picasso. Das internationale und interdisziplinäre Netzwerk Busonis kann anhand dieser Exponate vor dem Hintergrund seiner Epoche in einem Reichtum rekonstruiert werden, wie es so nur in Berlin möglich ist, wo der Künstler seinen Hauptwirkungsort fand. 4. September 2016 bis 8. Januar 2017 Kunstbibliothek am Kulturforum Matthäikirchplatz 6
Fotos: Staatsbibliothek zu Berlin – PK, Musikabteilung mit Mendelssohnarchiv (Ferruccio Busoni, November 1919, London, Signatur: Mus.Nachl. F. Busoni P II,19,); Sebastian Hänel (rechts)
PHILH A R MONISCHE NACHR ICHTEN
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GEORG SCHUMANN UND DIE BERLINER PHILHARMONIKER Anlässlich seines 150. Geburtstags am 25. Oktober 2016 wird im Südfoyer der Philharmonie mit einer Ausstellung an Georg Schumanns langjährige Zusammenarbeit mit dem Berliner Philharmonischen Orchester erinnert – als Pianist, Dirigent und Komponist. Schumann galt als Neuromantiker, blieb, obwohl neuen Strömungen nicht verschlossen, dem 19. Jahrhundert verpfli htet und wurde noch 2013 in der »FAZ« als »Versöhner zwischen Mendelssohn und Wagner« bezeichnet. Sein Debüt bei den Philharmonikern gab Schumann 1887. Als er 1900 Direktor der Berliner Singakademie wurde, begann die jahrzehntelange Zusammenarbeit seines Chors mit dem Orchester unter seiner Leitung. Durch ihn wurde das Orchester mit chorsymphonischen Werken von César Franck, Edward Elgar, Franz Liszt, Walter Braunfels oder auch Franz Schmidt vertraut. Zahlreiche Werke Georg Schumanns sind durch die Berliner Philharmoniker mit Arthur Nikisch und Wilhelm Furtwängler uraufgeführt worden. Zu seinem 80. Geburtstag ehrte ihn das Orchester mit der Aufführung seiner »Händel-Variationen« unter der Leitung von Sergiu Celibidache. Die Ausstellung im Südfoyer zeigt Originale und Faksimiles, die die vielfältige Arbeit und Verbundenheit Schumanns mit den Philharmonikern dokumentieren, aber auch die Konflikte im »Dritten Rei h« werden beleuchtet. Die Schau entsteht in Zusammenarbeit des Archivs der Philharmoniker mit der Georg Schumann Gesellschaft und wird unterstützt von der Musikabteilung mit Mendelssohn-Archiv der Staatsbibliothek zu Berlin. Michael Rautenberg 30. Oktober bis 31. Dezember 2016 Philharmonie, Südfoyer
MICHAEL K ARG – NEUES MITGLIED DER KONTR ABA SSG RU PPE Michael Karg befand sich noch mitten im Bachelorstudium an der Musikhochschule Nürnberg, als er sah, dass eine Kontrabass-Stelle bei den Berliner Philharmonikern ausgeschrieben war. Die Chance wollte er sich nicht entgehen lassen. Er nahm am Probespiel teil – doch kam es dabei noch zu keiner Entscheidung für einen der Kandidaten. Kurz darauf lud ihn das Orchester als Aushilfe ein. Für den jungen Bassisten ein prägendes Erlebnis: »Ich war von der Energie des Orchesters überwältigt. Der Klang und die unbändige Musizierfreude waren für mich eine absolut neue und mitreißende Erfahrung, irgendwie einschüchternd und inspirierend zugleich.« Michael Karg trat schließlich bei einem weiteren Probespiel an – und gewann. Der Höhepunkt eines bisher kurzen, aber erfolgreichen Werdegangs: Der gebürtige Amberger fand mit 13 Jahren zum Kontrabass und sammelte bald Orchestererfahrungen im bayerischen Landesjugendorchester, später im
Bundesjugendorchester. Während seines Studiums bei Professor Dorin Marc errang er einige Wettbewerbspreise und wirkte – auch solistisch – bei verschiedenen Orchestern mit. Bei den Philharmonikern begann für Karg eine ebenso spannende wie intensive Zeit. Er musste sich in kürzester Zeit das geforderte Repertoire aneignen, der Spieltechnik des Orchesters anpassen, sich in die Gruppe einbringen und trotzdem seine eigene Persönlichkeit zeigen. Der Kontrabass, so Karg, habe verglichen mit anderen Streichinstrumenten gewisse Schwächen: Es mangele ihm an Deutlichkeit des Tons und an Klangstärke, dies müsse der Spieler ausgleichen. Aus diesem Grund hat die philharmonische Kontrabass-Gruppe eine ganz eigene, sehr kraftvolle und energetische Spielkultur entwickelt. Sich mit dieser Spielkultur als Musiker immer weiterzuentwickeln und den einzigartigen Klang des Orchesters mitgestalten zu können, empfindet Michael Karg als höchst beglückende Aufgabe. Inzwischen hat er seine Probezeit bestanden und ist ordentliches Mitglied der Berliner Philharmoniker. NR
VORSPIEL — Z AHLENSPIEL
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ZA HLENSPIEL Wie stark sind die verschiedenen Kunstsparten von Verstößen gegen die Kunstfreiheit betroffen?
Es ist ein trauriger Beweis für die Wirkmächtigkeit der Musik: Von allen Kunstsparten war sie – wie schon in den Jahren zuvor – auch 2015 weltweit am stärksten von Verstößen gegen die Freiheit der Kunst betroffen. Die Nichtregierungsorganisation Freemuse (siehe Seite 26) dokumentiert jährlich alle ihr bekannt gewordenen Fälle von Zensur, Unterdrückung und Angriffen gegen Künstler und ihre Werke. Für 2015 beobachtete sie zwar einen Anstieg von religiös motivierten Angriffen in manchen Ländern, betont aber, dass die meisten Verstöße nach wie vor politisch motiviert sind – wie etwa bei der in diesem Jahr auffällig hohen Anzahl von Zensurfällen, die auf eine neue »Schwarze Liste« der chinesischen Regierung zurückgeht. Hinter den nüchternen Zahlen verbergen sich mitunter tragische und dramatische Fälle. Auch der terroristische Angriff auf den Pariser Musikclub Bataclan im November 2015 wurde von Freemuse als ein Angriff auf die Musik gewertet.
Art der Verstöße Getötet Entführt Angegriffen Schikaniert/bedroht Verfolgt Festgenommen Weiterhin in Haft Neu in Haft Zensiert
49 1 3
2
37
8 4
29 3
4 10
31
3 10 1
Film
6 Literatur
1 3
5 4 13 Visuelle Kunst
2 1
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Anzahl der Verstöße
309 2
5
300
11 17
18
16
16 1
200
223 100
32 1
2 9 1 2 1 1 Musik
2 1 3
Tanz
9 2 16
Theater
4 1 2
1 Verschiedene
0
THEMA: DIE MUSIK UND DIE FREIHEIT
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»Bin ich nun frei? Wirklich frei?«
Kunst im Knast
E i n e k l e i n e G e s c h i c h te d e r Freiheit in der Musik
Junge Häftlinge machen Musik
22
44
Nach den Regeln der Kunst D i e Ku n s t f r e i h e i t i m Grundgesetz
26
Zwischen Intellekt, Instinkt und Intuition W i e we i t d a r f d i e F r e i h e i t d e r I n te r p r e t at i o n g e h e n?
50
Willkür und Hoffnung
Free at last!
Z u r a k tu e l l e n S i tu at i o n d e r M u s i k f r e i h e i t we l t we i t
E i n i g e d e r b e s te n Po p s o n g s h a n d e l n vo n d e r F r e i h e i t
34
60
Wie zum ersten Mal
LieblingsFreiheitsmusik
E i n Ko m m e n t a r vo n I g o r L ev i t
CD-Empfehlungen u n s e r e r A u to r e n
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THEMA: DIE MUSIK UND DIE FREIHEIT — GESCHICHTE
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„BIN ICH NUN FREI? WIRKLICH FREI?“ Freiheit in der Musik: Eine Geschichte der kreativen Ausweichmanöver, der mutigen Vorstöße und politischen Instrumentierungen Vo n Vo l ke r H a g e d o r n
15 6 5 B E G A N N C A R L O B O R R O M E O in Mailand aufzuräumen. Der Bischof, den man als grimmen Kardinal aus Pfitzners Oper »Palestrina« kennt, war einer der eisernen Besen der Gegenreformation. Korruption und Dekadenz sollten aus den Kirchen verschwinden, die zu Marktplätzen geworden waren. In der Kathedrale ließ Carlo das Querschiff sperren und das Devotionaliengerümpel entfernen. Auch die Kirchenmusik wurde geläutert. Statt »leerem Vergnügen« hatte das Trienter Konzil für die Messe Vertonungen gefordert, in denen jedes heilige Wort klar zu verstehen war (sofern man Latein verstand). Nach dem Ende des Konzils 1564 wurde Carlo Mitglied einer Kommission zur Reform der Kirchenmusik, und als neuer Bischof von Mailand hatte der erst 27-Jährige auch die Macht, Reformen durchzusetzen: Schluss mit allzu komplexer Polyphonie! Einem gefeierten Meister wie Vicenzo Ruffo befahl er, eine Messe »so klar wie möglich« zu schreiben. Der beugte sich den Anweisungen des katholischen Formalistenjägers und wurde archaisch: Das raffini te Stimmengeflec t wich akkordischem Deklamieren. Doch in der Praxis hatte der Kahlschlag die Folgen eines geschickten
Baumschnitts: Allenthalben trieben neue Äste aus, in den blockartigen Strukturen blühte die Kunst der Verzierung. Die befand sich zu dieser Zeit auf einem Höhepunkt: Allein für den Weg vom D zum E (also etwas so Simples wie die ersten beiden Noten von »Alle meine Entchen«) hat ein Zeitgenosse 35 mögliche Ornamentierungen dokumentiert, von denen die längste 40 Noten umfasste! Domkapellmeister Ruffo hätte nebenher auch weiterhin weltliche polyphone Madrigale schreiben dürfen. Aber er kam mit der verordneten Ästhetik so gut zurecht, dass er nur noch sakral komponierte und uns noch heute beglückt mit sanft fortschreitenden Grundharmonien, über denen sich aberwitzige Schichtungen bilden. »Wenn etwas nicht so kommt, wie man dachte, kommt oft etwas Besseres raus«, sagte mehr als vierhundert Jahre später Ruffos Kollege Peter Eötvös über seine Erfahrungen mit Restriktionen im Ungarn der 1950er-Jahre. Freiheit in der Musik entwickelt sich nicht selten unter Druck. Übrigens auch bei den Rezipienten, die in der Musik mitunter Lesen Sie weiter in gespiegelt sehen, was sie politisch umtreibt: Opern könder aktuellen nen Aufstände auflösen, ein Versöhnungskonzert kann zu diplomatischen Auseinandersetzungen führen. Ausgabe Nr."03/2016
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THEMA: DIE MUSIK UND DIE FREIHEIT – GRUNDGESETZ
NACH DEN REGELN DER KUNST Eine kleine Geschichte der Kunstfreiheit im Grundgesetz Vo n J o h a n n e s G e r b e r d i n g
» KU N S T U N D W I S S E N S C H A F T, Forschung und
Lehre sind frei.« So gewährleistet das Grundgesetz die Kunstfreiheit. Zwar enthielt bereits die Verfassung von 1919 eine ganz ähnlich formulierte Bestimmung, aber die Weimarer Juristen wussten nicht so recht etwas mit ihr anzufangen. Eindrücke in der Praxis des Rechts hinterließ sie nicht. Erst infolge der totalitären Indienstnahme der Kunst sollte ihre Freiheit an Kontur gewinnen. »Kunst im absoluten Sinne, so wie der liberale Demokratismus sie kennt, darf es nicht geben«, diktierte Joseph Goebbels am 11. April 1933. In einem Schreiben an den Reichspropagandaminister hatte Wilhelm Furtwängler zuvor versucht,
die Autonomie der Musik – »Nur einen Trennungsstrich erkenne ich letzten Endes an: den zwischen guter und schlechter Kunst« – gegen ihre nationalsozialistische Zurichtung zu verteidigen. Der Protest blieb vergebens. Am 23. Mai 1949 erfolgte dann die Proklamation der Kunstfreiheit in Artikel 5 Absatz 3 Satz 1 des Grundgesetzes: ein Hauptsatz, acht Wörter. Das Freiheitsversprechen in der Form der schlichten Feststellung ist typisch für den Stil des Verfassungsgebers. Mit seiner klaren Sprache fordert der Grundrechtsartikel dazu auf, die Wirklichkeit am Versprechen des Grundgesetzes zu messen. Doch sind mit der emphatischen Anrufung der Kunstfreiheit nur die wenigsten Konflikte gelöst. Sicher kann
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man auf einen stillen Konsens bauen, dass etwa ein Mord nicht deshalb gerechtfertigt ist, weil er auf der Theaterbühne geschieht – selbst wenn er sich ästhetisch überzeugend begründen ließe. Stilles Einigsein stößt aber schnell an Grenzen. Die Basis für die geteilte Überzeugung »Das geht nicht!« ist so schmal wie brüchig. Seine Bewährungsprobe tritt ein Grundrecht an, wo es gesellschaftliche Vielfalt juristisch verarbeitet. Zum Grundrechtsdiskurs gehört deshalb Präzision nicht weniger als Pathos. Dabei stehen drei Fragen im Zentrum der bundesrepublikanischen Konfliktgeschichte der Kunstfreiheit: Was ist Kunst? Was darf Kunst? Was bedeutet Kunst? WA S IS T K U N S T?
Die Vorstellung, dass ein Gericht definieren könne, was Kunst sei, mutet geradezu komisch an. Kunst – im Gerichtsurteil ausbuchstabiert und zwischen Aktendeckeln abgelegt? Das ist natürlich unmöglich. Präsentiert als Enthüllung ist diese Feststellung aber naiv. Einen Streit, den Parteien vor Gericht tragen, muss der Richter auch entscheiden. Will das Grundgesetz sein besonderes Schutzversprechen für die Kunst einlösen, ist es nötig, sie von Nicht-Kunst zu unterscheiden. Eine Theorie der Avantgarde findet man beim Bundesverfassungsgericht trotzdem nicht. Karlsruhe hat mit unterschiedlichen Kriterien experimentiert, die teils den Künstler, teils den Rezipienten, teils den Kunstbetrieb ins Zentrum stellen. Aus den Urteilen sprechen eine aus Vorsicht geborene Vagheit und eine Haltung in dubio pro arte. Den Lauf der Zeit hat die Rechtsprechung der Kunstdefinition gut überstanden. In die Falle, die Kunst scharf vom (vermeintlich) Anstößigen, Schmutzigen, Beleidigenden und Verletzenden zu scheiden, nur um später doch von den Zeitläuften korrigiert zu werden, ist das Bundesverfassungsgericht nicht getappt. Zu tief sind dem Grundrecht der Kunstfreiheit die Unrechtserfahrungen des staatlichen Kunstrichtertums eingeschrieben. WA S DAR F K U N S T?
Kunst im Allgemeinen darf natürlich genauso wenig »alles!« wie Satire im Besonderen. Was freiheitsfeindlich klingt, ist für die Kunst ein Segen. Die Alternative wäre ein Begriff der Kunst, der ihr von vornherein Schmerzwie Folgenlosigkeit unterstellt. Wenn Kunst nicht eingekapselt und bestaunt werden soll, sondern in die Welt
hinausgreift, ist es unvermeidlich, einen Ausgleich zu finden zwischen ihrer Freiheit und anderen Belangen, die das Grundgesetz unter seinen Schutz stellt. In der Rechtsprechung war es vor allem der Schutz der Persönlichkeit, der mit der Kunstfreiheit immer wieder in Konflikt geraten ist. Eine solche Konstellation steht am Anfang der verfassungsgerichtlichen Rechtsprechung zur Kunstfreiheit: 1965 verbietet das Hanseatische Oberlandesgericht den Vertrieb von Klaus Manns »Mephisto«. Der erstmals 1936 in Amsterdam veröffentlichte Roman schildert den Lebensweg des Schauspielers Hendrik Höfgen, der – so wird es das Bundesverfassungsgericht später in spröder Beschlussprosa festhalten – »seine politische Überzeugung verleugnet und alle menschlichen und ethischen Bindungen abstreift, um im Pakt mit den Machthabern des nationalsozialistischen Deutschlands eine künstlerische Karriere zu machen«. Gustaf Gründgens, dem Genie, Generalintendanten des Preußischen Staatstheaters und Göring-Protégé, erscheint der Roman als schwarzer Spiegel. Zeit seines Lebens gelingt es ihm, die Veröffentlichung des Buches in der Bundesrepublik zu verhindern. Nach seinem Tod 1963 setzt sein Erbe, der Regisseur Peter Gorski, den Kampf fort. Aus dem von Gorski erstrittenen Urteil des Oberlandesgerichts schallt noch ganz der »Sound der Väter«: Die Allgemeinheit sei »nicht daran interessiert, ein falsches Bild über die Theaterverhältnisse nach 1933 aus der Sicht eines Emigranten zu erhalten«. 1971 entscheidet das Bundesverfassungsgericht. Der Karlsruher Senat tut sich schwer mit dem Roman. Um Haaresbreite, mit Stimmengleichheit, lässt das Verfassungsgericht das Hamburger Urteil unbeanstandet. Die Veröffentlichung des Buches bleibt verboten. Immerhin: Die hässlichen Ausführungen über die »Sicht des Emigranten« – keine zwei Jahre vor der Entscheidung ist der einstige Emigrant Willy Brandt als Bundeskanzler vereidigt worden – trägt der Beschluss des Gerichts nicht fort. Den Ausschlag für das Karlsruher Urteil gibt eine Abwägung zwischen den Persönlichkeitsrechten Gründgens und der Kunstfreiheit der Nymphenburger Verlagshandlung. Solche Abwägungen sind im Verfassungsrecht mitLesen Sie weiter in unter unumgänglich. Das gesellschaftliche Miteinander produziert einen Konfliktfall nach dem anderen. Auch der aktuellen wenn sich viele von ihnen anhand klarer Verfassungsbestimmungen, etablierter rechtlicherAusgabe StrukturenNr. und03/2016 langer Rechtsprechungslinien entscheiden lassen, "
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THEMA: DIE MUSIK UND DIE FREIHEIT – AKTUELL
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WILLKÜR UND HOFFNUNG Zur aktuellen Situation der Musikfreiheit rund um den Globus Vo n K at h a r i n a F l e i s c h e r
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THEMA: DIE MUSIK UND DIE FREIHEIT – AKTUELL
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V E R S T Ö S S E G E G E N D I E K U N S T F R E I H E I T 2 015 : Ä G Y P T E N 1
1
1
1
2 4 8
10 3
2 1 Art der Verstöße
Betroffene Kunstsparten
Schikaniert
Neu inhaftiert
Musik
Verschiedene
Verfolgt
Zensiert
Literatur
Theater
Festgenommen
Verstöße insgesamt 17
Film
Verstöße insgesamt 17
Tanz
KAIR O IM JANUAR 2 01 1 . Es läuft nicht schlecht für
Ramy Essam, der junge Mann führt ein ganz normales Leben. Er arbeitet als Musiker, mit seiner Folk-Band Mashakel ( zu Deutsch »Probleme«) geht es voran. Kein Grund zur Klage eigentlich – in einer Sache aber doch, und darin ist sich Ramy Essam mit sehr vielen seiner ägyptischen Landsleute einig: Das Regime des Staatspräsidenten Husni Mubarak zerrt an den Nerven der Menschen. Essam drückt seine Meinung musikalisch aus, schreibt Lieder, in denen er die Missstände im Land und die Ungerechtigkeiten der Regierung thematisiert. Mit diesen Songs tritt er auf dem Tahrir-Platz auf, wo sich immer mehr Demonstranten gegen das Regime versammeln. »Erhal«, »Verlasse!«, so heißt eines seiner Lieder, in dem er den Präsidenten unverhohlen zum Rücktritt auffordert. »Ich hatte keine Angst«, erinnert sich Essam heute. »Natürlich hatte ich ein paar Zweifel, aber ich wusste, ich konnte nicht zurück. Die Revolution war im Gange, wir konnten Mubarak keine Chance lassen.« Sein Lied wird zur Hymne der Revolution – und das entgeht der Regierung nicht. Im März 2011 wird Ramy Essam verhaftet und gefoltert. »Gefoltert zu werden hat nur zwei mögliche Konsequenzen«, sagt Essam: »Es zerstört dein Leben, oder es stärkt dich. Ich bin froh, dass bei mir Letzteres der Fall war.« Neben seinen körperlichen Verletzungen hat Essam anfangs auch mit psychischen Problemen zu kämpfen. »Es ist eine schreckliche Erfahrung, weil man nie auf
die Idee käme, jemals selbst gefoltert zu werden.« Schon am ersten Tag seiner Verhaftung wird Essam in die Mangel genommen: »Sie fragten nichts über mich oder meine Arbeit. Sie folterten nur. Als ich wieder heimkam, konnte ich meinen Körper zehn Tage lang nicht bewegen. Zum Glück päppelte mich meine Familie wieder auf.« V E R H A F T E T, E N T F Ü H R T, Z E N S I E R T
Es sind Schicksale von Musikern wie Ramy Essam, mit denen sich Ole Reitov tagtäglich befasst. Der Direktor der 1998 in Kopenhagen gegründeten Nichtregierungsorganisation Freemuse – einer Plattform für Musiker, die der Zensur oder der politischen Willkür zum Opfer gefallen sind – wirkt sichtlich erschöpft, wenn er über seine Aufgaben spricht. Jeden Tag die gleiche Routine: Erst einmal einen Überblick verschaffen, welche neuen Verstöße gegen die Kunstfreiheit es gegeben hat. Dann entscheiden, in welchen Fällen gehandelt werden muss – und wo überhaupt gehandelt werden kann. »Die Eingriffe in die Kunstfreiheit decken ein breites Spektrum ab«, erklärt Reitov. »Das reicht von Künstlern und Musikern, die für zehn Jahre ins Gefängnis gehen müssen oder sogar entführt werden, bis hin zu weniger schweren Verstößen wie dem Entfernen von Musik videos aus dem Internet.« Freemuse dokumentiert diese Fälle und versucht, als optimistischer Mittler zwischen betroffenen Künstlern und dem jeweiligen Staat zu agieren.
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Zensur, Gefängnis, Folter: Die Zahl der bekannt gewordenen Verstöße gegen die Kunstfreiheit hat sich in diesem Jahr fast verdoppelt.
Auf der Webseite der Organisation werden täglich Nachrichten zu neuen Verstößen gegen die Freiheit der Kunst veröffentlicht. Und Ole Reitov beobachtet dabei einen beunruhigenden Trend: »In diesem Jahr hat sich die Anzahl der Fälle, von denen wir Kenntnis erlangt haben, fast verdoppelt. Und das ist nur die Spitze des Eisbergs, denn nicht alles wird angezeigt. Vor allem Verstöße im Bereich der Musik werden oft nicht gemeldet.« Für das vergangene Jahr 2015 fasst eine FreemuseStatistik über alle Kunstsparten zusammen: »Drei Künstler getötet. 15 ins Gefängnis gekommen. 31 weiterhin im Gefängnis. Sechs entführt. 24 körperlich angegriffen. 33 verfolgt oder bedroht. 42 strafrechtlich verfolgt. 23 in Gewahrsam genommen. 292 weitere Zensuren.« Und das in allen Teilen der Welt.
Foto: Iñaki Marconi
BESONDERS BEDROHT
Gerade die Freiheit der Musik, sagt Reitov, habe es in vielen Ländern der Welt besonders schwer (siehe S. 10): »Musiker sind oft in einer schwachen Position. Sie arbeiten meist allein, und wenn sie sich künstlerisch mit religiösen oder sozialen Themen beschäftigen, riskieren sie häufig Bedrohungen und Drangsalierungen. Viele Musiker außerhalb Europas sind nicht gut organisiert und haben keinen Zugang zu größeren Netzwerken. Wenn sie also von religiösen Gruppen angegriffen werden, wie es zum Beispiel in Afghanistan der Fall ist, kommen sie schnell in eine brenzlige Situation.« "
Ramy Essam
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D I E M U S I K U N D D I E F R E I H E I T — G E FÄ N G N I S
KUNST IM KNAST In der Jugendstrafanstalt Berlin bringt eine Gruppe junger Insassen den Stoff ihres Lebens auf die Bühne. Vo n Ve r e n a M aye r F o to s vo n T h o m a s A u r i n
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D I E M U S I K U N D D I E F R E I H E I T — G E FÄ N G N I S
JUNGE MÄNNER MACHEN G ANG STERRAP: »Ich
wollte, dass die Leute meinen Namen schrei’n / Ich wollte einfach nur der King der Straße sein«, performt einer. Der nächste schnappt sich das Mikro und singt: »Auto geklaut / Fenster runter, Musik ganz laut.« Die Finger hat er in Rapper-Manier zu einer Pistole geformt. »An die Wand stellen / Klick, klack, Handschellen.« Noch mehr Moves, das Publikum johlt. Nur, dass das alles keine Posen sind. Sondern die Wirklichkeit, Sätze aus dem echten Leben. Denn die jungen Männer, die hier rappen, sind Diebe, Räuber oder Schläger. Sie haben mit Drogen gedealt, betrogen oder einen Menschen getötet. Jetzt tragen sie die Kluft des Gefängnisses, in dem sie für Monate oder Jahre untergebracht sind. Schlabbrige Jogginghosen und T-Shirts und für alle das gleiche schwarze Turnschuh-Modell. Aus den Boxen kommen schwere Beats, die Scheinwerfer flackern. Die Jungs werfen sich auf den Boden, robben im Takt hin und her,
machen Überschläge. Bis die Leute im Publikum »Yo!« rufen und die Jugendlichen feiern. Viele von ihnen bekommen zum ersten Mal im Leben Applaus für etwas. VOR ALLE M MAUE RN
Die Jugendstrafanstalt in Berlin-Plötzensee. Schon von Weitem merkt man, dass man hier am Rand von allem ist. Ein Baumarkt, ein paar Kleingärten, dahinter kommt nur noch der Flughafen. Vor allem aber sieht man Mauern. Sie verlaufen über ganze Straßenzüge, sie sind aus Backstein und aus Beton, darüber windet sich Stacheldraht. Es ist sehr still, man hört keine Autos und keine Menschen. Wer hinter diesen Mauern leben muss, hat ein Verbrechen begangen und soll von der Gesellschaft ferngehalten werden. Mehmet, ein Junge mit schwarzen Locken, ist 19 Jahre alt. Als er in seine Zelle kam, haben ihn die Vollzugsbeamten gleich erkannt. Mehmet stammt aus einem
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kriminellen Familienclan, drei seiner Brüder waren schon in Haft. Immerhin eines unterscheidet Mehmet von anderen Männern in der Haftanstalt, die alle nur »Hapis« nennen, nach dem arabischen Wort für Gefängnis. Mehmets Stimme wird gehört. Er darf mit ein paar anderen Jugendlichen Songs schreiben, Musik produzieren und performen – vor einem Publikum, das nur deswegen kommt, und zwar von draußen, von der anderen Seite der Mauer. Kunst im Knast. Die Idee ist nicht neu, sie entstand in den Siebzigerjahren, als man begann, Gefängnisse nicht mehr als Unorte zu begreifen, sondern als einen Teil der Gesellschaft, mit dem man leben muss. Anfangs kamen meist Künstler, die an den Gittern rüttelten oder sehen wollten, wie weit sie gehen konnten; in Berlin hat einer mal einen Heuhaufen und eine Ziege in den Männerknast gebracht. Inzwischen gibt es in vielen Haftanstalten fast schon eine kulturelle Infrastruktur: Bildungsprogramme, Sozialarbeit oder Projekte wie das Berliner Gefängnistheater »aufBruch«, das auch schon in einer chilenischen Haftanstalt und einer russischen Jugendstrafkolonie Theater gemacht hat. In diesem Frühjahr hat »aufBruch« zusammen mit dem Education-Programm der Berliner Philharmoniker, einer Choreografin und Hip-Hop-Produzenten ein Projekt in der Jugendstrafanstalt Berlin gestartet. Die jungen Insassen sollen Rap-Songs texten, die Musik dazu machen und auf die Bühne bringen. Aber kann das zusammengehen, Kunst und Knast? Wie macht man etwas, das von der Freiheit lebt, an einem Ort, an dem es keine Freiheit geben darf? Und was bringt das überhaupt?
Ständig hört man Schlüssel. Das metallische Rasseln liegt über allem wie ein ständiges Geräusch im Ohr.
G E T T O B L A S T E R U N D K L AV I E R
Ein Wochenende im Mai. Durch die vergitterten Fenster des Jugendgefängnisses fällt trübes Licht, in der stickigen Mehrzweckhalle stehen ein Gettoblaster und ein Klavier. Beginn der Proben, die Insassen sollen sich Zeilen für ihre Lieder ausdenken. Ein Vollzugsbeamter hat Türen aufgeschlossen, die Jugendlichen in die Halle gelotst und die Türen wieder zugeschlossen. Ständig hört man Schlüsselbunde, das metallische Rasseln liegt über allem wie ein permanentes Geräusch im Ohr. Die Jugendlichen schlurfen auf ihre Plätze. Einige wirken so jung, dass man sich fragt, ob sie irrtümlich eingesperrt sind. Anderen sieht man an, dass das hier für sie nur eine Endstation von vielen ist. Andrejs Gesicht sieht zerschlagen aus, ein Schneidezahn fehlt ihm. Andrej ist 19 und wollte eigentlich berühmt werden, die Leute sollten neidisch auf ihn sein. »Aber ich wusste, das kann nur illegal gehen.« In seinem Freundeskreis hatte niemand Arbeit, Andrej zog durch die Straßen und beging Überfälle, tagsüber saß er in der Schule. Irgendwann wurde er verhaftet, »direkt vom
Herd in Handschellen«, sagt er. Es klingt wie eine Zeile aus einem Rap-Song. Was denn seine Träume seien, will Sera Finale wissen. Finale ist Musiker und Texter in Berlin, früher hat er Battle-Rap gemacht, einer seiner Songs handelt davon, dass er keine Pistolen braucht, sondern »mit Wörtern killen« kann. Die Antworten auf seine Frage kommen wie aus der Pistole geschossen: »Ein perfektes Leben, wie man es sich als Kind vorgestellt hat«, sagt Andrej. »Rauskommen und dann mit zweihundert Sachen über den Ku’damm fahren«, sagt der Junge neben ihm. Immer mehr Träume fallen den Jugendlichen ein. Mamas Essen. Der Ruhm, den die Älteren haben. Eine Badewanne voll mit Scheinen. Koch auf einem Kreuzfahrtschiff werden. Lesen Sie weiter in Meinem Schatz für tausend Euro einen Blumenstrauß der aktuellen kaufen. Sera Finale notiert alles. Währenddessen sitzt Mehmet Ausgabe Nr. 03/2016 am Klavier und spielt vor sich hin. Anders als seine "
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T H E M A : D I E M U S I K U N D D I E F R E I H E I T – I N T E R P R E TAT I O N
ZWISCHEN INTELLEKT, INSTINKT UND INTUITION Wie weit darf die Freiheit der Interpretation gehen? Vo n Wa l te r We i d r i n g e r
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N EW YO R K , CA R N E G I E H A L L , 6. April 1962: Das
Publikum erwartet gespannt eine Aufführung von Johannes Brahms’ Erstem Klavierkonzert mit Glenn Gould und Leonard Bernstein am Pult der New Yorker Philharmoniker. Doch überraschend betritt der Dirigent das Podium allein und hält eine kleine Ansprache. Die Anwesenden würden gleich »eine, sagen wir, unorthodoxe Aufführung des d-Moll-Konzerts von Brahms hören, eine Aufführung, ganz anders als alle, die ich je gehört oder von denen ich vielleicht einmal geträumt habe – wegen ihrer auffallend breiten Tempi und häufigen Abweichungen von Brahms’ dynamischen Angaben. Ich kann nicht behaupten, mit Mr. Goulds Konzept völlig übereinzustimmen.« Das war ein Euphemismus. Die Auffassungsunterschiede zwischen den beiden Musikern waren so groß, dass Bernstein sich zu dieser Gegenerklärung gezwungen sah und das Konzert gleichsam unter Haftungsausschluss stellte. Die Anekdote verweist auf eine zentrale Frage der klassischen Musik: Wie weit darf die Freiheit der Interpretation gehen? K E I N E F R AG E D E R M ACHT
Texttreue und Werktreue, so werden die Alternativen gewöhnlich benannt, die bei der Deutung eines musikalischen oder musikdramatischen Kunstwerks zur Wahl stehen. Ist möglichst jede Vorschrift des Komponisten bis zum letzten I-Tüpfelchen zu befolgen – auch auf die Gefahr hin, dass wir manche davon mittlerweile falsch verstehen, darüber gar das große Ganze verfehlen? Oder darf man sich als Interpret alle Freiheiten herausnehmen, wenn nur der Kern des Werks so stark wirkt wie einst beabsichtigt? Was erlaubt ein Komponist, was sein jeweiliges Stück? Was kann sich der Musiker erlauben? Sind die Schöpfer längst entmündigt, haben die Interpreten die Macht über das Kunstwerk an sich gerissen? Zu diesem letzten Punkt hat Daniel Barenboim eine klare
Der Umgang mit dem Notentext ist die Gretchenfrage der Musik: Wie hältst du’s mit der Interpretation?
Meinung: Welche Macht könnten Dirigenten schon besitzen angesichts einer Partitur von Mozart oder Wagner, konterte er einmal leicht gereizt die einschlägige Frage eines Journalisten. Und wir können das getrost auf alle anwenden, die klassische Musik interpretieren, vom Hobbymusiker bis zum gefeierten Star: Der Umgang mit dem Notentext ist und bleibt die Gretchenfrage dieser Kunst. Dabei erscheint gerade unsere abendländische Methode, Musik in einer durch die Jahrhunderte immer weiter verfeinerten Mischung aus Symbolen, Worten, Abkürzungen, Fußnoten und Beiblättern zu Papier zu bringen, so fehleranfällig und deutungsabhängig wie kaum sonst etwas zu sein. Jede aufgeschlagene Partiturseite wirft mehr Fragen auf als sie beantwortet. Schon die Höhe des Kammertons schwankte durch die Zeiten. Das Instrumentarium (alt oder neu?) ist nur ungefähr fixiert. Und wie schnell ist eigentlich Andante? Hatte Mozart wirklich einen unverrückbaren Tempoplan im Kopf, dessen Stufen klar definiert waren, wie Nikolaus Harnoncourt glaubte? Demnach war das Andante ein eher rasches Tempo, das durch Steigerung (Più andante) schneller wurde – eine Ansicht, die sich ab 1800 jedoch in ihr Gegenteil verkehrt habe. In der g-Moll-Symphonie waren zunächst beide Ecksätze mit Allegro assai überschrieben, dann erst machte Mozart aus dem Finale ein Molto allegro. Ist das nun langsamer oder schneller? Schneller, war Harnoncourt bis zuletzt überzeugt, wie seine Aufnahme bezeugt (Sony). A B S O L U T, A B E R U N K L A R
Die Relation allein aber gibt noch immer kein absolutes Tempo an. Das schaffte erst das Metronom. Beethovens berüchtigte Metronomzahlen wurden bis ins 20. Jahrhundert hinein vielfach als absurd schnell abgetan – oder hatte sich nur das Beethoven-Bild monumentalisiert, war seine Musik ins Schwerfällige verzerrt worden? Gewiss. Doch – um kurz ins bezeichnende Detail zu gehen – warum gibt er das Adagio molto e cantabile der Neunten mit dem überraschend schnellen Wert Viertel = 60 an, obwohl er für alle anderen Adagio-Sätze seiner Symphonien
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als Maßeinheit die Achtel verwendet? Zumal diese Angabe auch dem folgenden Andante moderato widerspricht, für das er mit Viertel = 63 ein kaum unterscheidbares Tempo vorsieht. Ein Fehler also, wie der Dirigent Martin Haselböck vermutet? Er »korrigiert« Beethoven hier auf Achtel = 60 und kommt damit prompt in die Nähe der breit strömenden Auffassung etwa eines Leonard Bernstein (DG), die für Verfechter der historisch informierten Aufführungspraxis heute eher verpönt scheint. Tatsächlich lässt die Freiheit, die sich manche Interpreten bei ihrer Tempowahl nehmen, manchmal kaum wiederzuerkennende, dabei aber aufregende Musik entstehen. Etwa wenn Sergiu Celibidache, der Hohepriester riesenhafter Bedächtigkeit, Debussys »Ibéria« ins schier Unendliche auswalzt (EMI/Warner), wenn Lorin Maazel die langsamen Teile der Strauss’schen »Alpensinfonie« monumental gen Himmel ragen lässt oder wenn der große Otto Klemperer Mahlers Siebte in gnadenloser Breite vorführt (EMI/Warner). Jener Klemperer übrigens, der der überreichen Diskografie von Mahlers Zweiter nicht nur die langsamste (1971, 99 Minuten), sondern auch die schnellste aller Aufnahmen (1951, 71 Minuten) hinzufügte. WA S I S T A M L AU TE S TE N?
Dabei lassen sich Tempi noch verhältnismäßig einfach vergleichen (und verdammen). Der Fragenkatalog zur Freiheit der Interpretation aber lässt sich beliebig erweitern, etwa auf die Dynamik. Beethoven hat in zwei Sätzen seiner Symphonik ein Fortefortissimo (fff) verlangt, im Finale der Siebten und im Kopfsatz der Achten. Sind das nun die absolut lautesten Stellen aller seiner Symphonien? Und wie laut ist zum Beispiel Fortissimo? Die jeweils zweiten Symphonien von Anton Bruckner und Johannes Brahms verlangen die gleiche Orchesterbesetzung. Bruckners Dynamikvorschriften reichen von ppp bis fff, jene bei Brahms von pp perdendosi »nur« bis ff. Ist Bruckners Symphonie also an manchen Stellen lauter? Oder hat er die gleiche Bandbreite nur genauer differenziert? Klingt umgekehrt Brahms deshalb gröber? Nein!, werden die meisten Musikfreunde einwenden und vielleicht das Gegenteil behaupten ...
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Manche Tempowahl ist so frei, dass das Werk kaum wiederzuerkennen ist – und trotzdem aufregend.
Von komplexen Vorgängen wie Phrasierung, Tongebung, Agogik oder dem Ausgleich harmonischer und polyphoner Vorgänge sei hier gleich ganz geschwiegen. Geht es darum, möglichst nahe an das heranzukommen, wie es seinerzeit geklungen haben könnte? Mit heutigen Mitteln die damalige Wirkung neu zu erzielen? Selbstbewusst aus der Gegenwart heraus das Alte aktuell zu machen? Oder am besten alles zugleich? Die Quadratur des Kreises! So gesehen wird die Freiheit des Interpreten bald zur großen Verantwortung – und zur Belastung: Kann man der Partitur jemals gerecht werden? Aber: Ohne ein beherztes Drauflos wäre im Musikunterricht überhaupt kein Anfang möglich – und ohne Ohren- und Herzensbildung könnten auch die technisch Besten keine tiefschürfenden, berührenden Interpretationen zustande bringen. K U N S T A L S I N T E R P R E TAT I O N S M A S C H I N E
Um die Fachsimpelei über musikalische Deutungen auf eine breitere intellektuelle Basis zu stellen, hilft ein Blick auf die Literaturwissenschaft und deren jüngeren Diskurs über die Rolle des Autors. Kunstwerke seien »Maschinen zur Erzeugung von Interpretationen«, schrieb der Semiotiker und Romancier Umberto Eco und unterschied penibel zwischen den Absichten des Schöpfers (intentio auctoris), dem, was der Rezipient aus dem Werk herausliest (intentio lectoris), sowie dem, was das Werk tatsächlich enthalte (intentio operis) – und nur Letzteres solle Basis einer verantwortungsvollen Deutung sein. Doch wer entscheidet, welche Interpretationen noch zulässig sein mögen und welche jeder Grundlage entbehren, übers Ziel hinausschießen? Wenn etwa ein tenoraler Tausendsassa wie Jonas Kaufmann in Mahlers "
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Foto: Sebastian Hänel
BERLINER PHILHARMONIKER
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Das Yin und Yang der Musik John Adamsim Gespräch
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»Viele Wunder erzählte ihm Scheherazade …« Märchen, My then und Musik aus »Ta u s e n d u n d e i n e r N a c h t«
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… nur du allein sollst die Stadt meiner Albträume sein W i e n a l s Ku l tu r m e t r o p o l e d e r 1920 e r-J a h r e
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Diese unglaubliche Leichtigkeit des Seins D e r P i a n i s t D a n i i l Tr i fo n ov
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Der schwierige Weg der russischen Moderne D e r Ko m p o n i s t u n d P i a n i s t Samuil Feinberg
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Der Ungeschmack des Arrangements U n g e l i e b t , a b e r b e r e i c h e r n d: m u s i k a l i s c h e B e a r b e i tu n g e n
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Volle Tuba Wie Andreas Mar tin Hofmeir zu m S t a r s e i n e s F a c h s w u r d e
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Mein Instrument als Lebenspartner Diesmal mit J u l i a G a r te m a n n u n d i h r e r B r at s c h e
BERLINER PHILHARMONIKER — JOHN ADAMS
DAS YIN UND YANG DER MUSIK Der Komponist und Dirigent John Adams im Gespräch über seine Residenz bei den Berliner Philharmonikern Vo n T ho m a s M ay
U N T E R D E N H E R AU S R AG E N D E N Persönlichkeiten, die die amerikanische Musik der Gegenwart geprägt haben, fällt John Adams durch seine vielseitige Kreativität auf – nicht nur als Komponist von Werken, die dauerhaft die Konzertsäle und Opernbühnen erobert haben, sondern auch als Dirigent, Denker und engagierter musikalischer Bürger. Von all diesen Seiten wird ihn das Berliner Publikum in der Saison 2016/2017 kennenlernen, in der er als Composer in Residence gastiert. John Adams unterbrach die intensive Arbeit an einer neuen Oper, seinem achten Projekt mit dem Regisseur Peter Sellars, um über die Doppelkarriere als Komponist und Dirigent, über musikalische Freundschaften und seine Erwartungen an den kommenden Aufenthalt in Berlin zu sprechen.
Ihre Residenz als Dirigent und Komponist bei den Berliner Philharmonikern in dieser Spielzeit ist etwas ganz Besonderes für das Orchester und die Stadt. Es kommt bestimmt nicht oft vor, dass ein amerikanischer Komponist der »Schwerpunkt« einer ganzen Saison ist. John Adams: Ja, ich fühle mich sehr geehrt, diese Möglichkeit zu bekommen. Ich weiß natürlich, dass alle Welt
amerikanische Musik liebt, aber das gilt meistens unserer Popmusik – Jazz, Rock, Soul, Hip-Hop. Europäische Zuhörer beginnen gerade erst, amerikanische Orchestermusik zu verstehen. Wir Amerikaner haben eine besondere Beziehung zur Tradition der Orchestermusik. Uns fehlen sicher die lange Geschichte von Meisterwerken und das »Vermächtnis« der großen Komponisten, aber es ist uns gelungen, die maßgeblichen Formen und Gesten der »klassischen Musik« zu übernehmen und mit typisch amerikanischer Energie und Emotion zu versehen. Komponisten, die auch dirigieren, sind heute seltener als früher, denken wir nur an Schumann, Berlioz, Wagner, Mahler oder Strauss. Warum sind es heutzutage so wenige? Ich denke, dass das Dirigieren im 19. Jahrhundert noch nicht diese hoch spezialisierte Tätigkeit war, zu der es im 20. Jahrhundert wurde. Bis Bülow, Richter und Mahler es zu großer Kunst erhoben, war das Dirigieren möglicherweise nicht viel mehr als das Schlagen des Takts, um alles einigermaßen zusammenzuhalten. Aber jetzt, angesichts des so viel größeren, teilweise sehr komplexen Repertoires und des "
Foto: Vern Evans Photo, 2015
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BERLINER PHILHARMONIKER — WIEN
… NUR DU ALLEIN SOLLST DIE STADT MEINER ALBTRÄUME SEIN »Wien um 1900« ist ein Dauerbrenner der künstlerischen Urbanistik. Dabei hatte die Donaumetropole in den 1920er-Jahren mindestens ebenso viel zu bieten. Vo n Vo l ke r Ta r n ow
D A S T H E M A I S T S O A B G E D R O S C H E N wie unsterblich, gegen »Wien um 1900« kommt niemand an. Sigmund Freud, Gustav Mahler und Gustav Klimt, dazu die jungen Schriftsteller um Hugo von Hofmannsthal und Arthur Schnitzler, wohlwollend flankiert vom Kritiker Hermann Bahr und als »Kaffeehausliteratur« verspottet von Karl Kraus: Das sind die prominentesten Größen jener Stadt, deren Name zum Menetekel wurde, zum Symbol des bevorstehenden Epochenwandels. Wollüstig huldigte man noch den antiquierten Riten Habsburgs, visionär sah man schon den Untergang der alten Welt voraus und die Geburt der Moderne, die danach kommen musste. Keine Stadt verwandelte diese ambivalenten Gefühle ähnlich eindringlich in Kunst wie Wien, keine praktizierte überzeugender den Jugendstil, laut Walter Benjamin »das Träumen, man sei erwacht«. Das wirkliche Erwachen kam 1914. Aber es konnte den Traum nicht restlos zerstören. Er spukt noch heute durch unsere Verlage und Hochschulen, hat sich in den Köpfen von Künstlern und Kritikern für immer festgesetzt: »Wien um 1900« ist im Medien- und
Forschungsbereich einfach unschlagbar. Das Thema fasziniert durch seine Morbidität, es bietet eine perfekte Projektionsfläche für aktuelle Katastrophenbedürfnisse und trotzdem die Illusion eines Sterbens in Schönheit. »Wien um 1900« ist das A und O aller Austriaca, während Wien um 1850 oder 1920 scheinbar gar nicht existiert hat, jedenfalls nicht in der Weise, dass wir es in Bibliotheken, Kunstausstellungen oder Konzertprogrammen unschwer wiederfinden könnten W I E N E R I R O N I E AU S B E R L I N
Dabei spielte die Donaumetropole nach dem verlorenen Krieg, der das Ende von Österreich-Ungarn besiegelte, eine mindestens ebenso wichtige Rolle in der Weltkultur wie davor. Und zudem eine höchst zwielichtige, ironische. Denn die beiden größten Romane, die sich mit just jenem Niedergang der k. u. k. Monarchie befassen, entstanden ja nicht um 1900, sondern Ende der 1920er-Jahre: Joseph Roths »Radetzkymarsch« und Robert Musils »Der Mann ohne Eigenschaften«. Und sie entstanden in Berlin. Roth schrieb sein grandioses Epos angeblich in Mampes Guter
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Stube am Kurfürstendamm, schräg gegenüber grübelte Musil jahrelang über seinen schließlich unvollendet gebliebenen Abgesang auf »Kakanien« nach. Berlin beherbergte damals mit Alexander von Zemlinsky, Arnold Schönberg und Emil Nikolaus von Reznicek auch drei österreichische Komponisten, echte Wiener sogar. Wofür freilich erstklassiger Ersatz geleistet wurde: 1919 zog Richard Strauss von Berlin nach Wien. Und an der Donau weilten ja außerdem noch die Eigengewächse Alban Berg, Anton von Webern und Egon Wellesz.
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Auch nach 1918 spielte Wien in der Weltkultur eine wichtige Rolle – sogar eine höchst zwielichtige und ironische.
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Die Wienerin Alma Schindler, verwitwete Mahler, geschiedene Gropius, seit 1918 mit Franz Werfel liiert, besaß ein Haus am Semmering und eine Wohnung in der Elisabethstraße, wo sie schon während des Krieges ihren stark frequentierten Salon abgehalten hatte. Die Ehe mit Werfel erwies sich nicht als größtes erotisches Glück auf Erden, Alma verachtete Franz insgeheim als »kleinen, hässlichen, verfetteten Juden«, fand ihn indes als Geldbeschaffer sehr nützlich. Werfel war in den 1920er-Jahren der neben Stefan "
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BERLINER PHILHARMONIKER — DANIIL TRIFONOV
DIESE UNGLAUBLICHE LEICHTIGKEIT DES SEINS Warum der Pianist Daniil Trifonov mit Kant gesprochen ein Genie ist. Vo n J ü r g e n O t te n
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G E N I E S ? Gab es immer wieder, gibt es, wird es immer wieder geben. Mozart war eines. Newton vermutlich auch. Beethoven? Zu irdisch, um eines zu sein, zu wütend, zu ekstatisch. Auch Brahms und Bach und Bruckner fallen aus: alte Meister, keine Genies. Gustav Mahler? Nein, der auch nicht. Schon eher Schubert, der Unvollendete. Und Einstein, der ganz bestimmt. Und wer noch? Shakespeare, ja. Und Dürer. Und einige andere, es fällt nicht leicht, sie zu bestimmen. Es hilft jedoch sehr, bei Kant, dem Kaiser von Königsberg, nachzulesen. Kant hat nicht als einziger, aber gewinnbringender als andere darüber nachgedacht. Die entsprechende Passage finden wir in der »Kritik der Urteilskraft«, Paragraf 46: »Genie«, heißt es da, »ist das Talent (Naturgabe), welches der Kunst die Regel gibt. Da das Talent, als angeborenes produktives Vermögen des Künstlers, selbst zur Natur gehört, so könnte man sich auch so ausdrücken: Genie ist die angeborene Gemütslage (ingenium), durch welche die Natur der Kunst die Regel gibt.« So weit Kant. Und alles so weit richtig und schön und gut. Und dann kommt einer wie Daniil Olegowitsch Trifonov um die Ecke und spielt Klavier.
Foto: ullstein bild – ArenaPAL / CLIVE BARDA
SCHON WI E D E R E I N R USS E?
Natürlich war vor Jahren der erste Gedanke: schon wieder ein Russe. Wie sollte es auch anders sein? Russland ist das Land der genialen Pianisten, das Land eines Vladimir Horowitz, Emil Gilels und eines Swjatoslav Richter, das Land der Sokolovs, Volodos’, Afanassievs, Schukows, Kissins, Berezowskys, Luganskys, Leonskajas und wie sie alle heißen, die Liste ist lang. Russische Pianisten sind im Grunde so, wie Kant das Genie definierte: Sie folgen nicht den Gesetzen, sie stellen sie auf. Sie halten sich nicht lange auf mit den Paragrafen der Musikgeschichtsschreibung, sie definieren sie so, wie sie, und nur sie, es für ri htig halten. Wenn man so will, sind russische Pianisten immer die Anarchisten unter den Tastenkünstlern gewesen, Bakunins des rauschenden Klangs, meist Söhne des Dionysos, die aber heimlich eine Beziehung zu Apoll pflegten, es musste ja niemand wissen. Russische Pianisten waren wie Beethovens
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Daniil Trifonov kündigte sich nicht an. Er war einfach da. Er war der Hase, der alle Igel überraschte.
»Sturm-Sonate«: äußerlich wild, innen drin aber tief melancholisch, mitunter sogar von der Ästhetik der Negativität beeinflusst, ja zuweilen wie ein Gedicht von Leopardi, so zerschmetternd schön, immer hin und her rennend zwischen Eros und Thanatos, befreundet mit Nyx, der Göttin der Nacht, angeweht von einem gewissen Mystizismus, den nur die Weiten der russischen Steppen hergeben (oder, im Zweifelsfall, auch eine Klaviersonate von Alexander Skrjabin), mit einem Wort: Es war immer etwas Verrücktes mit ihnen. Und so auch mit Trifonov. Er kündigte sich ja nicht an. Er war einfach da. Er war der Hase, der alle Igel überraschte. Und er spielte so, als käme er aus dem 19. Jahrhundert: wie ein Träumer, der einen Molotowcocktail in seinem Jackett versteckt hat. Oder, um es mit Robert Schumann zu sagen: Er spielte so, als habe er Kanonen unter Blumen eingesenkt. Das Repertoire, das Trifonov von Beginn an favorisierte, passte dazu: Chopin, Tschaikowsky, Rachmaninow, Skrjabin, Musik des Ostens, Seelenmusik, romantische Musik. Dazu Liszt, Wanderer zwischen den Welten mit mächtigen Schwingen. KE I N J U NG E R WI LD E R
Alles in allem eigentlich nichts Außergewöhnliches. Russland spült dergleichen Talente im Akkord in die internationale Welt des Klavierspiels. Talente, die dann – wie Trifonov – nacheinander den dritten Preis beim Chopin-Wettbewerb in Warschau (2010), den Arthur-Rubinstein-Kontest in Tel Aviv und den Moskauer Tschaikowsky-Wettbewerb (beide 2011) gewinnen, was die üblichen merkantilen Mechanismen in Gang setzt. Aber diesmal war es eben doch ein wenig anders. Weil Trifonov anders war. Außergewöhnlicher. Unerwarteter. Singulär. Vielleicht kann man es so sagen: Trifonov, 1991 in Moskau geboren, war zu diesem Zeitpunkt schon weiter, als er es eigentlich sein durfte. Er war reifer. Er war weiser. Tiefsinniger. Trauriger. Alles zusammen. Trifonov spielte nicht wie ein junger Wilder, nicht wie der frühe Kissin, der ganze Glasbauten in die Luft sprengte. Man vergleiche nur beider Interpretationen des b-MollKonzerts von Peter Tschaikowsky: Kissin und Trifonov "
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BERLINER PHILHARMONIKER — BEARBEITUNGEN
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DER UNGESCHMACK DES ARRANGEMENTS Musikalische Bearbeitungen sind ungeliebt, aber lukrativ – und manchmal auch bereichernd. Vo n K a r l B ö h m e r
S A M S TAG M O R G E N auf dem Weg zum Supermarkt. Aus dem Autoradio tönen die schönen acht Stücke von Max Bruch für Klarinette, Viola und Klavier, doch die Viola fehlt. Ein Bassetthorn spielt ihren Part. Zweifel kommen auf: Hatte Bruch nicht ein feines Gehör für Timbres? Wusste er nicht, was er welchem Instrument anvertrauen konnte und was nicht? Robert Schumann protestierte in ähnlicher Situation einmal gegen den Vorschlag seines Verlegers, seine Oboenromanzen auch für Klarinette herauszugeben: »Wenn ich originaliter für Klarinette und Klavier komponiert hätte, würde es wohl etwas ganz anderes geworden sein.« Schumann würde sich wundern, auf welchen Instrumenten heute sein Opus 94 gespielt, eingespielt und gesendet wird. In einer Zeit, die längst zum »Sampeln« klassischer Musik in Rap und Hip-Hop übergegangen ist, sind derlei Besetzungsvarianten romantischer Kammermusik lässliche Sünden. Sie sind die einfachste Form musikalischer Bearbeitungen.
Übrigens hielt dieses Verdikt Brahms nicht davon ab, einem Freund mit einer kammerorchestralen Fassung einiger »Liebeslieder-Walzer« auszuhelfen – eine Bearbeitung, die einst Nikolaus Harnoncourt mit großem Genuss im Konzertsaal dirigiert hat. So hermetisch sich die großen Meister nämlich gegen den Bearbeitungswahn sperrten, so regelmäßig erlagen sie selbst der Versuchung, sich auf dieses Parkett zu wagen – und sei es nur, um es nicht kampflos anderen zu überlassen. Beethoven ist das Musterbeispiel eines Komponisten, der unautorisierte Bearbeitungen seiner Werke öffentlich geißelte. Im Juli 1802 ereiferte er sich über die »unnatürliche
Beethoven ereiferte sich über die »unnatürliche Wut der Überpflanzung«.
MÖG LICH ST AN D E R S M US I Z I E RT
In der Spätromantik, zu Beginn der Massenvermarktung von Musik, wehrten sich die Komponisten noch gegen den Widersinn willkürlicher Versionen: »Es würde mich nicht wundern, wenn sie meinen ›Peer Gynt‹ demnächst noch für Piccolo und Bassposaune bearbeiteten«, wetterte Edvard Grieg gegen die Vermarktung seines populärsten Werks. Besonders ätzend konnte Johannes Brahms werden, wenn es um Bearbeitungen ging. Sarkastisch riet er seinem Verleger Fritz Simrock, er möge doch »stillschweigend Rücksicht nehmen auf die heutige Unsitte, alles mit mehr oder weniger Ungeschmack möglichst anders zu musizieren, als der Komponist schrieb [...] Wie denn z. B. meine Liebeslieder vom Chor und gar mit Orchester musiziert werden!«
Wut, sogar Klaviersachen auf Geigeninstrumente überpflanzen zu wollen«. Um die Hindernisse zu überwinden, müsse man »entweder selbst der Meister sein oder wenigstens dieselbe Gewandtheit und Erfindung haben [...] Ich habe eine einzige Sonate von mir in ein Quartett von Geigeninstrumenten verwandelt, worum man mich so sehr bat, und ich weiß gewiß, das macht mir nicht so leicht noch ein anderer nach«. Nun gut: Selbst sein treuer Schüler Ferdinand Ries wagte nach dem Tod des Meisters, ein Quartettarrangement der Klaviersonate op. 31 Nr. 3 herauszugeben. Ein Jahrhundert später orchestrierte Felix Weingartner die »Hammerklaviersonate«. Man kann beiden nicht "
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VOLLE TUBA Wie Andreas Martin Hofmeir zum Star seines Fachs wurde Vo n O l i ve r H o c h ke p p e l
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E I N B I S S C H E N F Ü H LT E R S I C H schon als Familienmitglied der Berliner Philharmoniker, der Tubist Andreas Martin Hofmeir. »Wenn ich heute beim Künstlereingang hereinkomme, dann sagen die Pförtner: ›Ah, da kommt wieder unser verrückter Bayer‹«, erzählt er mit dem ihm eigenen Humor. Fast zweieinhalb Jahre lang war Hofmeir Stipendiat der Orchester-Akademie: »Ich habe annähernd achtzig Konzerte gespielt. Mein Vorgänger in der Akademie genau eines.« Fast wäre er sogar Mitglied der Philharmoniker geworden. »Aber im entscheidenden Probespiel war ich doch erstmals richtig nervös. So schlecht habe ich in meinem Leben nie wieder gespielt. Und da sind sie dann in Berlin gnadenlos fair. Es wird nur der Beste genommen.« Heute sieht Hofmeir das mehr mit einem lachenden als einem weinenden Auge: »Alles, was bei mir danach kam, wäre nie passiert, wenn es mit den Philharmonikern geklappt hätte. Ich hätte dann kaum Zeit für anderes gehabt. Und wenn du im besten Orchester der Welt sitzt, gibst du das für nichts anderes mehr auf. Es ist ja auch so gut wie noch nie ein Berliner Philharmoniker in ein anderes Orchester gegangen.« Als neutraler Beobachter muss man also festhalten, dass die Welt zwar die Chance auf einen besonderen Berliner Philharmoniker verloren, dafür aber ein Unikum der deutschen Kulturlandschaft und den wirkmächtigsten Propagandisten für die Tuba gewonnen hat.
Foto: Philippe Gerlach
VI E LS E ITIG VI RTUOS
Denn einen virtuoseren, vielseitigeren und umtriebigeren Vertreter seines Fachs wird man derzeit nicht finden. Hofmeir konzertiert ständig mit den besten klassischen Orchestern; als Kammermusiker spielte er unter anderem mit dem Scharoun Ensemble Berlin, dem Blechbläserquintett der Münch" ner Philharmoniker und dem Heavy Tuba Ensemble;
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B E R L I N E R P H I L H A R M O N I K E R — L E B E N S PA R T N E R
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MEIN INSTRUMENT A LS LEBENSPA RTNER Diesmal mit Julia Gartemann und ihrer Bratsche
M E I N E B R AT S C H E habe ich vor etwa 13 Jahren kennengelernt – ich war damals schon Mitglied bei den Berliner Philharmonikern –, und ich wusste sofort, dass sie zu mir passen würde. Nächstes Jahr hat sie einen runden Geburtstag, sie wird 250 Jahre alt! Und ich habe heute das Gefühl, dass nicht sie mein Lebenspartner ist, sondern dass eher ich es bin, die sie eine Zeit lang begleitet. Meine Viola hat schon viel mehr erlebt als ich, und sie wird mich sicher überleben. Ich wüsste sehr gerne, wer schon auf ihr musiziert hat, welche Musik auf ihr gespielt wurde und in welchen Ländern sie schon war. Ich fand vom ersten Moment an, dass sie mir ähnlich ist. Sie ist auf jeden Fall auch weiblich, ich wollte ihr aber keinen Namen geben. Sie ist nicht empfindli h, was Temperaturen, Luftfeuchtigkeit und Reisen angeht. Sie ist überhaupt nicht schwierig und macht eigentlich fast immer, was ich möchte. Ich bin auch ein eher ausgeglichener Mensch, und meine Stimmung hängt meistens nicht so sehr von äußeren Umständen ab. Wenn ich auf meiner Viola spiele, fühle ich mich mit ihr im Idealfall fast zu einer Einheit verschmolzen, ich vergesse, wie ich zum Beispiel gerade meine linke Hand oder meinen kleinen Finger bewegen wollte. Ich denke Musik, und mein Instrument ist wie meine Stimme. Als Jugendliche habe ich von der Geige zur Bratsche gewechselt, da mir beim Musizieren besonders der Klang wichtig ist. An meinem Instrument mag ich sehr seinen dunklen, samtigen, aber auch strahlenden und fokussierten Klang. Die Bratsche ist wesentlich kraftaufwendiger zu spielen als die Geige, auch der Bogen muss anders ge-
führt werden. Ich weiß, dass mein Körper eigentlich nicht dafür ausgelegt ist, Bratsche zu spielen. Ich bin zu schmal, habe zu dünne Finger und muss das durch Üben und mit Pilates und anderen Fitnessübungen ausgleichen. Im Sommer machen meine Bratsche und ich für etwa drei Wochen Pause. Jeder geht dann zur Kur oder in den Urlaub, sie wird beim Geigenbauer poliert und gepflegt, ich fahre weg. Wie in jeder gut funktionierenden Beziehung schadet Abstand zueinander gar nicht. Danach ist es für mich zwar immer etwas merkwürdig, wieder zu spielen, ich freue mich aber auch wieder sehr darauf. Die Bratsche ist mir nach den Ferien natürlich nicht fremd, aber meine Finger müssen sich wieder an die Anstrengung gewöhnen. Unter der Woche verbringe ich mit dem Instrument manchmal mehr Zeit als mit meinem Ehemann oder meinem kleinen Sohn. Die Zeit mit meiner Bratsche ist mir sehr wertvoll und wichtig. Weil mein Instrument so gut zu mir passt, zierlich vom Korpus und doch klanglich kraftvoll, habe ich Angst davor, es zu verlieren. Besonders auf Reisen hüte ich meine Viola wie meinen Augapfel. Es wäre sehr schwer, sie zu ersetzen. Wenn ich ein Bild der Persönlichkeit meiner Bratsche zeichnen würde, wäre sie hübsch, dunkelhaarig, eher kompakt von der Figur her, aber mit feinen Gesichtszügen und immer mit einem strahlenden Lächeln. Sie wäre insgesamt eine elegante Erscheinung, aber nicht extravagant, eine eher bedeckte Schönheit. Ich wünsche mir, dass sie so schön bleibt und noch einige hundert Jahre existiert. < Aufgezeichnet von Katharina Fleischer
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Foto: Stefan Hรถderath
FEUILLETON
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Im Gleichschritt – Beethoven! E i n B e s u c h b e i m S t a b s m u s i k ko r p s d e r B u n d e s we h r, d e m m u s i k a l i s c h e n R e p r ä s e n t a n te n d e r R e p u b l i k
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16 Saiten für die Blume D i e C a m p a n u l a , e i n j u n g e s M i tg l i e d i n d e r F a m i l i e d e r S t r e i c h i n s t r u m e n te , s u c h t i h r e n P l at z i n d e r M u s i k
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F E U I L L E T O N â&#x20AC;&#x201D; S TA B S M U S I K K O R P S
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IM GLEICHSCHRITT – BEETHOVEN! Ein Besuch beim Stabsmusikkorps der Bundeswehr, dem höchsten musikalischen Repräsentanten der Republik. Vo n N at a l i e S c hwa r z F o to s vo n S te f a n H ö d e r at h
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F E U I L L E T O N — S TA B S M U S I K K O R P S
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»ALLES AUF! AAACH-TUNG!«, befiehlt Hauptmann
Kalweit, und fünfzig Musiker springen auf. »Herr Oberstleutnant, ich melde das Stabsmusikkorps der Bundeswehr, wie befohlen, angetreten.« Der helle Probensaal der Julius-Leber-Kaserne in Berlin ist moderner, als es die sanierungsbedürftigen Fassaden von außen vermuten lassen. Alexander Kalweit, der Zweite Musikoffizier, studiert mit der Truppe gerade ein Konzertprogramm ein, als der Chef vorbeikommt und erst einmal ordnungsgemäß salutiert werden muss. Der Chef, das ist Oberstleutnant Reinhard Kiauka, 48. Er hat den Vormittag an seinem Schreibtisch verbracht, um die jährlichen Beurteilungen für seine Musiker zu schreiben. Davon hängen Karrieren ab. Die Verbindung von Militär und Musik prägt Kiaukas Leben: Gleich nach dem Abitur begann er beim Ausbildungsmusikkorps der Bundeswehr, ab 1989 studierte er an der Robert-Schumann-Hochschule Düsseldorf Dirigieren und Klavier. Seine Laufbahn begann er als Zweiter Musikoffizier in Ulm und Münster, seit 2014 leitet er das Stabsmusikkorps in Berlin – und damit den prominentesten Klangkörper der Bundeswehr. Insgesamt 14 Klangkörper führt das Zentrum Militärmusik der Bundeswehr in Bonn, davon zehn Flächenmusikkorps und vier Musikkorps mit besonderen Aufgaben. Sie alle werden als »klingende Botschafter« mit repräsentativen Aufgaben betrachtet: Öffentlichkeitsarbeit, karitative Konzerte und einige Male im Jahr die Durchführung des Großen Zapfenstreichs, des höchsten Zeremoniells der Bundeswehr. Das Stabsmusikkorps der Bundeswehr in Berlin ist außerdem auch für die Begrüßung von Staatsgästen zuständig – und spielt dabei jedes Jahr über siebzig verschiedene Nationalhymnen. D R E I M O N AT E I M D R E C K
64 Instrumentalisten – ausnahmslos Bläser und Schlagwerker – spielen im Stabsmusikkorps, darunter drei Frauen. Eine von ihnen ist die Oboistin Susanne Brüngel. Schon während ihres Studiums der Musikpädagogik war ihr klar, »dass es nicht einfach werden würde als Lehrerin«. Feste Stellen gibt es praktisch nicht mehr, und freiberuflich von einer Musikschule zur nächsten tingeln wollte sie nicht. Dann empfahl ihr ein geigender Kommilitone, der seinen Wehrdienst in einem Musikkorps absolviert hatte, es bei der Bundeswehr zu versuchen. Denn die Oboe ist ein sogenanntes »Mangelinstrument«, Oboisten sind gesucht. Deshalb spielte es zunächst keine Rolle, dass Susanne Brüngel damals die körperlichen Voraussetzungen für die Aufnahme in die Bundeswehr nicht erfüllte: zu unsportlich. Aber auch als Seiteneinsteigerin musste sie, wie alle anderen Soldaten, dann die dreimonatige Grundausbildung und alle sportlichen Prüfungen absolvieren. Rücksicht auf die körperlichen Empfindlichkeiten "
Rund siebzig Mal im Jahr begrüßt das Stabmusikkorps Staatsgäste mit deren Hymnen.
r e c hts o b e n
Probe in der Julius-Leber-Kaserne: Gustav Holsts »Die Planeten« und die Nationalhymne von Portugal r e c hts u nte n
Auf dem Sportplatz der Kaserne probt der Spielmannszug, der zum Stabsmusikkorps gehört. unten
Oberstleutnant Reinhard Kiauka, der Leiter des Stabsmusikkorps
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F EU I L L E TO N — C A M PA N U L A
16 SAITEN FÜR DIE BLUME Die Campanula, ein junges Mitglied in der Familie der Streichinstrumente, sucht ihren Platz in der Musik. Vo n A n n e t te Ku h n F o to s vo n A n n e t te H a u s c h i l d
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S E I T L A N G E M B EWÄ H RT, gründlich erforscht, bis
ins Detail perfektioniert: Klassische Musikinstrumente kann man mit Fug und Recht als ausgereifte Technologie bezeichnen. Wirkliche Neuentwicklungen sind selten geworden; das 1840 erfundene Saxofon gilt als letzte große Neuschöpfung vor der Entstehung elektronischer und digitaler Instrumente. Nach Angaben der deutschen Musikinstrumentenhersteller gibt es in der Branche landesweit etwa 1200 Betriebe – und in den meisten dieser Werkstätten werden Instrumente bis heute nach jahrhundertealten Plänen gebaut. Und doch gibt es immer wieder interessante Experimente oder kleine, feine Weiterentwicklungen. Der Berliner Gitarrenbauer Adrian Heinzelmann etwa ließ sich von Techniken aus dem Flugzeugbau inspirieren und entwickelte eine Hohlstruktur für die Holzdecke des Instruments, die den Klang voller werden lässt. Im vergangenen Frühjahr wurde er dafür mit dem Deutschen Musikinstrumentenpreis ausgezeichnet. Auch die Klavierwelt hat seit Kurzem eine Novität zu verzeichnen: Angeregt von einem zweihundert Jahre alten Flügel, der einst Franz Liszt gehörte, gab Daniel Barenboim in London ein Instrument in Auftrag, das die Stabilität und Ausgeglichenheit heutiger Konzertflügel mit der klanglichen Transparenz ihrer Vorgänger verbinden soll – indem die Saiten nicht wie im modernen Flügel über Kreuz, sondern so wie einst parallel gespannt werden. RE SONAN Z UND R AUM
Im Bereich der Streichinstrumente hat der Instrumentenbauer Helmut Bleffert für eine Innovation gesorgt. Und für ihn kam die Inspiration dazu auftragsgemäß von einer Blume: Ein Kunde wünschte sich Anfang der Achtzigerjahre ein neues Streichinstrument, das einer Blütenform nachempfunden sein sollte. Bleffert entschied sich
Die Campanula lässt sich spielen wie ein Cello – und klingt doch anders, voller. für die Glockenblume mit ihren reichen Blüten, und sie gab dem Instrument denn auch ihren schönen botanischen Namen: Campanula. Ein bisschen Fantasie ist allerdings nötig, um die Form der Blüte im Umriss der Campanula wiederzufinden. Sie ähnelt einem Cello, nur etwas schlichter, im oberen Teil runder, im unteren an den Seiten spitzer. Sie hat die gleichen Abmessungen und lässt sich wie ein Cello spielen. Und doch klingt sie anders, voller. Denn es ist mehr zu hören als nur ein Ton, und ihr Klang scheint sich auf eine ganz besondere Weise im Raum auszubreiten.
Georg Faust mit Campanula und klassischem Cello
Für diesen Eindruck sorgen die 16 Resonanzsaiten, die zusätzlich zu den vier Spielsaiten über den gesamten Instrumentenkörper gespannt sind und auf kleinen Stegen liegen. Bei jedem gestrichenen Ton schwingen sie mit und lassen einen intensiven Nachklang entstehen. Inzwischen gibt es auch Geigen und Bratschen als Campanula: die Bratsche mit acht, die Geige mit sieben Resonanzsaiten. »Dadurch eignen sich diese Instrumente sehr gut für Alte Musik bis hin zum Barock und für viele zeitgenössische Werke«, sagt der Komponist und Cellist Michael Denhoff. »Beethoven oder Brahms hingegen würde ich weniger darauf spielen.« Denhoff war einer der ersten, denen Helmut Bleffert seine neue Campanula zeigte. Er erinnert sich: »Erst mal habe ich ihn abgewimmelt, weil ich dachte: Ach, noch so ein selbstgebasteltes Instrument …« Aber Bleffert ließ nicht locker, so kamen die beiden doch zusammen – und Denhoff war begeistert. So sehr, dass er kurz darauf ein Werk von Günter Bialas, das eigentlich für Cello komponiert war, nun mit der Campanula uraufführte. Denhoff selbst schrieb 1986 das erste Originalwerk für die Campanula, genau genommen für drei Campanulen. »Dieses Instrument ist eine ernst zu nehmende Bereicherung der Streicherfamilie«, sagt er. »Damit sie aber ihren Platz in der Musikwelt findet, muss es viele gute Eigenkompositionen geben.«
Lesen Sie weiter in
S P O N TA N E I TÄT U N D F R E I H E I T
der aktuellen
Nicht weniger wichtig aber ist es für die Campanula, dass Ausgabe Nr. sie viele Freunde findet und junge Musiker die " 03/2016
NACHSPIEL — BÜCHER UND CDS
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W IEDER ENTDECKT Ein Sachbuch und eine klassische CD, neu empfohlen. Diesmal von Walter Küssner
Buch
Rosendorf Quartett Nathan Shacham 354 Seiten Insel Verlag, Frankfurt am Main Taschenbuchausgabe vergriffen, aber antiquarisch erhältlich ISBN: 978-3-4583-3261-9
Als Leseempfehlung möchte ich das Buch »Rosendorf Quartett« von Nathan Shacham nennen. Es spielt im Palästina Ende der 1930er-Jahre und erzählt die fiktive Ges hichte eines Streichquartetts während der Gründungszeit des Palestine Orchestra (dem heutigen Israel Philharmonic Orchestra). Bronisław Hubermann, ein Protegé unseres Orchestergründers Hermann Wolff, hatte das Orchester 1936 gegründet. Es bestand vorwiegend aus jüdischen Emigranten aus Deutschland und Osteuropa. Die vier Protagonisten des Rosendorf Quartetts, allesamt Stimmführer des Palestine Orchestra, sind deutschstämmig, von ihrer künstlerischen und intellektuellen Ausrichtung jedoch sehr unterschiedlich. Wie so oft spielt in dem Roman die einzige Frau des Quartetts, die Bratschistin, eine Schlüsselrolle. Man erfährt viel über das damalige Leben in Palästina, über das Leben im Kibbuz, sowie über den Aufbau des kulturellen Lebens in Palästina. Der Versuch der Einwanderer, die aus Europa gewohnte Normalität des Alltags auf die neue
Heimat zu übertragen, wird beeindruckend geschildert. Das Besondere an »Rosendorf Quartett« ist aber, dass die Geschichte dieses Ensembles aus fünf verschiedenen Perspektiven erzählt wird. Jeder der vier Musiker und ein außenstehender befreundeter Schriftsteller erzählen in je einem Kapitel ihre Version der Quartettgeschichte. Auf faszinierende Weise wird dem Leser vorgeführt, wie subjektiv dabei die jeweils eigene Sichtweise ist, wie viele Missverständnisse es unbewusst in dieser Quartettgemeinschaft gibt. Manchmal hat man fast den Eindruck, dass es sich um fünf komplett verschiedene Geschichten handelt! Mich hat das Buch fasziniert und nachdenklich gemacht. Wie oft glaubt man, die alleinige Wahrheit zu kennen, wie oft vergisst man zu akzeptieren, dass andere Menschen durch andere Erfahrungen auch andere Wertigkeiten und Sichtweisen haben! Neben diesem Erzählansatz beeindruckt das Buch mit großem Fachwissen über Musik und das Quartettspiel.
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Walter Küssner stammt aus Münster. Seine Ausbildung zum Bratschisten erhielt er u. a. bei Jürgen Kussmaul in Düsseldorf und Kim Kashkashian in New York. 1987 wurde er Mitglied des Symphonieorchesters des Bayerischen Rundfunks. Zwei Jahre später wechselte er zu den Berliner Philharmonikern, wo er auch im Philharmonischen Streichsextett und -oktett, im Philharmonischen Capriccio, im Athenäum-Quartett, bei den Berliner Barock Solisten, bei Concerto Melante und den Philharmonischen Streichersolisten mitwirkt. Als Gastprofessor für Viola unterrichtet er an der Hochschule für Musik »Hanns Eisler« Berlin. Außerdem betreut er das Archiv des Orchesters und widmet sich dessen Geschichte. Foto: Sebastian Hänel
CD
Claudio Abbado Berliner Philharmoniker Gioacchino Rossini Il Viaggio a Reims Sony Classical S2K 53336, 2 CD
Während meiner 28 Jahre bei den Berliner Philharmonikern hatte ich das große Glück, viele besondere Konzerte erleben zu dürfen. Ich bin sehr dankbar dafür und werde diese Konzerte nie vergessen. Sollte ich eine persönliche Rangliste dieser Konzerte nach der Bedeutung für mich erstellen, so würde diese angeführt durch das berühmte »Mauerfallkonzert« unter Daniel Barenboim. Vielleicht zählt es nicht unbedingt in musikalischer, dafür aber in emotionaler und menschlicher Hinsicht zu den bewegendsten Momenten meines Lebens. Ganz weit oben in dieser Liste kommen auch die beiden Programme unter Carlos Kleiber, einige Mahler-Symphonien unter Claudio Abbado, sowie die »Matthäus-Passion« unter Sir Simon Rattle. Auf Platz zwei meiner persönlichen Rangliste aber steht die halbszenische Aufführung von Rossinis »Il Viaggio a Reims« (Die Reise nach Reims) unter Claudio Abbado im Oktober 1992. Abbado hatte die führenden Sänger der damaligen Zeit um sich versammelt. Das Orchester, welches zu der Zeit eigentlich als Inbegriff des massiven
und romantischen Klangkörpers galt, spielte mit einer Eleganz und Leichtigkeit, die wohl kaum einer für möglich gehalten hätte. Wir Musiker waren elektrisiert! Die Leichtigkeit, der Spaß beim Musizieren – es war wie Champagner! Noch heute habe ich vor Augen, wie Sylvia McNair engelsgleich singend die Stufen zum Konzertpodium herunterschreitet und zwischen uns Musikern wandelt, wie Ruggero Raimondi mit seinem unnachahmlichen Charme die verschiedenen Nationalitäten persifliert. Nie habe ich eine so ausgelassene Stimmung seitens des Orchesters und des Publikums erlebt wie nach dem Schluss dieses grandiosen Spaßes! Im Finale traten die Sänger mit selbstgebastelten Transparenten mit »Viva Claudio« und ähnlichen Parolen auf. Der Applaus war mit über vierzig Minuten wohl der längste, den ich je erlebt habe. Zum Glück wurde diese Aufführung auf CD festgehalten. Diese »Reise nach Reims«, dieser Glücksmoment meines Musikerlebens, ist meine persönliche Hörempfehlung.
N ACHS P I EL — KO N Z ER T K A L EN D ER
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KONZERTE
d e r S t i f tu n g B e r l i n e r P h i l h a r m o n i ke r
September – Oktober – November
FR 26.08 . 19 U H R
D I 20.09. 20 U H R
Philharmonie
Kammermusiksaal
Berliner Philharmoniker Sir Simon Rattle
Dirigent
Boulez Éclat (1. Fassung von 1965) Mahler Symphonie Nr. 7 SA 27.08 .
Kulturforum Berlin Berliner Philharmoniker Open Air 2016 In Zusammenarbeit mit der Deutschen Bank 16 U H R
Syrian Expat Philharmonic Orchestra Mariano Domingo Dirigent Ruegenberg UNISONO sowie syrische symphonische Musik
»BIX«– Eine Bix-Beiderbecke-Hommage Kuratiert von Siggi Loch DO 22 .09. 20 U H R FR 23.09. 20 U H R SA 24 .09. 19 U H R
Dirigent
Brahms Symphonie Nr. 2 D-Dur Dvořák Slawische Tänze op. 46
Philharmonie Dirigent
Debussy Prélude à l’après-midi d’un faune Varèse Arcana (revidierte Fassung von 1960) Berlioz Symphonie fantastique DO 15.09. 20 U H R FR 16.09. 20 U H R SA 17.09. 19 U H R
Dirigent
Honegger Symphonie liturgique Dutilleux Métaboles Debussy La Mer
Education lädt ein Orchester des Musikgymnasiums Schloss Belvedere – Hochbegabtenzentrum der Hochschule für Musik »Franz Liszt« Weimar Jörg Brückner Horn Joan Pagès Valls Dirigent Ligeti Concert Românesc Jacob Hornkonzert Mendelssohn Symphonie Nr. 1 c-Moll Eintritt frei DO 29.09. 18 U H R
Kammermusiksaal
Philharmonie Berliner Philharmoniker John Adams Leila Josefowicz
Dirigent Bariton
Dvořák Rusalka-Fantasie, Suite aus der Oper zusammengestellt von Manfred Honeck, orchestriert von Tomáš Ille Strauss Orchesterlieder Schubert Lieder instrumentiert für Orchester Dvořák Symphonie Nr. 8 G-Dur
Umsungen – Die Welt der Vokalmusik Christian Gerhaher Bariton Gerold Huber Klavier Dvořák Biblische Lieder op. 99 Schumann Sechs Gedichte von Nikolaus Lenau und Requiem op. 90 Drei Gesänge op. 83 Liederkreis op. 35
Kammermusiksaal
FR 09.09. 20 U H R SA 10.09. 19 U H R
Berliner Philharmoniker Andris Nelsons
Berliner Philharmoniker Manfred Honeck Matthias Goerne
SO 02 .10. 20 U H R
M I 28 .09. 19 U H R
Eintritt frei
Philharmonie
Kammermusiksaal
Philharmonie Berliner Philharmoniker Daniele Gatti
18 U H R
Berliner Philharmoniker Sir Simon Rattle
Jazz at Berlin Philharmonic Echoes of Swing Bernd Lhotzky Klavier und Gesamtleitung Mulo Francel C-Melody-Saxofon Shannon Barnett Posaune Henning Gailing Kontrabass Pete York Schlagzeug Klaus Doldinger Saxofon (Special Guest)
DO 29.09. 20 U H R FR 30.09. 20 U H R SA 01.10. 19 U H R
Dirigent Violine
Adams Harmonielehre Sheherazade.2 – Deutsche Erstaufführung
Carte blanche Orchester-Akademie der Berliner Philharmoniker Das Programm wird noch bekannt gegeben. Eintritt frei
M I 05.10. 20 U H R
Kammermusiksaal Daniil Trifonov
Klavier
Schumann Kinderszenen op. 15 Toccata C-Dur op. 7 Kreisleriana op. 16 Schostakowitsch 24 Präludien und Fugen op. 87 (Auswahl) Strawinsky Trois Mouvements de Petrouchka DO 06.10. 20 U H R FR 07.10. 20 U H R SA 08 .10. 19 U H R
Philharmonie Berliner Philharmoniker Bernard Haitink Christian Elsner Christian Gerhaher Schubert Symphonie Nr. 7 h-Moll »Unvollendete« Mahler Das Lied von der Erde
Dirigent Tenor Bariton
128 DAS MAGAZIN DER
BERLINER PHILHARMONIKER V E R PA S S E N SIE K E INE AUSG ABE MEHR! IHRE VORTEILE IM ABONNEMENT
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VORSPIEL — Z AHLENSPIEL
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SA 08 .10. 15 U H R SO 09.10. 11 U H R
M I 26.10. 20 U H R DO 27.10. 20 U H R FR 28 .10. 20 U H R
Kammermusiksaal Familienkonzert – Ein gefährlicher Besuch Mitglieder der Berliner Philharmoniker Iwer Steinsuppe – Uraufführung SO 09.10. 16 U H R SO 16.10. 16 U H R
Kammermusiksaal Der philharmonische Salon Peter Matić Sprecher Cornelia Gartemann Violine Olaf Maninger Violoncello Alexander Bader Klarinette Cordelia Höfer Klavier Götz Teutsch Programmgestaltung Berta Zuckerkandl – Bilder aus dem Wien der Jahrhundertwende Musik von Mahler, Strauß, Schönberg, Berg, Zemlinsky, Webern u. a. Texte von Zuckerkandl, Strauß, Klimt, Schnitzler, Mahler-Schindler, Mahler, Bahr, Hofmannsthal, Meysels u. a. DO 13.10. 20 U H R FR 14 .10. 20 U H R SA 15.10. 19 U H R
DO 10.11. 20 U H R
Kammermusiksaal Emerson String Quartet
Philharmonie Berliner Philharmoniker Iván Fischer Christiane Karg
Dirigent Sopran
Enescu Prélude à l’unisson Bartók Musik für Saiteninstrumente, Schlagzeug und Celesta Mozart Arien für Sopran und Orchester Symphonie Nr. 38 D-Dur »Prager«
Kammermusiksaal Carte blanche Orchester-Akademie der Berliner Philharmoniker Das Programm wird noch bekannt gegeben. Eintritt frei SA 29.10. 20 U H R
Kammermusiksaal Prisma Kammermusik Bolero Berlin
SA 26.11. 20 U H R
FR 04 .11. 20 U H R
Franck Le Chasseur maudit Rachmaninow Paganini-Rhapsodie Rimsky-Korsakow Scheherazade, Symphonische Suite
Philharmonie Berliner Philharmoniker Sir Simon Rattle
Dirigent
Webern Sechs Stücke für großes Orchester op. 6b Schönberg Fünf Orchesterstücke op. 16 Berg Drei Orchesterstücke op. 6 Brahms Symphonie Nr. 2 D-Dur
M I 19.10. 20 U H R
Kammermusiksaal Ausstellungsfoyer Der philharmonische Diskurs Teil 1: Zwischen Biografie und Autobiografie die Rolle des Interpreten Igor Levit und Norbert Lammert im Gespräch mit Wolfgang Herles SO 23.10. 20 U H R
Philharmonie – Karl-Schuke-Orgel Orgel & Stummfil Guy Bovet
Philharmonie Dirigent
Boulez Éclat (1. Fassung von 1965) Mahler Symphonie Nr. 7 SO 06.11. 11 U H R
Kammermusiksaal Orgel
Berlin – Die Sinfonie der Großstadt, Dokumentarfilm von alter Ruttmann aus dem Jahre 1927
Jazz at Berlin Philharmonic Christian Zehnder Wippkordeon Rom Schaerer Eberle Trio Matthias Loibner Christof Dienz Andreas Martin Hofmeir
Orchester-Akademie der Berliner Philharmoniker Kolja Blacher Violine und Leitung Akademie I: Hommage à Yehudi Menuhin zum 100. Geburtstag Britten Variations on a Theme of Frank Bridge Brahms Streichsextett Nr. 2 G-Dur Bach Violinkonzert a-Moll BWV 1041 Beethoven/Tognetti Violinsonate Nr. 9 A-Dur »Kreutzer-Sonate«
Stimme und
Drehleier Zither Tuba
Alpen-Jazz Kuratiert von Siggi Loch D I 29.11. 20 U H R
Kammermusiksaal Marc-André Hamelin
SA 05.11. 19 U H R
Berliner Philharmoniker Sir Simon Rattle
Violine
Geminiani Concerto grosso Nr. 12 d-Moll »La Follia« Marcello Sinfonia G-Dur Vivaldi Violinkonzert e-Moll RV 281 Konzert für zwei Violinen a-Moll RV 523 Violinkonzert C-Dur RV 187 Violinkonzert F-Dur RV 283 Violinkonzert D-Dur RV 232
Kammermusiksaal
Tabu »Neue Welt« – vom brasilianischen Choro bis nach New York
Dirigent Klavier
D I 22 .11. 20 U H R
Kammermusiksaal Originalklang Venice Baroque Orchestra Giuliano Carmignola
FR 28 .10. 18 U H R
Philharmonie Berliner Philharmoniker Tugan Sokhiev Nikolai Lugansky
Barber Adagio op. 11 Turnage Shroud, Auftragswerk der Stiftung Berliner Philharmoniker gemeinsam mit der Wigmore Hall und weiteren Institutionen – Deutsche Erstaufführung Tschaikowsky Streichquartett Nr. 3 es-Moll
Klavier
Haydn Klaviersonate C-Dur Hob. XVI:48 Feinberg Klaviersonate Nr. 2 a-Moll op. 2 Klaviersonate Nr. 1 A-Dur op. 1 Beethoven Klaviersonate f-Moll op. 57 »Appassionata« Brahms Drei Intermezzi op. 117 Ravel Jeux d’eau Ravel/Hamelin La Valse
12 8 â&#x20AC;&#x201D; A U S G A B E N R . 0 3 . 2 016
K A MENSK YS GEIGENHUMOR
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NACHSPIEL — IMPRESSUM
128
IMPR ESSUM
c hs te D ie nä int am rsche e e b Ausg a r 2016 e b m e 6 . Dez
128 – Das Magazin der Berliner Philharmoniker wird herausgegeben von der Berliner Philharmonie gGmbH für die Stiftung Berliner Philharmoniker Herbert-von-Karajan-Straße 1, D–10785 Berlin Telefon: +49 (0)30 254 88-0, Fax: +49 (0)30 254 88 323 E-Mail: magazin128@berliner-philharmoniker.de Internet: www.berliner-philharmoniker.de
Herausgeber
Martin Hoffmann
Chefredakteur
Carsten Fastner
Redaktion Redaktionelle Mitarbeit
Bildredaktion Korrektorat Art Direktion und Gestaltung Illustrationen
Gerhard Forck (GF) Arnt Cobbers (AC), Harald Hodeige (HH), Nicole Restle (NR), Alexandra Sauer (AS) Stephan Kock Natalie Schwarz, Mária Géczi, Anne Schkutek Alexandra Sauer, Hendrikje Scholl Joppe Berlin: Rüdiger Joppe, Annette Gräf Joppe Berlin: Rüdiger Joppe, Frances Franzke Cover: akg-images / Erich Lessing, Composing: Joppe Berlin S. 3, Martin Hoffmann, Porträt: Kinky Illustrators S. 98, Fotos: Annette Hauschild
Credits
Berliner Philharmonie gGmbH, Herbert-von-Karajan-Str. 1, D –10785 Berlin
Verlag Anzeigen Anzeigenvermarktung
Erscheinungsweise
Natalie Schwarz Runze & Casper Werbeagentur GmbH Evelyn Alter, E-Mail: alter@runze-casper.de, Tel. +49 (0)30-280 18 149 4 × jährlich
Auflag
14.000 Exemplare
Druck
Enka-Druck Großbeerenstraße 2, D –12107 Berlin Printed in Germany
Vertrieb
Axel Springer Vertriebsservice GmbH Süderstraße 77, D – 20097 Hamburg www.as-vertriebsservice.de
ISSN
2194-0694
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