Carl Blechen und Carl Gustav Wegener im Dialog (Leseprobe)

Page 17

Romantik oder Realismus? War derjenige, der sich angesichts vieler anderer Themen der Zeit nach 1815 der Landschaftsmalerei verschrieb, schon an und für sich ein heilloser Romantiker? Die Betrachtung einer kleinen Auswahl an Gemälden aus jenen Jahrzehnten zeigt die geistige Spannbreite innerhalb der Landschaftskunst: Schinkels Darstellung einer mittelalterlichen Stadt ist der Entwurf eines gesellschaftlichen Idealbildes (Abb. 4). Ein Herrscher reitet auf seine Burg, die sich am linken Bildrand erhebt. Die Bürger der Stadt eilen dem Herrscher zur Begrüßung entgegen. Der unvollendete Dom erinnert an den Kölner Dom, die Gotik an die nationale Architektur. Die Unwetter der napoleonischen Besatzung haben sich verzogen, ein Regenbogen ist sichtbar. Nur ein Eremit ganz unten am Bildrand beteiligt sich nicht an diesem freudigen irdischen Treiben. Blechen antwortet mit seinem frühen Hauptwerk, der »Felslandschaft mit einem Einsiedler« (Abb. 3 , Kat. 51).16 Indem er diesen Einsiedler zur Hauptfigur macht, den Fels Grimassen schneiden lässt, eine abgebrochene Kiefer in die Bildmitte setzt, ist alles patriotische Pathos verflogen. Der gewünschte Einklang mit dem Weltganzen ist nur noch büßend in der Abgeschiedenheit zu erlangen: Bilddetails, die nichts miteinander zu tun zu haben scheinen, ermöglichen hier eine Deutung. August Wilhelm Schirmer setzt drei große, wohlgebaute und unbeschädigte Pinien, die sich symmetrisch zu einem großen Schirm vereinen, in die Mitte des Bildes (Abb. 5). Links ist der Ausblick in die Umgebung Tivolis, rechts der Blick in die kühlen Fontänen des Parks möglich. Hauptmotiv ist die durchsonnte Terrasse, wo zwei Italienerinnen einem Mandolinenspieler lauschen. Die Bildzeichen des Sehnsuchtslandes Italien sind bekannt, deshalb beginnt der Betrachter nicht nach hintergründigen Botschaften zu suchen.

Romantik und Realismus

Blechen+Wegener.indd 17

Abb. 6 | Carl Blechen | Walzwerk bei Neustadt-Eberswalde | nach 1830 | Öl auf Holz | Staatliche Museen zu Berlin – Preußischer Kultur­besitz, Alte Nationalgalerie

Carl Gustav Wegener17 zeigt die Milvische Brücke bei Rom in einer üppig begrünten Landschaft, die eher an märkische, gut mit zwischenzeitlichen Regenschauern bedachte Sommer erinnert (Kat. 52). Ein Weg führt in die Tiefe, dort treibt ein Reiter seine Herde, Staub wirbelt auf. Malt Wegener hier seine Hoffnung auf eine Italienreise? Erst 1847 gelang ihm deren Verwirklichung. Blechens Walzwerk18 wurde immer wieder als frühes Industriebild gewürdigt, obwohl es genau genommen eher eine Landschaft mit einer Industrieanlage ist (Abb. 6). Industrie faszinierte, die Hammer- und Walzwerke entlang der Finow bei Neustadt-Eberswalde waren das Besichtigungsziel der Gäste des nahe gelegenen Kurbades. Insofern folgte Blechen hier dieser Spur. Er setzt jedoch durch Bildsymbole Fragen in die Darstellung: Der goldige Himmelston wird vom Schornstein verdüstert, die Bäume sind mager belaubt, Fischer versuchen, auf

17

13.02.14 17:45


Issuu converts static files into: digital portfolios, online yearbooks, online catalogs, digital photo albums and more. Sign up and create your flipbook.