Die sieben Rosen von Tokyo (Leseprobe)

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Meine Frau sagte darauf: »Nimm doch noch etwas!« und schenkte mir einen ganzen Löffel der Reissuppe in meine Schüssel, so dass sie zur Hälfte gefüllt war. Ich lasse mir nicht durch Dreingaben oder Reissuppe etwas vormachen. Da ich aber heute nach Shinjuku hin und zurück gelaufen bin, war ich ziemlich hungrig und aß die Schüssel leer. 30. April Am Morgen wurde es plötzlich im Radio gebracht: »Mehrere feindliche Bomberverbände nähern sich von Süden und befinden sich in der Nähe des Festlandes. Die Bevölkerung wird gebeten, sich in Acht zu nehmen.« Ich verstaute Kinukos Sachen in dem von meinem Bruder geliehenen Anhänger. Normalerweise bereite ich in so einem Fall Proviant und für den Alltag notwendige Dinge vor, doch heute nicht. Als ich gerade losgehen wollte zu den Bunkern in Ueno, hörte ich unseren Gemeindevorsteher durch ein Megaphon rufen: »Nur Personen über sechzig und Schwangere begeben sich zu den Bunkern. Alle anderen bleiben hier. Wenn alle Bewohner ihre Häuser verlassen und sich verkriechen, können wir unsere Gemeinde nicht mehr beschützen. Unser Stadtviertel Miyanaga-chō müssen wir selbst verteidigen. Nezu ist bisher von den Bomben verschont geblieben, und daher haben wir die Pflicht, hier unseren Mann zu stehen. Sie alle können mit Ihren eigenen Augen sehen, wie schlecht es um die steht, die ausgebombt worden sind. Wenn Sie nicht genauso enden wollen, dann müssen Sie Nezu und Miyanaga-chō verteidigen. Sollte es Leute geben, die in der Lage sind, an Luftabwehrmaßnahmen teilzunehmen, und die trotzdem das Viertel im Stich lassen, indem sie sich entfernen, dann sind Sie dazu aufgefordert, das dem Gemeinderat schriftlich mitzuteilen. Die Person wird sofort der Polizei gemeldet und streng bestraft. Fliehen darf man nur, wenn Miyanaga-chō ein Flammenmeer ist. Bis dahin hat jeder gesunde Mitbewohner die Pflicht, bei Luftschutzmaßnahmen mitzuwirken.« Von diesen Worten aufgehalten, konnte ich mich jetzt natürlich nicht gut davonstehlen. Ich ließ den Anhänger stehen und füllte zehn Eimer mit Wasser, die ich vor unser Haus stellte. Dann lehnte ich eine Leiter ans Vordach und bereitete einen Stock mit einem Seilbündel an einem Ende zum Feuerausschlagen vor. Der Bomberalarm ließ nicht lange auf sich warten. Im Radio wurde durchgegeben: »Die Fliegerverbände haben den Westen von Keihin bombardiert, der Luftraum über der Hauptstadt ist klar.« Ich konnte nicht einfach abwarten und 23

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