1918/19 in Berlin

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tagsmehrheit die Regierung bestimmt. Hinter dem Sinneswandel der OHL stand die Absicht, die Verantwortung für den verlorenen Krieg auf die Parteien der Reichstagsmehrheit, insbesondere auf die Sozialdemokraten, abzuwälzen. Erich Ludendorff, der nach der Entlassung Erich von Falkenhayns als Chef des Generalstabs im August 1916 zusammen mit Paul von Hindenburg die OHL führte und stets ein energischer Vertreter eines deutschen Siegfriedens war, erklärte deshalb am 1. Oktober 1918 vor den Chefs der OHL, dass das deutsche Heer am Ende und der Krieg nicht mehr zu gewinnen sei. Vielmehr stehe die »endgültige Niederlage wohl unvermeidbar bevor«. Weiter sagte Ludendorff, so Generalstabsoffizier Albrecht von Thaer in seinem Tagebuch: »Ich habe aber S.M. gebeten, jetzt auch diejenigen Kreise an die Regierung zu bringen, denen wir es in der Hauptsache zu danken haben, dass wir so weit gekommen sind. Wir werden also diese Herren jetzt in die Ministerien einziehen sehen. Die sollen nun den Frieden schließen, der jetzt geschlossen werden muss. Sie sollen die Suppe jetzt essen, die sie uns eingebrockt haben!« Unter Verdrehung der historischen Tatsachen strickte Ludendorff an der Legende, wonach es nicht die Schuld der OHL war, dass der Krieg verloren ging, sondern der Sozialdemokraten und anderer. Albrecht von Thaers Tagebucheintrag über Ludendorffs Auftritt weist bildlich auf die in der Folge konstruierte Dolchstoß-Legende hin: »Als wir versammelt waren, trat Ludendorff in unsere Mitte, sein Gesicht von tiefstem Kummer erfüllt, bleich, aber mit hoch erhobenem Haupt. Eine wahrhaft schöne germanische Heldengestalt! Ich musste an Siegfried denken mit der tödlichen Wunde im Rücken von Hagens Speer.« Die von der Führungsspitze des Kaiserreichs vorgenommene »Revolution von oben« erfolgte Anfang Oktober 1918 mit der Ernennung Max von Badens zum Reichskanzler. Zur Parlamentarisierung der konstitutionellen Monarchie traten die katholische Zentrumspartei, die Fortschrittliche Volkspartei und die SPD in die Regierung ein, wobei das Zentrum drei Staatssekretäre stellte, die Volkspartei und die SPD jeweils zwei. Philipp Scheidemann, der mit Gustav Bauer die SPD in der neuen Regierung vertrat, hatte noch am Vortag bei der SPD-Vorstandssitzung große Bedenken geäußert und dargelegt, »dass man uns 16

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