Klimapfade 2.0 – Ein Wirtschaftsprogramm für Klima und Zukunft

Page 174

10.4 Politische Instrumente 10.4.1 Aktuelle Hemmnisse Der heutige regulatorische Rahmen schafft für viele erforderliche Investitionen keine hinreichende Sicherheit. Um die benötigten Investitionen für den umfangreichen und zügigen Umbau der Energiewirtschaft zu tätigen, brauchen Marktakteure Sicherheit, dass diese sich langfristig amortisieren. Diese Sicherheit ist an entscheidenden Stellen derzeit nicht gegeben: • Anlagen zur Erzeugung von erneuerbarem Strom werden aufgrund ungewisser zukünftiger Strommarktpreise nicht in der benötigten Geschwindigkeit marktgetrieben zugebaut – und die regulatorisch vergüteten jährlichen Zubaukapazitäten im EEG sind aktuell zu gering. • Gaskraftwerke zur Gewährleistung der Versorgungssicherheit haben in Zukunft nur eine geringe Anzahl an Betriebsstunden. Die daraus resultierenden Einnahmen aus dem Energy-Only-Markt (zum Beispiel in Stunden sehr hoher Börsenstrompreise) sind schwer prognostizierbar und reizen Kraftwerksneubauten daher bei Weitem nicht an. • Wasserstoff- und CO2-Netze begegnen besonders hohen Unsicherheiten, da weder Infrastrukturbedarfe noch Vergütung geklärt sind. Ein erfolgreiches Klimaprogramm im Energiesektor muss daher für alle diese Projekte einen klaren Regulierungsrahmen sowie stabilere und hinreichende finanzielle Investitionsanreize schaffen. Gleichzeitig scheitert schnellerer Klimaschutz in der deutschen Energiewirtschaft an mangelnder Umsetzungsgeschwindigkeit. Der Stromnetzausbau macht seit Jahren deutlich langsamere Fortschritte als geplant.180 Auch der Ausbau von Windenergieanlagen an Land ist in den vergangenen Jahren deutlich hinter seinen Zielen zurückgeblieben.181 Die Ursachen für diese Verzögerungen sind vielfältig. Planungs- und Genehmigungsverfahren sind derzeit für viele dieser Projekte sehr langwierig, auch aufgrund umfangreicher Einspruchsmöglichkeiten. Administrative Widerstände auf kommunaler oder Landesebene sowie bundesoder landesrechtliche Regulierungen zur Einschränkung der Flächenverfügbarkeit für erneuerbare Energien haben vielerorts den Ausbau

begrenzt.182 Gleichzeitig werden viele Projekte durch lokalen Widerstand aus der Bevölkerung und organisierte Windkraftgegner verzögert.

10.4.2 Klimaprogramm für die Energiewirtschaft 10.4.2.1 Einordnung und Überblick Der deutsche Energiesektor steht innerhalb der kommenden neun Jahre vor einem nie da gewesenen Umbau – angesichts der großen Umsetzungshürden ist ein „Weiter so“ nicht denkbar. In weniger als einer Dekade muss der Stromsektor seine Emissionen mehr als halbieren und gleichzeitig einen um 42 Prozent höheren Strombedarf bedienen, während Deutschland parallel aus der Kernenergie und der Kohle aussteigt. Dafür muss ein Investitionsvolumen in Höhe von 443 Mrd. Euro mobilisiert und möglichst effizient eingesetzt werden. Niemals zuvor in der Geschichte sind in das deutsche Stromsystem innerhalb so kurzer Zeit so hohe Investitionen geflossen. Es ist vollkommen unrealistisch, dass dieser Umbau im bestehenden Regulierungsrahmen allein durch den Markt erfolgen könnte. Vielmehr bedarf es erheblicher zusätzlicher Steuerung – für den Ausbau der Erzeugung von erneuerbarem Strom und von Stromnetzen, die Bereitstellung gesicherter Leistung sowie die Flexibilisierung von Verbrauchern. Darüber hinaus werden Instrumente zum Bau von Stromnetz-, Wasserstoffund CO2-Infrastruktur sowie zur Dekarbonisierung der Fernwärmeerzeugung benötigt. Der CO2-Preis im ETS macht den Betrieb fossiler Kraftwerke unattraktiver, setzt aber keine ausreichenden Investitionsanreize für deren Ersatz. Durch eine Verteuerung fossiler Brennstoffe in (Heiz-)Kraftwerken verringert der CO2-Preis die Kostenlücke für erneuerbare Strom- und Wärmeerzeugung. Unter den in dieser Studie angenommenen Entwicklungen des Ausbaus von erneuerbaren Energien und des CO2-Preises würde der Betrieb von Kohlekraftwerken im Jahr 2030 bereits unrentabel werden. Dennoch genügt der CO2-Preis allein nicht, um den Ausbaupfad erneuerbarer Energien anzureizen und damit die Voraussetzungen zu schaffen, dass die Kohlekraftwerke tatsächlich vom Netz gehen können. Außerdem bewirkt er keinen oder nur einen sehr indirekten Anreiz für den Ausbau von Infrastruktur wie von Strom- oder Wasserstoffnetzen, die Bereitstellung gesicherter Leistung und die Flexi-

50Hertz, Amprion, TenneT, TransnetBW (2021). BMWi (2021b). 182 Beispiele hierfür sind die Regelungen zu Mindestabständen zwischen Windkraftanlagen und Wohnbebauung in Nordrhein-Westfalen und Bayern oder die Begrenzung der Flächenkulisse für Freiflächen-Photovoltaik im EEG unter anderem auf Seitenstreifen von Autobahnen und Schienenwegen. 180 181

172

Boston Consulting Group


Issuu converts static files into: digital portfolios, online yearbooks, online catalogs, digital photo albums and more. Sign up and create your flipbook.