Klimapfade 2.0 – Ein Wirtschaftsprogramm für Klima und Zukunft

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• Innovations- und Forschungsförderung: Mehrere Technologien zur Erreichung von Treibhausgasneutralität im Industriesektor sind derzeit noch nicht industriell skaliert oder befinden sich noch in der Entwicklung. Innovationsförderung sollte sich auf die wichtigsten dieser grünen Technologien sowohl für Pilotanlagen als auch für die großindustrielle Skalierung fokussieren. Details werden in Kapitel 5.3.4 beschrieben. • Reform von Baunormen: Zum Anreiz des Einsatzes CO2-armer Rohstoffe, zur Absenkung des Klinkerfaktors bei der Zementproduktion sowie zum perspektivischen Einsatz alternativer Bindemittel bedarf es einer Umsetzung der entsprechenden Zementnormen in den Betonnormen sowie in den technischen Baunormen und Regelwerken, damit die CO2-ärmeren neuen Produktarten entsprechend im Bau verwendet werden können. Ebenso bedarf es der Schulung und Anleitung des Baupersonals zur sicheren und gezielten Verwendung der neuen Zementarten. Auch alternative Konstruktionen sollten in generellen Baunormen zukünftig berücksichtigt werden. • Recycling-/Rezyklateinsatzquoten: Zur Förderung einer stärkeren Kreislaufwirtschaft bis 2030 sind höhere Recycling- und Rezyklateinsatzquoten für Materialien mit derzeit niedrigen Wiederverwertungsanteilen, vor allem für Kunststoffe, zielführend. Diese sollten technologieoffen definiert werden, um beispielsweise mechanisches und chemisches Recycling von Kunststoffen gleichermaßen zu berücksichtigen – es sollte jedoch auch die entsprechende Energieeffizienz und damit die CO2-Bilanz einbezogen werden. Gleichzeitig sollten Produktund Materialdesign nachhaltiger gestaltet, bürokratische Hemmnisse abgebaut und eine volle Anerkennung verschiedener Technologien sichergestellt werden. Um eine entsprechende Anreizwirkung über diese Quoten zu schaffen, sollten diese frühzeitig kommuniziert werden, damit Unternehmen ausreichende Mengen und Qualität sicherstellen können, um diesen Quoten gerecht zu werden. • Erhöhung wiederverwertbarer Materialmengen: Die Industrie kann weiterhin Emissionen einsparen, indem sie den Einsatz wiederverwertbarer Materialien ausbaut. Dieser ist in Teilen begrenzt, da Produkte oft nicht die Wiederverwertbarkeit im Design berücksichtigen (beispielsweise Verwendung von Materialmixen oder Verklebung von Bauteilen). Weiterhin werden auch heute schon Produkte am Ende ihres Lebenszyklus häufig exportiert, statt sie in Deutschland einer Kreislaufwirtschaft zuzuführen (beispielsweise Stahl- und Nichteisenmetallschrott aus Pkw).

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• Stromnetz-, H2-Netz- sowie CO2-Netzausbau: Die Industrie kann ihre Klimaziele nur dann erreichen, wenn parallel im Energiesystem die richtigen Voraussetzungen dafür geschaffen werden. Daher braucht man Instrumente, die den sehr schnell erforderlichen Ausbau von Infrastruktur für Strom, Wasserstoff und – mit etwas Verzögerung – auch CO2 anreizen. Details werden in Kapitel 10.2.3 beschrieben.

7.4.3 Mehrbelastungen, CarbonLeakage-Schutz, fiskalische Effekte Die zuvor beschriebenen Instrumente schließen die Mehrkosten der Klimahebel gegenüber den fossilen Alternativen komplett. Dennoch verbleiben Mehrbelastungen der Industrie gegenüber heute – in Höhe von insgesamt etwa 5 bis 10 Mrd. Euro. Diese Mehrbelastungen ergeben sich im Falle einer Umsetzung der zuvor beschriebenen Maßnahmen allerdings nicht mehr aus der Umsetzung der CO2-Investitionen selbst, sondern als Folge der politischen Instrumente – vor allem höherer CO2-Preise, aber auch steigender Kosten für Strom resultierend aus der Dekarbonisierung des Stromsystems. Diese Mehrbelastungen sind für viele Unternehmen tragbar, können in besonders emissions- und stromintensiven Sektoren aber wettbewerbskritisch sein. Unternehmen im ETS sind von steigenden CO2-Preisen bei gleichzeitiger Reduktion der kostenlosen Zuteilungen betroffen. Daraus resultiert ein Wettbewerbsnachteil gegenüber nicht europäischen Produzenten. Diesen Nachteil auszugleichen sollte ein industriepolitisches Ziel sein. Darüber hinaus ist ein Ausgleich auch klimapolitisch notwendig, da zusätzliche Belastungen durch das ETS den Unternehmen Spielräume für Investitionen in treibhausgasneutrale Technologien nehmen. Der Aufbau nicht emittierender Neuanlagen muss daher Hand in Hand gehen mit dem temporären Erhalt wettbewerbsfähiger emittierender Bestandsanlagen. Damit dieser Übergang in Deutschland und Europa gelingt, gilt es zu vermeiden, dass CO2-intensive Industrien ins Ausland abwandern und sich Emissionen dadurch lediglich verlagern (Carbon-Leakage). Um den benötigten Carbon-Leakage-Schutz zu gewährleisten, sollten kostenlose Zuteilungen fortgeführt und weiterentwickelt werden, bis tatsächlich wirksame Alternativen verfügbar sind. Heute erhalten betroffene Unternehmen noch eine weitgehend kostenlose Zuteilung von ETS-Zertifikaten. Durch die kostenlosen Zuteilungen müssen die Unternehmen nur für einen Teil ihrer Emissionen einen CO2-Preis zahlen, was einen starken Carbon-Leakage-Schutz darstellt. Solange ein vergleichbarer Effekt nicht zuverlässig durch andere Instrumente gewährleistet wird, sollten die Boston Consulting Group


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