Daniel Barenboim - Beethovens Klaviersonaten

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deren Größe, Länge und Ausmaße der Klassiker erst Jahre später mit der „Hammerklaviersonate“ überbieten sollte. Der Klassiker – der gleichwohl eine Affinität zu barocken Formen und Spielarten an den Tag legte: nicht nur in Opus 7. Programm II Montag, 23. Dezember 2019 1796 schrieb Ludwig van Beethoven die erste der drei unter der Opuszahl 10 vereinten Sonaten, deren Grundtonart c-moll und Vortragsbezeichnung Allegro molto e con brio das Werk in eine Perspektive rücken mit der „Pathétique“, dem Dritten Klavierkonzert und natürlich der Fünften Symphonie – zumal im Prestissimo-­ Finale der frühen Sonate bereits vernehmlich das Schicksal an die Pforte pocht. Dieser letzte Satz freilich nimmt – wie soll man es ­sagen? – kein gutes Ende: Von „per aspera ad astra“ oder „Durch Nacht zum Licht“ kann gar keine Rede sein, im Gegenteil, das Licht wird regelrecht ausgelöscht. Zum Schluss scheint das quicke, quirlige Treiben wie von Lähmungen befallen oder von allen guten Geistern verlassen, ein unerwarteter Verschleppungs- und Verfremdungsprozess versiegt in einem Adagio mit Fermate, ehe für wenige allerletzte Takte die Musik im Tempo primo davonhuscht in der Finsternis. Die Klaviersonate in F-Dur, die zweite aus Opus 10, lebt ganz aus dem buffonesken Spiel mit Regelverstößen, getäuschten Er­ wartungen, frappierenden Pointen, der beinah subversiven Lust am Deplatzierten und Unpassenden – etwa im Finale, das mit einer verqueren Mixtur aus Fuge, Etüde, Scherzo und Chasse loslegt und obendrein wie eine Parodie auf Mozarts Zauberflöten-Ouvertüre klingt. Der langsame Satz der D-Dur-Sonate op. 10 Nr. 3 bildet dazu den schwärzesten Kontrast: Enge, Einsamkeit, Ausweglosigkeit, ein lebensfeindlicher Zustand. „Largo e mesto“ überschrieb ­Beethoven diesen Satz („mesto“ bedeutet traurig), aber nicht der Titel war einzigartig und ohne Beispiel, sondern die Radikalität, mit der hier die schwarzgallige Krankheit, die pathologische ­Gemütsverfinsterung ausgestellt wird – bis zur bitteren Neige. 1799 komponierte Beethoven eine „Grande Sonate“ für Klavier, mehr noch: eine „Grande Sonate pathétique“ in c-moll op. 13, die zwar nicht ihrem Umfang von drei konzentrierten Sätzen, wohl aber ihrem Anspruch nach mit den „großen“ Gattungen der

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