Soziologie der Kompetenz

Page 17

16

Thomas Kurtz

muss man hier allerdings, dass bei ihnen das grundlegende Problem der Wissensgesellschaft, dass nämlich das vielfältige Wissen nicht nur Voraussetzung, sondern zugleich auch noch das Problem für das Handeln ist, noch verschärft wird durch die Abhängigkeiten von der Person des Klienten und von der Interaktionssituation. Das Problem bei diesen professionellen Interventionen ist nämlich, dass sie eigentlich immer auf die Mitarbeit der Klienten angewiesen sind. Kein Arzt kann Patienten zwingen, gesund zu werden, der Pfarrer kann nicht für den Ungläubigen oder aber auch Gläubigen glauben und auch der im Unterricht agierende Lehrer kann die Probleme seiner Schüler nicht im Sinne eines technischen Experten kausaladäquat für sie lösen. Er kann ihnen zwar das Lernen durch günstige Lernarrangements so angenehm wie möglich gestalten, er kann ihnen aber das Lernen nicht abnehmen, lernen müssen die Schüler selbst; und wie jeder weiß, können diese dann auch immer ganz anders reagieren als sich das der professionelle Praktiker vorgestellt hat. Und dadurch, dass diese Arbeit immer in der direkten Interaktion zwischen Professionellem und Klienten stattfindet, muss auch immer in der konkreten Situation entschieden werden, und zwar ohne auch immer über das für die Situation optimal notwendige Wissen zu verfügen. Oder in den Worten von Niklas Luhmann: „Der Arzt muß verschreiben oder operieren, der Richter muß die vorgetragenen Fälle entscheiden und der Lehrer muß Fragen der Schüler beantworten und Leistungen zensieren; (und) bei allen Möglichkeiten der Vertagung oder des routinierten Zeitgewinns bleibt ein Rest von Unsicherheit, der durch Entschlußkraft zu überwinden ist.“10 Aber wie gesagt, die Unsicherheitsproblematik ist nicht auf diese Form der direkten Professionellen-Klienten-Interaktion beschränkt. Auch die Handlungslogik der immer mehr an Einfluss gewinnenden Berufsgruppe der Experten, Ratgeber und Berater ist nicht mehr die einer technisch-instrumentellen Anwendung von wissenschaftlichem Regelwissen, das wie die aus naturwissenschaftlichen Gesetzen abgeleiteten Technologien verstanden werden kann. Wie das Wissen der Professionen, so ist auch das Expertenwissen ein sozusagen „interpretationsbedürftiges, kontingentes, fortwährend zu reproduzierendes Wissen (...), das keineswegs unbeirrbar effiziente Lösungen produziert“.11 Und wenn denn auch die Notwendigkeit des kompetenten Umgangs mit Nichtwissen und Ungewissheit nicht unbedingt ein neues Phänomen darstellt, so findet es sich doch in der modernen Wissensgesellschaft als ein geradezu gesell-

10 11

Luhmann o. J.: 6. Bei diesem Zitat handelt es sich um eine der frühen Aussagen Luhmanns zu den Professionen, das sich in einem Anfang der 1970er Jahre geschriebenen Teilkapitel seiner bis heute unveröffentlicht gebliebenen Studie zur Theorie der Erziehung findet. Stehr 1994: 371. Dazu, dass Unsicherheit in der modernen Gesellschaft nicht nur eine Herausforderung in Arbeit und Beruf ist, sondern geradezu ein Alltagsphänomen darstellt, siehe etwa Hörning 2001.


Issuu converts static files into: digital portfolios, online yearbooks, online catalogs, digital photo albums and more. Sign up and create your flipbook.