Rede zum Februar 1934 am Brucker Friedhof 12.02.2015

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mus, Linksextremismus, Rassismus, islamistischem Fundamentalismus und weit verbreiteter Xenophobie repräsentieren aktuelle Bedrohungen für unser freies, demokratisches, verfassungspatriotisches Europa der Vielfalt im 21. Jahrhundert.7 Die Schuld an den zitierten sozialen und politischen Erosionsprozessen unter dem weltweiten Druck einer gigantischen High-Tech-Kapitalismuswalze laste ich freilich nicht der Sozialdemokratie – ja nicht einmal der Politik insgesamt – an! Denn die Verursacher der neoliberalen Revolte sitzen in den Vorständen und Aufsichtsräten von Börsen, Banken und weltweit agierenden milliardenschweren Konzernen. Was wir seit der Finanzkrise 2008 in atemberaubender Geschwindigkeit live erleben, ist die vollkommene Entmachtung von Politik jeder Couleurs durch das Regime demokratisch nicht legitimierter Oligarchen, die ganze Staaten in die Knie zwingen, was parabelhaft u.a. am Einknicken von 11 EU-Staaten sichtbar wird, die vor zwei Jahren die Finanztransaktionssteuer einführen wollten. Vergebens. Die Politik geriet einmal mehr zum Handlanger, Büttel und Pressesprecher von Kapitalinteressen zu Lasten und auf Kosten der Mehrheit der europäischen Bevölkerung!8 7

Das Elend der neoliberal-finanzkapitalistischen Wende besteht darin, dass die neoliberalen Konzepte leider nicht nur Konservative und Wirtschaftsliberale erfasst hat, sondern leider auch zu viele sozialdemokratische Gehirne europaweit derart benebelt hat, dass anders als 1934 kaum noch ein ernsthafter Versuch der Entwicklung von visionären Gesellschaftsentwürfen oder zumindest von politischem Widerstand gegen die Tyrannei des entfesselten Finanzkapitalismus beobachtbar ist. Welcher regierende Sozialdemokrat forciert denn heute noch die Themen „Vollbeschäftigung, Arbeitszeitverkürzung, Wertschöpfungsabgabe, existenzsicherndes europäisches Grundeinkommen, Ausbau von betrieblicher Mitbestimmung, qualitätsvolle Arbeitsplätze oder Umverteilung“? Diese defensive Visionslosigkeit der Sozialdemokratie wurde auf den Punkt gebracht mit einem geflügelten Wort des Bankdirektor-Kanzlers Franz Vranitzky: „Wer Visionen hat, der braucht einen Arzt! Tony Blair und Gerhard Schröder – Schröder zu Recht als „Genosse der Bosse“ bezeichnet - bezeichne ich mit höchster Leidenschaft als die beiden „Totengräber der europäischen Sozialdemokratie“, als Büttel und Handlanger des Finanzkapitals, am Gipfel ihrer Erfolge auch adoriert von österreichischen Sozis, die freilich längst keine mehr waren. Konrad Paul Liessmann zufolge markiert der Bedeutungswandel des Reformbegriffes den zitierten Paradigmenwechsel: Bedeutete Reform in der Ära Kreisky den systematischen Ausbau des ASVG, die Verdichtung des Angebotes an sozialen Leistungen, die Erweiterung der Anspruchsberechtigten und allgemein die Verbesserung von Lebens- und Arbeitsbedingungen sowie politischer Teilhabe durch fortschrittliche Sozialpolitik, so bedeutet Reform im neoliberalen Tarnmäntelchen stets Kürzungen von Sozialleistungen, Streichen von Überstundenzuschlägen, Aushöhlung von soliden Arbeitsverhältnissen durch Teilzeit- und Leiharbeit, Zurückdrängen des gewerkschaftlichen Einflusses, kurzum: Reformen zu Lasten der unselbstständig Erwerbstätigen – zu denen ich auch die sog. EPU- und Kleinunternehmer mit geringem Einkommen zählen darf. 8 Was wir auch nicht übersehen dürfen: Wie bereits 1934 der Austrofaschismus und ab 1938 der Nationalsozialismus nicht nur „von denen da oben“, sondern von einer breiten Akzeptanz der Bürger getragen war, so trifft dies auch auf viele heutige Bürger zu, die jene kapitalistischen Herrschaftsverhältnisse insgeheim adorieren, selber „Part oft the Game“ sein wollen, dessen Opfer sie dann oftmals werden. Hans Georg Zilian wies stets darauf hin, dass die meisten Konsumenten billiger Waren, die sie am Samstag beim Shopping einkaufen, nicht erkennen, dass sie dafür mit immer härteren Arbeitsbedingungen an Werktagen „bezahlen“ müssen bzw. dass sie diese Zusammenhänge nicht erkennen oder ignorieren, da Geiz einem Werbeslogan nach bekanntlich geil sei.

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