Erker 11 2016

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TITELGESCHICHTE UMWELT

Das Rätsel der Steinalm Vor 50 Jahren: ein Blutbad mit vielen Fragezeichen von Hans Karl Peterlini

Gegen 11.00 Uhr des 9. September 1966 schlafen in der Finanzkaserne auf der Steinalm die meisten Soldaten noch. Oberleutnant Franco Petrucci trifft zu einer Inspektion ein und findet angeblich – die Versionen darüber gehen auseinander – eine ungeordnete Situation vor: Der Wachposten vor der Hütte ist unbesetzt, die Tür zur Kaserne, die nach Vorschrift von innen verriegelt sein müsste und nur auf Klopfen geöffnet werden dürfte, steht offen, der Großteil der Mannschaft rappelt sich erst nach und nach aus dem Schlaf auf. Aufregung geht durch die Kaserne, der stellvertretende und zeitweilig dienstleitende Brigadier Herbert Volgger aus Pfitsch sagt zu seinen Kameraden: „Stavolta sono grane“ („Diesmal gibt es Probleme“). Tenente Petrucci kündigt eine Besprechung mit der Truppe an. Es kommt nicht dazu: Zwischen 11.00 und 11.30 Uhr bringt eine heftige Explosion das Gebäude teilweise zum Einsturz, ein Teil des Daches wird weggerissen. Die Explosion muss vom Büroraum aus-

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© E. Casagrande

Am 9. September 1966 kommt es zu einer Detonation in der Zollstation auf der Steinalm nahe dem Brenner. Zwei Finanzbeamte sind auf der Stelle tot, der 27-jährige Herbert Volgger aus St. Jakob in Pfitsch und der 20-jährige Martino Cossu aus Sardinien. Ein drittes Opfer, Franco Petrucci, erliegt zwei Wochen später seinen Verletzungen, drei Soldaten werden leicht verletzt. Als Haupttäter gilt für die italienischen Ermittlungsbehörden von allem Anfang an Jörg Klotz. Auf deutscher Seite überwiegen dagegen die Zweifel an der Attentatsthese.

Eine Detonation auf der Steinalm am 9. September 1966 fordert drei Todesopfer.

gegangen sein, wo sich gerade Volgger und Petrucci aufhielten. Volgger ist auf der Stelle tot, seine Leiche kommt auf dem Schutt der ebenfalls eingestürzten Trennmauer zwischen dem Büroraum und der dahinterliegenden Küche zu liegen; dort hat sich der Finanzwachmann Martino Cossu aufgehalten, der von der Wucht der Explosion vermutlich so heftig gegen die Wand gedrückt wird, dass er tot zusammensinkt. Petrucci liegt schwer verletzt im Büroraum, er stirbt nach zweiwöchigem Todeskampf unter äußersten Schmerzen und einigen wenigen klaren Momenten, in denen er – laut dem behandelnden Chirurgen Ernst Niederwieser – von „diesen Verbrechern“ („questi assassini“) spricht, denen er es heimzahlen werde. Die anderen Finanzer, die sich in

den Räumen rechts vom Eingang aufgehalten haben, kommen mit geringfügigen Verletzungen und weitgehend mit dem Schrecken davon. EIN ANSCHLAG ODER EIN UNFALL? Die Rekonstruktion der Ereignisse führt zu widersprüchlichen und entgegengesetzten Versionen. War es ein Anschlag? Oder war es ein Unfall? Die Frage scheint beantwortet, als am 15. Oktober 1966 der in Italien gesuchte Richard Kofler aus Unterrain über den Brenner fährt und sich freiwillig stellt, weil er dadurch in den Genuss eines Strafnachlasses in Bezug auf frühere Anschläge kommt. Er wird – wohl aufgrund eines Winkes von Agenten und Provokateuren im Umkreis von Jörg Klotz – als Tat-

verdächtiger festgenommen und beginnt zu reden: Er sei von Jörg Klotz beauftragt worden, die Lage an der Steinalmhütte zu erkunden, hätte diese dreimal unauffällig aufgesucht und sei dann gemeinsam mit Klotz, Luis Larch aus Dorf Tirol und Luis Rainer aus Bozen am Abend des 8. September zur Hütte aufgebrochen. Sie hätten sich bis nach Einbruch der Dunkelheit gegen 22.00 Uhr im Wald versteckt und seien – nach italienischer Sommerzeit – gegen 22.30 Uhr in der mondlosen Nacht auf die Hütte zugeschlichen. Dort hätten er und Rainer im Abstand von 50 Metern mit den Maschinenpistolen im Anschlag Stellung bezogen, Klotz und Larch seien auf die Hütte zugerobbt. Klotz sei es gelungen, an den Posten vorbeizukommen und unbemerkt durch die offene Tür in


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