aktuell aus dem leben erzählt
Ein Friseur aus vergangenen Zeiten Sepp Gschliesser, 38 Jahre Friseurmeister in der Sterzinger Neustadt
Der Sepp, so nennen ihn Freunde, ist noch immer ein rüstiger und gutaussehender Mann. Seine 90 Jahre sieht man ihm kaum an. In seinen guten Mannesjahren schwang er Kamm, Schere und Rasiermesser in seinem Friseurgeschäft in der Sterzinger Neustadt. Er war auch Haarkünstler, wenn es galt, den Mädchen aus ihren schönen Zöpfen die damals gern getragenen „Bubiköpfe“ zu gestalten. Es tat ihm oft selbst leid, die schönen Zöpfe der jungen Damen abzuschneiden, was sie oft ohne Zustimmung der Eltern taten; so schickte er einfach manche fort, ohne ihren Wunsch zu erfüllen. Sepp Gschliesser hat in seinem Leben vieles erlebt, nicht nur als Friseur. Als Wehrmachtssoldat kämpfte er vier Jahre lang im Krieg. Gschliesser wurde am 27. Jänner 1923 in Mareit beim „Müller“ geboren, wo er auch aufwuchs. Im „Mesnerhaus“ besuchte er die italienische Volksschule und wurde zu Hause „Ackerscheuche“ genannt, wenn er sich bei Schulfesten die „Balilla-Uniform“ anziehen musste. Nach der Pflichtschule fand Sepp sofort Arbeit in der Erzmühle in Maiern, wo er einen Winter lang blieb. Dann nahm ihn sein Onkel Franz Hinteregger in Sterzing als Friseurlehrling auf. Nach der Lehrzeit kam es Sepp in den Sinn, sich freiwillig und ohne Wissen seines Lehrmeisters bei der Abwanderungskommission in Sterzing zur Wehrmacht zu melden. Doch der Beamte sagte lächelnd zu ihm: „Na, Junge, du bist noch zu klein, kannst kaum eine Knarre tragen. Du kommst noch früh genug dran“, und schickte ihn weg. Sepp kann sich noch gut daran erinnern, wie die Frau im Vorzimmer, Fini Rauchegger aus Gossensaß, meinte: „Da hast du noch einmal Glück gehabt!“ Nachdem seine Mutter schon früher ausgewandert war, verließ 1941 auch Sepp Gschliesser seine Heimat. Er wurde in Mühlau bei Innserker april 13
bruck gemustert und wurde für tauglich befunden. Im August 1941 kam er zum Arbeitsdienst nach Tel-
fes im Stubai, wurde aber kurz darauf entlassen, um zur Wehrmacht einberufen zu werden. Man teilte ihn der Gebirgs-Sanitätseinheit zu, die nach Zwischenstationen nach Rostow am Don gelangte. Hier begann für die Soldaten 1942 ein langer Fußmarsch in das Kaukasus-Gebirge. „Auf dem rund 700 km langen Weg ließ sich kaum ein russischer Soldat blicken. Im Gebirge aber setzten sich die Russen zur Wehr.“ Nach Kämpfen lagen die Soldaten im Jänner 1943 kurz vor dem Hafen Tuapse. Nach der Niederlage der 6. deutschen Armee bei Stalingrad kam die große Wende. „Unsere Truppe musste den Rückzug antreten. Die Einheit schlug sich in kleinen Gruppen über Kuban, Kertsch, die Krim, die Ukraine, Polen und die Slowakei durch und kam bei Kriegsende in Lahn an der Thaya in Niederösterreich an.“ In Freistadt in Oberösterreich fielen Sepp und seine Einheit US-Besatzern in die Hände, die sie den
von Osten kommenden Russen ausliefern wollten. „Auf dieses Gerücht hin türmte ich mit weiteren vier Kameraden und marschierte behutsam nach Erlau bei Passau.“ Dort trennte er sich von seinen Weggefährten und überquerte samt einem Fahrrad, das ihm ein Bauer geschenkt hatte, auf einer Fähre die Donau und fuhr auf Seitenstraßen weiter nach Hallein. Nach einigen Abenteuern, u. a. wurde Sepp wieder in das US-Lager zurückgebracht, gelangte er endlich nach Mühlbach am Hochkönig, wo er seine Mutter besuchte. Als er sich bei den US-Militärbehörden meldete, wurde er nach Bischofshofen gebracht und erhielt von den Amis am 19. Juni 1945 den Entlassungsschein. „Frei konnte ich nun nach Sterzing zurückkehren, der Krieg war nun auch für mich zu Ende.“ Die ersten zwei Jahre nach dem Krieg verdiente Sepp sein Geld mit Vieh- und Warenschmuggel über die Brennerberge. Schmunzelnd meint er: „Mit diesem Handel konnte ich gut verdienen.“ Im Herbst
1947 öffnete der Heimkehrer ein Friseurgeschäft in der Neustadt in Sterzing und beschäftigte zeitweise vier bis fünf Angestellte. 1948 heiratete er und wurde Vater von zwei Söhnen und einer Tochter. Sohn Herbert, ein Arzt, starb im Jahr 2004. Sepp machte sich auch um seine Heimatstadt Sterzing verdient. So war er ab den 1950er Jahren unter Präsident Johann Hofer Ausschussmitglied der Krankenhausgesellschaft und setzte sich unter Präsident Karl Oberhauser für den Bau des neuen Krankenhauses ein. Auch war er für die Gemeinde Sterzing im Autobahnkomitee für die Grundablöse tätig, war Mitbegründer der Schützenkompanie Sterzing, zeitweise Hauptmannstellvertreter, und wurde Anfang der 1960er Jahre für kurze Zeit in Polizeigewahrsam genommen. Sepp gehörte zu den Gründern des Reitvereins Thumburg und baute mit Hans Baur die SKFV-Ortsgruppe Sterzing auf, deren Obmann er zeitweilig war. 1985 trat Sepp in Ruhestand. Seit seiner schweren Herzoperation im Jahr 2000 und aufgrund seiner Diabetes-Erkrankung wird er heute von seiner Lebensgefährtin zu Hause bestens betreut.
Günther Ennemoser
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