Anwaltsblatt Karriere 01/2011

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reportage

„Die Mandanten könnten denken, man sei kein ernstzunehmender Anwalt.“ Dr. Anna Caroline Gravenhorst

Vor ihrer Selbständigkeit war sie fünf Jahre in einer Großkanzlei angestellt, „fünf Jahre voller Power“, in denen sie es sich bewiesen habe, mit Netzwerken und allem drum und dran. „Jetzt haben sich die Perspektiven ein bisschen verschoben.“ Familie statt Law Firm. Schlechte Erfahrungen hat sie als junge Mutter nie gemacht, Mandanten wie Richter haben mitgespielt. Aber vielleicht lag es auch daran, dass Gravenhorst Mandate, die nach einer Betreuung „Rund-um-die-Uhr“ verlangten zuvor ihrem Sozius übergeben hatte. Aber warum muss man eigentlich das Elternsein gegenüber manchen Mandanten verstecken? „Sie könnten denken, man sei kein ernstzunehmender Anwalt.“ Ist das nicht etwas übertrieben? „Das habe ich mir hinterher auch gedacht.“ Eine Kopfsache also. „Die Kollegen und Mandanten erwarten, dass Sie Durchsetzungsvermögen und persönliche Stärke zeigen“, sagt Beatrice Wrede, Fachanwältin für Arbeitsrecht in Bremen. „Mit der aufkommenden Schwangerschaft hatte ich den Eindruck, dass die Leute einem das nicht mehr zutrauen.“ Für Wrede taten sich während ihrer Schwangerschaft Welten auf, nicht unbedingt schöne. Eine Richterin am Arbeitsgericht Siegburg legte seinerzeit einen Verhandlungstermin fest, der wenige Tage vor Wredes Entbindung stattfinden sollte. Die Bitte um Vorverlegung schlug ihr die Richterin ab. „Am Ende hat sie mir viel Glück für die Entbindung gewünscht. Da habe ich geantwortet: Kein Problem, Sie sind ja dann dabei.“ Die Anwältin protestierte. Beim Direktor des Arbeitsgerichts, beim Landesjustizministerium. Der Direktor entschuldigte sich, später dafür, die Richterin nicht. Der Termin wurde auch nicht verlegt. Es musste dann irgendwie hinhauen. Acht Jahre später

als selbständige Anwältin und Mutter sagt Wrede: „Man muss zwar umso mehr organisieren. Aber man wächst da hinein.“ Das Arbeitsrecht, immerhin, gilt als vergleichsweise familienfreundlicher Tummelplatz. In einer Großkanzlei gilt die Arbeitsrechtsgruppe als bodenständige Truppe, vieles ist Massengeschäft; ob nun fünf Mandate mehr oder weniger, ist nicht kriegsentscheidend. Die Riege der weiblichen Associates, die sich dort Nachwuchs leisten kann, ist groß. Anders im Gesellschaftsrecht. Da setzt der Mandant Fristen, Deadlines, Ultimaten, da wird mehrere Wochen durchgekeult. „Corporate und Kind ist ein Ding der Unmöglichkeit“, erzählt eine Insiderin, „die Transaktionen haben zeitliche Abläufe, die nicht auf die Betreuung eines schulpflichtigen Kindes zugeschnitten sind.“ Ohnehin reißt die Kinderbetreuung nicht nur organisatorische, sondern auch finanzielle Löcher auf. In der Startphase können sich selbständige Anwälte Elternzeit oder Halbtagsengagement praktisch nicht leisten. „Das kann dazu führen, dass sie den Mandantenstamm fast verlieren“, sagt Kanzleiberaterin Ilona Cosack. Und wenn man sich einen Vertreter nimmt? „Es ist leichter, ein Kindermädchen zu bekommen als einen Vertreter für die Kanzlei.“ „Wenn man als Anwalt was werden will, dann geht das nicht halbtags.“ Das sagt Mechtild Düsing (66), Notarin, Fachanwältin für Verwaltungsrecht, Erbrecht, Agrarrecht, vier Jahre Vorstandsmitglied des Deutschen Anwaltvereins, Mitbegründerin einer der größten Kanzleien in Münster. Und Mutter von drei erwachsenen Kindern, „überwiegend allein erziehend“. Düsing machte es so: Sie stellte eine Hauswirtschafterin ein, zeitweise hatte sie sogar einen Lehrling. „Wenn ich als Anwältin meinen Kopf benutze und dafür 230 Euro in der Stunde bekomme, dann kann ich doch eine Hauswirtschafterin für 20 Euro Stundenlohn einstellen.“ Genau so klar war aber auch: „Wenn ich Kinder habe, kann ich nicht zwölf Stunden im Büro sein.“ Nach acht Stunden Arbeit war für Düsing Schluss. Nicht mehr. Und nicht weniger: „Wenn ich nicht wirklich 40 Stunden arbeite, dann läuft die Praxis nicht, dann kriege ich die nicht hoch.“ Ob das Modell heute noch taugt, muss jede Anwältin mit Blick auf ihr Konto selbst entscheiden. „Das Brutto des Kindermädchens muss aus dem Netto der Anwältin bezahlt werden“, sagt Anette Hartung. Das kommt nicht für jeden in Frage. Einige behelfen sich mit schwarz arbeitenden Au-Pair-Mädchen. Bleibt noch die Frage nach dem Wann.

Wann ist für Anwälte eigentlich der richtige Zeitpunkt zum Kinderkriegen, Frau Gravenhorst? „Nicht, wenn man sich gerade selbständig gemacht hat. Dann hätte man sich die laufenden Kosten auch sparen können.“ Und sonst? „Wenn man es für richtig hält. Der private Zeitpunkt zählt.“ Trotz aller Hindernisse. Man wächst da hinein. // anwaltsblatt karriere / 53


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