Jagdszenen in Niedersachsen

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17,90 EUR (D)

ISBN 978-3-945715-59-8

10.02.2019 11:17:04


Frank Schäfer

Jagdszenen in Niedersachsen


Für meine Eltern, Niedersachsen durch und durch

Frank Schäfer Jagdszenen in Niedersachsen Umschlaggestaltung: Marcel Pollex Fotos: Oscar Schäfer Satz/Layout: Andreas Reiffer 1. Auflage 2019 © Verlag Andreas Reiffer ISBN 978-3-945715-59-8 (Print) ISBN 978-3-945715-64-2 (E-Book) Verlag Andreas Reiffer, Hauptstr. 16 b, D-38527 Meine www.verlag-reiffer.de www.facebook.com/verlagreiffer



Als ich einmal fast Yellow-PressReporter geworden wäre ... trug es sich folgendermaßen zu: An einem trübtassigen Sonntag im März vor mehr als 20 Jahren, promenierte ich in weiblicher Begleitung an den Gestaden des Hannoverschen Maschsees entlang, um hernach dem Sprengel Museum einen Besuch abzustatten. Es war einer dieser Sonntage, arschkalt und zutiefst niedersächsisch, wie gemacht, um a) eine Schachtel »Edle Tropfen in Nuss« zu verkosten und danach mit der Familienplanung voranzuschreiten oder eben b) sich die aktuelle Ausstellung »Sex & Crime« anzuschauen. Ich war für a), musste aber mit ins Museum. Als wir, nach einstündiger Maschsee-Tristesse reif für ein paar warme Gedanken, am Sprengel-Restaurant bell’ARTE vorbei zum Haupteingang lustwandelten, saß da am Fenster mein von Ferne geliebter Landesvater, Genosse Gerhard Schröder. Knapp


zwei Jahre später war er Kanzler und spülte den Sozialstaat schneller im Klo runter, als du Agenda 2010 sagen konntest. Damals aber galt er als einzige Alternative, um den Dicken abzulösen, und nötigte einem Proleten wie mir insofern Respekt ab, als er beinahe schon glaubhaft versichern konnte, er habe als Kind »jahrelang Fensterkitt gefressen«. Man wird also vielleicht verstehen, dass ich für einen Moment meine sprichwörtliche Nonchalance verlor. »Schau mal«, rief ich aufgeregt, »da ist ja mein von Ferne geliebter Landesvater.« Meine Begleitung blieb ganz cool. »Na klar isser das. Und wo er ist, da ist auch Super-Hillu nicht weit.« Tatsächlich saß sie ihm gleich gegenüber. Bei einem Pharisäer. Oder was man damals eben so trank in Politikergattinenkreisen. »Na, die kucken aber!«, sagte die Frau an meiner Seite erschrocken. Und hatte recht. Das hier war nicht mein leutseliger Ministerpräsi, nein, so kannte ich ihn ja gar nicht. Sein Gesicht verhärtet, wie ein komplett heruntergelassener eiserner Vorhang, und er hatte diesen verschlagenen, zugleich ultrabrutalen, KGB-mäßigen Blick drauf. Er sah aus wie ein lupenreiner russischer Demokrat. Und seine Gattin Hiltrud? »Die hat doch geheult«, schoss es meiner Begleitung in einer Mischung aus Erstaunen und robuster Erbarmungslosigkeit heraus.


Etwas mehr Empathie hätte ich gut gefunden, aber ich schwieg. Plan a) war noch nicht vom Tisch. Wir wollten beide nicht aufdringlich erscheinen und lösten nach einer Weile unsere plattgedrückten Nasen von der Scheibe, um uns etwas Kunst anzusehen oder zumindest »Sex & Crime«, aber die Gedanken wanderten immer wieder zurück zu dieser Szene. Am Abend lösten die Lokalnachrichten das Rätsel auf. Es gab nun ein niedersächsisches Traumpaar weniger. Im Wahlkampf, auf einer verregneten SPD-Fahrradtour verschwanden sie das erste Mal hinterm Busch. An einem geisttötenden Märzwochenende in der Sprengel-Schmuratze war die Liebe verduftet. Und ich war sozusagen live dabei. Ich witterte meine Chance und begann schon im Geiste einen schamlosen Schmodder-Artikel für die »Bunte« runterzutippen. Aber dann sah ich aus dem Augenwinkel, wie zierliche Frauenhände zärtlich »Edle Tropfen in Nuss« vom Cellophan befreiten.



Umtauschen, was sich noch umtauschen lässt Neulich lernte ich im Bildungsfunk, dass weibliche Wildgänse erstmal ein paar männliche Partner innerhalb ihres Schwarms ausprobieren, mit ihnen eine Weile umherflattern, einander die Bürzel zupfen oder die Schwingenmauser zusammen begackern, bevor sie sich für den stressfreiesten Partner entscheiden. Ein ganz ähnliches Verhalten legt von Alters her der gemeine niedersächsische Dorfbewohner an den Tag. Schon als kleiner Junge kam es mir nicht richtig, geradezu amoralisch vor, wenn ich bei meinen Schlüssellochvisiten bemerken musste, dass meines Bruders Kfz-Mechaniker-Griffel unter dem weiten Batik-Shirt von Roswitha herumschraubten, obwohl die noch in der Woche zuvor seinem besten Freund Tony mit einigem Engagement ihre Natternzunge in den Hals gesteckt hatte. Und was tat


Christine, die grazile, papierweiße Dorfqueen, deren nackte Schultern dem kleinen Spanner hinter der Tür, geradezu Tränen der Rührung in die Augen trieben? Die ließ mittlerweile den fulminanten Ernst, einen Braungurt-Karateka, der die Gang schon zweimal in Unterzahl rausgehauen hatte, nach ihrer Pfeife tanzen. Das war alles ziemlich verwirrend für einen Viertklässler. Als ich meine Mutter daraufhin befragte, ob das nicht komisch sei, wenn jede mal mit jedem dürfe und das auch noch alle wüssten, und ob es da keinen Streit gebe, weil die Jungs oder Mädchen untereinander ja vielleicht auch mal Sachen erzählten, die keinem was angingen. »Und so ...« Meine Mutter sah mich überrascht an, vielleicht auch ein bisschen besorgt darüber, was für einen lebensuntüchtigen Romantiker sie da großzog, und winkte schließlich ab. Das habe es immer gegeben. »Umetüschen« hätte schon ihre Mutter das genannt. Man komme eben nicht so leicht weg hier. »Aber das Nachbardorf ?«, wagte ich einen Einwand. »Nicht so einfach«, schüttelte sie bedenklich den Kopf, »frag mal Opa!« Und ich erinnerte mich an seine blutigen Geschichten von historischen Schützenfesten, in denen Nachbardörflern schon wegen weit geringerer Verfehlungen als einem »Frauenraub« das Fell über die Ohren gezogen wurde.


Man blieb also lieber im Dorf, tauschte um, was sich noch umtauschen ließ, und wer es sodann vermochte, mehrete sich redlich. Damit sind wir aber noch einem anderen Rätsel hart auf der Spur, den vielen Beinamen in niedersächsischen Dörfern. Sie sind eine direkte Folge daraus – entstanden aus purer Unterscheidungsnot. Weil es, nur mal als Beispiel, fünf Familien mit dem Namen Hinze gibt, die alle irgendwie inzüchtig miteinander in Verbindung stehen, braucht es zusätzliche Attribute. Hinze neun ist der mit der Hausnummer neun, Schnellen-Hinze einer, der nicht lange fackelt, und Sarg-Hinze der lokale Tischler (die noch übrigen beiden werden immer verwechselt). Auf diese Weise entsteht der wunderbarste, noch gänzlich voremanzipatorische Doppelnamenirrsinn à la Zwetschgen-Pahl, Hammer-Schmidt, Knickknack-Fricke und Suff-Schäfer, und nicht immer ist ganz klar, was diese zwischen übler Lästermäuligkeit und herzlichem Spott changierenden Necknamen eigentlich bedeuten sollen.



Der Wichtelmann Fred ist ein zwanzig Jahre junger Mann mit dem Verstand eines Viertklässlers. Er ist freundlich, hilfsbereit, einfach ein guter Typ und bei den Bewohnern in dem kleinen Heidedörfchen Giffendorf sehr beliebt. Als er im zweiten Anlauf schließlich seinen Sonderschulabschluss geschafft hatte, waren seine Eltern sehr stolz auf ihn und schenkten ihm ein Mofa. Sogar einen Ausbildungsplatz konnten sie ihm bald besorgen. Der lokale Hufschmied hatte sich nach anfänglichem Zögern bereit erklärt, ihn in seiner Kunst zu unterweisen. Fred konnte gut mit Tieren. Offenbar betrachteten sie ihn als einen der ihren. Bevor er aber die Lehrstelle antrat, wollte er »sich noch ein bisschen baumeln lassen«, wie er sich ausdrückte, »nach der scheißverfickten Schule«. Die Eltern machten sich Sorgen. Sie ließen ihn nicht gern unbeaufsichtigt zu Hause. Ein Zehnjähriger mit den Kräften eines Erwachsenen, noch


dazu eines gut trainierten Handballers, konnte viel Blödsinn anstellen. Also verabredeten sie Kontrollanrufe. Er sollte sich regelmäßig bei der Mutter im Büro melden. Manchmal vergaß er es, dann rief sie an. Aber nach einer Woche spielte sich alles ein, und die anfänglichen Bedenken der Eltern wichen einem Zutrauen in ihren »Großen«, das sie erneut mit Stolz erfüllte. »Klasse, wie du das hier allein managst, Kumpel!«, lobte ihn sein Vater. »Papa, was ist ›managst‹?«, fragte Fred. Bald waren keine Kontrollanrufe mehr nötig. Fred daddelte viel auf dem Computer herum, war Stammgast bei Youporn, und wenn seine Eltern heimkamen, hatte er den Tisch gedeckt. Aber dann meldete er sich eines Vormittags völlig verstört bei seiner Mutter. Weil er in seiner Aufregung die Worte durcheinanderwirbelte, verstand sie nicht gleich, was er ihr sagen wollte. Sie müsse jetzt sofort nach Hause kommen. Er habe einen Wichtelmann gefangen. »Aber Fred, weißt du das denn nicht? Es gibt doch gar keine Wichtelmänner, das sind bloß Fabelwesen, Geschöpfe der Fantasie.« »Was ist ein Fabelwesen?«, fragte Fred. »Die sind nicht echt!« »Aber meiner ist echt!«, rief er aufgebracht. Jetzt war ihr alles klar. Er machte sich einen Jux mit ihr. Gerührt ging sie darauf ein und erklär-


te ihm, dass man einen Wichtelmann immer gut füttern müsse, sonst werde er böse. Sie bedauerte sehr, dass sie ihn sich nicht sofort ansehen könne. Er müsse noch bis Dienstschluss warten, aber dann käme sie sogleich auf ihrem fliegenden Besen angebraust. »Ha ha ha, Mama. Fliegende Besen gibt es doch gar nicht!« Wichtelmänner schon! Wie sich die Mutter vergewisserte, als der Sohn ihr den Heizungskeller aufschloss und einen Spaltbreit öffnete. »Nicht zu weit, sonst versucht er wieder wegzulaufen«, flüsterte Fred. Dort an die Wand gelehnt saß ein Kleinwüchsiger im Zwergenkostüm. Er trank gerade eine Tasse Kaffee und bediente sich bei den Schnittchen, die Fred ihm vorsichtig in seine Zelle geschoben hatte, damit er nicht böse wurde. Als die Mutter den Mann unter vielen Entschuldigungen freiließ und ihm eine saftige Spende für seinen am Dorfplatz kampierenden Zirkus mit auf den Weg gab, fing Fred bitterlich zu weinen an. Er hätte den kleinen Burschen gern behalten.


Foto: A. Reiffer

Der Autor Ich bin ein gläubiger Mensch. Ich glaube an den Spät-Western, das letzte Bier im Liegen. Und an die allein seligmachende Wirkung der Liebe einer Frau. Und in schwachen Stunden pflegt mein nervöser Geist ein beinahe freundschaftliches Verhältnis zum Gedanken der Reinkarnation. Wenn ich also in meinem späteren Leben als Polit-Magazin wiedergeboren werden soll, dann möchte ich »Panorama« sein. Und sollte Gabriel, oder welcher Erzengel gerade Dienst schiebt, schadenfroh lachen – »Da hätten Sie sich aber ein bisschen mehr Mühe geben müssen, im Leben!« –, sollte es also für eine ganze Sendung bei mir nicht reichen, dann wäre ich gern ein Beitrag über ein Rotlichtviertel in Oldenburg. Frank Schäfer, geb. 1966, lebt und schreibt in Braunschweig. Zuletzt erschien der Roman »Hühnergötter« (Limbus) und das Bilderbuch »Burg Herzberg Festival – since 1968« (Verlag Andreas Reiffer).


Axel Klingenberg

Die Wahrheit über Niedersachsen

In diesem Buch erfahren Sie, warum es Niedersachsen eigentlich gar nicht gibt beziehungsweise warum man vor einigen Jahrzehnten auf die Idee kam, Ostfriesland, Oldenburg, Schaumburg-Lippe, Hannover und Braunschweig in einem Bundesland zusammenzufassen – und was das Ganze mit der Schlacht im Teutoburger Wald und einem Massenmord in Verden zu tun hat. Axel Klingenberg besucht in Varel die kleinste Kneipe der Welt, singt das Matjeslied in Sande, erklimmt den Baumwipfelpfad in Bad Harzburg, verirrt sich in der Lüneburger Heide, begibt sich auf ein Himmelfahrtskommando in Nordenham, nimmt an einem konspirativen Treffen zwischen Fans von Hannover 96 und Eintracht Braunschweig teil und erkundet schließlich die blutigen Spuren Fritz Haarmanns. Am Ende wagt er sogar einen riskanten Selbstversuch und testet die niedersächsische Küche. Mit vielen Fotos und zahlreichen Freizeittipps. Axel Klingenberg: Die Wahrheit über Niedersachsen Broschur, 160 Seiten, ISBN 978-3-945715-16-1 Ebook, ISBN 978-3-945715-48-2

www.verlag-reiffer.de


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