9783945715161 umschlag Donnerstag, 1. September 2016 18:18:32
Axel Klingenberg
Die Wahrheit Ăźber Niedersachsen
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Axel Klingenberg Die Wahrheit über Niedersachsen Umschlaggestaltung: Karsten Weyershausen Satz/Layout: Andreas Reiffer Lektorat: Manja Oelze 1. Auflage 2016 © Verlag Andreas Reiffer Druck und Weiterverarbeitung: CPI books, Leck ISBN 978-3-945715-16-1 (Print) ISBN 978-3-945715-48-2 (Ebook) Verlag Andreas Reiffer, Hauptstr. 16 b, D-38527 Meine www.verlag-reiffer.de www.facebook.com/verlagreiffer
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Inhalt Vorwort ................................................................................... 6 Ruhmlose Vergangenheit – ruchlose Morde .................... 8 Einwanderungsland Niedersachsen ............................ 15 Welfennest Niedersachsen ............................................ 17 Ackerzucht & Viehbau .................................................... 18 Feste feste feiern .............................................................. 21 Fressen und Saufen in Niedersachsen ............................ 27 An der Nordseeküste .................................................... 32 Himmelfahrtskommando in Nordenham ................... 39 Im Oldenburger Land ...................................................... 44 Frühsommer in Sande ...................................................... 46 Drei gegen Drei ............................................................ 51 Ostfriesland .......................................................................... 55 Der Ostfriesenwitz im Wandel der Zeiten ................... 60 Ostfriesische Inseln .......................................................... 62 Papenburg ............................................................................. 66 Der Kolleriker ................................................................... 68 Die 10 kultigsten Kneipen Niedersachsens ................... 70 Osnabrück ............................................................................ 75 Hameln .................................................................................. 76 Schaumburg .......................................................................... 78 Bad Nenndorf ................................................................... 79 Loccum .................................................................................. 79 Hannover .............................................................................. 80 Hildesheim ........................................................................... 83 Göttingen ............................................................................. 85
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Das ist ja wohl der Wipfel! .............................................. 86 Harz ....................................................................................... 88 Die fünf kultigsten Ausflugsziele .................................. 91 Braunschweig ....................................................................... 93 Wolfenbüttel ........................................................................ 94 Königslutter ......................................................................... 96 Helmstedt ............................................................................. 97 Peine ....................................................................................... 98 Ilsede ...................................................................................... 99 Salzgitter ............................................................................. 101 Wolfsburg ........................................................................... 104 Triangel ............................................................................... 107 Vom Heidewind verweht ............................................... 108 In die Falle gelockt ........................................................ 110 Am Rockaway Beach .................................................... 111 Auf der Lüneburger Heide ........................................... 113 Lüneburg ............................................................................ 114 Celle ..................................................................................... 114 Pfingsten in der Südheide ............................................ 115 Wendland ........................................................................... 119 Niedersachsen Babylon ................................................. 120 Niedersachsens Schriftsteller ....................................... 127 Sportland Niedersachsen ............................................ 148 Das Jahr des Niedersachsen ......................................... 151 Literaturverzeichnis ......................................................... 153 Fußnoten ............................................................................ 154 Bildnachweis ...................................................................... 157 Autorenvita ........................................................................ 158
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Feste feste feiern Es ist Kaiserwetter wie jedes Jahr, weil es doch immer schon so war. Schießbuden, Karussells und Zuckerwatte, gebrannte Mandeln, eine Schaumstoffratte. Die Männer haben die Säbel gezückt. Die Gewehre sind mit Blumen geschmückt. Schützenliesel tralala Schützenkönig humptata Betrunkene Frauen marschieren auch mit, die armen Pferde halten kaum Schritt. Kinder laufen vor, neben- und hinterher, mitzusingen fällt ihnen nicht schwer. Die Liebe zur Heimat wird beschworen und lieb Vaterland die Treue geschworen. Schützenliesel tralala Schützenkönig humptata Gegen Hunger hilft die Bratwurst, Freibier trinkt man gegen Durst. Die Blaskapelle ruft laut zum Ball, Orden und Dekolletés blitzen überall. Erst sehen wir Fahnenweihe und Mummenschanz, dann folgen Jägermarsch und Ententanz. Schützenliesel tralala Schützenkönig humptata Der alte König nimmt die Parade ab, alle gehen zu Fuß, nur die Pferdchen im Trab. Sein Nachfolger schwankt (und steht doch fest),
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denn er hat Geld, im Gegensatz zum Rest. Seit 200 Jahren geht es immer so weiter – mit Freibier trinkt man das Fest sich heiter. Niedersachsen – das ist das Land, wo schon verkaufsoffene Sonntage in Bergen/Dumme, der Autofrühling in Peine und der Ostermarkt in der Justizvollzugsanstalt Celle echte Events sind, wenn sonst nur Heideblütenfeste in Buchholz HolmSeppensen sowie die Kürbis- und Apfeltage in Bad Bodenteich locken. Sehr schön ist ebenfalls das Buchweizenblütenfest in Geeste, das Kirschblütenfest in der Rühler Schweiz und das Blütenfest in Gnarrenburg. Ja, der Niedersachse weiß zu feiern, zum Beispiel den Erdbeermarkt in Asendorf, das Spargelfest in Aurich und das Erdbeer- und Spargelfest in Delmenhorst. Die letztgenannten Feste zeichnen sich durch ein äußerst abwechslungsreiches Programm aus, in dessen Mittelpunkt die kulinarische Verwertung von Erdbeerresten und Spargelstrunken gehört. Die traditionsreichsten Volksfeste in Niedersachsen sind jedoch die Schützenfeste. Hier kommt der Niedersachse ganz zu sich, spätestens ein oder zwei Tage nach Ende der Feierlichkeiten, mit einem dicken Schädel und einer pelzigen Zunge. Und einem großen Nachdurst, der nur mit Hilfe eines kühlen Konterbierchens bekämpft werden kann. Das größte Schützenfest findet in Hannover statt. Dort kommt es auch zum alljährlich größten Schützenausmarsch der Welt, an dem sich 10.000 Marschierer beteiligen, von denen ungefähr die Hälfte Musikinstrumente in der Hand hält, mit deren Hilfe sie halbwegs rhythmische Geräusche macht. Folkloregruppen aus den entlegensten Weltgegenden, zum Beispiel aus Mexiko und Ostfriesland, reisen nach Hannover, um die Stadt in eine Art gigantischen Megaballermann zu ver-
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Zu jedem Schützenfest gehört auch ein fröhlicher Umzug.
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wandeln, an dem sich eine Million Gäste beteiligen. Alles unter den wohlgefälligen Blicken des Schützenfestschutzherren und Maskottchens Ballerkalle, einer besonders geschmacklos gestalteten Schießscheibe mit grünem Schützenhut. Niedersachsens zweitgrößte Stadt, Braunschweig, wurmte es durchaus, mal wieder von der Landeshauptstadt bösartig überboten worden zu sein und erfand daher 1979 den Schoduvel, der sich innerhalb weniger Jahrzehnte zum größten Karnevalsumzug Niedersachsens, ja ganz Norddeutschlands mausern sollte. Die Initiatoren beriefen sich dabei auf mittelalterliche Vorkommnisse, bei denen fanatische Christen den Teufel durch die Stadt scheuchten – ein bizarrer Ritus, der jahrhundertelang völlig zu Recht in Vergessenheit geraten war. Nunmehr beteiligen sich Jahr für Jahr ungefähr eine Viertel Million Menschen an dieser Festivität. Brunswick helau! Doch auch andere Städte versuchen, Bräuche, die nicht hierher gehören (der Karneval passt nur ins Rheinland!) in Niedersachsen zu etablieren, weshalb Weinfeste nunmehr auch in Munster, Buxtehude und Moormerland-Warsingfehn begangen werden. Wein und Niedersachsen – ein unauflösbares Paradoxon! Originär niedersächsisch sind hingegen Feierlichkeiten wie der Krempelmarkt in Bersenbrück, der Herbst-Ladenhütermarkt in Bremervörde, das Felgenfest im Wesertal, das Pflasterfest in Hameln, die Pünte Tage in Haren, der Ockermarkt in Hilter am Teutoburger Wald, das Flachsfest in Jameln, die Sülfmeistertage (nicht: Suffmeister) in Lüneburg, das Kivelingsfest in Lingen, das Dreschfest in Müden, der Beestmarkt in Norden, der Holschenmarkt in Nordhorn, der Stutenkerlmarkt in Idafehn, das Eierschnorren in Nottensdorf, der Kiekemarkt in Trebel, der Stoppelmarkt in Uslar, der Fettmarkt in Dinklage, das Hasenmelkerfest in Dransfeld, das Eisenfest in Friesoyte (nur für die ganz Harten), der Forsythiensonntag in Emstek
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Heute habe ich SpaĂ&#x;, heute gehe ich als GieĂ&#x;kanne zum Karneval.
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(Forsythie ist übrigens das einzige Fremdwort, das jemals in dieser Ortschaft benutzt wurde), der Brokser Heiratsmarkt in Bruchhausen-Vilsen, die Schäfertage in Stadtoldendorf, der Brennholz- und Bauernmarkt in Rinteln, der Salz- und Ölmarkt in Salzbergen (wo sonst?), der Schneeflöckchenmarkt in Brake, das Musikfestival »Dornröschen rockt« auf der Insel Baltrum und das »Stadtfest Dissen skurril«. Man sieht also: Der Niedersachse weiß sich zu vergnügen. Oder sich zumindest ordentlich einen anzukümmeln, getreu dem Motto: Man kann auch mit Alkohol keinen Spaß haben. Nur die in den 80er und 90er-Jahren sehr beliebten Chaostage in Hannover finden nicht mehr statt. Die Tradition ist leider urplötzlich abgebrochen. Den Stadtvätern gefielen diese zwanglosen Zusammenkünfte junger Menschen wohl nicht besonders. Aber das Beispiel des wiederbelebten Schoduvels in Braunschweig zeigt, dass es nur eine Frage von Jahrhunderten ist, bis auch die absurdesten Bräuche ihre Rückkehr feiern können. Tipp: Der Weihnachtsmarkt in Braunschweig, rund um den Dom und die Burg Dankwarderode, darf mit Fug und Recht als einer der schönsten Deutschlands bezeichnet werden. Wenn nicht sogar als der schönste. Mindestens!
Niedersachsen Babylon »Um das reinste Deutsch zu lernen, sagt man, sollte man nach Hannover gehen. Der Nachteil ist, daß außerhalb von Hannover, das nur eine kleine Provinz ist, niemand dieses reine Deutsch
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versteht. Somit mußt du dich entscheiden, ob du gutes Deutsch lernen und in Hannover bleiben oder schlechtes Deutsch lernen und herumreisen willst.«58 Jerome K. Jerome »Manche Leuten erscheint die plattdeutsche Sprache grob und sie mögen sie nicht. Ich habe diese Sprache immer geliebt ... Es ist die Sprache des Meeres. Das Plattdeutsche kann alles sein: zart und grob, humorvoll und herzlich, klar und nüchtern und vor allem herrlich besoffen ...«59 Das sagte der große Kurt Tucholsky über diese wunderbare norddeutsche Sprache. Wobei man eigentlich von mehreren Sprachen sprechen müsste, denn das einzig wahre Plattdeutsche gibt es nicht, auch wenn es Bemühungen gibt, es zu vereinheitlichen und zu standardisieren. Aber ist nicht gerade das Tolle an einem Dialekt wie dem Plattdeutschen, dass er schon im nächsten Dorf, in der nächsten Stadt, im nächsten Landstrich ganz anders klingen kann und ein anderes Vokabular besitzt? Und, ja, es ist natürlich auch so, dass gar nicht in ganz Niedersachsen Plattdeutsch gesprochen wird. Die Region um Braunschweig und Hannover gilt sogar als die Gegend, in der das reinste Hochdeutsch gesprochen wird. Dafür ist in manchen Landkreisen das (Sater-)Friesische auch im Alltag noch gebräuchlich. Auch ostfälische Dialekte wurden bis vor wenigen Jahrzehnten noch viel gesprochen60. Doch ist es andererseits auch so, dass sich so etwas wie eine allgemeine norddeutsche Mundart herausgebildet hat, die auch in Bremen, Hamburg, Schleswig-Holstein und MecklenburgVorpommern durchaus verständlich ist, so dass viele Vokabeln aus dem Plattdeutschen auch in der heutigen Alltagssprache in ganz Niedersachsen zu finden sind. Aber was ist eigentlich Plattdeutsch genau? Richtig, die Sprache, die auf dem flachen Land gesprochen wird. Und davon gibt es in Niedersachsen verdammt viel.
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Was unterscheidet aber das Niederdeutsche von der hochdeutschen Standardsprache? Ganz einfach: Das Plattdütsch hat die zweite Lautverschiebung nicht mitgemacht. Das Hochdeutsche »t« wird daher im Plattdeutschen häufig, aber nicht immer, zu »d«. Aus der »Tochter« wird so zum Beispiel eine »Dochter«. Weitere Abweichungen: »ei« wird zu »ie« (aus dem »Deich« wird ein »Diek«), »schl« wird zu »sl« (aus »schlafen« wird »slapen«), »pf«, »f« oder »ff« wird zu »p« (aus »schlafen« wird einmal mehr »slapen« und aus dem »Affen« ein »Aap«), »schw« wird zu »sw« (aus »Schwein« wird »Swien«), »z« wird zu »t« (aus »Holz« wird »Holt«), »scht« wird zu »st« (»Straße« zu »Straat«), »b« zu »v«, »w« oder »f« (aus den »Weibern« werden beispielsweise die »Wiewer«) und innerhalb und am Ende eines Wortes wird »ch« zu »k« (aus »ich« zu »ik«). Auch die Grammatik weicht ein wenig ab. Der Dativ war zum Beispiel im Niederdeutschen schon immer dem Genitiv sein Tod: Aus »dessen Pferd« wird daher »den sie Peerd«. Hier ein kleiner Übungstext, in dem ich Ihnen wichtige Wörter aus dem alltäglichen niederdeutschen Leben vorstelle: Hinnerk (Heinrich) ist ein echter Fuulwams (Faulpelz), der fuscht (schlampig arbeitet), muddelt (chaotisch arbeitet), murkst (unprofessionell arbeitet), purkst (unüberlegt arbeitet) und nösselt (trödelt). Doch sogar er hat irgendwann Fieravend (Feierabend), denn es ist Freedag (Freitag), Klock veer (vier Uhr). Es ist also Zeit, in den Kroog (Kneipe) zu gehen, wie das de lütten Lüüd (die kleinen Leute) nun mal so tun, um einen Klönsnack (Schwätzchen) zu halten. Doch leider ist mal wieder so ein richtiges Schietwedder (nicht so gutes Wetter), so dass man sich anklööstern muss (mehrere Schichten Kleidung übereinander ziehen), zu oberst am besten einen Freesennerz (hässlich gelbe Regenjacke). An diesem Nachmittag ist es wie immer in Nieder-
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sachsen ziemlich dakig (neblig) und nattkoolt (nasskalt, klamm). Vielleicht pladdert (regnet) es sogar. Nein, ganz bestimmt sogar. Also büxt (läuft, rennt) man durch den Flaag (Regenschauer), bis man angekommen ist im Gasthuus (Gasthaus). Dort sitzt man dann etwas bedröövt (niedergeschlagen) in der Ecke herum, ist also der Gnatterkopp (mürrischer Mensch), der man schon immer war. Da hilft es nur, sich zu besupen (zu betrinken), weshalb Hinnerk in so großer Eile, wie er sie bei der Arbeit nie an den Tag legt, Beer (Bier) und Kööm (Schnaps) in sich hineinschüttet. Am besten direkt aus der Boddel (Flasche). Na dann: Proost (Prost)! Im Laufe der nächsten Stunden wird der sonst so schweigsame Hinnerk immer gesprächiger, die anderen Gäst (Gäste) sind schon leicht genervt von dem Spöökenkieker (Fantasten, Verrückten), der ihnen mit seinen immer gleichen Dööntjes (Anekdoten) de Ohren vulltuten tut (vollquatscht), also dibbert (ohne Punkt und Komma redet) und sich überhaupt ziemlich dickdoot (prahlt). Hinnerk ist also dröhnig (schwatzhaft) und dösig (dämlich), ein echter Döösbartel (Dummkopf ), Dummbüdel (Idiot) und Dömel (noch mal Idiot), der den lieben langen Abend nur Dummtüüch (Blödsinn) vertellt (erzählt). Na, wenigstens gibt er irgendwann einen Krogk (Grog) aus. Trotzdem ist auf die Dauer dieses Gedrömel und Gesabbel (Gefasel) des Fuulpuups (Klugsscheißers) kaum auszuhalten: »Klook as en Imm, bloos Honning schieten kanner er nich (Klug wie eine Biene, bloß Honig scheißen kann er nicht.)«, denkt sich Joochen (Joachim) und ist froh, dass irgendwann die Femke in den Kroog kommt, denn nun wendet Hinnerk sich dieser zu – immer in der Hoffnung, dass er mit dem Fruunsminsch (Frau) ein beden (bisschen) fründjen (flirten) kann, auch wenn er ein echter Beerbuuk (Bierbauch: Fettwanst) ist, der noch so viel Knallkööm (Sekt) ausgeben und swienegeln (unanständiges Zeug erzählen) kann, wie er will, er wird heute doch nicht mit dem Deern (Mädchen) pimpern (Sex
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haben), denn der Dickfrett (Vielfraß), denkt sie, ist zwar ganz drullig (drollig), aber ihn snuteln (küssen)? Nein, danke! Dabei würde sie ganz gut zu ihm passen, kumplett (korpulent) wie sie nun ist. Doch als der Flööz (Flegel) dann beginnt, sie zu togriepen (begrabschen) und sich einen Puss (Kuss) klauen will, wird sie wirklich böse. Jetzt muss sie ihm ekarsch (bestimmt, energisch) Mores lehren (jemandem zeigen, wo es langgeht), denn so duun (beschwipst) kann sie gar nicht sein, dass sie mit ihm rammeln (Sex haben) möchte. Das passt ihm gar nicht, aber wenn er das eine nicht haben kann, nimmt er halt das andere und bestellt sich eine Blautwost (Blutwurst) und Gestklüten (Hefeklöße), auch wenn die Fleischware schon etwas galstrig (gammelig) ist, so freetsch (verfressen) ist er und so viel Smacht (Hunger) hat er. Danach ist er so satt, dass er druseln (einnicken) könnte, doch stattdessen geht er noch mal strullen (urinieren), um dann nach Hause zu wanken. Dabei vergisst er fast, zu betahlen (bezahlen), der olle Giezknuppen (alter Geizkragen), dem sowieso immer alles zu düer (teuer) ist, weshalb er auch diesmal so tut, als hätte er seinen Geldbüdel (Portemonnaie) vergessen. Hinnerk, der schon ziemlich dwars kieken tut (schielt), ist natürlich viel zu auffällig, als er nach Hause kommt. Er bullert (poltert) so laut, dass seine Ehfru (Ehefrau) Levke, die Oolsch (Alte), natürlich wach wird. Sie ist ziemlich fuchtig (aufgebracht), denn es ärgert sie, dass er schon wieder betrunken ist. Deshalb ist sie eisch (böse) und bott (schroff ), wird geradezu bossig (boshaft). Die Trulla (blöde Frau) und Zippe (einfältige Frau), zwingt ihm wieder mal ein Gezauster (Streitgespräch) auf, dullharig (reizbar) und kattharig (zänkisch) wie sie nun mal ist. Das hat nichts mehr mit kabbeln (necken, zanken) zu tun! Hinnerk wünscht sich weg von seiner Leevsten (Liebsten) zu seiner Leifsten (Geliebten). Dann fällt ihm ein, dass er gar keine hat, denn nacheinander haben ihm Gesine, Heike, Silke, Karsta, Beeke, Bente, Rieke, Fenja,
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Nela, Seda, Hilla, Fenna und Erika eine Abfuhr erteilt, von Lasse, Fiete, Jan, Janne, Sören, Sönke, Jasper, Claas, Henning, Hendrik, Enno und Bodo ganz zu schweigen. Nur der Schafbock Godehard … Aber schweigen wir lieber von dieser Angelegenheit und wenden uns wieder den beiden ins klärende Gespräch vertieften Eheleuten zu. »Du Suupjaack (Saufbold)!«, schimpft sie, »du Struntje (Taugenichts), du Duuskopp (Tölpel)!« Hinnerk ist nun wirklich kein Duuknack (Duckmäuser), auch wenn er sich fast inpuuschen tut (in die Hose macht), so viel Bang (Angst) hat er vor der Bellhex (garstiges Weib). Also sucht er nach Fisematenten (Ausreden), warum er wieder viel zu spät nach Hause gekommen ist, er will sie also anmeiern (anschwindeln), aber sie schreit einfach nur weiter, so brastig (wütend) ist sie: »Du sallst noch lüttje Kötels schieten (Du wirst noch mal kleine Knödel scheißen: Dir wird es einmal schlecht ergehen)!« Doch Hinnerk lässt sich nicht to Minna maken (zur Minna machen) und brüllt zurück: »Kummandeer diene Hunnen un blaff sülvst (Befehle deinen Hunden und belle selbst – Ich lasse mir von dir nichts sagen)!« Das ist zu viel! »Klei mi an de Feut (Du kannst mich mal!)!«, schreit Levke. Hinnerk zahlt mit gleicher Münze zurück: »Kannst mi wat in de Neers licken (Leck mich am Arsch!)!« Daraufhin packt Levke Hinnerk, den Bölkhals (Schreihals) und Bangbüx (Feigling) am Klafittjen (Schlafittchen), um ihm zu verposematuckeln (klar zu machen), wer hier die Hosen anhat, weshalb sie ihn erst verhohnepiepelt (verhöhnt) und ihm dann eine Backs (Ohrfeige) gibt, die in eine ganze Serie von Wicks (Schlägen) in die Freet (Fresse) übergeht. Sie klabatscht (verhaut) ihn also mal ordentlich und als er »Dat di de Drummel (Verflucht sollst du sein!«) murmelt, kriegt er gleich noch ein paar. Sie verbimst ihn also, verjakst, verleddert, vertimmert und verto-
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backt (alle: verprügelt) ihn und versahlt ihm dat Fell (versohlt ihm das Fell). Nach dieser etwas einseitigen Tagelee (Schlägerei) ist Hinnerk etwas bedeppert (verwirrt), aber irgendwie hat er ja auch Dusel (Glück) gehabt, denn er hätte auch doot (tot) auf der Addelkuhl (Güllegrube) liegen können, so ist es nur der Meesfaalt (Misthaufen) auf dem er am nächsten Morgen upwakt (aufwacht). Doch warum ist er blecksteerts (nackt)? Hinnerk möchte die Antwort lieber nicht wissen. Ganz kodderig (flau im Magen) ist ihm jetzt, Koppien (Kopfweh) hat er auch und sogar kölken (erbrechen) muss er. Hei seht ut as een nüchtern Kalv (Er sieht aus wie ein nüchternes Kalb: Er sieht krankt, blass, mitgenommen aus) und fühlt sich, als ob er bald einen Kulengraver (Totengräber) bräuchte. »Se hebt mi ’n gebrukten Dag andreiht (Sie haben mir einen gebrauchten Tag angedreht: Heute ist nicht mein Tag)«, denkt er bedüüst (zerstreut) und druus (griesgrämig) und macht sich auf den Weg zum Pillendreiher (Apotheker). Doch andererseits weiß er, dass sik dat wieder wegschitt’ (Es wird schon wieder), denn: »Wat mutt, dat mutt (Was sein muss, muss sein)!« Auch wenn ihm gerade ziemlich elennig (elendig) ist, weiß er doch, dass ein Dasein, das ständig zwischen Zwitschern (Saufen) und Utduhnen (Ausnüchtern) wechselt, auch ein geregeltes Leben ist. Und heute Abend geht er wieder fiern (feiern), denkt er vor dem Druseln. Tipp: Nun muss man zugeben, dass das Plattdeutsche immer mehr aus dem Alltagsleben verschwindet. Schön, dass es aber zu hohen Feiertagen noch aus der Klamottenkiste gezergelt wird. In Bad Zwischenahn gibt es sogar die Möglichkeit zu einer Plattdeutschen Trauung im dortigen Freilichtmuseum.
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