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Und nicht zuletzt ein Buch, das beweist: Alle Wege führen zum Heavy Metal. Man muss es nur wollen. Frank Schäfer berichtet über dessen Wegbereiter: Robert Johnson, Leo Fender, Jimi Hendrix, Jeff Beck, Rory Gallagher, Led Zeppelin, Hawkwind, Malcolm Young, Uli Jon Roth, Hannes Bauer, Judas Priest und viele andere mehr.
Frank Schäfer Die Neuerfindung des Rock’n’Roll
Ein Buch voll toxischer Gitarrensoli. Ein Buch über die Musik von vorgestern. Ein Buch über Proleten, die sich die Produktionsmittel aneignen. Voller Mythen und Legenden.
Die Neuerfindung des Rock’n’Roll Essays
edition kopfkiosk | Bd. 02 ISBN 978-3-945715-71-0 9,50 EUR (D)
Frank Schäfer
FRANK SCHÄFER, geb. 1966, Dr. phil, lebt als Schriftsteller, Musik- und Literaturkritiker in Braunschweig und schreibt u.a. für »Rolling Stone«, »Rock Hard«, »Neue Zürcher Zeitung«, »taz«, »Zeit online«. Neben Romanen und Erzählungsbänden sind diverse Essaysammlungen und Sachbücher vor allem zur Musik und Popkultur erschienen. Zuletzt: »Jagdszenen in Niedersachsen«, »Hear ’em All. Heavy Metal für die eiserne Insel« (als Hrsg.) und »Burg Herzberg Festival – since 1968«.
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»Es muss eine Epiphanie gewesen sein für den jungen Kenneth Downing aus Yew Tree, dem Sozialhilfe-Ghetto am Rande von West Bromwich im Herzen des Black Country, als an einem Abend vor fünfzig Jahren dieser alte Ford Transit an ihm vorbeifährt. Ein Bandbus. Er erkennt den Sänger Al Atkins und er liest die großen, in grünem Sprühlack nachlässig auf die Seite des vorbeifahrenden Ford geschmierten Buchstaben: JUDAS PRIEST. Er will jetzt vor allem eins – auch in diesem Bus sitzen.«
Frank Schäfer
Die Neuerfindung des Rock’n’Roll Leseprobe Essays
Frank Schäfer Die Neuerfindung des Rock’n’Roll Essays Die edition kopfkiosk wird gestaltet und herausgegeben von Andreas Reiffer | Bd. 02 1. Auflage 2020 © Verlag Andreas Reiffer ISBN 978-3-945715-71-0 Verlag Andreas Reiffer, Hauptstr. 16 b, D-38527 Meine www.verlag-reiffer.de
Inhalt
Intro ...................................................................... 8 Kleine Kulturgeschichte der E-Gitarre .... 10 Hallelujah I love her so .............................. 22 Was kann ein armer Junge schon tun ....... 34 Was von Woodstock übrig blieb .................. 41 Als Jimmy Page den Hard Rock erfand ..... 60 Blues, Schweiß und Guinness ..................... 76 Space Hippies .................................................. 85 Die Neuerfindung des Rock’n’Roll aus dem Geiste des Proletentums ............... 92 Deutschland ist kein Gitarrenland ........... 107 Warum können wir nicht einfach Judas Priest sein? ........................... 119 Keine Pausen schon seit Oberhausen ...... 125 Outro ................................................................ 133 Bildnachweis ................................................... 134
Als Jimmy Page den Hard Rock erfand Der Zauber des Anfangs Der Stern der Yardbirds senkt sich 1967 bereits bedenklich. Schon eine Weile bleiben die Verkäufe weit hinter den Erwartungen zurück, ihr letztes Album »Littles Games« erscheint erst gar nicht mehr in England. Immerhin auf dem US-Markt spielen sie noch eine gewisse Rolle, deshalb verlegen sie ihre Tour-Aktivitäten jetzt auch vornehmlich nach Nordamerika. Man ist sich uneins, wie man stilistisch weitermachen soll. Sänger Keith Relf würde in Zukunft lieber weicher spülen mit Hippie-Folk. Jimmy Page hingegen, seit Jeff Becks Demission der Leadgitarrist und musikalische Kopf der Band, hat Cream und Vanilla Fudge gehört und die Jimi Hendrix Experience, er will genau das Gegenteil – harten, gitarrendominierten, mit einem Fuzz-Pedal heiß gemachten Blues Rock. Im Studio kommt er noch nicht richtig zum Zug, weil die Plattenfirma ihm mit Mickie Most einen Bubblegum-Pop-Produzenten vor die Nase setzt, aber live kann er sich endlich austoben als einziger Gitarrist. Auf der US-Tour im Frühjahr 1968 tut er dem frühen Beat und späteren Psychedelic Rock der Yardbirds Abend für Abend Gewalt an und arbeitet so mit Attacke an einem neuen Genre. Das Dokument dieser langsamen, nie wirklich abgeschlossenen Metamorphose der Yardbirds in eine Hard-Rock-Band ist der Mitschnitt von ihrem legendären Auftritt im Anderson Theatre, New York City, am 30. März 1968. Der abgerockte Schuppen liegt
zwei Blocks entfernt vom weitaus prestigeträchtigeren Fillmore East. Die Band kommt gerade aus Los Angeles, ihrer aktuellen Wahlheimat, ist müde vom Flug, und ausgerechnet jetzt steht ihre US-Plattenfirma Epic unangekündigt vor der Tür, um ein Livealbum aufzunehmen. Man glaubt den Ärger hören zu können, wenn Page auf dem Standard-Opener »The Train Kept A-Rollin’« nach ein paar obligatorischen Riff-Durchläufen seine vollaufgedrehte Telecaster erstmals quieken lässt wie ein Schwein vor der nahenden Fütterung. Ob es die Wut über das eigenmächtige Label ist oder die sportliche Herausforderung, dass die Bandmaschine mitläuft, das Testosteron jedenfalls fließt. Nicht nur Page wirkt überaus präsent an diesem Abend. Bei seinem ersten Solo macht er gleich so viel Tempo, dass der Rest kaum hinterherkommt. Und auch Frontman Relf weiß, was er seinem Bühnenpartner schuldig ist. Vor »Shapes Of Things« beschwört er beinahe demütig dessen Qualitäten. »Die Leute dachten, wir würden den Solopart niemals auf der Bühne wiederholen können, aber wir haben das ziemlich gut hingekriegt ... Jimmy magic fingers, grand sorcerer on the magic guitar ...« Die »Shapes Of Things«-Petitesse ist einer seiner leichtesten Übungen. Im zweiten Song »You’re A Better Man Than I« hat er da schon viel mehr gezeigt. Die Studio-Aufnahme dieser hübschen, durch Jeff Becks Distortion-Solo leicht angerauhten Beat-Hymne ist erst zweieinhalb Jahre alt, aber wenn man sie mit diesem wilden Rodeoritt vergleicht, kommt sie einem vor wie aus eine anderen Zeit. Auch der etwas blasse Chi-
cago-Blues »Drinking Muddy Water« von »Littles Games« bekommt hier untenrum den dringend nötigen Druck. Bei der frühen Version von »Dazed and Confused«, damals noch »I’m Confused«, setzt Page bereits den Violinenbogen ein und kreiert im ausgedehnten Mittelteil sein eigenes kleines Improvisationstheater. Er weiß genau, was ein Rocker seinem Publikum mittlerweile schuldig ist, nicht mehr nur Noten, sondern egonzentrischen Zirkus und viel Geräusch. Und wo Tony Iommi das Erkennungsriff von »Paranoid« erstmals gehört hat, ist nun auch klar. Den wahrhaft erschöpfenden Schluss des Konzerts liefert dann eine streckenweise völlig aus dem Ruder laufende Version von »I’m A Man«. Der Bo Diddley-Klassiker wird zerlegt und mit langen Leadgitarren-Exzessen rekombiniert. Hier betritt Page beinahe unbekanntes Terrain, seine funkensprühenden Legatoläufe nehmen schon die Metal-Gitarrenheroen-Nummern späterer Zeiten vorweg. Nicht nur an dieser Stelle haben die beiden Toningenieure Don Meehan und Buddy Graham die Live-Atmosphäre mit etwas zusätzlichem Szenenapplaus aufzuhübschen versucht. Stierkampfjubel und Gläserklirren sollten offenbar vom rappeligen Garagensound ablenken. Die Band ist entsetzt, als sie nach ein paar Wochen das Ergebnis zu hören bekommt. »Der Typ, der die Aufnahme besorgte, hatte sein Lebtag noch keine Rockband aufgenommen«, beklagt sich Jimmy Page später. »Er hatte nur ein Mikro für die Drums, unvorstellbar, und dann hatte er die falsche Gitarrenbox gemixt, sodass der Fuzztone, der uns erst unser Sustain gab, nicht mit aufs Band gekommen war.«
Die zu diesem Zeitpunkt bereits aus dem letzten Loch pfeifenden Yardbirds sprechen sich vehement gegen die Veröffentlichung aus und so verschwinden die Aufnahmen in den Archiven. Bis bald darauf Led Zeppelin die Bühne betritt und zur ersten Hard-Rock-Supergroup avanciert. Epic will auch ein wenig vom Hype profitieren und bringt drei Jahre später doch noch »Live Yardbirds: Featuring Jimmy Page« heraus, aber das Album steht nur vier Wochen in den Läden, weil Page sofort juristisch dagegen vorgeht. Ausgerechnet jetzt, wo er sich an der Spitze des Hard-Rock-Olymps wähnt, will er nicht an seine Lehrjahre in der Garage erinnert werden. Aber mit der Zeit verändert sich der Blick auf die eigene Geschichte. Der Zauber des Anfangs gewinnt an Suggestivkraft. Schließlich hat Page die Originaltapes – und noch ein paar dazugehörige Studio-Outtakes – »wiedergefunden« und neu abgemischt. Tatsächlich hört man ohne die nachträglichen Studiogimmicks mehr von der Band, vor allem von Jimmy Page selber, der hier schon viele seiner bekannten Zauberkunststücke zeigt, die er bei Led Zeppelin dann nur noch für die große Bühne ausbauen muss. Leider hat er dabei auch diverse Ansagen von Keith Relf herausgeschnitten. Fake hin oder her, die Erstveröffentlichung des Albums besitzt immer noch mehr Atmosphäre. Die Geburtsstunde des Headbanger Von Anfang an waren Led Zeppelin wild, schmutzig und zu laut – ein Live-Ereignis. Als Reaktion auf die zunehmende Intellektualisierung, Politisierung und Verschwurbelung der Popmusik Ende der Sechziger
hielten sie die Erinnerung an die triebgesteuerten frühen Tage des Rock’n’Roll wach. Sie wurden denn auch nicht in erster Linie von der »Woodstock Generation« gefeiert, sondern von deren jüngeren Geschwistern. Schon beim ersten Üben vor Publikum, in Skandinavien, überzeugten sie auf ganzer Linie, die anschließende, nur mäßig besuchte UK-Tour im Herbst 1968 schweißte die Band zusammen. Egal ob der Club voll war oder halbleer, auseinandergenommen haben sie ihn trotzdem jedes Mal. Als die Jeff Beck Group ihren US-Konzertverpflichtungen im Winter 68/69 wegen Unpässlichkeit nicht mehr nachkommen konnte, setzte sich Manager Peter Grant an die Strippe, um die Veranstalter davon zu überzeugen, diese neuen Yardbirds als Ersatz zu akzeptieren. Sie ließen sich darauf ein, auch weil ihnen Grant mit den Gagen ziemlich entgegenkam. Led Zeppelin waren mehr als ein Ersatz. Davon konnten sich Vanilla Fudge, MC 5, Iron Butterfly und Country Joe & The Fish gleich überzeugen. Jimmy Pages Truppe war als Support gebucht, entpuppte sich aber schnell als die eigentliche Attraktion. Das von ordentlich Airplay angefixte Publikum sah eine Band, die ihre Konkurrenz oft genug deklassierte. Led Zeppelin waren tight, ehrgeizig, vor allem machten sie keine Faxen. Während andere sich bitten ließen, erfüllten sie ihren Unterhaltungsauftrag vorbildlich. Sie kamen pünktlich auf die Bühne und erschöpften das Publikum mit einem Set aus rabiat inszenierten Blues-Standards, Yardbirds-Klassikern, wenigen Eigenkompositionen und ausgedehnten Instrumental-Exkursionen. Und sie
ließen sich aus der Reserve locken. Beim vierten Gig in der Boston Tea Party, am 26. Januar, spielten sie ihr Set zweimal durch und hinterher noch diverse Cover, ehe sie das Publikum nach über vier Stunden von der Bühne ließ. Beim zweiten Durchlauf von »How Many More Times« bemerkte die Band, wie die Jungs in der ersten Reihe ihren Kopf im Rhythmus gegen die Bühne schlugen. Die Geburtsstunde des »Headbanger« – kann eigentlich gar nicht anders gewesen sein! Gerade zu Beginn ihrer Karriere, als die Musikpresse sie als schlechte Cream-Epigonen auszusortieren versuchte, waren es vor allem ihre fulminanten Bühnen-Performances, die das Publikum hinrissen. Selbst die »Life«-Reporterin Ellen Sander, die mit solchem Radau nicht viel anfangen konnte und sich am Ende auch weigerte, über die Band zu schreiben, weil sie backstage wie Tiere über sie herfielen, hat ihnen später zugestehen müssen, dass sie on stage eine Klasse für sich waren. »Es war einfach unglaublich, welche Kraft sie Abend für Abend zeigten … Sie brannten ein Feuerwerk ab, hatten das musikalische Können und waren noch dazu hochmotiviert.« Wer sich alte Aufnahmen anschaut, sieht nicht nur Begeisterung beim Publikum, sondern auch Faszination, vielleicht sogar Verstörung. Ihr Ruf eilte ihnen voraus. Led Zeppelin waren böse, gefährlich, fraßen Frauen und waren mit dem Teufel im Bunde. Dieses Image brachten sie eins zu eins auf die Bühne. Der praktizierende Okkultist und Aleister-Crowley-Jünger Jimmy Page gab mit sinistrem Grinsen den Zeremonienmeister. Seine theatralische Gestik erinnerte mal an den Dirigenten eines Orchesters, der er zweifelsohne
war, mal an einen heidnischen Magier. Und wenn er mit dem Geigenbogen, der Insignie des vom Teufel gebenedeiten Virtuosen, bei der am Ende zwanzigminütigen rituellen Messe »Dazed And Confused« diabolisch schöne Obertöne aus seinem Instrument heraussägte, war allen klar, dass der schwarze Mann nicht in den Himmel kommen würde. Robert Plan zwar auch nicht, aber mit dem blonden Engelshaar, dem offenen Hemd, dem sich in der engen Jeans deutlich abzeichnenden Prachtstück und einem komplett durchsexualisierten Bühnenhabitus verkörperte er eine Art Kontrastprogramm – das Versprechen, dass man vorher zumindest noch eine Menge Spaß haben konnte. Es stand bis zur zweiten USTour durchaus auf der Kippe, ob Plant der Frontman bleiben würde, seine gockelhafte Extravaganz nervte die anderen, vor allem aber musste Page mit Erschrecken feststellen, dass sein Sänger bald mehr Blicke auf sich zog. Aber Plant durfte bleiben, auch weil er dafür sorgte, dass nicht nur Jungs ihre Konzerte besuchten. Mit Jimmy Pages Wechsel von der Telecaster zur Les Paul im Sommer 1969 war die Verwandlung von der psychedelischen Garagenband zur abwechslungsreichen Hard-Rock-Nummer für die ganz großen Bühnen abgeschlossen. Das Ambivalente, Widersprüchliche, das sich in ihren beiden Frontleuten manifestierte, zeigte sich auch im Musikalischen. Sie waren einerseits technisch versiert und jederzeit bereit, ihre Virtuosität mit großer Geste auszustellen, sich aber auch nie zu schade, stumpf einen draufzumachen. Sie ließen bei all dem Schalldruck und der zerstörerischen Energie immer auch leise Töne zu, zogen nicht nur simple, effekti-
ve Heavy-Riffs vom Leder, sondern übten sich auch in sanfter Folk-Filigranität oder gaben sich für eine halbe Stunde dem Blues hin. Und sie konnten zwischen diesen unterschiedlichen Registern mühelos hin und her schalten und sich damit auf der Bühne immer wieder selbst überraschen. Mit John Paul Jones hatten sie wenigstens einen Vernunftmenschen in ihren Reihen und mit John Bonham einen sublimen Kraftmeier. Bonzo war nicht nur unermüdlich und ungeheuer schlagkräftig, er besaß auch diesen ureigenen, leicht taumelnden und trotzdem stabilen Groove. Sein langes, sich steigerndes Drum-Solo »Moby Dick« gehörte, heute kaum mehr nachvollziehbar, stets zu den Höhepunkten der Show. Bis zu seinem Tod 1980, der das Ende von Led Zeppelin besiegelte, spielten sie über 600 Konzerte. (...)
Warum können wir nicht einfach Judas Priest sein? Es muss eine Epiphanie gewesen sein für den jungen Kenneth Downing aus Yew Tree, dem Sozialhilfe-Ghetto am Rande von West Bromwich im Herzen des Black Country, als an einem Abend vor fünfzig Jahren dieser alte Ford Transit an ihm vorbeifährt. Ein Bandbus. Er erkennt den Sänger Al Atkins. Ken hat bei ihm vorgespielt, ist aber abgelehnt worden, weil er den Blues nicht beherrschte, obwohl er ihn als Kind eines spielsüchtigen, schwer gestörten, gewalttätigen Vaters schon früh kennengelernt hatte. Downing geht also an jenem Abend nach ein paar Pints im Pub nach Hause, und er liest die großen, in grünem Sprühlack nachlässig auf die Seite des vorbeifahrenden Ford geschmierten Buchstaben: JUDAS PRIEST. Er will jetzt vor allem eins – auch in diesem Bus sitzen. Fasziniert von Hendrix, versucht er sich in mehreren Formationen. Mit Ian Hill am Bass gründet er schließlich Freight. Psychedelic Rock. Typische Haschermucke mit ellenlangen Gitarrensoli, die Ken mittlerweile spielen kann. Jetzt will Atkins bei ihm als Sänger einsteigen, weil die eigene Band sich mittlerweile aufgelöst hat. Man sucht nach einem neuen Bandnamen, es gibt mehrere Vorschläge, aber Downing will davon nichts hören. »Warum können wir nicht einfach Judas Priest sein?« Atkins bleibt irgendwann auf der Strecke, dafür kommt jetzt Rob Halford in die Band, ein schwuler Sänger mit fulminanter Range. Seine durch Mark
und Bein gehenden Eierkneifervocals definieren das Genre. Klassischer Heavy Metal kommt seitdem nicht mehr aus ohne diese kastratiöse Erkennungsfanfare des Shouters. Sie gastieren ein paar Jahre lang an jeder Milchkanne Großbritanniens, bis das Indie-Label Gull aufmerksam wird und sie unter Vertrag nimmt. Ein zweiter Gitarrist soll mehr Farbe ins Spiel bringen. Glenn Tipton ist der richtige Mann, der K.K. Downing, wie er sich jetzt nennt, zum Duell herausfordert. Von Anfang an hält ein beinharter Konkurrenzkampf die Gitarrenbruderschaft auf Spannung und spornt sie zu außergewöhnlichen Leistungen an. Bei »Rocka Rolla« spielt Tipton noch keine große Rolle, das Songmaterial ist so gut wie fertig. Das Album krankt vor allem an seiner schlappen Produktion und stilistischen Unausgegorenheit. Man scheint nicht genau zu wissen, was man machen will – Glam, Psychedelic, Hard Rock? Der Nachfolger »Sad Wings Of Destiny« zeigt sich reifer, druckvoller, aber die Arrangements sind weiterhin verspielt, operettenhaft, eben »progressiv«, wie es der verwirrte Zeitgeist Mitte der Siebziger verlangt. Der Nachfolger »Sin After Sin«, erstmals beim Major Label CBS, klingt da schon homogener, geschlossener und die wild gedroschene Schlussnummer »Dissident Aggressor« weist den Weg. Auf den beiden folgenden Alben aus dem Jahr 1978, »Stained Class« und »Killing Machine«, sind sie eine komplette Metal-Band in Vollledermontur. Nicht nur der Sound, auch ihr Outfit beeinflusst das Genre maßgeblich. Als im Jahr darauf die New Wave
Of British Heavy Metal als das nächste große Ding ausgerufen wird, können sie sich mit einigem Recht als Vorreiter der Bewegung auf die Schulter klopfen lassen. Die folgenden Alben perfektionieren, sublimieren und kommerzialisieren nur noch das Konzept. Jetzt entstehen die Hits und Hymnen – »Breaking The Law«, »Metal Gods«, »You’ve Got Another Thing Comin’«, »Freewheel Burning« usw. usw. Jedes der nun folgenden Alben aus der ersten Hälfte der Achtziger, »British Steel«, »Point Of Entry«, »Screaming For Vengeance« und »Defenders Of The Faith«, gehört mehr oder weniger zum Klassikerkanon. Aber irgendwann in dieser Zeit bekommt die Kreativpartnerschaft zwischen Downing und Tipton einen Knacks, der lange vom Goldlack des Erfolgs übertüncht wird, aber irgendwann zum Bruch führen muss. Tipton beansprucht immer mehr Raum für seine Solobeiträge und Riffs, er beginnt die Band zu dominieren. Vielleicht zu Recht. Auf jeden Fall zum großen Missvergnügen Downings. 1991 will der zum ersten Mal den Bettel hinschmeißen. Die Zeiten für klassischen Metal stehen ohnehin schlecht. Judas Priest reagieren und überschreiten die Grenze zum Speed Metal, was ihnen viel Achtung in der Szene einbringt, sich aber nicht auszahlt. Kommerziell ist »Painkiller« eine Enttäuschung. Rob Halford kommt Downing zuvor, er steigt aus, um mit seinem ruppigen Fight-Projekt Anschluss an den zeitgenössischen Metal-Geschmack zu bekommen, aber auch das misslingt auf ganzer Linie. Für eine Weile sieht es so aus, als seien Judas Priest Geschichte. Man hält die Füße still, lebt von den Tantiemen, letzt-
lich sorgt das Moratorium aber auch dafür, dass sich Downing beruhigt. Der große Krach wird noch einmal vertagt. Man probiert es mit einem neuen Sänger, Ripper Owens, und einem an den Neunziger-Heroen Pantera geschulten Stil. »Jugulator« und »Demolition« sind viel zu hart, so etwas will keiner von ihnen hören. Als Sharon Osbourne ihnen schließlich ein lukratives Angebot für eine Reunion auf dem Ozzfest unterbreitet, haben es Judas Priest weitaus nötiger als Rob Halford, der in der Zwischenzeit Roy Z gefunden hat, einen talentierten Songwriter, Produzenten und Stilmimetiker, mit dem er zur Freude der Fans die alten Priest-Zeiten wiederaufleben lässt. Dennoch wünschen sich alle eine Reunion. Die kommt dann auch mit dem erwartbar rückwärtsgewandten Album »Angel Of Retribution«. Kein großer Wurf, aber es beschert ihnen volle Hallen. Man will die vereinigte Band einfach wieder live sehen. Und schon schleicht sich erneut die Ambition durch die Studiohintertür. Sie hört auf den Namen »Nostradamus«. Ein enttäuschendes Konzeptalbum. Man sieht vor lauter Riffs die Songs nicht mehr. Downing ist angefressen von den sehr verhaltenen Reaktionen der Kritiker und des Publikums: Es fehle den heutigen Hörern an der nötigen Aufmerksamkeitsspanne. Aber mit Publikumsbeschimpfung hat noch nie jemand seine Fans zurückgewonnen. Er muckelt, versteht die Metal-Welt nicht mehr, wünscht sich Altersteilzeit. Noch ein paar Jahre touren, aber nicht noch einmal monatelang ins Studio. Glenn Tipton hingegen will die Scharte mit neuem Material auswetzen und hat den Rest der Band auf sei-
ner Seite. Also haut Downing 2011 in den Sack und verpasst damit den grandiosen Schwanengesang im klassischen Soundgewand. »Redeemer Of Souls« schlägt die Wegmarken ein, aber mit »Firepower« ist man vollends zurück, nämlich bei »Screaming For Vengeance« und »Defenders Of The Faith«. Kein bloßes Gebretter mehr, das den Jüngeren sowieso leichter von der Hand geht, sondern Hymnen, die einen durch die tiefe Nacht begleiten, Refrains, die nicht mehr den Umweg über das Zerebrum machen müssen, sondern sich gleich mit dem vegetativen Nervensystem verbinden, und unvergessliche Pathos-Slogans, die der Heldentenor Halford mit der ihm eigenen Intensität ins Langzeitgedächtnis meißelt. »Rising from Ruins«, in der Tat. Man kann sich den Priest-Fan wieder als glücklichen Menschen vorstellen. Die Eifersucht nagt an Downing. Glenn Tipton hat ihm die Band weggenommen. Folglich teilt er nun ordentlich aus gegen seine Nemesis und erklärt sich irgendwann sogar zum Gegenpapst – mit KK’s Priest. Der Wettkampf geht in die nächste Runde. Sie geben einfach keine Ruhe.
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FRANK SCHÄFER, geb. 1966, Dr. phil, lebt als Schriftsteller, Musik- und Literaturkritiker in Braunschweig und schreibt u.a. für »Rolling Stone«, »Rock Hard«, »Neue Zürcher Zeitung«, »taz«, »Zeit online«. Neben Romanen und Erzählungsbänden sind diverse Essaysammlungen und Sachbücher vor allem zur Musik und Popkultur erschienen. Zuletzt: »Jagdszenen in Niedersachsen«, »Hear ’em All. Heavy Metal für die eiserne Insel« (als Hrsg.) und »Burg Herzberg Festival – since 1968«.
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»Es muss eine Epiphanie gewesen sein für den jungen Kenneth Downing aus Yew Tree, dem Sozialhilfe-Ghetto am Rande von West Bromwich im Herzen des Black Country, als an einem Abend vor fünfzig Jahren dieser alte Ford Transit an ihm vorbeifährt. Ein Bandbus. Er erkennt den Sänger Al Atkins und er liest die großen, in grünem Sprühlack nachlässig auf die Seite des vorbeifahrenden Ford geschmierten Buchstaben: JUDAS PRIEST. Er will jetzt vor allem eins – auch in diesem Bus sitzen.«