Andechser Bergecho 1-2011

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Aus Kirche und Kloster

braucht sie? Warum so viel Gleichgültigkeit? Eine alternde, müde Kirche braucht dringend junge Leute. Auf die Jungen hören anstatt sie zu bepredigen – das war sein pastorales Prinzip. »Es gibt nichts Schöneres für einen Priester oder Bischof, als wenn ihm junge Menschen Fragen stellen.« Kardinal Martini geht den Weg des Apostels Paulus, der heißt: Hören, was die Jungen sagen. Was er als Pharisäer gelernt und geübt hat, jeden Tag am Abend und am Morgen auf Gott zu hören, das hat er in seiner täglichen missionarischen Arbeit umgesetzt. Alle seine Briefe sind Antworten auf Fragen. Als ein Mazedonier in dunkler Nacht ruft, komm herüber zu uns, dann hört Paulus diesen Hilferuf und bricht auf in eine neue Welt. In Philippi hört er die Einladung einer suchenden Frau und gründet in ihrem Haus eine erste Hausgemeinde. In der Hafenstadt Korinth hört er die Hilferufe gequälter und ausgebeuteter Sklaven und richtet sie auf. Wenn auf der Burg Akrokorinth 1000 junge Menschen ihren Körper den heidnischen Liebesgöttinnen und Liebesgötter prostituieren, dann hört er die Hilferufe der Korinther nach sexueller Führung und stärkt in ihnen das Bewusstsein: Euer Leib ist ein Tempel des Heiligen Geistes. Lieber Abt Odilo, Du bist ein Meister des Zuhörens. Eine Situation hat sich mir eingeprägt. Jeden Mittwochnachmittag in einem Hinterzimmer des Klosters. Unterschiedlichste Leute kommen herein: der Professor, der Student, die Krankenschwester, die Gemeindereferentin, der Kaplan, die Hausfrau, alles junge Menschen. Und dann kamst Du, in einer Kutte, in der Rechten eine Bibel, in der Linken ein Tragerl Andechser. Du hast Dich hingesetzt und zugehört: den Suchenden und Fragenden, den Geknickten und Bedrückten, den Gebildeten und den Eingebildeten. Und das seit 40 Jahren. Weil Du das getan hast, hast Du uns Perspektiven aufgetan. Dein seelsorgerliches Prinzip ist: Nicht zuerst dozieren, lehren, antworten, sondern zuhören, einfühlen, verstehen. Und erst dann ein Hinweis auf einen Schritt, eine Perspektive, einen möglichen Weg.

3. Charismen entdecken und einsetzen

Das vergangene Jahr vor meinem Ruhestand war für mich nicht einfach. Ich hatte große familiäre Sorgen. Und dann die Angst vor dem Ruhestand. Die täglichen Gespräche mit Eltern, die der Kirche fern stehen und trotzdem ihre Kinder zur Erstkommunion führen wollen. Die Arbeit mit Gruppenleiterinnen, die skeptisch fragen: Eine Firmgruppe führen, ob ich das kann? Die angenehme Zusammenarbeit mit Kolleginnen und Kollegen im Ordinariat. Das gemeinsame Suchen mit Priestern und Laien, wie denn ihre Pfarrgemeinde lebendiger werden könnte. Und mit all dem sollte Schluss sein? All das würde mir fehlen. Was soll ich tun? Wie wird die Zukunft ausschauen? In meinem Suchen und Fragen schlug mir ein Freund vor: Komm zweimal im Monat nach Wien und arbeite dort in meiner Bibelschule mit. Das war wie eine Erlösung. Er lud mich zu etwas ein, was ich konnte, was ich gern tat, das mich nicht überforderte, das meiner Liebe zur Bibel und dem Arbeiten mit Menschen entgegen kam. Der Freund hat mir geholfen. Er ist mit mir den Weg des Apostels Paulus gegangen. Paulus hat dafür sogar ein eigenes Wort erfunden: Charisma. Er hat Menschen gebraucht und hat einen Blick dafür bekommen, wer bei seinem Missionswerk mitarbeiten könnte. Jede und jeder kann zu diesem Ziel etwas beitragen. Paulus verknüpfte da-

bei genial die Charismen mit dem Bild des menschlichen Leibes. Er entdeckte in seinen Gemeinden Menschen mit einem guten und gütigen Auge, andere, die zuhören können, die nicht auf den Mund gefallen sind, die praktische, zugreifende Hände haben, andere, die dynamisch unterwegs sind, neue Schritte wagen. Die Vorsteherin soll dabei fleißig sein, der Caritashelfer barmherzig, die Pädagogin klug und der Prophet sprachmächtig. Wenn alle zusammenarbeiten, die unterschiedlichen Begabungen nicht neidisch beäugen, sondern als Gewinn sehen, wenn Solidarität die treibende Kraft ist, dann können Gemeinden wachsen. Lieber Abt Odilo, Du hast viele Charismen entdeckt, hervorgeholt. Du hast Menschen Aufgaben gegeben, die sie nicht überfordern. Wer Bier brauen kann, wer einen Betrieb wirtschaftlich führen kann, wer sich in der Wissenschaft einer Bibliothek vertiefen will, wer Menschen geistlich führen kann, wer ein Raucherbein auszuwaschen vermag – immer hast Du den Menschen im Kloster, in der Gemeinde Sankt Bonifaz und außerhalb jene Aufgaben gegeben, die ihnen entsprechen. Kritik in Liebe, Hören was die Jungen sagen, Charismen entdecken und einsetzen – drei Anstöße des Apostels Paulus am Fest Pauli Bekehrung für eine müde und suchende Kirche. Sie umzusetzen ist unsere Bekehrung.


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