Amnesty Journal Juni/Juli 2014: "Stop Folter"

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Reggae und Kindersoldaten. Patrice Bart-Williams.

Die Geister des Bürgerkriegs Der deutsche Reggae-Sänger Patrice hat in Sierra Leone, dem Geburtsland seines Vaters, einen Kurzfilm mit ehemaligen Kindersoldaten gedreht. Von Daniel Bax

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acht liegt über dem Hafen von Freetown, nur eine kleine Barke schaukelt im Wind. Später sieht man eine Gruppe junger Männer in einem verwahrlosten Gebäude, die Schießübungen machen. So beginnt der Kurzfilm, den der Reggae-Sänger Patrice zu seinem neuen Album »The Rising of the Son« in Sierra Leone gedreht hat. Es ist das Regie-Debüt des 34-Jährigen, das bisher nur vor ausgewählten Zuschauern in Berlin und New York gezeigt wurde. Der gebürtige Kölner Patrice Bart-Williams ist der erfolgreichste Reggae-Star Deutschlands. Auch in Sierra Leone wird Patrice inzwischen als Musiker gefeiert. Ein ausdrücklich politischer Künstler ist er, trotz seines bedeutungsschweren Vornamens, aber nicht – seine Eltern benannten ihn nach Patrice Lumumba, dem ersten Ministerpräsidenten des unabhängigen Kongo, der 1961 vermutlich unter Mitwirkung der CIA ermordet und dadurch zu einer Ikone des afrikanischen Anti-Kolonialismus wurde. Mit seinem ersten Film tritt Patrice nun in die Fußstapfen seines Vaters, der ein bekannter Schriftsteller und Regisseur war. Gaston Bart-Williams kam, als Patrice elf Jahre alt war, 1990 bei einem Bootsunglück in Westafrika ums Leben. Pa-

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trice leugnet nicht, dass sein Vater ihn inspiriert habe, lehnt aber jeden direkten Vergleich ab: »Er hat an der Filmhochschule in Berlin studiert, ich bin Autodidakt«, rückt er die Dinge im Gespräch zurecht. Sein Film handelt von einem jungen Mann, der versucht, einer gefährlichen Gang zu entkommen. Im Subtext geht es Patrice um den Umgang mit Ängsten und der Suche nach sich selbst. Der Titel, »The Rising of the Son«, ist ein Wortspiel, das so klingt, als wolle Patrice aus dem Schatten seines Vaters heraustreten. Doch so ist es nicht gemeint, betont er: »Dahinter steht die Idee einer Art Wiedergeburt: mit den Erfahrungen der Vergangenheit, aber mit der Unschuld eines Neugeborenen«. Für Patrice ist das ein Lebensthema, denn an dem Tag, an dem er geboren wurde, starb sein Großvater. »Für meinen Vater war das ein Symbol für den Kreislauf des Lebens, dass das Leben immer weitergeht«, sagt Patrice. In seinen Liedern transportiert Patrice ein Lebensgefühl, das weit über jene simple Happy-Go-Lucky-Botschaft hinausgeht, auf die Reggae manchmal reduziert wird. Sein Roots-Ansatz und seine eingängigen, aber raffinierten Kompositionen sind eigen, lassen indes Bezüge zu Vorbildern wie Bob Marley erkennen. Seinen Film hat Patrice bewusst im Land seines Vaters gedreht. Ein bis zwei Monate im Jahr verbringt er in Sierra Leone. »Ich hatte schon immer eine große Sehnsucht, diesen Teil meiner Familie kennenzulernen, mich da öfter aufzuhalten und das Land zu verstehen.« Die Dreharbeiten hätten »in einem der schlimmsten Slums von Freetown« stattgefunden, berichtet Patrice. Seine Schwester betreibt in Freetown ein Projekt, das Stof-

aMnesTy JoUrnal | 06-07/2014


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