Bergeerleben - AVS-Magazin März 2016

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Gleichermaßen geeignet Muss man als Bergrettungsfrau Pinkeln im Stehen erlernen? Nein, es geht vielmehr darum, sich in dieser Männerdomäne einzubringen. Bergretterinnen sollten sich nicht damit abmühen, männliche Fähigkeiten zu kopieren, sondern ihre eigenen im Sinne des gemeinsamen Zieles, Menschen in Bergnot zu helfen, zu entfalten. Die Frauenquote im BRD liegt aktuell, über 40 Jahre nach dem Eintritt Margareths, bei nur circa vier Prozent, in Zahlen ausgedrückt bedeutet es, dass von 947 Bergrettern 42 weiblich sind. In Österreich und Deutschland sieht es ähnlich aus und das, obwohl man auch dort der Meinung ist, dass die Fähigkeiten von Frauen und Männern im Bergrettungsteam gleichermaßen gefragt sind.

Wer sind die Bergretterinnen? Von den 42 Bergretterinnen arbeiten heute etwa ein Drittel in einem sozialen Beruf, die restlichen in unterschiedlichen Sparten. Die Jüngste ist 19, die älteste 48 Jahre alt. Ihre Aufgabenbereiche in den Rettungsstellen sind vielseitig, wenn auch die Leitung des technischen Bereiches noch eher den Männern obliegt. Auffallend ist, dass die meisten in etwa gleich viel Zeit wie ihre männlichen Kollegen benötigen, um ihre Ausbildung zu beenden, ihr späterer Weg im BRD dann aber sehr unterschiedlich verläuft. Die

patriarchalen Strukturen sind zwar aufgebrochen, die Rahmenbedingungen scheinen für Frauen aber noch nicht optimal zu sein, was wohl oft auf die Familiensituation zurückzuführen ist, wie folgende Schilderung einer aktiven Bergretterin zeigt: „Es ist Samstagvormittag im April. Gegen 10.30 Uhr, als ich mit meinen beiden jugendlichen Söhnen beim Einkaufen bin, meldet sich das Alarmierungsgerät – Einsatz: Frau mit Fußverletzung! Also: schnell bezahlen, rein ins Auto, Jungs nach Hause bringen, umziehen, Anweisungen geben und schnell los zum Treffpunkt der Rettungsstelle. Dort tauschen wir die notwendigen Infos aus, Aufgaben werden verteilt und weiter geht’s nach einer eiligen Anfahrt etwa 20 Minuten steil bergauf zu Fuß bis zur Patientin. Während wir noch verschwitzt vom Anstieg die Erstmaßnahmen durchführen, dröhnt das Alarmierungsgerät ein weiteres Mal: Lawineneinsatz auf circa 3.200 Metern. Die Frau mit Fußverletzung wird versorgt, abtransportiert und an die Kollegen vom Weißen Kreuz übergeben, während wir schon das notwendige Zusatzmaterial besorgen und zum etwa 20 Kilometer entfernt gelegenen Hubschrauberlandeplatz fahren. Der Rettungshubschrauber bringt uns zur Lawine. Für einige Minuten wird mir der Blick auf die verschneiten Berggipfel und mein aufregendes Leben als Bergretterin bewusst, dann werde ich zum Son-

Bergretterin bei einer Übung mit dem Rettungshubschrauber in der Rienzschlucht Foto: BRD Tiers

Südtirols erste Bergretterin Margareth Ploner Foto: Archiv AVS

dieren des Lawinenkegels eingeteilt. Gegen 19 Uhr ist mein Einsatztag zu Ende. Ich bin müde und aufgekratzt zugleich und brauche noch Tage, um das Erlebte aufzuarbeiten.“ Im beschriebenen Fall ist die Akzeptanz des Partners – der selbst Bergretter ist – gegeben, die Kinder sind alt genug, sich für einige Zeit selbst zu versorgen und es ist Samstag. Was aber, wenn die Bergretterin kleine Kinder, ihr Mann eine andere Vorstellung von Freizeitgestaltung hat oder sie von der Arbeit nicht weg kann?

Mut und Freude Einsätze kommen fast immer unvorhergesehen und Bergretterin zu sein erfordert regelmäßige Weiterbildung. Der Kontakt zur Rettungsstelle muss gepflegt werden, damit die Teamarbeit funktioniert. Schwangerschaften oder auch die ersten Lebensjahre der Kinder ziehen oft enorme Engpässe in der persönlichen Freiheit nach sich. Nach längerer Auszeit braucht man als Frau viel Mut, wieder in den Bergrettungsdienst einzusteigen. Die Freude über einen gelungenen Einsatz kennt jedoch keine geschlechterspezifischen Unterschiede. Männern sagt man breitere Schultern und Frauen ein größeres Herz nach. Bleibt zu hoffen, dass die Frauen künftig begeistert genug sind, auch trotz Hindernisse Bergretterin zu werden und zu bleiben. Sonja Gorfer, Bergretterin im Bergrettungsdienst Südtirol

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