mensch & tier 2/2017

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Hund, der seine Individualdistanz einfordert. Er möchte nicht bedrängt werden, kann und will auch gar nicht damit umgehen, wenn er von fremden Menschen angesprochen, geschweige denn angefasst wird. Ganz offensichtlich wurde ihm nie vermittelt, wie das normale Miteinander in einem menschlichen Haushalt funktionieren sollte.

Ziehen wir doch mal einen Vergleich. Was macht einen guten Chef aus? Ein guter Chef bringt mir alles bei, was ich wissen muss, um meinen Job gut zu machen. Er kommuniziert klar und verständlich. Bei einem guten Chef weiß ich, woran ich bin. Er ist nicht launisch, nicht cholerisch, handelt nicht willkürlich. Er lobt mich für gute Arbeit, weist mich auf Fehler hin. Ähnlich wie „TyEr zeigt klar Grenzen auf, son“. Auch dieser schenkt aber auch Verprinzipiell freundtrauen und gibt Raum zur liche, temperamentpersönlichen Entwicklung. volle und lebensfroBei einem guten Chef weiß he Staffordshire-Mix ich ganz genau, was ich zu wartet schon lange tun und zu lassen habe. Er auf ein geeignetes motiviert durch entspreZuhause. Nicht nur, chende Anerkennung zur dass seine RasseLeistungssteigerung. Ein zugehörigkeit ihm guter Chef steht hinter seiSteine in den Weg nen Mitarbeitern, reguliert legt. Sein impulsives aber auch, wenn einer über und oft hitzköpfiges das Ziel hinaus schießt. Er Tyson Verhalten, gepaart organisiert, überblickt und mit einer geringen Frus­ handelt vorausschauend. Kurztrationstoleranz, machen eium, nur ein souveräner Chef ist ein ne Vermittlung in einen normalen guter Chef. Denn Souveränität verFamilienhaushalt nahezu unmög- mittelt Sicherheit und Respekt. lich. Auch bei „Tyson“ zeigen sich ganz klar SozialisierungsversäumKann ich das auf die Hundehalnisse, mit denen es nun umzugehen tung übertragen? Sicherlich nicht gilt. im vollen Umfang, denn ein wichMit anderen Worten haben beide nie gelernt, darauf zu vertrauen, dass in einer Hund/Mensch Beziehung immer der Mensch die Führung übernimmt. Doch wie lernt ein Hund das?

den wir nicht zwischen Arbeit und Feierabend. Und so selten wie es wirklich gute Chefs gibt, so häufig erleben wir Hunde im Tierheim, die eben nicht souverän durchs Leben geführt wurden. Und dann haben wir sie, die „Bennys“, die kontrollieren, die protestieren, die sich schwer damit tun, sich auf einen neuen Halter einzulassen. Denen man Zeit geben muss, Grenzen zu akzeptieren und sich führen zu lassen. Die erst lernen müssen, auf die Führung des Menschen zu vertrauen und Kontrolle abzugeben. Die „Tysons“, denen es schwer fällt, ihre Erregung der Situation anzupassen und Frust zu ertragen. Und denen man langsam beibringen muss, dass Reagieren das Leben wesentlich entspannter macht, als Agieren. Auf kaum einen Hund in unserem Tierheim passt die Aussage „wird nur in erfahrene Hände vermittelt“ so sehr wie auf „Jojo“. Ein junger kleiner Mischling mit niedlichen Fledermausohren. Und bei kaum einen anderen Hund ist die

Die Übernahme eines „schwierigen“ Hundes erfordert Erfahrung. Heikles Thema. Wann bin ich ein erfahrener Hundehalter? Wenn ich schon einen Hund besessen habe? Oder zwei, oder drei? Und geht Erfahrung immer mit Kompetenz einher? Sagt die Anzahl der Hunde, die mal bei mir gelebt haben, wirklich etwas über meine Fähigkeiten als Hundehalter aus? Und worauf genau zielt die Aussage „wird nur in hundeerfahrene Hände vermittelt“ eigentlich?

Es sagt sich immer so leicht daher, „man muss die Führung übernehmen“. Letztlich muss ich mich fragen, was erwarte ich von meinem Hund? Ich erwarte von meinem Hund, dass er auf mich hört. Dass er sich anpasst, sich an die Regeln hält und alles natürlich freiwillig und mit Freude. Schließlich gebe ich ihm ja auch alles was er braucht. Ich gehe mit ihm Gassi, er bekommt immer pünktlich sein Futter, und es wird ja auch ganz viel gekuschelt. Doch reicht das, um einem Hund Führung zu suggerieren?

tiger Aspekt wurde bei diesem Vergleich außen vor gelassen. Nämlich der der liebevollen Zuneigung. Und in den meisten Fällen lasse ich mir nicht abends auf der Couch den Bauch von meinem Chef kraulen. In der Hundehaltung unterschei-

Jojo Mitgliederjournal

• aktion tier – menschen für tiere e.V.

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