#25 – August 2019
CSD Halle (Saale) 2019
50 Jahre Stonewall - Erinnern heißt aktiv sein!
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CHRISTOPHER STREET DAY HALLE (SAALE) 2019: 50 JAHRE STONEWALL – ERINNERN HEISST AKTIV WERDEN • CSD-DEMONSTRATION: ZURÜCK IN DIE OFFENSIVE • INTERVIEW MIT MARTIN DANNECKER • ANTI-HOMOSTIGMA-RANT • PROTESTE GEGEN DIE IDENTITÄRE BEWEGUNG IN HALLE • HIV-BEZOGENER DISKRIMINIERUNG DEN ZAHN ZIEHEN • KUKU KOLUMNAS LETZTE WORTE
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EDITORIAL Liebe Leser_innen des red.-Magazins, liebe Freund_innen der Aidshilfe Halle, mit der aktuellen Ausgabe unseres Vereinsmagazins wollen wir gleich zwei Jubiläen feiern – die 25. Ausgabe der „red.“ und 50 Jahre Stonewall-Aufstände. Ein besseres Titelthema als 50 Jahre moderne LSBT-Bewegung kann es für die Jubiläumsausgabe sicherlich nicht geben. Zunächst wollen wir euch entsprechend über all die Veranstaltungen informieren, die im Rahmen des diesjährigen Christopher Street Day in Halle geplant sind – die Warmup-Party „Kumbüse Lübe“, die Veranstaltungen in der CSD-Woche, die erneute Demonstration durch die Hallesche Innenstadt und das traditionellen Straßenfest. Besonders stolz sind wir auf die Lesung von Martin Dannecker, der als Wissenschaftler und Aktivist die westdeutsche Schwulenbewegung entscheidend geprägt hat. Neben den wichtigsten Informationen zur Lesung am 3. September findet ihr ein umfangreiches Interview von Polittunte Patsy l’Amour laLove mit Martin Dannecker in diesem Heft.
sere Leben fordern, innerhalb der Szene oft selbst nicht leben. Der Photograph, Künstler und Autor Philipp Spiegel erzählt davon, wie er als HIV-Positiver Diskriminierung aufgrund seiner Infektion erlebt hat. Welcher Zusammenhang zwischen der zunehmenden Diskriminierung aufgrund von Geschlecht, Sexualität oder HIV-Status und dem Erstarken rechtsradikaler Kräfte besteht, wollen wir durch unsere Beiträge zu rechtspolitischen Netzwerken in Halle und Umgebung beleuchten.
Einen weiteren Schwerpunkt bildet das Thema Diskriminierung. Aktivist und Blogger Marcel Dams lässt in seinem Anti-Homostigma-Rant seinem Frust über Diskriminierung innerhalb der LSBTIQ-Szene freien Lauf. Er fragt zurecht, weshalb wir die Akzeptanz, die wir von der Mehrheitsgesellschaft für uns, unsere Identitäten und un-
Wir feiern 50 Jahre Stonewall, erinnern uns an die vielfältige und solidarische LSBTIQ-Geschichte und werden aktiv! Wir laden alle recht herzlich dazu ein, es uns gleichzutun!
Und sonst? Wir berichten von unserer Test- und Präventionsaktion auf dem MELT-Festival in Ferropolis und Kuku Kolumna, unsere blasende Reporterin, hat eine Botschaft für all die weißen, schwulen und straight acting Christopher Streets da draußen, die sich nichts sehnlicher erträumen als eine aufgeräumte und vor allem öde schwule Welt. Nicht mit ihr! Und auch nicht mit uns!
Martin Thiele, Geschäftsführer
INHALT AIDS-Hilfe Halle / Sachsen-Anhalt Süd.............................. 2
Für Solidarität ohne Grenzen..................................... 14 – 15
Editorial / Inhalt......................................................................... 3
MELT!-Festival 2019.................................................... 16 – 17
CSD Halle (Saale) 2019..................................................... 4 – 5
Diskriminierung den Zahn ziehen............................. 18 – 21
Anti-Homostigma-Rage.................................................... 6 – 7
CSD-Opening Party..................................................... 22 – 23
Lesung und Diskussion: Martin Dannecker................. 8 – 9
Kuku Kolumnas letzte Worte..................................... 24 – 25
Interview mit Martin Dannecker............................... 10 – 13
HIV-Schnelltest-Termine / Impressum............................... 27
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019: 2 ) le a a (S e ll a H y Da Christophe r Stree t
50 Jahre Stonewall
– Erinnern heißt aktiv werden! Das BBZ lebebsart und die Hallesche Aidshilfe wollen daran erinnern, dass vor 50 Jahren – genauer gesagt in der Nacht vom 27. auf den 28. Juni 1969 – eine Polizeirazzia in der einschlägigen New Yorker Szenekneipe „Stonewall Inn“ von den anwesenden lesbischen, schwulen und transgeschlechtlichen Gästen mit heftigem Widerstand begegnet wurde. Das Aufbegehren gegen die zum Alltag gewordene staatliche Repression und die darauf folgenden tagelang anhaltenden Ausschreitungen bilden einen entscheidenden Wendepunkt queerer Politiken. Die Stonewall-Aufstände waren die Haarnadel, deren Fallen von Lesben, Schwulen, Bisexuellen und Transgeschlechtlichen in der gesamten westlichen Welt vernommen wurde. Von nun an nahmen diese ihre Diskriminierung, Marginalisierung und Stigmatisierung nicht länger hin, sondern setzten sich entschieden gegen diese zur Wehr. Stonewall sollte als Beginn der modernen LSBT-Bewegung in die queere Geschichte eingehen, in deren Mittelpunkt von nun an Gay Pride stand, der Stolz auf das eigene sexuelle und geschlechtliche Anderssein.
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Doch aus diesem notwendigen Erinnern an die eigene Geschichte muss auch notwendig folgen, politisch aktiv zu werden. Vor 50 Jahren begehrte die Community auf und machte auf die gesellschaftlichen Missstände aufmerksam. Damit wurden Lebenswelten und politische Forderungen von LSBT erstmals zum Thema in der breiten Öffentlichkeit und der
Politik. Auch wenn wir schon viele Fortschritte erstritten haben, sind wir noch längst nicht in einer Gesellschaft angekommen, in der LSBTIQ ein selbstbestimmtes und repressionsfreies Leben führen können. So lange Menschen weltweit nach wie vor von Heteronormativität, patriarchalen Strukturen, alten und neuen rechten Strömungen, religiösem Fanatismus und regressiven Politiken unterdrückt werden, muss der soziale Kampf um Gleichberechtigung, Anerkennung und Teilhabe weitergehen! Daher findet am 7. September erneut der Christopher Street Day in Halle statt. Starten werden wir den CSD-Tag mit einer Demonstration durch die Hallesche Innenstadt, mit der unseren Identitäten, unseren Leben und unseren politischen Forderungen Sichtbarkeit verliehen werden soll. Wir treffen uns um 12 Uhr am Steintor. Für Musik, Regenbogenflaggen und jede Menge Konfetti ist gesorgt. Enden wird die Demo gegen 13:30 Uhr auf dem Hallmarkt, so dass ihr pünktlich 14 Uhr auf dem Marktplatz sein könnt, um den Beginn des CSD-Straßenfestes mitzuerleben. Hier könnt ihr miteinander und mit den queerpolitischen Akteur_innen Halles in den Austausch treten sowie ein abwechslungsreiches Bühnenprogramm erleben. Also: Seid dabei und setzt mit uns gemeinsam ein klares Zeichen für eine solidarische Gesellschaft, in der Menschen ohne Angst verschieden sein, leben und lieben können!
halle.aidshilfe.de
50Stonewall Jahre
ie d n i k c Ăź r u z
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CSD: Anti-Homostigma-Rage
Marcel Dams ist Autor, (Video)Blogger und sexpositiver HIV- & Queer-Aktivist. Er berichtet über das Leben mit HIV, queere Geschehnisse, Sex und gesellschaftlich relevante Themen. Für seine Videos auf YouTube wurde er bereits mit dem „Medienpreis“ der Deutschen AIDS-Stiftung und dem „Smart Hero Award“ von Facebook ausgezeichnet. Wenn mich jemand homophob anmacht, dann gibt es ab sofort einen Regenbogenkick. Das gilt auch für Homohasser in den eigenen Reihen, die sich wegen dem bisschen „Straight Acting“ oder weil sie „Heterolike“ sind für etwas Besseres halten. Ich habe in der Theater-AG immer ein „Sehr Gut“ bekommen. Wenn ich wollte könnte ich mich auch „Hetero verhalten“. Ich will es aber nicht. Denn spätestens wenn ich einen Schwanz lutsche oder gefickt werde, falle ich als das auf, was ich bin: Schwul. Queer. Ein Mann, der Männer begehrt. Du bist allerdings auch nicht unschwuler, nur weil du rein aktiv bist. Wir werden nicht erst schwul, wenn ein Schwanz uns mit aller Kraft zeigt, dass die Prostata ein Zentrum des Lusterdbebens sein kann. Der Glaube, die sexuelle Rolle macht dich männlicher oder weiblicher, ist nicht mehr als das Hereinfallen auf alte Geschlechterklischees.
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Ich habe als passiver Part schon Männer gefickt, ohne dass sie es merkten. Wer sich fallen lässt und der Leidenschaft den Handlungsstrang überlässt, der fickt den anderen. Egal ob aktiv
oder passiv. Noch besser fand ich es, wenn beide (oder halt alle, die dabei sind) sich gleichzeitig darauf einlassen konnten. Dann wurde es so gut, dass ich nicht selten für diese Momente all die Scheiße vergaß, die das „anders sein“ oft mit sich bringt. Ich war glücklich. Denn meine sexuelle Leidenschaft unterscheidet sich zwar von jener der Mehrheit, ich habe aber das Glück meine Bedürfnisse zu erkennen und den Mut sie auszuleben. Es ist diese Mischung aus Glück und Mut, die selten (ganz ist wohl niemand davor gefeit) dazu führt, dass ich andere abwerten muss, um mich selbst besser zu fühlen. Letztens wollte mich ein Typ ficken, der sich als sehr männlich und aktiv inszenierte. Schlagworte wie „Straight Acting“ und „Heterolike“ schmückten sein Gayromeo Profil, in dem ebenfalls stand, dass er sehr häufig von „den Boys“ bestätigt bekommt, wie gut er im Bett sei. Auch folgende Rezensionen im Gästebuch sprachen eine eindeutige Sprache: 1 „Der Schwanz entspricht in vollem Umfang den Erwartungen und wurde geliefert wie beschrieben. Top Produkt!“ 2 „Schnelle und unkomplizierte Spermaübergabe. 5 Sterne. Gerne wieder.“ 3 „Dieses Produkt löst einen Würgereflex bei mir aus. Ich würde es jederzeit wieder bestellen.“ „Super Voraussetzung“, war mein Gedanke. Erfahrung und positive Bewertungen schaden ja nie. Wir klärten noch schnell die Basics, welche für ein gelungenes Treffen von Bedeutung sind: Rollenverteilung, Vorlieben & Tabus, Safer Sex Absprachen, Lieblingsteilnehmerin bei RuPaulsDragRace, beide keine AfD-Wähler #KeinSexMitNazis. Ich war voller Vorfreude. Dann fragte er mich, ob ich denn öfter Sex habe. Ich war ehrlich und antwortete mit „ja“. Denn wir chatteten schließlich Samstagnacht. Keine Tageszeit, zu der ich mit dem Onlinestatus „Beziehung“ auf die Suche gehe. Woraufhin er mir mitteilte Nutten nicht aus-
Es ist ein ähnlicher Mechanismus, der hier eintrat. Schwul ist nur, wer sich ficken lässt, weil das angeblich der weibliche Part ist. Eine Nutte ist
gut zu sein. Gleichbehandlung sollte und wird auch eines Tages ohne Gleichheit möglich sein. Oft höre ich von der einen Seite, dass „Tunten, Schrille und Freaks uns schaden, weil wir anders behandelt werden, sobald wir uns so verhalten“. Die andere Seite behauptet, dass „Spießer Feiglinge seien, die sowieso nicht für die Emanzipation tun“.
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stehen zu können. Kurzer Witz zwischendurch: „Treffen sich zwei Nutten, sagt die eine zu der anderen. Ich kann dich nicht leiden, weil du eine Nutte bist.“ Nun ja, mein Interesse an einer (aktiven) Nutte, die ihre Doppelmoral nur auf das Gegenüber anwendet, schwand schnell.
höchstens der, der sich ficken lässt, weil das angeblich der weibliche Part ist (und wir alle wissen ja, dass Frauen dadurch zu Schlampen werden, was Männer zu Helden macht). Die Wahrheit aber ist, dass du genauso schwul bist. Und dass es deine Unsicherheit ist, die dich auf der Suche nach dem „heterolikem“ Strohhalm einholt. Weniger unsicher waren diejenigen, welche in der Christopher Street vor dem Stonewall Inn 1969 den Aufstand probten. Es waren vor allem Tunten, Drags, Trans*personen und lesbische Frauen die den Satz „Stonewall was a riot“ mit Leben füllten. Sie lebten ein queeres, ein anderes Leben, als es noch mit Razzien, Strafverfolgung und massiver gesellschaftlicher Verfolgung einherging. Mir geht es nicht darum, die heutigen Schwierigkeiten queerer Menschen zu relativieren. Mir ist aber wichtig, dass wir – gerade wo man immer häufiger auf Tuntenhass, Slutshaming, Bottomshaming und die Sehnsucht nach Anpassung stößt – nicht vergessen woher die Lorbeeren kommen, auf denen wir sitzen. Wer sich nicht auf ihnen ausruhen, sondern weitere ernten will, kommt nicht drum herum, Zukunft auch durch Erinnerung zu schaffen. Das geht nur gemeinsam und es geht nur, wenn wir alle mitnehmen, die unsere „Community“ ausmachen. Vielleicht kommt es jetzt sehr überraschend, aber: Ich war selbst lange homophob. Ich kenne die Hintergründe und den Wunsch endlich so zu sein, wie die anderen. Aber dieser Wunsch wird ein Wunsch bleiben. Ich habe so lange nach unten getreten, bis ich keine Kraft mehr hatte. Denn ich wurde abhängig vom Treten, um mich selbst ertragen zu können. Das Glück aber wartet dort, wo wir das Unveränderbare annehmen. Wir sind nicht gleich. Aber wir sind dennoch gut. Man muss nicht gleich sein, um
Warum kann das eine nicht mit dem anderen funktionieren? Wer Klischees erfüllt, hat genauso ein Recht darauf Teil der Gesellschaft zu sein, wie alle, die es nicht tun. Wir müssen Klischees weder widerlegen, noch erfüllen. Beides schadet niemanden, also sollte beides keinen Anlass bieten es jeweils negativ zu bewerten. Ist die Voraussetzung für Akzeptanz, dass kein Klischee erfüllt werden darf, dann handelt es sich vielleicht gar nicht um solche. Andersherum darf jeder sein „spießiges“ (ich nutze es als neutrale Beschreibung) Leben führen. Es macht die Freiheit aus, dass jeder er selbst sein kann, solange er niemand anderes verletzt. Das gilt immer in beide Richtungen. Mein Wunsch sind CSDs, an denen Normalos, Spießer, Tunten, Freaks, Twinks, Daddys, Lesben, Drags, Schwule, Bis, Fetischgruppierungen, Bären, Butches, Femmes, Trans*, Inter* sowie alle die ich jetzt nicht explizit nenne oder bei denen sich einige Zuschreibungen mischen, nebeneinander feiern und demonstrieren. Bitte ohne sich gegenseitig Schuldzuweisungen zu machen. Das hilft nur denen, die uns allen nicht wohlgesonnen sind. Happy Pride(s)! Text/Bilder: Marcel Dams Web: marceldams.com
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FORTWÄHRENDE
EINGRIFFE AUFSÄTZE, VORTRÄGE UND REDEN ZU HIV UND AIDS AUS VIER JAHRZEHNTEN Lesung und Diskussion mit Prof. Dr. Martin Dannecker
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Martin Dannecker Martin Dannecker lehrte als Professor am Institut für Sexualwissenschaft des Klinikums der Johann Wolfgang Goethe-Universität in Frankfurt / Main. Seine Themenschwerpunkte waren und sind männliche Homosexualität, HIV/AIDS, Sexual- wissenschaft und Psychoanalyse. Im Rahmen seines Engagements in der Schwulen- bewegung verfasste er u.a. mit Rosa von Praunheim das Drehbuch des wegweisenden Films „Nicht der Homosexuelle ist pervers, sondern die Situation, in der er lebt“ (1971). Heute ist er in Berlin als Sexualwissenschaftler, Sexualtherapeut und Autor tätig.
Martin Danneckers Debattenbeiträgen war entsprechend die Anerkennung des Anderen als Anderer, die Solidarität mit den Uneinsichtigen und die Bejahung der Sexualität gerade auch vor dem Hintergrund von AIDS.
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Als Aktivist und Sexualwissenschaftler hat Prof. Dr. Martin Dannecker durch sein Engagement für die schwule Emanzipation und die sexuelle Liberalisierung die Schwulenbewegung der 1970er Jahre maßgeblich mitgeprägt. Als sich diese in den 1980ern dann mit AIDS konfrontiert sah, erkannte Martin Dannecker bereits früh die Bedeutung, die dieses für schwule Männer individuell und kollektiv haben sollte. Er verfasste zahlreiche Texte, in denen er sich analytisch, immer aber auch politisch mit der als „Schwulenseuche“ gebrandmarkten Krankheit auseinandersetzte. Dabei bezog er ebenso rigoros Stellung gegen die vor allem von der damaligen CSU geforderten repressiven AIDS-Politiken wie er die Safer Sex-Kampagnen der AIDS-Hilfen kritisch begleitete. In den teilweise hitzig geführten Debatten vertrat er den Standpunkt einer durch die Psychoana lyse und die Kritische Theorie geschulten emanzipatorischen Sexualwissenschaft, die sich stets auf die Seite der Subjekte stellt. Kernstück von
Nun steht mit dem Band „Fortwährende Eingriffe“ erstmals eine Sammlung von Aufsätzen, Reden und Vorträgen Danneckers zum Thema HIV und AIDS zur Verfügung, aus der der Sexualwissenschaftler für uns lesen wird. Die Lesung soll ein Verständnis für die soziale und politische Situation während der AIDS-Krise und den damaligen Umgang schwuler Männer mit AIDS vermitteln. Darüber hinaus soll aber auch danach gefragt werden, welche Bedeutung die AIDS-Krise und die Erinnerung an diese für queere Bewegungen heute hat bzw. haben kann. Eine Veranstaltung im Rahmen des „Christopher Street Day Halle (Saale) 2019 – Erinnern heißt aktiv werden!“
Kuku Schrapnell (Moderation) Kuku Schrapnell ist Bewegungstunte und Aktivistin. Darüber hinaus arbeitet sie als Journalistin und empirische Sexualforscherin. Sie ist gut. MLU Melanchthonianum Universitätsplatz 9, Hörsaal C 03.09.2019 18:00 Uhr 9
Interview mit Martin Dannecker Der Sexualwissenschaftler Professor Martin Dannecker hat sich früh und kritisch mit HIV und Aids auseinandergesetzt, die HIV-Prävention jahrzehntelang mitgeprägt und auch die Sexualwissenschaft zur Beschäftigung mit dem Thema motiviert. Für sein neues Buch Fortwährende Eingriffe hat er Texte aus vier Jahrzehnten zusammengestellt. Für uns hat Patsy l’Amour laLove mit Martin Dannecker gesprochen.
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Mit deinem neuen Buch Fortwährende Eingriffe kommst du dem Wunsch vieler Leute entgegen, wieder mehr zu veröffentlichen. Wie fiel dabei die Wahl auf das Thema Aids? Angeregt dazu hat mich Clemens Sindelar, seit vielen Jahren im Bereich Prävention für schwule und bisexuelle Männer der Deutschen Aidshilfe tätig. Dann habe ich das, was ich zu Aids und HIV geschrieben und gesagt habe, angesehen und mich gefragt, ob die Texte haltbar sind. Auch im Hinblick darauf, ob sie den Erinnerungen meiner Generation gerecht werden und ob sie den jüngeren Ge-
nerationen ein tieferes Verständnis von dem vermitteln können, was Aids kollektiv bedeutet hat, welche Bedrohungspotenziale damit verbunden waren und auch welche unerwarteten Effekte – etwa die gesellschaftliche Integration der schwulen Männer dadurch, dass durch Aids ein Diskurs über Homosexualität angestoßen wurde. Einige der Texte erzählen von einer Zeit, die 35 Jahre zurückliegt. Erkennst du dich und deine Positionen auch in den älteren Artikeln wieder? Ja, das ist erstaunlich konsistent. Ich hatte beim Reflektieren über die Texte nicht den Eindruck eines Bruchs. Ein Beispiel ist meine kritische Haltung zu Safer Sex. Oft wird ja so getan, als sei das die leichteste Sache der Welt, wobei sowohl die Anstrengungen, ihn einzuhalten, verleugnet wurden als auch die Erinnerung an die Sexualität vor Aids – daran, dass diese möglicherweise lustvoll gewesen war und etwas mit Bedürfnissen zu tun hatte.
Dynamisierend war zum Beispiel der Konflikt mit Rosa von Praunheim. Dein offener Brief an ihn, der 1984 in der Zeitschrift „konkret“ erschien, ist der erste Beitrag in Fortwährende Eingriffe. Du sprichst in deinen einleitenden Worten dazu aus heutiger Perspektive von einem Irrsinn, den Aids zeitweise in die schwule Welt und in die gesamte Kultur gebracht habe. Das kann man heute wirklich schwer nachvollziehen. Eine maßlose Angst, mit einer derartigen Stärke, dass es wirklich irrsinnig wurde – es war völlig unklar, wohin es gehen würde, und sehr schwer, einen halbwegs kühlen Kopf zu bewahren. Der Sexualwissenschaftler Gunter Schmidt sprach von einer kollektiven hysterischen Reaktion, und das war ganz ernst gemeint. Auch in der Hysterie steckt ja ein Irrsinn, etwas Nicht-Reales. Hast du etwas von dem Irrsinn in deinen eigenen Texten wiedergefunden? Ich habe immer versucht, einen kühlen Kopf zu bewahren, die Prozesse zu analysieren. Das hatte auch immer etwas mit meiner eigenen Situation zu tun, aber eben nicht unmittelbar. Das ist sozusagen der Hintergrund, vor dem man spricht, eine bestimmte Erfahrung, die ich aber nie zum unmittelbaren Gegenstand machen wollte.
Ein Text im Sammelband zeigt aber, wie einmal mit mir eine grundlose Hoffnung durchging: In einem Kapitel aus „Der homosexuelle Mann im Zeichen von Aids“ (1991) nehme ich in einer merkwürdigen Sprache ohne irgendeine wissenschaftliche Grundlage die Behandlung vorweg, die es noch gar nicht gab und die auch gar nicht absehbar war, und deute neue Möglichkeiten schwulen Lebens an. Umgekehrt hatte ich nie, wie so viele andere es taten, den Untergang der schwulen Welt befürchtet. Bei aller Skepsis und Sorge, wohin das führen könnte, blieb bei mir eine Grundüberzeugung, dass Aids nicht zu einer totalen Verdammung des Homosexuellen führen würde. Ich vertraute offensichtlich auf die zivilisatorischen Kräfte dieser Kultur und dieser Gesellschaft. Hans Halter, damals Medizinjournalist des „Spiegel“, war Ende 1984 auf der Suche nach einer in der Community bekannten Person, die die Schwulen zum Verzicht auf ihr angeblich todbringendes sexuelles Leben auffordern sollte. Anders als Rosa hast du das abgelehnt und stattdessen in einem offenen Brief eine Kritik an Halter formuliert, die man in Fortwährende Eingriffe nachlesen kann… Ja, weil der Vorwurf kam, dass Aids der Gruppe der Schwulen anzulasten sei. Das war irrsinnig. Halter war ein Stück weit irrsinnig und rationalisierte mit dieser Zuweisung seine Schwulenfeindlichkeit ohne die geringste Anstrengung, etwas zu verstehen. Mit der Dramatisierung wollte er zwar erreichen, dass man so schnell wie möglich eine Wende und ein anderes Verhalten findet, um diese tödliche Krankheit einzudämmen. Das war aber mit ständigen Vorwürfen gegen die Schwulen verbunden und zutiefst homosexuellenfeindlich. Was er von mir wollte, war ein öffentliches Schuldgeständnis. Das lehnte ich ab. Schon in den 70ern habe ich allen Leuten, ob sie es hören wollten oder nicht, erzählt, dass ich schwul bin. Einfach um mir den Rücken freizuhalten. Damit hat sich auch bei anderen etwas bewegt, sodass es danach neue Beziehungen geben konnte mit diesem Wissen, dass ich ein Anderer bin und dass ich als der Andere akzeptiert werde – im günstigsten Falle. Und wenn das nicht der Fall war, habe ich heftig dafür gesorgt, dass das so ist –
halle.aidshilfe.de
Beschließt du mit dem Band trotzdem ein Stück weit das Kapitel Aids für dich? Ein abgeschlossenes Lebenskapitel ist das auf jeden Fall. So endet das Buch auch mit meiner Danksagung für die Ehrenmitgliedschaft in der Deutschen Aidshilfe. Gleichzeitig handelt es sich aber um ein unabgeschlossenes Kapitel. Die große Frage bleibt – die ich nicht mehr beantwortet habe –, was von diesen Erfahrungen in den tiefen Schichten der Seele bei Menschen meiner Generation übriggeblieben ist. Wenn ich in die früheren Aufsätze gehe, die zu einer Zeit entstanden sind, als es ganz heftig war, merke ich: Das ist einfach nicht in dem Sinne abschließbar, wie man es mit einer handhabbaren Erinnerung machen könnte. Dieses Thema ist immer wieder dynamisierend, weil man nicht nur an eine gesellschaftliche Situation denkt, sondern an Menschen, die auch bei reinen Situationsanalysen zumindest im Hintergrund immer eine Rolle spielen werden.
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oder Beziehungen abgebrochen. Diese ganz persönlichen Erfahrungen sind sozusagen ein Mikrokosmos der Gesellschaft und der Hintergrund dafür, dass ich es für möglich hielt, auf eine Konfrontation mit dem Schwulsein in den Zeiten von Aids eine andere Position einzunehmen als die des Verdammens oder des Todeswunsches. Deine fortwährenden Eingriffe betrafen nicht nur Aids als Krankheit. Ich hatte beim Lesen den Eindruck, dass es mehr noch um Stigmatisierung geht. Mit Sicherheit. Aber man musste die Überdramatisierung und die Stigmatisierungsprozesse analysieren, ohne eine Abstraktion vom Wesentlichen vorzunehmen, nämlich dass Aids eine tödliche, bedrohliche Krankheit war und dass man ganz elend daran gestorben ist. Das musste man immer auch sagen. Also nicht nur Irrsinn, sondern auch Realangst. Natürlich, das war eine Realangst vor dem Tod. Unter schwulen Männern war in der Zeit von 1985 bis Mitte der 90er in der banalen Frage, wie es einem geht, immer die Frage eingeschlossen: Ist was mit Aids? Wir dürfen nicht vergessen, dass man elend an Aids gestorben ist. Es ging um Angst, um Leiden und um die Frage, wie man mit dem Leiden umgeht. Das sollte man wirklich nicht vergessen. Aber es ging immer auch um die Angst vor dem psychosozialen Tod, also um Ausgrenzung, Stigmatisierung, Schuldzuschreibungen und Verächtlichmachen.
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Aus der Krankheit, für die das Akronym AIDS steht, ist das gewöhnliche Wort Aids mitsamt Eintrag im Duden geworden. Ich wurde einmal darauf hingewiesen, dass man heute nicht AIDS schreiben sollte, da das schwule Männer an eine schmerzliche Zeit erinnern könnte. Eine Angst, an die man sich erinnert, ist eine völlig andere Angst als die aktuelle Angst. Wenn ich sie unmittelbar erlebe, beherrscht sie mich, ich habe keine Distanz zu ihr. In dem Moment, in dem ich mich an die Angst erin-
nere, schreibe ich sie um, sie wird ein Stück weit bearbeitet. Darum sollte man nicht glauben, dass man die Menschen von dieser Erinnerung fernhalten muss, sondern ihnen ein freundliches Angebot machen, diese ursprüngliche Angst und diese Bedrohung in der Erinnerung zu bearbeiten. Diese Angst war prägend für die schwulen 80er, und diese Zeit wird häufig den goldenen, freien 70ern gegenübergestellt. Man versteht diesen Eindruck nur richtig, wenn man zurückgeht vor das, was als goldene Jahre bezeichnet wurde. Dort ist ein Versprechen in die schwule Welt gekommen, dass man durch die Liberalisierung freier und offener in seiner Sexualität wird. Ein Augenblick der Fantasie, dass jetzt alles möglich wäre, ohne Angst haben zu müssen, dafür diskriminiert zu werden. Das Ende der Heimlichkeiten, des strategischen Umgangs, der Problematisierung des eigenen sexuellen Verhaltens. Dieses Versprechen wurde in den 80ern wieder weggewischt. Auch im individuellen Erleben? Das war auch individuell so. Auf diese sehr, sehr kurze Epoche der relativen Angstfreiheit folgte eine bedrohliche Krankheit, die in den westlichen Ländern vor allem die Schwulen betraf. Am Kollektiv der Schwulen war abzulesen, was es heißt, damit umgehen zu müssen. Das war wirklich eine Lähmung. Manche Leute beschreiben, dass sie in der Phase der Liberalisierung heftig sexuell unterwegs waren und durch die Bedrohung Aids buchstäblich nicht mehr sexuell sein konnten. Das Erleben einer unmittelbaren Todesbedrohung führte zu einer schweren sexuellen Depression, zu einem Rückzug und dazu, dass der Körper des Anderen mit einem Tabu belegt wurde. Das war eine lange Zeit die eigentliche Prävention, Safer Sex war Verzicht. In Diskussionen und bei Vorträgen von Schwulen, die diese Zeit miterlebt haben, auch in einem Teil deiner Texte scheint auch die Erinnerung an frühere Mitstreiter_innen zentral zu sein. Es haben sich damals Leute, Gruppen und Personen gefunden, auch in den Aidshil-
halle.aidshilfe.de fen, die sich selbst ermächtigt haben. Diese Selbstermächtigung war gar nicht so einfach. Das Benennen der Menschen von damals ist auch eine Erinnerung an eine schwere Zeit, bestimmte Personen tauchen auf, mit denen man gemeinsam gekämpft hat. Es ist aber nicht nur eine Erinnerung an einen heroischen Kampf, sondern zugleich die Erinnerung an Menschen, die es nicht mehr gibt. Eure Generation hat damals auch neue Formen des Trauerns entwickelt. Ganz am Anfang war das erste öffentliche Trauern um unsere verlorenen Freunde deshalb so bedeutsam, weil wir sie damit gleichsam in unsere Mitte zurückholten. Wir haben damit gleichzeitig den Raub unterbunden, den ihre Familien an ihren schwulen Söhnen begangen haben. Mit Raub meine ich, dass auf den Beerdigungen in den Familien über Aids nicht gesprochen werden durfte und das schwule Leben der an Aids gestorbenen Söhne ungeschehen gemacht werden sollte. Viele Schwule, die Aids miterlebt haben, haben einen besonderen Umgang mit Trauer. Er ist humorvoll, und auch in den Erinnerungen an die 80er und 90er äußert sich ein ganz spezifischer Umgang mit dem Tod, zu dem beispielsweise kreative Trauerfeiern gehörten. Was war anders an diesen Trauerfeiern? Ich habe über diese öffentlichen Trauerfeiern erlebt, was kollektive Trauer ist. Das ist eine andere als die individuelle Trauer über jemanden, den man liebt und verloren hat. Die kollektive Trauer spürte man im ganzen Raum. In einem solchen Raum sind alle die Leidtragen-
den. Wenn man in einen solchen Raum gekommen ist, haben sich die Bestandteile der Luft verändert. Verließ man diesen Raum wieder, so hatte das schon etwas von einer Katharsis. Möglicherweise rührt der von dir festgestellte besondere Umgang mit Trauer derjenigen, die Aids miterlebt haben, aus deren Erfahrung des wiederholten Trauerns in einem relativ kurzen Zeitraum. Ich merke gerade, dass unser Gespräch immer wieder um die andere kollektive Erfahrung derjenigen kreist, die Aids in seiner alten, tödlichen Bedeutung miterlebt haben. In den Texten in meinem Buch steht dieses Thema manifest gar nicht im Mittelpunkt. Aber diese Erfahrung ist offensichtlich unhintergehbar. Das wirft die Frage auf, ob man diese Erfahrung nicht doch als kollektives Trauma bezeichnen soll. Darüber muss ich noch einmal nachdenken. Doch das würde dann auf ein neues Buch hinauslaufen, in dem es explizit auch um die Frage gehen müsste, ob Aids eine Generationendifferenz unter den schwulen Männern gesetzt hat. Die Sammlung Fortwährende Eingriffe mit Aufsätzen, Vorträgen und Reden von Martin Dannecker und einem Nachwort von Clemens Sindelar und Karl Lemmen ist als PDF auf aidshilfe.de abrufbar. Sie erscheint außerdem in Buchform im Verlag Männerschwarm (232 Seiten, 20 Euro). Erstveröffentlichung des Artikels auf magazin.hiv – Wir danken für die Genehmigung des Abdrucks in unserem Vereinsmagazin! Bilder: Doris Belmont
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In den letzten Jahren erleben wir ein Erstarken
um Rechtsgleichheit und Anerkennung für
rechtspolitischer Bewegungen in Politik und Ge-
ihre Lebensentwürfe zu erstreiten.
sellschaft, zu denen auch die selbsternannte „Identitäre Bewegung“ gehört. Am 20. Juli woll-
Bereits die Aufstände in der Christopher
te diese in Halle aufmarschieren. Mehreren Ge-
Street, die heute als der Ursprung der mo-
gendemonstrationen ist es gelungen, den Aufzug
dernen LSBTIQ-Bewegungen gelten, wären
der IB zu verhindern. Als Mitglied von „Halle ge-
ohne Solidarität nicht denkbar gewesen. Als
gen Rechts - Bündnis für Zivilcourage“ haben wir
in der Nacht vom 27. auf den 28. Juni 1969
selbstverständlich an den bunten und vielfälti-
in der bekannten New Yorker Szenekneipe
gen Gegenprotesten teilgenommen. Den Rede-
„Stonewall Inn“ eine Polizeirazzia stattfindet,
beitrag unseres Geschäftsführers Martin Thiele
wurden sich die sehr unterschiedlichen Gäs-
könnt ihr hier nun noch einmal nachlesen.
te nicht nur ihrer geteilten Lebenssituation am Rande der Gesellschaft gewahr. Ebenso
Als Mitarbeiter der Halleschen Aidshilfe
erkannten sie, dass Sie zusammen die Stär-
spreche ich hier heute nicht nur als Vertre-
ke besitzen, um zurück- und die Polizeibeam-
ter eines Vereins, der als Mitglied des Bünd-
ten in die Flucht schlagen zu können. In jener
nis „Halle gegen Rechts“ die Protestaktionen
besonderen Nacht setzen sich schwule, bise-
gegen die Identitäre Bewegung und andere
xuelle, lesbische und trans Personen gemein-
neurechte Gruppierungen begrüßt und un-
sam gegen die zum Alltag gewordene staatli-
terstützt. Ebenso möchte ich die Gelegenheit
che Repression zur Wehr.
nutzen, um als Repräsentant einer schwulenund queerpolitischen Organisation und Be-
Die radikale Freiheitsbewegung, die im An-
wegung zu euch sprechen zu können.
schluss an die Straßenkämpfe in der Christopher Street entstanden ist, verfolgte in den
Dabei möchte ich das Motto: „Für Solidarität
letzten 50 Jahren immer wieder von Solida-
ohne Grenzen“ von einer bündnispolitischen
rität getragene Bündnispolitiken, um sich für
Perspektive her betrachten. Als Aidshilfe
die eigenen und die Anliegen anderer sozialer
möchten wir uns in die Tradition zahlreicher
Bewegungen einzusetzen.
solidarischer Zusammenschlüsse stellen, die 14
queere Bewegungen in der Vergangenheit
Als in den 1980er Jahren die AIDS-Epide-
geschlossen haben und schließen mussten,
mie unter schwulen Männern von vor allem
Ebenfalls in den 80er Jahren schlossen sich die Lesben und Schwulen der LGSM zusammen, um den Arbeiterkampf gegen die drohende Schließung und Privatisierung der letzten Zechen während des britischen Bergarbeiterstreiks zu unterstützen. Gemeinsam mit den Gewerkschaften, den Streikenden und deren Familien kämpften sie gegen die schonungslose neoliberale Wirtschaftspolitik der neurechten Regierung Margaret Thatchers, die die Lebensgrundlage etlicher Bergbaugemeinden bedrohte. Aus dem gemeinsamen solidarischen Kampf entstand ein verlässliches politisches Bündnis zwischen Minenarbeitergruppen und der Lesben- und Schwulenbewegung in Großbritannien. Heute stehen LSBTIQ-Bewegungen hierzulande und weltweit einer neuen politischen Bedrohung gegenüber, die solche solidarischen Bündnispolitiken erneut notwendig macht. Wir erleben das Erstarken rechtsnationaler, völkischer und queerfeindlicher Kräfte, zu denen auch die Identitäre Bewegung zu zählen ist. Mit klangvollen Kampfbegriffen wie „Frühsexualisierung“, „Gender-Gaga“ oder „Regenbogen-Trallala“ hetzen diese an der Seite der selbsternannten Alternative für Deutschland und einer vermeintlich besorgten Elternschaft gegen sexuelle und geschlechtliche Minderheiten. Dabei handelt es sich um nichts anderes als den Versuch, einer „konservativen Revolution“ Vorschub zu leisten, mit der die Grundpfeiler einer pluralistischen Gesellschaft sowie die Errungenschaften der LSBTIQ-Bewegung infrage ge-
stellt werden sollen. Wenn es also nach der Identitären Bewegung geht, sollen lesbische, schwule, bisexuelle, trans- und intergeschlechtliche Menschen am besten gleich wieder ganz und gar ins Private, wieder ins Verstecken verschwinden. Es ist zu befürchten, ja bereits deutlich zu spüren, dass das gesellschaftliche Klima für LSBTIQ hierzulande zunehmend rauer und unwirtlicher werden wird.
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rechtskonservativen Kräften genutzt wurde, um Stimmung gegen all jene zu schüren, die nicht in ihr dröges Weltbild einer aufgeräumten und reinlichen Gesellschaft passten, traten einige schwule Aktivisten den wortwörtlichen Kampf ums Überleben an. Unter dem Namen „Act Up“ übten sie dabei den Schulterschluss mit anderen gesellschaftlichen Minderheiten. Im gemeinsamen politischen Kampf konnten Schwule, Prostituierte, Stricher, Junkies, Lesben, Bisexuelle und trans Personen den sogenannten AIDS-Krieg gegen die zerstörerische Krankheit und ihre politischen Alliierten letztlich für sich entscheiden.
Als Aidshilfe Halle organisieren wir daher mit zahlreichen Unterstützer_innen in diesem Jahr erneut eine Demonstration im Rahmen des Christopher Street Day. Am 07. September wollen wir die IB, die AfD und die besorgniserregenden Eltern mit der gesellschaftlichen Vielfalt konfrontieren, die sie in ihrer Einfalt weder verstehen wollen noch verstehen können. Ich lade euch alle dazu ein, dabei so geschlossen an unserer Seite zu stehen, wie wir gerade an eurer Seite stehen. Doch heute zeigen wir uns zunächst solidarisch mit euch und eurem politischen Kampf. Weil es auch unser Kampf um eine emanzipierte Gesellschaft ist, in der Menschen ohne Angst verschieden sein, verschieden leben und verschieden lieben können. Lasst uns also heute und in Zukunft den Identitären vor Augen führen, dass grenzenlose Solidarität stets über diejenigen triumphieren wird, die ihrer nicht fähig sind. Text: MaTh Bilder: AHH, Halle gegen Rechts – Bündnis für Zivilcourage
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Aidshilfe goes Ferropolis
Das MELT-Festival – meistens denkt man bei diesem Schlagwort an Musik, Ferropolis, Spaß, Zelten und Feiern. Doch auch in diesem Jahr kommt nun bereits zum zweiten Mal noch ein weiteres Thema hinzu, nämlich das der sexuellen Gesundheit, genauer: HIV-Test, Safer Sex und Wissen verdoppeln. Denn auf dem Bereich „FAIRopolis“ war auch die Hallesche Aidshilfe mit einem umfangreichen Angebot vertreten. Eine Gruppe aus ehrenamtlichen und hauptamtlichen Mitarbeiter_innen boten nicht nur kostenfreie HIV- und Syphilis-Schnelltestungen an, sondern beantworteten auch alle Fragen rund um den Themenbereich der sexuellen Gesundheit und verteilten obendrein noch allerhand Präventionsmaterial.
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Und so war auch die Frage, wer zur Hölle eigentlich einen HIV-Test auf einem Festival macht, in aller Munde. Unsere Antwort darauf lautet: „Fast 100 Personen mit Potenzial nach oben“ – unser Angebot war in Dauernutzung und somit waren alle mitgebrachten Tests mir nichts dir nichts aufgebraucht. Mit zahlreichen Menschen konnten wir so ins Gespräch kommen und Safer Sex-Botschaften verbreiten. Eine unserer wichtigsten Botschaften im Anschluss an die Kampagne #wissenverdoppeln der Deutschen Aidshil-
fe war dabei, dass HIV unter Therapie nicht mehr übertragbar ist. Schließlich sind heutzutage die HIV-Medikamente so wirksam, dass sie den Virus auf ein Minimum zurückdrängen, bis er im Blut nicht mehr nachweisbar ist.
Aber auch andere Botschaften hatten wir im Repertoire. So beispielsweise, dass man sich regelmäßig auf andere STIs (sexuell übertragbare Infektionen) wie Chlamydien, Tripper oder HPV testen lassen sollte und dass
halle.aidshilfe.de wurde geräumt und wir mussten uns anstatt zu tanzen in den Wohnwagen zurückziehen. Wir haben die Gelegenheit gleich genutzt, um unserer Ehrenamtlichen Trixi das Kniffelspiel beizubringen. Oder es jedenfalls versucht.
bei merkwürdigen oder unangenehmen Symptomen im Genitalbereich nach dem Sex ein Arztbesuch unabdingbar ist. Normalisierung und Enttabuisierung waren hier die Stichworte. Für eine STI braucht man sich nicht zu schämen, immerhin hat statistisch gesehen jeder Mensch mindestens einmal im Leben eine sexuell übertragbare Infektion. Zudem sind abgesehen von HIV sämtliche STIs heilbar und durch die Behandlung in der Regel schnell wieder wegzubekommen. Also von wegen, es lasse sich doch niemand auf einem Festival auf HIV testen! Es war vielmehr ein rundum erfolgreiches Wochenende voller erstaunter Gesichter, negativer Testergebnisse und nun bestens informierten Personen.
Text: RoAb | Bilder: AHH
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Freitagabend hatten wir dann auch noch ein bisschen Zeit, das Festival zu genießen und den Tag bei einem Tänzchen ausklingen zu lassen. Am Samstag kam uns eine riesige Gewitterwolke in den Weg - das komplette Gelände
Unser Dank gilt dem Team des MELT-Festivals, dass sich für unsere Themen interessiert und uns daher erneut auf das Festival eingeladen hat. Ein ebenso großer Dank geht an das Unternehmen MSD SHARP & DOHME GMBH, das unsere Testaktion durch ein großzügiges Sponsoring unterstützt hat. Aber unser größter Dank geht an Trixi, Maxi, Max und Pauleen, die uns das gesamte Wochenende ehrenamtlich unterstützt und das Festival zu einer erfolgreichen Zeit gemacht haben. Wir sind uns sicher: Wir kommen wieder!
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Der HIV-Diskriminierung den Zahn ziehen Philipp Spiegel ist Fotograf, Künstler und Autor. In diesem Beitrag erzählt er von seinem „ersten Mal“ HIV-Diskriminierung. Der Druck stieg stetig. In meinem Kiefer fing es an zu pulsieren. Es fühlte sich an, als ob mein Zahn bald explodieren würde. Der Druck musste irgendwo raus Nach einer Woche mit einer komplizierten Wurzelkanal-Behandlung lag ich erschöpft in meinem Bett. Ich wusste, dass der Schmerz nicht nachlassen würde. Der Druck musste irgendwo raus. Die provisorische Füllung musste geöffnet werden. Es war noch nicht zu spät. Gegen 21 Uhr griff ich mir mein Smartphone und suchte die Nacht-Notdienste in Wien. Als ich eine Adresse in der Nähe gefunden hatte, machte ich mich auf den Weg. Die Praxis lag in einem Altbau und hatte offensichtlich ebenfalls schon einige Jahre auf dem Buckel. Es roch leicht modrig. Egal, der Schmerz musste aufhören. Ich begann den Patientenbogen auszufüllen.
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Sollte ich es hinschreiben? „Chronische Erkrankungen?“ Check. HIV. Früher hatte ich stets ein mulmiges Gefühl gehabt. „Soll ich es hinschreiben? Muss ich es sagen?“ Sei es aus Trotz, aus Stolz, wie gut ich mittlerweile mit meiner HIV-Infektion
umgehen konnte, oder mit dem Gedanken, dass es vielleicht Wechselwirkungen mit meinen HIV-Medikamenten geben könnte – ich schrieb „HIV“ in das Feld. Mittlerweile war ich es schon so gewohnt, meinen Status anzugeben, dass ich nicht noch einmal darüber nachdachte. Es war überraschend wenig los an dem Abend. Nicht einmal eine Handvoll anderer Patient_innen saßen im Wartezimmer, sichtlich von Schmerzen geplagt , die Hände an den Wangen. Gelbliche Lampen ließen die Praxis noch älter aussehen, als sie war.
„Ich will Ihnen ja helfen …“ Arzterprobt nahm ich mein Buch und fing an zu lesen, als ich nach nur ein paar Minuten Wartezeit plötzlich ins Behandlungszimmer gerufen wurde. Die Assistentinnen standen um den alten Arzt herum, alles sahen besorgt aus. „Herr Spiegel!“, sagte der Herr Zahnarzt höflich und nervös. „Was können wir denn da machen? Na,
„Man weiß ja nie!“ Da dämmerte mir, was er meinte. Er traute sich aber offensichtlich nicht, die drei Buchstaben in den Mund zu nehmen. „Sie meinen wegen HIV?“ „Na ja, ja. Ganz genau! Ich müsste ja die ganze OP-Einheit desinfizieren. Wir sind ja eine Notfall-Station, und dann müssten die anderen Patienten noch länger warten. Na Sie wissen ja, man weiß ja nie!“ Seine leicht quietschende Stimme zitterte. Er schien peinlich berührt. „Na, warum sind S’ denn überhaupt da? Was muss denn gemacht werden? Vielleicht können wir ja schauen, was wir tun können.“ Ich fing an zu lachen. Ich konnte nicht glauben, was der Mann von sich gab, fing aber trotzdem an, die Geschichte meiner Wurzelbehandlung zu erklären. „Im Endeffekt muss der Zahn aufgebohrt werden. Die provisorische Füllung aufgemacht. Das ist alles“, sagte ich. Mein Blick fiel auf meinen Patientenbogen. Jemand hatte mit einem roten Stift in riesigen Buchstaben „HIV!“ darauf geschrieben. Er überlegte kurz. Mit den Augen flehte er die Zahnarztschwestern um Hilfe an. Aus dem Mund hingegen kamen schleimig-wienerische pseudohöfliche Beteuerungen, wie sehr er mir doch helfen wolle, ja sogar müsse. Dazu sei er schließlich da.
Ich wollte aufschreien, den Zahnarzt bloßstellen „Wissen S’ was, das ist ja nicht so schwer. Das sollt’ dann kein Problem sein. Wir werden einfach im anderen Raum, auf der anderen Einheit operieren.“ Er redete weiter und weiter, wohl um sein Unbehagen zu überspielen, und wies die Schwestern an, die OP-Einheit vorzubereiten. Ein Teil von mir wollte aufschreien, wollte ihn bloßstellen und ihm sagen, wie unglaublich lächerlich und unmöglich sein Verhalten war. Auf der anderen Seite war ich erschöpft und zitterte vor Schmerzen. Ich wollte es einfach hinter mich bringen. Ich war ausgeliefert. Seine Angst vor mir war jedoch auch ein Vorteil. Keine zehn Minuten später wurde ich nochmals aufgerufen. So wie ich einfach schmerzfrei sein wollte, so sehr wollte der Herr Zahnarzt mich offenbar aus seiner Praxis
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Sie wissen schon, oder? Ich will Ihnen ja helfen, aber ich muss ja auch die anderen Patienten berücksichtigen. Man weiß ja nie!“ Ich war zunächst perplex. „Äh… ja…? Was meinen Sie?“ „Na“, sagte der Herr Zahnarzt und wand sich, „man weiß ja nie! Sie wissen, ich will Ihnen ja helfen. Ich bin ja auch dazu verpflichtet, wissen S’?
haben. Ich setzte mich auf den Stuhl und wir fingen an. Keine Assistenzschwester war dabei. Und während der kleine Bohrer sich laut in meinen Zahn kreischte, wiederholte er wieder und wieder seine lächerlichen Aussagen. Der Schmerz entwich, der Ärger nicht „Man weiß ja nie! Sie verstehen das ja sicher! Sie kennen sich ja wahrscheinlich sogar besser als ich damit aus, oder?! Wissen S’, dann müsst ich ja den Röntgenapparat auch noch desinfizieren – man weiß ja nie!“ Die Füllung öffnete sich. Der Druck entwich sofort – der Schmerz gleich mit. Ich war erlöst. „So! Das war’s schon!“, sagte er laut. Ein widerliches, selbstzufriedenes Lächeln schmückte sein
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Gesicht – offensichtlich war er stolz auf sich selbst, dass er so ein toller, hilfsbereiter Zahnarzt war. „Wie geht’s Ihnen denn jetzt?“ „Viel besser, danke“, murmelte ich höflich. Aufklären und der HIV-Diskriminierung den Zahn ziehen Wir gaben uns nicht die Hand. Er merkte wohl, dass ich ihn und seine lächerlichen Aussagen peinlich fand. Wäre ich nicht so erschöpft gewesen, hätte ich gerne etwas gesagt, nur wusste ich tatsächlich nicht, was. Ich war sprachlos. Ich erhielt ein Rezept für Schmerzmittel und sah noch mal meinen Patientenbogen mit den großen roten Buchstaben „H I V !“ Die Situation ließ mich am nächsten Tag nicht los. Ich dachte immer wieder, dass ich mehr hätte tun sollen. Mehr aufklären, mehr gegensprechen, mehr Haltung zeigen. Immerhin war ich behandelt worden. Hätte er die Behandlung verweigert, hätte ich mich gewehrt, hätte auf die Behandlung bestanden. Aber nur, weil ich mittlerweile mit meinem HIV-Status gut umgehen kann. Was aber wäre gewesen, wenn ich mich noch für HIV schämen würde? Wenn es mir peinlich wäre? Wenn es mich verunsichern würde und ich weniger redegewandt wäre? Wäre ich dann weggeschickt worden? Hätte man mich nicht behandelt? Ich bin mir sicher: Wäre es kein Notfall-Nachtdienst gewesen, der Zahnarzt hät-
Erstveröffentlichung des Artikels auf magazin.hiv Wir danken Philipp Spiegel und der Deutschen Aidshilfe für die Genehmigung zum Abdruck in unserem Magazin! Text/Bilder: Philipp Spiegel
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te mich weggeschickt. Was sollte ich tun? Ich musste am nächsten Tag für einen Foto-Auftrag nach Barcelona fliegen und hatte noch nichts vorbereitet. So blieb mir nur eins: Ich meldete mich bei der Diskriminierungsstelle der Aidshilfe und bat, man möge dem Herrn Zahnarzt und seinen Assistenzschwestern doch Informationsbroschüren zum heutigen Wissensstand rund um HIV schicken. Wie ich gehört habe, sind sie angekommen. Ich hoffe, sie wurden auch gelesen. Man weiß ja nie…
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Kuku Kolumnas letzte Worte
Kuku Kolumna, die blasende Reporterin, fährt eine alte Vespa, von der aus sie ihre Ergüsse direkt in die Herzen der Leser*innen spritzt. Mit hunderten von km/h geht es tief durch die Kneipen dieser Gesellschaft, die Gärten der Lust und die Wälder des Geschlechts.
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Meine Füße sind voller Blasen, die Stimme heiser und sitzen ist gerade auch nicht so einfach. Drei untrügliche Zeichen, dass wir mal wieder mitten in der CSD-Saison stecken oder, je nach Vorliebe, die CSD-Saison in uns. Aber zwischen Stöckelschuhen, Sektchen und Kontaktlinse-im-Darkroom-Verlieren geht es dabei ja um mehr. Gerade in diesem Jahr begehen wir das 50. Jubiläum der Stonewall-Aufstände in eben jener Christopher-Street, die dem CSD ihren Namen gibt. So wird das auch betont und nicht als würde es um einen ominösen Christopher Street gehen. Genau den stellen sich aber vermutlich die meisten vor. Christopher
Street: schwul, weiß, Angestellter, keine seltsamen Fetische, um die 30, wahrscheinlich Bart. Denn so sieht bis heute unser Bild vom queeren (gemeint: schwulen) Aktivisten aus. Ein Bild so blöd und so falsch, dass es sich nur ein straight actor ausgedacht haben kann. Denn eigentlich war alles ganz anders. Es war das Jahr 1969, Zeitreisegeräusche. Während all die Christopher Streets sich in den schickeren Etablissements trafen, traf sich der ungewollte Pöbel im Stonewall Inn. Ungewollt, weil sie nicht weiß, nicht cis, nicht angestellt sondern anschaffend waren. Na-
Das Problem ist nur, die, die damals gekämpft haben, haben irgendwie am wenigsten davon. Also vom Kämpfen. Ich meine, Homo-Ehe schön und gut, aber die Stellung von trans Personen ist weder in den USA noch hier besonders schön. Klar, es könnte auch schlimmer sein, aber es könnte halt auch viel besser sein. Das gleiche gilt für Personen, die nicht in das rassistische Menschenbild eines Trump-Amerikaners oder eines AfDeutschen passen. Aber das schlimmste daran ist, dass das genau so auch in unserer Community stattfindet. Also Rassismus, Transfeindlichkeit oder die ganz Verrückten, die auf CSDs jüdische Menschen angreifen, weil irgendwas mit Israel.
Aber es sind ja nicht nur die Ausnahmefälle, sondern auch der Alltag. Wenn jeder kleine Christopher am liebsten ganz normal wäre. Also ohne Tunten und ohne Fette, ohne Ausländer und ohne Frauen oder Transen oder was es da heute alles gibt, also halt nur mit echten, normalen Kerlen, einfach unter sich sein. Wenn sie sich bei CSDs aufregen, dass alles zu bunt und zu schrill und zu sexuell ist. Dann sage ich: Mäuschen, ich kenne dein GayRomeo-Profil. Ich weiß, dass du ne ziemlich seltsame Schwester mit abgefahrenen Fetischen bist. Lass es raus. Werd eine von uns. Versteck dich nicht, sondern zeig, dass die Normalität nicht das Mitmachen beim Gleichsein ist, sondern die Unterschiedlichkeit und das Anderssein. Dann werden wir als Community vielleicht auch wieder solidarischer und politischer. Text: Kuku Kolumna Bild: Dragan Simicevic Visual Arts
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Aber zurück zu unseren Christophers. Das ist nämlich so eine Sache und ich will hier auch gar nicht gegen alte weiße Männer hetzen, weil das gerade unter Kolumnistinnen en vogue ist, aber weiße alte schwule Männer gehen mir gerade richtig auf den Keks. Es ist ja nämlich so: Dass es auch unter uns Perversen ein paar Vollblinsen gibt, ist klar. Dass es dann aber immer diese Vollblinsen sind, die sich auf irgendwelchen Posten drängen und da einen ganz schönen Murks anrichten, ist ein Problem. Da gibt es die Vorwürfe in Dresden, dass einer, der sich um queere Geflüchtete hätte kümmern sollen, diese zum Sex gezwungen hat. Oder den Typen
aus Berlin, der sich die AfD und lgbti-feindliche Journalisten mit ins Boot holt, um eine Schmierenkampagne gegen eine Gleichstellungsbeauftragte zu fahren. Jetzt kann man natürlich trotzdem nicht alle unsere Christopher Streets dafür verantwortlich machen, dass ein paar von ihnen ein bisschen scheiße sind, aber.
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türlich waren auch die normalen Schwulen ungewollt zu der Zeit, aber eben gewollter ungewollt als die Menschen, die sich auf der Christopher Street rumtrieben. Das dachte sich auch die Polizei und machte am 28. Juni ‘69 mal wieder eine kleine Razzia. Schließlich musste man für Recht und Ordnung sorgen, also dafür, dass zum Beispiel niemand unpassende Kleidung trug, also Kleidung, die nicht aus der bei Geburt zugewiesenen Boutique stammte. Was dann im Detail passierte, ist immer noch umstritten. Aber im Großen und Ganzen lässt sich zusammenfassen: Die Cops bekamen was auf die Nase. Eine Nacht lang. Und dann noch eine. Und dann noch eine. Daran und an den Sprechchor von damals “gay pride” erinnern wir heute noch mit unseren CSDs.
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nac h ym und t anon lg fo r e st . hnellte r a t u ng D e r Sc iger Be r e h r ig. o v t we n d u ng n o ld e vor. m n ra inuten eine Vo a. 30 M c h Es ist k c a gen n ests lie e des T s is n b e Die Erg : beitrag Kosten Eu r o : 15,00 elltest n h c Eu r o -S HIV st: 5,00 hnellte c -S is il S yph
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können jederzeit widerrufen werden. Die Nen-
auf ihren HIV-Status und/oder deren sexuelle Orientierung zu. Abgebildete Personen können Models und nicht die im Beitrag genannten Personen sein. „red.“ ist ein ehrenamtliches Projekt der AIDS-Hilfe Halle / Sachsen-Anhalt Süd e.V. und finanziert sich durch Anzeigeschaltungen selbst. Spenden sind möglich und steuerabzugsfähig. Anzeigelayout: Cohn & Wolfe Public Rela-
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