ad hoc 12: Städte

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Stadtentwicklung: Zündstoff für Proteste

i Stuttgart 21 Protest

Mediation lokaler Konflikte: ein pragmatischer Ansatz Mit Ausnahme einiger lokal engagierter Berliner haben wenige von der sechsjährigen Mediation zur Nutzung und Gestaltung des Landwehrkanals gehört. 2007 kam es zum Konflikt zwischen Anwohnern und dem Berliner Wasser- und Schifffahrtsamt, nachdem ein Uferabschnitt im Stadtteil Kreuzberg eingestürzt war. Die zuständige Behörde begann prompt mit Sicherungsmaß­ nahmen, Bäume sollten gefällt und das Ufer neu gestaltet werden. Die Anwohner gründeten eine Bürgerinitiative zum Schutz des Naturgebiets. Es folgten Proteste und radikale Aktionen zur ­Behinderung der Bauarbeiten. Die geplanten Sanierungsmaß­ nahmen am Landwehrkanal hätten das Potential gehabt, noch weitaus mehr Menschen quer durch Berlin zu mobilisieren. Die Wasser- und Schifffahrtsverwaltung initiierte ein Mediations­ verfahren, um die scheinbar unvereinbaren Ziele der Parteien zu versöhnen und die akute Handlungsunfähigkeit aufzuheben. Externe Mediatoren luden Senatsverwaltung, Denk­malbehörde, Wasser- und Schifffahrtsamt, Umweltverbände, Industrie- und Handelskammer, Reedereien und Wasserwirtschaftsverband und Bürgerinitiativen ein – insgesamt sieben Parteien –, um gemein­ sam an einer Lösung zu arbeiten. s Demonstrationen für den Gezi-Park auf dem Taksim Platz

Das Format und die Sensibilität der Mediatoren führten zum Erfolg: Sämtliche Baumaßnahmen wurden von den Konflikt­ parteien gemeinsam beschlossen und das sogar um einiges kosten­günstiger, als vom Staat vorgesehen. Die vielen Parteien und ­Interessen, bürokratische Vorgaben und die immer wieder­ kehrende Drohung, aus der Mediation auszusteigen, haben ­jedoch gezeigt, wie zermürbend und langwierig ein solches Verfahren sein kann. Eine umfassende Lösung für den Landwehrkanal gibt es bis heute nicht; dennoch sind die meisten am Ball geblieben. Ist eine Seite nicht zum Dialog bereit, wird der Konflikt weiter/ wieder auf der Straße ausgetragen und droht potentiell, je nach Reaktion der staat­lichen Behörden, in Gewalt und Zerstörung umzuschlagen. Dies war beim Istanbuler Gezi-Park der Fall. ­Einem Dialog stimmten Politiker und Investoren nicht zu. Eine Mediation oder Dialoginitiative ist kein Patentrezept, ins­ besondere, wenn Grundsatzthemen wie die Natur eines Wirt­ schaftssystems die mobilisierenden Faktoren sind. Häufig tritt der lokale Konflikt in den Hintergrund und eine allgemeine Kritik am Neoliberalismus, am Ausbau der Städte und an der Verdrängung rückt in den Vordergrund. Die unterschiedlichen Grundsätze und Weltanschauungen, auch Religionen und Identitäten sind nicht verhandelbar. Dass es sich lohnt, über Mediationen und alternative Konfliktschlichtungsverfahren nach­zudenken, haben der Landwehrkanal und verspätet auch Stuttgart 21 gezeigt. Der lokale Konflikt ist transformierbar und lokal lösbar, Bürger können ihr „Recht auf Stadt“ zurück­ fordern. Ein pragmatischer Weg, denn er führt zu sichtbaren Veränderungen.

Silvia Danielak, Jg. 1987, studierte Sicherheits- und Konfliktstudien in P ­ aris und Boston und Europäische Studien in Maastricht. Im Kollegjahr (2011/12) beschäftigte sie sich mit dem Aufbau von Friedensinfrastrukturen und Multitrack Mediation mit Schwerpunkt Zentralasien. Sie arbeitet d­ erzeit als GIZ Beraterin in Addis Abeba für das „African Union Border P ­ rogramme“ im ­Bereich Konfliktprävention und wirkungsorientiertes M ­ onitoring. Zusätzlich schreibt sie den Blog PlanningReSolution.wordpress.com über Konfliktbear­ beitung und Urban Governance. (silvia.danielak@gmail.com)


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