Die Zeitung für Medizinstudenten und junge Ärzte
ZEITUNG
Digitaler Nachschlag der Ausgabe 04/10 September/ Oktober 2010 ∙ In Kooperation mit dem Georg Thieme Verlag ∙ www.medi-learn.de
Digitaler Nachschlag
Give me a KISS!
Von Indien nach Israel
Medizin und Philosphie
04
05
07
Die Kölner Medizinstudenten haben ein neues Lernzentrum bekommen: Im „interprofessionellen Skillslab und Simulationszentrum“, kurz KISS, lernen sie an Puppen medizinisches Arbeiten.
Bei einer Famulatur in Indien lernte Christine ein israelisches Paar kennen. Sie besuchte daraufhin das „Heilige Land“ und entschied sich für ein PJ vor Ort. . Lest ihren Statusbericht aus Israel.
Reizfach Rechtsmedizin? Die misslungene Sensation – oder: drei Semester danach von Olga Kogan
D
ie Menschen wollen Sensation. Sie dürsten regelrecht danach. Alle. Pausenlos. Auch ich. Ständig bin ich auf der Suche nach Sensation, nach etwas, was meine schon übersättigten, gelangweilten Nervenspitzen wieder reizen könnte. Bücher, Filme, Bilder, Menschen – alles ist so alltäglich, so gewohnt. Die einzigen Kicks kriegt man durch die Nachrichten: „Ein Überfall ereignete sich in…“ „Die vor drei Tagen verschwundene achtjährige Anne wurde heute gefunden. Die Obduktion ließ keine Zweifel an der Identität.“ „Heute erhielt die NASA erste Fotos der Marsoberfläche….“ Ja, solche Meldungen lassen das Herz höher schlagen. Man kann mitfiebern, Verständnis zeigen, sich entrüsten und mitleiden. Wie schrecklich sind doch die Menschen! Wie kann man so etwas bloss tun?! Und in Wirklichkeit geben eben diese Menschen dem Alltag den gewissen Kick. Das Beste an all den Nachrichten ist aber, dass sie aus einer ganz anderen Welt stammen. Aus der Welt, die im schwarzen Kasten
lebt und von der man durch den Bildschirm getrennt ist. So weiß man im Inneren, dass sie real ist, aber trotzdem nimmt man alles auf, wie einen Film, der parallel auf Pro7 läuft. Wo ist der Unterschied? Da passiert doch dasselbe. Uns so landete ich mit meiner Gier
nach Sensation bei Büchern über forensische Medizin. Psychiatrische Berichte von Serienmördern begleiteten mich durch den Tag und die Romane von Kathy Reichs wiegten mich in den Schlaf, in dem ich mit ihr die unbekannten Knochen identifizierte und unzählige Gräueltaten aufdeckte. Natürlich mit fast unabwendbarer Gefahr für mein eigenes Leben. Aber eben nur fast, denn am nächsten Morgen wachte ich unversehrt wieder in meinem vor Angst durchgeschwitzen Bett auf. Die Sensation war gelungen.
Rechtsmedizin im Studium
Als ich mit meinem Medizinstudium anfing, wollte ich sofort wissen, wann das Fach Rechtsmedizin drankommt. Im sechsten Semester, so die Antwort. Zu weit weg wie ich damals befand. Bis dahin durften sich meine Nervenspitzen mit dem Aufschneiden von Leichen beim Präparationskurs begnügen. Zuerst wirkte das, doch auch damit waren meine Empfindungen irgend-
wann übersättigt. Aus Angst wurde Ehrfurcht, aus Ehrfurcht Zögern, aus Zögern Trauer und Mitleid, Schmerz. Aus diesen, als sie irgendwann bekämpft waren, entwickelten sich Sicherheit beim Schneiden und Interesse, ja Bewunderung für die Kreation des menschlichen Körpers
Im 2. Teil des Interviews mit Doppelstudent Maik erfährst Du, wie er das erhöhte Lernpensum schafft und wie die beiden Fächer Medizin und Philosophie sich gegenseitig befruchten.
und Spaß an der Arbeit. Dieser Spaß führte mich schließlich dazu, dass ich völlig abgestumpft, mit rein wissenschaftlichem Interesse als Tutorin in der Anatomie arbeitete. Nicht, dass ich mich nicht an meine alten Gefühle den Körperspendern gegenüber erinnerte. Im Gegenteil! Ich dachte ständig daran und entrüstete mich über meine Abstumpfung und Gleichgültigkeit, aber so viel Mühe ich mir auch gab, in mir drin blieb alles stumm. Ich wurde sehr traurig darüber, denn genau davor hatte ich Angst gehabt – vor dieser inneren Leere. Die drei Semester nach dem Präparationskurs vergingen schnell und endlich ging mein alter Traum in Erfüllung – ich saß in der Rechtsmedizin-Vorlesung! Ich spürte schon förmlich, wie meine Bauchmuskeln sich in erwartungsvoller Spannung kontrahierten und wie es anfing in den Ohrspeicheldrüsen und unter der Zunge zu ziehen. Mein Auge zuckte ab und zu ungeduldig. Es sehnte sich wohl nach der Sensation. Nun was soll man sagen?
Adrenalin pur!
In der ersten der beiden Kurswochen kamen meine Nerven voll auf ihre
Kosten. So eine Gefühlsintensität würde ich jedem einmal im Leben wünschen, nur vielleicht in einer etwas positiveren Art und Weise. Ich sprach von nichts anderem mehr. Die Rechtmediziner verschonten uns mit nichts, enthielten uns kein einziges grausiges Detail vor. Es
wurde alles knallhart per Powerpoint auf die weiße Wand geknallt. Foto für Foto, Fall für Fall. Und natürlich durfte der EntertainmentFaktor auf keinen Fall fehlen, der ist wohl in dieser Berufsgruppe besonders wichtig. Jede Geschichte wurde mit einer eher ungesunden Prise Sarkasmus schmackhaft und unvergesslich gemacht. Vielleicht ist diese Pseudo-Witzigkeit ja die einzige Möglichkeit für diese Menschen, das zu verarbeiten, was sie alltäglich sehen, was wir nur andeutungsweise im Fernsehen hören. Irgendwann beschwerten sich einige Studenten über die harten Bilder. Unzumutbar seien sie. Der einzige Kommentar der Professorin war: „Sollen wir Ihnen Blümchen zeigen? Das ist die Realität. Wenn Sie nicht hinsehen wollen, halten Sie sich die Augen zu.“ Sie hatte Recht, das war die bittere Realität. Während manche anderen wegschauten, schaute ich wie gebannt auf die Bilder. Ich wollte hinsehen, ich wollte es wissen. Mit jeder Stunde öffnete sich mir immer mehr die Welt der Verbrechen und ich wunderte mich immer mehr und mehr über die menschliche Grausamkeit, Abartigkeit, aber auch Kreativität. Tiere würden einander
nie so etwas antun. Besonders beeindruckte mich, dass alle Fälle aus unserer Umgebung stammten und ich mich in meiner wohlbehüteten Welt, von allen geliebt und verhätschelt, so sicher fühlte.
Fortsetzung auf Seite 2