
3 minute read
Literaturtipps
| SCHÖNE BÜCHER |
Kleines Kunstwerk über Insektenmusik
Advertisement
Da der Russenhass mittlerweile obskure Züge annimmt und besonders von Politikern und gewissen Zeitungen geschürt wird, überlege ich gerade, ob man überhaupt noch Bücher von russischen Schriftstellern und frisch aufgenommene Alben, die sich mit russischen Komponisten beschäftigen, vorstellen darf. Natürlich, verdammt! Der Krieg und die Ausführenden sind Scheiße, aber doch nicht die Kunstschaffenden Russlands. Außerdem ist Anton C ˇ echov, um den es hier gehen soll, eh schon 1904 verstorben. 1860 in Südrußland geboren, bekam er ein Stipendium und konnte so in Moskau Medizin studieren. Doch seine Liebe gehörte der Literatur: Er schrieb erfolgreiche Theaterstücke und Erzählungen. Später übersiedelte der Schriftsteller auf die Krim, was jetzt für Schwierigkeiten sorgen könnte.
Genau richtig zum etwas verspätet eingetroffenen Frühling gibt es von Čechov Texte über die Liebe. In »Frühlingsgefühle« wurden witzig-ironische Geschichten aus dem Frühwerk und bewegende Geschichten aus dem Spätwerk erstmals vereint. So dürfen wir lesen, wie wunderschön die Liebe sein kann, wie zerbrechlich und facettenreich. Man erlebt Rendezvous, eine leise Sehnsucht, geht über Seufzeralleen, küsst heimlich und merkt, dass der Zauber Liebe schnell verfliegen kann. Wunderbar übersetzt wurden die Geschichten von Peter Urban und Beate Rausch. (tbe)
Anton C ˇ echov: »Frühlingsgefühle. Geschichten von der Liebe« Diogenes Verlag, 272 Seiten (geb.)

Kleines Kunstwerk über Insektenmusik Eine Zugfahrt, die ist …
Aus gewissen Gründen (Papa, Mama, Oma, Opa) greift man jetzt doch öfter zum Kinderbuch und ist dann doch mitunter von der Quantität überfordert. Wer sich an Bücher der DDR erinnert, hat leichtes Spiel und nimmt die Druckerzeugnisse aus dem Kinderbuchverlag Berlin. Man kann natürlich auch Neues ausprobieren — hier ein feiner Tipp für den Nachwuchs: »Marie Käferchen«. Das ist ein geniales, leicht beschwingtes Buch geworden, das mit wunderbaren Bildern und tollem Text einfach so daher kommt und als kleines Kunstwerk bezeichnet werden muss. Marie will im Land der Insekten Musik machen und erfährt, dass es vor allem mit Freunden und Gleichgesinnten lustig und spannend wird. Gezeichnet und gemalt hat Wiebke Rauers, die in Berlin lebt und seit 2015 Kinderbücher illustriert, aber auch Serien und Filme. Großes Lob spreche ich Wiebke für den gestalteten Hirschkäfer aus, der Vorbild für jede Heavy-Metal-Band sein könnte: finster (aber irgendwie doch fröhlich) blickend, langhaarig und den Bass lässig umgehängt. Den Text schrieb Kai Lüftner, der als Kinder- und Jugendbuchautor, Musiker, Komponist, Hörbuchbearbeiter und Regisseur unterwegs ist. Große Erfolge feierte er u. a. mit dem Kindermusikprojekt »Rotz’n’Roll«. Und so großartig wie sich »Rotz’n’Roll« anhört, liest sich auch »Marie Käferchen«. Hier nur ein Beispiel: »Und die Band, weil sonst nichts war,/spielte plötzlich, rumtata,/ uffda uffda, mit Gewummer, eine fette Punkrock-Nummer,/düdelte von Dur nach Moll, eine Welle Rock’n’Roll!« Wer mehr um das Buch herum wissen möchte, geht auf nord-sued.com und kann dann den Soundtrack hören und eigene Ideen gestalten. (tbe) Nicht einmal zwei und eine Viertelstunde braucht der japanische Hochgeschwindigkeitszug Shikansen, um von Tokio bis ins circa 530 Kilometer weiter nördlich gelegene Morioka zu eilen –für den japanischen Romanautor Kitaro Isaka aber mehr als genug Zeit, um ein gutes Dutzend Personen in eine der aberwitzigsten Thrillerhandlungen zu verwickeln, die man sich vorstellen kann. Beteiligt ist daran u. a. Nanao, genannt »der Marienkäfer«, ein tollpatschiger und vom Pech verfolgter Auftragnehmer aus dem lichtscheuen Gewerbe. Seine Mission: einen bestimmten Koffer aus dem Zug entwenden — der allerdings, was Nanao nicht weiß, wiederum zwei anderen ›Profis‹ aus der Branche, Lemon und Tangerine — einer schräger als der andere — gehört, die eben jenen Geldkoffer nebst gerade erst befreitem Entführungsopfer nach Morioka überführen sollen, wo ihr Auftraggeber, der lokale Unterweltboss, auf sie wartet. Fernerhin mit von der Hauptpartie: Kimura, Auftragskiller im Ruhestand mit Rachemission und Alkoholproblem sowie Oji, ein psychopathischer, hochintelligenter Schüler mit blanker Mordlust und großer Freude an der Manipulation anderer Menschen. Genug Personal, um gehörig für Unheil, Chaos und jede Menge Twists und Wendungen zu sorgen? Auf jeden Fall! Obendrein hat Autor Isaka seinen Erfolgsroman mit einer dermaßen gut abgestimmten Mischung aus schwarzem Humor, feinsinnigem Witz und pointierten Dialogen gewürzt, dass man vor lauter Begeisterung völlig aus den Augen verliert, eine kleine Lesepause einzulegen — und dem »Bullet Train« in einem einzigen haltlosen Rutsch bis zur Endstation folgt. Große Unterhaltungsliteratur! (mei)