Kdv: Das Magma Nr 3

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Das Magma Nr.3

Trage die Welt wie eine Trainerhose 13. Juni - 28. Juni 2015 Kabinett, S채genstrasse 75, 7000 Chur


Herzlichen Dank an die Ausstellenden: Allianz der Begeisterung (Zürich/Chur) Denis Handschin (Basel) HOSPIZ DER FAULHEIT (Zürich) Valentina Kessler (Chur) Marietta Kobald (Strahlegg) Gudelia Kobelt (Domat Ems) Yvonne Michel (Zürich/Chur) Yolanda Esther Natsch und Silvia Studerus (Basel) Partei der Unzufriedenheit (Zürich) Kristina Pfeiler (Malans) Veronika Suschnig (Wien, A) Marina Woodtli (Basel) No-Show Museum, Andreas Heusser (Zürich) Und an die Helfer_Innen: Annatina Dermont, Valentina Kessler, Marietta, Fridl und Luzi Kobald, Yvonne Michel, Dani Schellenberg

Wir danken auch der IBC für den Strom sowie der Stadt Chur und dem Kanton Graubünden/Swisslos für die Unterstützung.

Titelblatt: Kristina Pfeiler, Apfel der Erkenntnis, 2015, Nicht gegessener Apfel auf Sockel / Foto: Yvonne Michel


Trage die Welt wie eine Trainerhose Nach dem Motto: „Ich habe nichts zu tun, deshalb arbeite ich“, beschäftigt sich die 4. Gruppenausstellung im Kabinett mit den Chancen der neu zu strukturierenden Arbeitswelt. Eine Kritik an der Leistungsgesellschaft. Ausstellung:

13.-28. Juni 2015 MI-FR 16:00-20:00 / SA+SO 13:00-18:00

Vernissage: Vorpremiere:

13. Juni 2015, 17:00 mit Apero und Performances 14:00 vor dem Rathaus Schenkung des „Stein des Anstosses“ an die Stadt Chur

Finissage:

Nichts-Tun-Festival / 26.- 28. Juni 2015

FR 26. Juni 2015 Ab 17:00-20:00 Open-Atelier. Wenn man lange genug „Nichts tut“ macht man Kunst. Material ist vorhanden. Musik auch. Ab 18:00 Magazin-Launch: Das Magma Nr. 3 TDWWET mit Apero und Verkauf Ab 20:00 Einfach mal „Nichts tun“ im Kabinett SA 27. Juni 2015 Ab 13:00 Ab 16:00-20:00 Ab 17:00 Ab 19:00 Ab 20:00 Ab 23:00

Grillnachmittag mit Liegestühlen, Cocktails und Live-Musik. Bewegung ist untersagt. Open-Atelier. Wenn man lange genug „Nichts tut“ macht man Kunst. Material ist vorhanden. Open-Stage. Singer-Songwriter und Bands (akustisch) No Show Museum-Bus: Invisible Artworks, 24 Werke der Konzeptkunst zum Thema Nichts. Einführung in die „Die Kunst des Nichtstuns“ (Vortrag) Einfach mal „Nichts tun“ im Kabinett. Keine DJs Nachtruhe (FR+SA)

SO 28. Juli 2015 13:00-20:00 Nichts tun ist Programm 18:00 Performance der Allianz der Begeisterung. Das „Churer Protokoll des Anstosses 2015“ wird öffentlich verlesen.


ALLIANZ DER BEGEISTERUNG Aufgrund aktueller Ereignisse möchten wir hiermit unseren Rücktritt aus der kapitalistischen Verblendung bekannt geben. Überzeugt boykottieren wir jegliche neoliberalen, imperialistischen Systemfehler. Im Zweifelsfalle hören wir auch auf zu essen. Konsumverzicht macht schlank. Wer nichts kaufen will, isst frei. Wir flicken unsere Kleider selber und kaufen nie wieder das Neue. Wir lösen uns von jeglichen Traditionen. Für Geld arbeiten wir nicht mehr. Da sind wir einfach zu faul dazu. Von nun an werden wir nur noch copy/paste-Projekte unserer bisherigen Arbeiten realisieren. Unser geistiges Eigentum steht allen Karriereverweigernden zur freien Verfügung. Besitz finden wir doof. Das Besitzen von Sofas, Betten, Tischen und Stühlen befürworten wir. Dafür! Trägheit ist ein Lebensgefühl. Nicht eines unter vielen, sondern dieses. Wir sind mit Nichts tun total ausgelastet. Unser Tages-Soll ist mit diesen Worten getan. Yvonne Michel und Dani Schellenberg Head and Feet of Operations


Die Allianz der Begeisterung Stein des Anstosses, 2015 Alkydharz auf Andeer-Granit, 30 x 30 x 30 cm



Die Allianz der Begeisterung Anstoss-Hotline, 2015 Performative Investigation, Chur



Die Allianz der Begeisterung Churer Protokoll des Anstosses 2015 Performance, Chur


DENIS HANDSCHIN

Denis Handschin Letter of Cancellation (K端ndigung), 2015 Prosa, A4



HOSPIZ DER FAULHEIT Situation, Ereignis, 2015 Diskursives Format

„I don’t want to go to work because I prefer to sleep. But this laziness is the source of intelligence, of technology, of progress. Autonomy is the self-regulation of the social body in its independence and in its interaction with the disciplinary norm.“ Franco Berardi Bifo


Welche Prozesse führen zur ideellen und finanziellen Anerkennung der privaten Haus-, Erziehungs- und Pflegearbeit? Welche Rolle spielt dabei die Kunst? Welche Alternativen liegen abseits der beiden Extreme von kompletter Ignoranz und kapitalistischer Annektierung? Wie verhindern wir die Selbstprekarisierung?

Oft gilt die Lohnarbeit, respektive die bezahlt-produktiv-herstellende Tätigkeit, als einzige gesellschaftlich anerkannte Form der Arbeit. Die berufliche Karriere stellt deshalb einen entscheidenden Faktor dar, wie die Bio-Ware Mensch innerhalb der Gesellschaft rezipiert wird.

Gekoppelt an die immer aggressiver werdenden Vorstösse der Privatwirtschaft, in lang erkämpfte sozialstaatliche Bereiche, verlieren Menschen ohne Arbeit jede gesellschaftliche Anerkennung und einige sogar die Grundlage ihrer Existenz. Wer beispielsweise unbezahlte Care-Arbeit leistet, ist zweifelsohne den nachteiligen Konsequenzen beim beruflichen Werdegang und den notwendigen sozialen Absicherungen ausgesetzt. Da die Lohnarbeit aufgrund dieser Tatsachen zum Lebensinhalt schlechthin geworden ist, dient sie

längst nicht mehr nur zum Mittel der Existenzsicherung, sondern darüber hinaus als Mittel der Disziplinierung.

Durch die Beschränkung des Begriffs der Arbeit auf eine Warenproduktion im Verständnis der klassischen Ökonomie, werden Produktionsweisen die den Intellekt, das Sprachvermögen oder die Affekte erfordern und in ein sich beständig veränderndes „Produkt“ einfliessen, von der gesellschaftlichen Wertschätzung ausgeschlossen. Doch zahlreiche Tätigkeiten auf die unsere Wissensgesellschaft zurückgreift, finden ausserhalb der bezahlten Arbeit statt. Die im privaten Bereich ausgeführte Haus-, Erziehungs- und Pflegearbeit, aber auch künstlerische Mittel und Aktionsformen, sowohl politisches Handeln werden in ihrer immateriellen Wertbildung schlichtweg nicht gewürdigt. Dennoch stellt die Kommodifizierung dieser Engagements keine Lösung dar, da dies nur zu einer Ökonomisierung des Wissens führt. Diesbezüglich hat sich bereits gezeigt, dass die zunehmend unter Spar- und Rationalisierungsdruck geratene Arbeit in Spitälern, Heimen und Krippen zu einer beständigen Verschlechterung der Arbeitsbedingungen führt.

Somit bildet die Anregung des Diskurses das eigentliche Werk.


Bewusster Müssiggang sollte niemals mit dumpfer Untätigkeit gleichgesetzt werden

Durch den Fokus auf ein kontinuierliches Wachstum und der ständig verfügbaren Mittel der Re-Produktion, werden weder die erstarrten Formen der Arbeit noch die durch sie versprochene die Glückseeligmachung hinterfragt. Erschwerend kommt hinzu, dass in der heutigen Gesellschaft jeder Bereich des Lebens als verfügbares Potenzial begriffen wird, das es ohne Rücksicht auf Verluste auszuwerten gilt, um einen (ökonomischen) Nutzen zu generieren. Von daher ist es kaum erstaunlich, dass die Musse zur bedrohten Ressource geworden ist. Anlässlich der als Beschleunigung erlebten Ausdehnung der kapitalistische Ökonomie des 21. Jahrhunderts von der klassisch definierten materiellen Ressource in die Bereiche des Wissens und der sozialen Reproduktion, brechen wir unter immer dichter werden Terminkalendern, pausenlosen Weiterbildungs- und Optimierungsprogrammen und

dem mit elektronischen / sozialen Medien verbundenen Zwang zur Dauerkommunikation zusammen. Die berufliche Karriere stellt zurzeit den entscheidenden Faktor dar, wie die Bio-Ware Mensch innerhalb der Gesellschaft rezipiert wird. Gekoppelt an die immer agressiver werdenden Vorstösse, der Privatwirtschaft, in lang erkämpfte sozialstaatliche Bereiche, verlieren Menschen ohne Arbeit jede gesellschaftliche Anerkennung. Da die Lohnarbeit aufgrund dieser Tatsachen zum Lebensinhalt schlechthingeworden ist, dient sie nicht mehr nur zum Mittel der Existenzsicherung, sondern darüber hinaus als Mittel der Disziplinierung. Dennoch hat das Vorantreiben der neoliberalen Programme, der führenden Wirtschaftsmächte, die tiefgreifenden strukturellen Probleme (Finanz- und Haushaltskrisen, marodes Gesundheits- und Rentensystem)


keineswegs gelöst, sondern vielmehr verschärft. Der zeitgenössische Ruf nach einer Rückkehr zur keynesianischen Form der Weltwirtschaft, lässt jedoch die Tatsachen ausser Acht, dass die Bedingungen des Fordismus schon lange nicht mehr Existieren. Es lässt sich kaum mehr leugnen, dass das einstige Versprechen von Wohlstand und Sicherheit durch Arbeit, jegliche Glaubwürdigkeit verloren hat. Da wir nicht bereit sind unsere Ressourcen an erstarrte Systeme zu verschwenden, ist es an der Zeit, jenes alle Lebensbereiche durchdringende Dogma der pausenlosen Reproduktion gründlich zu hinterfragen. Bereits die Denker der Antike (Aristoteles) wussten, dass der angesprochene, bereits verinnerlichte Übereifer und die tägliche Hetze in einem machtbestimmten, auf Überlegenheit und Beherrschung ausgerichteten Leben, mit der Musse und ihren kreativen Möglichkeiten unvereinbar sind.

Deshalb erschaffen wir mit dem Hospiz der Faulheit gemeinsam eine Plattform, die es uns ermöglicht dem leistungsindoktrinierten Spektakel für ein paar Stunden zu entkommen, um die Zeit nach eigenen Wünschen zu bestimmen. Es soll ein Zwischenraum und Spielraum sein, indem wir keinem Zwang unterstehen und keine bestimmten Erwartungen zu erfüllen haben. Dabei geht es nicht darum ein weiteres Gegensystem zu erstellen, sondern durch die Möglichkeit der Kontemplation gemeinsam nach echten Alternativen zu forschen. Nicht langsamer sondern anders.

http://www.hospizderfaulheit.net


HOSPIZ DER Jeder Mensch arbeitet, doch nicht Digitaldruck auf 550g/m2 Fro Regal mit Texten, Dimension


R FAULHEIT t alle bekommen Geld dafür, 2015 ontlit PVC, geöst, 50 x 200 cm n und Anzahl Texte variabel


VALENTINA KESSLER

Valentina Kessler (1989) lebt und arbeitet in Chur. Sie engagiert sich als Mitglied des Vorstandskollektives f체r das Kabinett der Vision채re. Sie ist derzeit Barleiterin der Kulturbar Werkstatt.


Valentina Kessler Nehmen Sie sich Platz, 2015 Performance-Installation Bequemer Sessel, gutes Licht, Bilder in Petersburger H채ngung


MARIETTA KOBALD March I-IV, 2015, Strahlegg I: Begrenzt, 2: Ziellos, 3: Erwachen, IV: GrenzenlosFotografien, A4

Marietta Kobald (1960) Journalistin und Fotografin. Wohnt und arbeitet in Strahlegg, Fideris und widmet sich der Kultur im Pr채ttigau.



GUDELIA KOBELT

Gudelia Kobelt (1962) lebt und arbeitet in Domat/Ems. Sie besch채ftigt sich seit 2004 mit Malerei, Druck, und Objekten. 2009-2014: Kunstklasse der Kunstschule Wetzikon. 2014: Schule f체r Gestaltung Basel. Weiterbildung: Experimentelles bildnerisches Gestalten. 2012-2014: Internationale Sommerakademie f체r bildende Kunst, Salzburg, A.


Gudelia Kobelt Ausgedient I-IV, 2015 Skulpturen


YVONNE MICHEL

Yvonne Michel (1980) Kunst- und Architekturschaffende. Sie engagiert sich seit 7 Jahren, für die European Architecture Students Assembly in versch. Ländern Europas und als Mitglied des Vorstandskollektives für das Kabinett der Visionäre. Sie lebt und arbeitet in Chur und Zürich.


Yvonne Michel Ohne Titel, Ohne Ort, Ohne Datum, Ohne Ziel. Kiste Ohne Titel zum Durchw端hlen Partizipative Installation Weisskarton 2 mm Laser-Cut Gravur, A5




YOLANDA ESTHER NATSCH & SILVIA STUDERUS

Sivia Studerus (1987) 2010 - 13 Bachelor of Arts in Kunst FHNW, Hochschule f체r Gestaltung und Kunst, Basel. 2012 - 14 Taichi Lehrerausbildung. Seit Februar 2013 wohnhaft in der Villa Renata in Basel, Assistenzkuration und Liegenschaftsverwaltung. Seit Mai 2015 Vorstand Werkraum Warteck PP. Seit Juli 2012 als Kuratorin f체r die Offspacegruppe Dr. Kuckucks Labrador t채tig, u.a. in den R채umlichkeiten des Kaskadenkondensators, Basel.


Lange Weile, Ein Langzeitprojekt, Verschiedene Objekte


Yolanda Esther Natsch (1978) 2010 - 13 Bachelor in Kunst, FHNW, Hochschule f체r Gestaltung und Kunst, Basel. Seit September 2013 Master in Fine Arts, FHNW. Sie lebt und arbeitet in Bern und Basel. Seit Juli 2012 als Kuratorin f체r die Offspacegruppe Dr. Kuckucks Labrador t채tig, u.a. in den R채umlichkeiten des Kaskadenkondensators, Basel.





PARTEI DER UNZUFRIEDENHEIT „Um zum Ungehorsam angeleitet zu werden, folgen Sie bitte den Anweisungen der Stimme die Sie gerade hören.“ Mit diesen Worten beginnt die Einladung dazu, Anleitung zum Ungehorsam von innen heraus zu erleben, nicht einseitig Kunst zu konsumieren, sondern gleichzeitig Teil des Werkes zu werden. Wer sich darauf einlässt, wird dazu angehalten, auf einem Podest stehend Sätze in den Ausstellungsraum zu sprechen, die wie Sand im Getriebe der neoliberalen Marktwirtschaft wirken. Wer dieses Prozedere durchläuft, erfüllt danach alle Bedingungen, sich selber Partei der Unzufriedenheit zu nennen und damit Unruhe zu stiften.

Die Partei der Unzufriedenheit wurde im April 2014 mit einer Rede aus dem Schlafzimmerfenster in den Hinterhof gegründet. Indem sie persönlichem Unmut Ausdruck verleiht, anstatt Wahlkampf zu betreiben, durchbricht sie die Grenze zwischen Privatem und Öffentlichem und stellt die Frage, ob in einer Welt, in der Unbehagen zunehmends von Fachpersonen wegtherapiert werden soll, nicht Wohlstand mit Wohlbefinden verwechselt wird.

Partei der Unzufriedenheit, Anleitung zum Ungehorsam, 2015 Performance-Installation



Partei der Unzufriedenheit, Rede zur Gesundheit der Nation, 2015, Video

Ich bin krank. Nur damit Sie das gleich wissen. Ich habe das nicht überprüfen lassen. Wozu auch? Das weiss ich doch alles bestens selber. Da brauche ich nicht mal einen weissen Kittel dazu. Ich habe eine Allergie gegen Arbeit. Die macht mir einfach so ein schlechtes Gefühl. Lustigerweise immer die Arbeit, für die ich bezahlt werde. Lohnarbeit. Abwaschen zum Beispiel ... Ja gut, ich wasche auch nicht gerne ab, aber das macht mir nicht dieses Gefühl. Wenn ich für Geld arbeite... Ich meine, was will ich damit? Mit dem Geld. Ja gut, ich muss essen. Aber das Geld kann ich auch nicht essen. Eigentlich frage ich mich einfach: Muss das denn gleich so? Also von mir aus was niemand gerne macht, aber da sollen dann bitte alle mal ran. Und immer mit der Ruhe. Warum soll ich mich ständig anstrengen? Das habe ich bis jetzt nie verstanden. Wie gesagt, das ist natürlich eine Krankheit. Also so, das ist ja kein Zustand. Aber ich habe es eben nicht geschafft. Nach all den Jahren ist mir Arbeit immer noch zuwider.

Es ist schon verwunderlich. Gerade meine Eltern haben den Wert der Arbeit sehr hoch gehalten. Aber ich verstehe überhaupt nicht, was das für ein Wert sein soll. Ich weiss jetzt nicht, was da der grosse Unterschied ist. Zu sagen: Ich bin Arbeitnehmer. oder Ich bin Sozialhilfeempfänger. Letzteres klingt fast spannender, ehrlich gesagt. Ich bin aber noch keiner. Nicht dass Sie mich falsch verstehen. Ich versuche, wie alle, der Arbeit etwas abzugewinnen. Es gelingt mir bloss schlecht. Ich hab jetzt auch keine Kinder gewollt. Für die ich dann sorgen müsste. Dann müsste ich ja arbeiten. Ich habe aber Angst gehabt, dass die Arbeit davon nicht angenehmer wird. Nur weil ich pinkeln muss, wird das ja auch nicht meine Lieblingsbeschäftigung. Seit hunderten von Jahren erfinden Menschen Dinge, die die Arbeit erleichtern. Aber immer noch wollen alle den ganzen Tag arbeiten. Und ich will es einfach nicht. Ich strenge mich ja an, es zu wollen. Aber wenn ich ehrlich bin: Nein. Ich will einfach nicht. Die Erlebnisse, die Glücksgefühle bescheren, sind unbezahlbar. Da sind wir uns doch einig. Und warum soll ich dann arbeiten, damit ich konsumieren kann? So ein Fernseher zum Beispiel. Soll ich den ganzen Tag arbeiten und dann


abends noch vor dieses Ding sitzen? Das ist ja selber fast schon Arbeit, bei dem Schrott, der da läuft. Sozialhilfeempfänger die vor dem Fernseher sitzen. Das haben Sie bestimmt auch im Kopf, dieses Bild. Und ich kann mir vorstellen, dass hier eine Aufwertung stattfindet. Es wollen doch so viele zum Fernsehen. Da wäre es doch angezeigt, welche dafür zu bezahlen, dass sie sich das ansehen. Und schon würde ein schlecht bewerteter Teil der Bevölkerung ebenso wichtig wie Banker. Ich meine, das ist ja auch keine richtige Arbeit, Geld umherschieben. Ist Ihnen das aufgefallen? Ich habe Sozialhilfeempfänger gesagt. Und nichts von Sozialhilfeempfänger_ innen. Und erst recht nicht -noch immer nicht- mit keinem Wort habe ich die Personen erwähnt, die weder in die eine noch in die andere Kategorie passen. Die sich dem Diktat widersetzen entweder Frau oder Mann sein zu müssen. Aber ich habe meine Gründe. Sozialhilfeempfänger. Das ist doch das Bild. Nicht das. Männer sind faul. Das denken Sie nicht. Vielleicht schon. Aber ich denke nicht, dass Sie das denken. Es ist nur dieses Bild. Sozialhilfeempfänger. Sind eine Schande für die Männlichkeit. Weil Sie sie, wir sie, faul sehen. Diese Männlichkeit...

-Das ist typisch für mein Krankheitsbild.-macht mir Kopfzerbrechen. Ich kann ihr nunmal nicht gerecht werden. Und ich will überhaupt nicht dieser beschissenen Männlichkeit gerecht werden. Das ist natürlich, wie gesagt, eine Krankheit. Ich kann mich - das ist eine besondere Ausprägung dieser Krankheit, vor der sogar viele, die sich ausschliesslich als schwul bezeichnen, verschont bleiben - Ich kann mich und glauben Sie mir: Ich habe es versucht. Aber ich kann mich beim besten Willen nicht mit dem Begriff „Mann“ infizieren -Ich meine natürlich: identifizieren. Weil ich nie verstanden habe was „Identität“ bedeuten soll. Was das anderes sein soll als eine Schablone, der ich mich anpassen würde wenn ich gesund wäre. Ich bin ... ein Mensch. Gut, von mir aus. Obschon ich mir nicht sicher bin, ob diese Unterteilung in Mensch und Tier, nicht lediglich überheblich ist. Aber dieses Mann-Sein, das mit meinen körperlichen MerkmalenErwartungen an mein Denken und Verhalten verbindet, damit will ich nichts zu tun haben. Das ist -wie gesagt- natürlich eine Krankheit. Ein gesunder Mensch entscheidet sich natürlich für das, was ihm die Biologie in die Wiege legt.


Und ein gesunder Mensch versteht auch, was das für ein Fortschritt ist. Wie aufgeschlossen diese Gesellschaft sein muss,dass er in diesem Land sogar homosexuell sein darf. Wenn er nur seine Leistung erbringt. Einer Arbeit nachgeht, die, -das ist wichtigGeld abwirft. Und er konsumiert. Und dass er dann, -selbst das ist möglichsogar bisexuell sein darf. Aber zu fragen: Wieso Bi? Warum ausgerechnet zwei? oder: Haben wir nicht viel mehr Gemeinsamkeiten als Unterschiede? Das ist wirklich krankhaft. Der gesunde Menschenverstand sagt einem natürlich, dass es immer zwei sind. Dass es Andere braucht, damit hier ein Wir entsteht, damit wir eine Identitätsschablone haben an die wir uns klammern können, weil wir sonst ganz verloren sind, ohne Wir und Die.

sich nicht zu identifizieren mit dem, was nunmal ist, wie es ist, sagt der gesunde Verstand.

Lassen Sie sich nicht infizieren von dem Gedanken

Wenn einer sich entschliesst, etwas zu tun, wofür er nicht bezahlt wird, diese Rede schreiben zum Beispiel,

Aber ich sage Ihnen: Werden Sie ruhig krank. Es ist befreiend. Es wäre natürlich einfacher, wenn ich Pusteln kriegen würde. Von der Arbeit. So ein Gefühl, das glaubt einem ja kein Mensch. Weil es nicht sichtbar ist. Aber ich sehe auch nichts von der Arbeit, die in Banken verrichtet zu werden vorgegeben wird. Nur den Reichtum, der da erwirtschaftet wird. Der mir suggerieren soll, dass ich es zu nichts gebracht habe. Was soll meine Arbeit denn als Geld in diese Freudenpaläste, in denen es sich vermehrt, fliessen? Wieso kann sich das nicht bei mir zuhause vermehren? Andere zeugen Kinder in ihrem eigenen Bett. Dagegen bin ich auch allergisch. Wenn Sie von mir erwarten würden, dass ich ein Kind gebäre ... Das ist ja so eine verdammte Arbeit, dass ich mich frage, warum das überhaupt noch gemacht wird.


dann wird ihm gesagt, er könnte ja auch was arbeiten, etwas Anständiges, mit dem er Geld verdient. So was wird hier noch gedacht, in der weltoffenen, aufgeklärten Schweiz. Wo das Geld zuhause ist. Und andere kein Zuhause finden. Wegen dem Geld das fehlt. Aber kein Mensch käme auf die Idee, es für verrückt zu halten, für ein Kind zu sorgen ohne dafür bezahlt zu werden. Wir brauchen keine Fortpflanzung. Es muss keine neue Schweizer Bevölkerung gezüchtet werden. Es gibt Abertausende, die nur zu gerne den Ort verlassen, an dem sie geboren sind. Und die sind fertig. Ausgewachsene Menschen, die wir nicht erst durchfüttern und umsorgen müssen. Aber in diesem Land wird lieber bestimmt, dass mehr draussen bleiben sollen. Ich habe -wahrscheinlich auch das ein Symptom meiner Krankheitmich von dem Begriff Schweizer noch nie repräsentiert gefühlt. Es ist purer Zufall, dass ich hier geboren bin und Bedingungen vorfinde, die mich -trotz allem- immer noch hier bleiben lassen. Aber warum soll das anderen, die nicht hier geboren sind, verwehrt bleiben? Wer erst eine Reise unternommen hat um

hier zu sein, hat es doch viel mehr verdient zu bleiben. Ich habe nie verstanden, wie ein Mensch auf die Idee kommen kann, zur richtigen Zeit, am richtigen Ort, mit dem richtigen Geschlecht geboren zu sein, hätte seine Richtigkeit. Mir scheint nichts so falsch, wie mit der eigenen Geburt zu argumentieren. Was tragen Menschen schon selber dazu bei? Ich kann mich an meine Geburt nicht mal erinnern! Sie glauben vielleicht sie seien ein guter Mensch. Weil sie sich Fairtrade und Bio leisten. Aber woher wollen Sie wissen, was ihr Geld auf der Bank macht, bevor Sie es für sozialverträgliche, umweltgerechte Produkte ausgeben? Und was würden Sie tun, wenn Sie keiner Arbeit nachgehen könnten mit deren Lohn Sie Ihre Gutmenschigkeit finanzieren können? Wenn Ihre Arbeit Ihrer Gesundheit schaden würde? Ich habe eine Allergie. Und die macht, dass ich mich nicht auf Verhältnisse einlassen kann, die hier zum guten Ton gehören. Dass ich mir kein gutes Gewissen kaufen kann. Weil ich ohne Arbeit keine Kaufkraft habe.


Weil da kein Geld ist, mit dem ich meiner Haltung Ausdruck verleihen könnte. Mit dem ich in einen Laden gehen und -ohne auch nur ein Wort zu sagenzeigen könnte, wie sehr mir die Welt am Herzen liegt. Mit dem Fairtrade-Label und dem Biozeichen auf den Produkten in meinem Einkaufskörbchen. Die ich mit Geld bezahlen würde, das ich verdiene, weil andere -zu unserem Vorteil- auch zu miserabelsten Bedingungen arbeiten. Weil sie anderswo geboren sind und dort bleiben müssen. Damit uns ein Mehrwert entsteht, mit dem wir uns einen sozialen Anstrich geben können. Wenn ich könnte, und nicht an dieser Krankheit leiden würde, würde ich natürlich Karriere machen. Ich würde meine Männlichkeit unter Beweis stellen, mit Ellenbogen, Biss, und über Leichen

gehen und für meine Leistung Geld verdienen, in Massen. Das ich dann spenden würde, für die Masse von Menschen, denen die Möglichkeit fehlt, sich Wohlstand zu erarbeiten, sich den Lebensstandard zu leisten, den ich mir dann, -bei der vielen Arbeit, die ich leisten würde- verdient hätte. Aber ich verdiene nichts. Weil ich der Erwartung, erst etwas zu leisten bevor ich den Mund aufsperre, nicht entsprechen kann. Wenn ich sage, dass ich mit diesen Verhältnissen nicht einverstanden bin, dann fragen mich alle, was ich denn für eine Alternative vorschlage. Soll ich denn ganz alleine eine bessere Welt erfinden? Habe ich vielleicht gesagt, ich wolle die Monarchie zurück? Ich will nicht die Welt regieren. Ich glaube nämlich nicht, dass ich was Besseres bin als andere.


Aber ich lasse mir auch nicht mehr sagen, dass ich Abschaum bin. Weil ich diese Krankheit habe. Diese Allergie gegen Arbeit. Ich würde schon helfen. Den Müll wegräumen, Toiletten putzen, Windeln wechseln. Ich bin mir nicht zu schade für so was. Aber dann sollen gefälligst alle mal ran. Ich meine: Was soll das denn für eine Gesellschaft sein? In der die einen nur in ihren Büros sitzen und dafür Anerkennung bekommen, sich die Hände nicht schmutzig zu machen. Ich verstehe das alles nicht. Ich weiss, wie ich mir Wohlstand erarbeiten kann. Ich weiss aber nicht, wie ich zu Wohlbefinden komme. Das wird einem ja nirgends gelehrt. Das soll irgendwie allen schon klar sein. Ich bin heute hier, um Ihnen das zu sagen, was niemand hören will. Nämlich, dass es mir Scheisse geht. Ob das jetzt der persönliche Misserfolg ist

oder nicht. Das ist doch scheissegal. Ich glaube nämlich nicht an Depressionen. Das ist nur eine Erfindung, die mir vermitteln soll, dass ich an allem selber schuld bin. Jedenfalls bin ich mein Leben als Teil dieser Gesellschaft müde. Ich kann Arbeit beim besten Willen nichts abgewinnen. Und darum bin ich nichts und kann nichts. Aber ich will etwas. Nicht dass Sie spenden. Nicht dass Sie beitreten. Nicht dass Sie mich wählen. Nur dass Sie denken, ob das wirklich sein muss, wie es gesund ist.

Ihre Partei der Unzufriedenheit


KRISTINA PFEILER Apfel der Erkenntnis, 2015 Nicht gegessener Apfel auf Sockel

Kristina Pfeiler (1974) lebt und arbeitet in Malans. Seit 7 Jahren freischaffende K端nstlerin.



VERONIKA SUSCHNIG

Veronika Suschnig (1989) in Korneuburg (Ö) geboren, lebt und arbeitet in Wien. Masterstudentin der Architektur auf der TU Wien, gezeichnet wird wieder seit 2014 freier– meist in einer Jogginghose oder im Pyjama.

Veronika Suschnig Lost in Reality, 2015 Bildserie, Tusche und Aquarell, 32 x 32 cm



MARINA WOODTLI

Marina Woodtli (1987) in Z端rich geboren. 2014: Master of Arts in Fine Arts HSLU, Luzern. Sie lebt und arbeitet in Basel.


Marina Woodtli Partitur des Alltags, 2015 Im Fokus dieser fortlaufenden Sammlung von Videos, die im öffentlichen Raum entstanden sind, steht der Mensch und seine alltägliche Beschäftigung. Mit einer Handkamera aufgenommen zeigen die Videos eine Totale. Die serielle Arbeit zeichnet sich durch stille Bilder aus, welche die wiederholenden Rhythmen und gewohnten Bewegungen einer Tätigkeit ins Zentrum rücken. Die gefilmte Person wird in diesem Moment zum Protagonist, der öffentliche Raum wird zur Bühne und die Betrachterin und der Betrachter zum Zuschauer dieser Szenerie. Videoinstallation, 6-Kanalvideo, mit Ton, Loop


Layout: Yvonne Michel Kuratorium: Kabinett der Vision채re Kabinett, S채genstrasse 75, 7000 Chur Kontakt: kdv@gmx.net HP: http://kabinettdervisionaere.jimdo.com Tumblr: http://kabinettdervisionaere.tumblr.com Twitter: https://twitter.com/kdvchur Unterst체tzt durch:


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