WBGU Hauptgutachten: Der Umzug der Menschheit: Die transformative Kraft der Städte

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Kairo: Metropole zwischen autoritärem Staat und schwacher Governance  5.3

5.2.6 Fazit und zukünftige Transformationspfade Vor dem Hintergrund einer nachholenden Stadtentwicklung und dem zu erwartenden zukünftigen Wachstum bestehen in Mumbai zentrale Transformationsherausforderungen. Diese betreffen vor allem die Bereitstellung von Wohnraum und Basisdienstleistungen für die Bevölkerung, den Abbau der sozioökonomischen Disparitäten, dem Ausbau der städtischen Infrastrukturen und die Bewältigung multipler sozialer und ökologischer Risiken. Die Stadtentwicklung muss dabei aufgrund der großen Landknappheit überwiegend auf bereits bebauten Flächen durch Stadtteilerneuerung erfolgen. Auch ist das weitere Wachstum mit dem Ökosystemschutz, der Verknappung natürlicher Ressourcen sowie dem Schutz der Bevölkerung und Infrastruktur vor den Auswirkungen des Klimawandels auszubalancieren. In der aktuellen Stadtplanung Mumbais scheint die Bewältigung lokaler Umweltprobleme Vorrang vor Klimaschutzmaßnahmen zu haben, wobei beide Aspekte eng miteinander verbunden sind. Die Stadtentwicklung wurde in den letzten beiden Dekaden stark durch moderne, marktwirtschaftliche Prozesse getrieben, mit denen die Attraktivität Mumbais als Wirtschaftsstandort gefördert werden sollte. Die Modernisierungsprozesse scheinen jedoch auch die sozioökonomischen Disparitäten innerhalb der Bevölkerung zu verschärfen. Die Standortförderung bzw. Schaffung von Einkommensmöglichkeiten, die Erhaltung der natürlichen Lebensgrundlagen und die Verbesserung der Lebensqualität für die gesamte Bevölkerung scheinen somit derzeit in einem Zielkonflikt zu stehen. In Anbetracht der zu erwartenden Stadterweiterung und der notwendigen Restrukturierung von bereits entwickelten Stadtflächen sollte die Ressourcen- und Emissionsreduktion stärker in der Stadtplanung verankert werden. Zwar sind die Pro-Kopf-Emissionen in Indien und auch in Mumbai im internationalen Vergleich zur Zeit noch gering, aber gerade die wachsende urbane Mittel- und Oberschicht weist einen zunehmenden Ressourcenverbrauch und nicht nachhaltige Lebensstile auf. Hier sollte auf verschiedenen politischen Ebenen sowie durch zivilgesellschaftliches Engagement auf die Entkopplung von Lebensqualität und Ressourcenintensität durch Leapfrogging hingewirkt werden. Neben dem energieeffizienten Stadtumbau stellen die Grundbedürfnisbefriedigung vor allem für schwächere sozioökonomische Gruppen und die Steigerung der Lebensqualität wichtige Herausforderungen im Transformationsprozess dar. Der hohe Grad an informellen Prozessen und Strukturen im Wohnsektor sowie im Handel, Gewerbe und im Dienstleistungs-

bereich stellt dabei eine besondere Herausforderung für die urbane Governance dar. Im aktuellen Stadtentwicklungsplan (2014–2023) adressiert die Stadt Mumbai die zentralen Herausforderungen, indem durch verschiedene Maßnahmen die Wettbewerbsfähigkeit gesteigert, Disparitäten und Armut abgebaut und der Umweltschutz gefördert werden sollen. Zudem ist Mumbai auch Mitglied in globalen Städtenetzwerken, wie z.  B. ICLEI – Local Governments for Sustainability (Kap. 6.2.3) oder der C40 Cities Climate Leadership Group (Kasten 2.5-6). Die Überprüfung des Erfolgs einzelner Vorhaben wird insgesamt jedoch durch die mangelnde Datenverfügbarkeit erschwert. Zudem scheint die Planung der zukünftigen Stadtentwicklung eher der Logik von Businessas-usual-Szenarios zu folgen, mit dem durch einzelne Maßnahmen zwar Fortschritte erzielt werden; aber ein tiefgreifender und systematisch geleiteter transformativer Umbau ist bisher nicht zu erkennen. Dennoch sind in Mumbai wichtige lokalspezifische Ressourcen für eine Transformation zur Nachhaltigkeit wie Ortsidentität, zivilgesellschaftliches Engagement, hohe Flexibilität, Diversität, Kreativität und Innovativität vorhanden. Es zeigt sich in Mumbai (wie tendenziell in hohem Maße in Indien), dass zivilgesellschaftliche Kräfte eine wichtige Funktion als Pioniere des Wandels (WBGU, 2011:  255  ff.; Kap. 6) übernehmen und Transformationsprozesse anstoßen können, die sich durch Kooperation mit weiteren Akteursgruppen wie insbesondere der Stadtverwaltung hochskalieren lassen. Dieser Prozess kann eine wichtige Grundlage für die Institutionalisierung partizipativer, flexibler Planungs- und Implementierungsprozesse darstellen, um negative Pfadabhängigkeiten zu vermeiden. Diese Ressourcen haben bisher dazu beigetragen, dass sich Mumbai trotz der großen räumlichen, sozialen, ökonomischen und politischen Herausforderungen durch die rapide Urbanisierung bisher als bemerkenswert resiliente Stadt erwiesen hat (Jain et al., 2013).

5.3 Kairo: Metropole zwischen autoritärem Staat und schwacher Governance Der Großraum Kairo (Kairo, Giza und Qalubiya) ist mit ca. 18 Mio. Einwohnern nicht nur die einzige Megastadt der arabischen Welt, sondern (bislang) auch die größte des gesamten afrikanischen Kontinents. Der Urbanisierungsdruck bleibt weiterhin hoch, denn die jährliche Wachstumsrate der Stadt in den nächsten 10 Jahren wird auf 2,11  % geschätzt (UN-Habitat, 2014c:  64). Kairo bildet das politische, wirtschaftliche und kulturelle Zentrum Ägyptens mit starkem – wenn auch tendenziell schwin-

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