Spuren - Orte der Reformation in Baden-Württemberg

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Baden-Württemberg

Spuren Spuren – Orte der Reformation in Baden-Württemberg

O r t e d e r R e f o r m at i o n

Aufbruch im Süden

Der lange Weg zur neuen Lehre

Aus Klöstern wurden Schulen ISBN 978-3-935983-69-3

Die Reformation schafft Bildung

Auf den Spuren der Waldenser Verfolgte finden eine neue Heimat

Reisewege zur Reformation

24 Orte und ihre Glaubensgeschichte www.tourismus-bw.de



Grußwort Von Wertheim bis an den Bodensee, von Kehl bis zur Ostalb bietet unser schönes Baden-Württemberg einzigartige Natur- und Kulturlandschaften, Städte mit reichem kulturellem und historischem Erbe sowie ­Se­henswürdigkeiten, die ihresgleichen suchen. Ein bedeutender Teil dieses Erbes sind die 24 Orte der Reformation, die die beiden Landeskirchen in BadenWürttemberg in Zusammenarbeit mit der Tourismus Marketing GmbH in dieser Publikation vorstellen. Die 24 Orte verdeutlichen, dass Martin Luther vor 500 Jahren mit der Veröffentlichung seiner 95 Thesen in Wittenberg zwar einen zentralen Impuls für die ­Reformation gesetzt hat, diese bei uns im Südwesten aber eine spezifische Prägung mit eigenen, außergewöhnlichen Charakteren erhalten hat. So zum Beispiel Johannes Brenz oder Philipp Melanchthon, die als ­Reformatoren entscheidend zur besonderen regionalen Ausprägung der Reformation auf dem Gebiet des heu­ tigen Landes Baden-Württemberg beigetragen haben. Dass die Publikation „Spuren – Orte der Reformation in Baden-Württemberg” den Blick auf touristisch attraktive wie kulturell bedeutungsvolle Orte der Reforma­ tion lenkt, begrüße ich sehr. Interessierte Bürgerinnen und Bürger können auf diese Weise der Wirkungsgeschichte sowie der gesellschafts- und kulturprägenden Bedeutung dieses Ereignisses nachspüren. Sie können erleben und erfahren, dass die Reformation hierzulande eine bedeutsame Rolle spielte, deren Wirkung bis ­heute reicht: Die Reformation hat nicht allein das kirchliche Leben grundlegend verändert, sondern auch die Gesellschaft, die Politik und die Kultur bis in die Gegenwart nachhaltig beeinflusst. Allen interessierten Bürgerinnen und Bürgern wünsche ich, dass sie viele neue und ihnen noch unbekannte Ausflugsziele kennenlernen und dabei die eindrück­ lichen Spuren der Reformation in Baden-Württemberg entdecken.

Winfried Kretschmann Ministerpräsident des Landes Baden-Württemberg


Liebe Leserinnen, liebe Leser, was Sie hier in Händen halten, ist neu. Zum ersten Mal wird eine Veröffentlichung der Tourismus Marketing GmbH Baden-Württemberg gemeinsam mit den beiden Landeskirchen in Baden-Württemberg herausgegeben. Der Anlass ist ein historisches Ereignis, das in unserem Bundesland auf Schritt und Tritt Spuren hinterlassen hat: der Beginn der Reformation vor bald 500 Jahren. Das Reformationsjubiläum betrifft aber nicht nur die Kirchen. Nachwirkungen davon finden sich im Alltag der Baden-Württemberger. Das beginnt bei vielen Bräuchen, die lokal gefeiert werden. Manches geübte Ohr kann schon an der Aussprache eines Ortes hören, welcher Konfession das Dorf angehört haben mag. B­aden-Württemberg ist das Bundesland mit den meisten Feiertagen, die in der Regel einen christlichen ­Bezug haben. Und auch die vielfältige Bildungslandschaft in unserem Bundesland ist eine unmittelbare Folge der Reformation. Es lohnt sich also, den Spuren der Reformation in BadenWürttemberg nachzugehen. Neben der abwechslungsreichen Landschaft, den vielen Kulturereignissen und den kulinarischen Genüssen sind es nicht zuletzt Kirchen und andere Orte der Reformation, die Eindruck machen. Langweilig wird es bei dieser Spurensuche nicht. Das mag auch daran liegen, dass die Reformation bei uns vielfältiger ist als in anderen Teilen des deutschsprachigen Raumes: Da gibt es die großen Landesherrschaften – das Herzogtum Württemberg, die Markgrafschaft Baden und die Kurpfalz. Sie alle haben ihren eigenen Weg zur Reformation gefunden. Daneben ­waren es vor allem die freien Reichsstädte, die stolz ihr religiöses Bekenntnis selbst in die Hand nahmen. ­Andere Gebiete sind über die Jahrhunderte hinweg

einfach katholisch geblieben. Und dann gibt es verschiedene Ausprägungen der Reformation, die in ­unserem Land in besonderer Weise erfahrbar sind – lutherisch, reformiert, uniert … Wir haben uns entschlossen, Ihnen 24 Orte vorzustellen, an denen wir Sie zu Entdeckungen einladen. ­ Je zur Hälfte liegen sie im badischen und im württembergischen Landesteil. Auch der Blick über den Rhein darf nicht fehlen, denn die Reformation war von Anfang an eine europäische Angelegenheit – vielleicht ist die Weltoffenheit der Baden-Württemberger ja auch schon in der Reformationszeit angelegt. Machen Sie sich mit diesem Heft auf zu den Orten der Reformation in Baden-Württemberg. Sie finden auf den folgenden Seiten manches Interessante zur Geschichte, aber auch zum heutigen Leben in den beschriebenen Orten und natürlich auch die wichtigsten touristischen Informationen. Die Tourismus Marketing GmbH Baden-Württemberg und die beiden Landeskirchen wünschen Ihnen schöne Tage in Baden-Württemberg und viele interessante Begegnungen und Erfahrungen auf den Spuren der Reformation! Ihre Tourismus Marketing GmbH Baden-Württemberg, Evangelische Landeskirche in Baden und ­Evange­lische Landeskirche in Württemberg

Was ebenfalls neu ist: Zu allen Kirchen in diesem Heft werden in der Kirchen-App weitere Informationen ­geboten. Dieses bundesweit geplante Projekt wird hier erstmals konkret. Bei wichtigen Innovationen ist Baden-Württemberg oft vorne mit dabei …



Aus dem Inhalt

GruSSwort Winfried Kretschmann, Ministerpräsident des Landes Baden-Württemberg

S. 03

Vorwort Tourismus Marketing GmbH Baden-Württemberg, Evangelische Landeskirche in Baden und Evangelische Landeskirche in Württemberg

S. 04

als die Reformation in den Süden kam Der lange Weg zur neuen Lehre

S. 08

Die wichtigsten Reformatoren Martin Luther und seine Mitstreiter

S. 12

Die Reformation im Überblick Ein chronologischer Ablauf der Ereignisse

S. 14

Wie aus Klöstern Schulen wurden Die Reformation schafft Bildung

S. 16

Was ist ein Katechismus? Ein Lehrbuch für den Glauben

S. 18

Auf den Spuren der Waldenser Verfolgte finden eine neue Heimat

S. 19

Der evangelische Bollenhut Das Markenzeichen des Schwarzwaldes und seine Geschichte

S. 20

Aus einem Guss Zu Besuch bei einer der letzten Glockengießereien

S. 22

Jetzt schlägt`s 13 Wo man Kirchenglocken ganz nahe kommen kann

S. 23

Fest gemauert in der Kirche Schnecken, Sachsen und andere Kuriositäten

S. 24

Gottesdienst ist nicht gleich Gottesdienst Die Liturgie in Baden und Württemberg

S. 26

Kirchen im Überblick Die evangelischen Landeskirchen in Zahlen

S. 27

Die wichtigsten Begriffe Das kurze Glossar zur Reformation

S. 28

Ein Wort auf den Weg ... woher kommt mir Hilfe?

S. 30

Reisewege zur reformation 24 Orte und ihre Glaubensgeschichte

S. 32

Impressum

S. 82

Thementouren Auf den Spuren der Reformation

S. 84

Titelbild: Heiliggeistkirche in Heidelberg. Bild rechts: Stiftskirche in Stuttgart.


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Als die Reformation in den Süden kam Die Reformation erschütterte die katholische Kirche und die gesamte damalige Welt. Ein Mönch namens Martin Luther hatte sie in Gang gebracht und auch in Baden und Württemberg seine Anhänger gefunden.

Karikatur des Ablasshändlers Tetzel aus dem 16. Jahrhundert.

Wagte es zu widersprechen: der Augustinermönch Martin Luther.

Wie praktisch, wenn man sich von seiner Schuld frei­ kaufen kann und die Seele auch gleich noch errettet ist. Und wie lukrativ für die, die an dieser Errettung verdienen. Mit den Ängsten der Menschen ließ sich gut Geld verdienen, zumal wenn es dabei um Leben und Tod ging. Im Sommer des Jahres 1517 ritt der Dominikanermönch Johannes Tetzel durch das Bistum Magdeburg und verkaufte Ablassbriefe. Sündenvergebung gegen Bargeld, je mehr, desto besser. Auch Gläubige aus dem benachbarten Wittenberg pilgerten dorthin und brachten damit ihren Pfarrer endgültig auf die Palme. Schon seit geraumer Zeit war es dem 34 Jahre alten Augus­ tinermönch Martin Luther ein Dorn im Auge, was sich da in seiner Kirche abspielte: Ämterkauf und Ämterhandel, gut bezahlte Seelenmessen und opulente Ablassurkunden, die auch dazu dienten, die teure Hof­ haltung des Papstes im Kirchenstaat zu finanzieren. Was hatte das noch mit Gott und dem Glauben zu tun? Die 95 Thesen Am 31. Oktober 1517 schrieb sich der empörte Mönch aus Wittenberg die Argumente gegen den Missbrauch der Ablassbriefe von der Seele. Es waren viele: Sie sollten später als „Luthers 95 Thesen” in die Ge-

Endlich in deutscher Sprache: Luther-Bibel aus Magdeburg von 1554.

schichte eingehen und das Datum ihrer Veröffentlichung zum Beginn dessen werden, was man als  Reforma­ tion bezeichnete. Eine revolutionäre Bewegung, die die Christenheit anfangs spaltete und zur Gründung evange­lischer Kirchen führte. Dabei ging es zunächst gar nicht um die Gründung ­einer neuen Kirche. Luther wollte zunächst nur seine eigene reformieren und zu den Lehren der Bibel zurückführen. Deswegen hatte er auch den Erzbischof von Mainz informiert und um Hilfe gebeten. Der reagierte prompt und leitete ein Verfahren gegen Luther ein: Wer den Papst kritisierte, war ein Ketzer, die Kurie in Rom forderte umgehenden Widerruf. Doch Luther widerrief nicht, sondern reiste stattdessen von Ort zu Ort, um seinen Standpunkt zu verteidigen. Binnen kurzem war das Tischtuch zwischen ihm und dem Papst zerschnitten: 1521 wurde er aus der Kirche ausgeschlossen und auf dem Wormser Reichstag für vogelfrei erklärt. Nun konnte man mit ihm machen, was man wollte. Disput in Heidelberg Doch da hatte er schon einflussreiche Freunde. Der Kurfürst von Sachsen versteckte ihn 1521 auf der


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Wartburg, wo er an seiner berühmten Bibelübersetzung ins Deutsche arbeitete. Erstmals konnte die heilige Schrift damit auch von einfachen Menschen verstanden werden, in der katholischen Kirche war bis dahin ausschließlich Latein gesprochen worden. Der erste Ort außerhalb von Wittenberg, an dem Martin Luther seine Thesen verteidigte, war Heidelberg. In der kurpfälzischen Stadt gab es schon damals eine bekannte Universität und die lud zu Disputationen ein, wissenschaftlichen Streitgesprächen über theologische

sich kein geschlossenes Territorium wie in der heutigen Zeit vorstellen. Die mittelalterliche Welt des 16. Jahrhunderts war in viele kleine Herrschaftsgebiete zersplittert, deren Besitzungen zum Teil verstreut im ganzen Land lagen. So gab es zwar ein Herzogtum Württemberg, aber es war viel kleiner als das spätere Königreich. Auch die Markgrafschaft Baden war nicht zu vergleichen mit dem Großherzogtum des 19. Jahrhunderts und überdies geteilt in eine Durlacher und ­Baden-Badener Linie. Erst 1952 wurden Baden, Würt-

Universität Heidelberg: Das Streitgespräch mit Luther 1518 brachte die Reformation erst richtig in Gang.

Fragen von Gewicht. Die waren auch deswegen bekannt, weil der wenige Jahrzehnte zuvor entwickelte Buchdruck half, die Schriften der Reformation im ­ganzen Land zu verbreiten. Am 26. April 1518 stand der Querdenker aus Mitteldeutschland dort auf dem Podium und nahm kein Blatt vor den Mund: Die Menschen leben allein von der Gnade Gottes, und die Bibel sei der größte Schatz, den die Kirche besitze. Die Professoren waren schockiert, was sie von Herrn Dr. Luther zu hören bekamen, doch viele ihrer Schüler begeistert: Die Reformation, sie war auch eine Studentenbewegung. Zu den bei der Disputation anwesenden Studenten gehörten Personen, die für die Reformation in Baden und Württemberg wichtig werden sollten: Der damals 19-jährige Johannes Brenz war dabei, der einmal der geistige Vater der Württembergischen Landeskirche werden sollte, und der 27-jährige Martin Bucer, der in Straßburg ­reformatorische Maßstäbe setzte und wie Brenz auch die badischen Gebiete beeinflusste. Beide sogen in sich auf, was ihnen der Mönch aus Wittenberg erzählte und nahmen seine Gedanken mit zu ihren Wirkungsstätten. Es dauerte ein wenig, bis sich in Baden und Württemberg die Reformation durchsetzte. Dabei darf man

temberg und Hohenzollern zum heutigen Bundesland Baden-Württemberg vereinigt. Sonderweg der Kurpfalz Vor allem aber ragte in den Norden des heutigen Badens ein anderes Territorium hinein, das in der Reforma­ tion ganz eigene Wege gehen sollte: die Kurpfalz. Zu ihr gehörte auch das von Luther besuchte Heidelberg, und es sollte zu den vielen Ironien der Geschichte gehören, dass der einzige Ort im heutigen Baden-Württemberg, den der Wittenberger Reformator nach 1517 je persönlich besucht hat, vom lutherischen Glauben abfiel: Jahrhunderte lang dominierte dort die reformierte Richtung nach Schweizer Vorbild. Der bekannte Heidelberger  Katechismus, der 1563 veröffentlicht wurde, er stand für den Sonderweg der Kurpfalz unter Kurfürst Friedrich dem Frommen. Es hatte in der Tat nicht lange gedauert, bis es im Lager der Reformation zu Richtungskämpfen gekommen war. Vielen ging Luther mit seinen Reformen nicht weit genug. Vor allem der Züricher Reformator Huldrych Zwingli wurde zu seinem Gegenspieler und versuchte, mit allen katholischen Traditionen zu brechen. Dabei entzündete sich der Streit vor allem am  Abend-


sächlich in Brot und Wein gegenwärtig, wie Luther es verstand? Bis in die Gegenwart bestimmt das unterschiedliche Abendmahlsverständnis das Verhältnis von lutherischen und reformierten Kirchen. Radikal wurde aus Schweizer und Kurpfälzer Gotteshäusern alles entfernt, was an katholische Heiligenbilder erinnerte. Noch heute sucht man in reformierten Kirchen vergeblich einen Altar und viele Pfarrer tragen dort keinen Talar, sondern Straßenkleidung. Luther hingegen hielt prinzipiell am Ablauf der feierlichen katholischen Messe fest, füllte sie aber mit evange­ lischen und deutschsprachigen Inhalten.

Konfessionsgrenzen im Südwesten 1618. Protestanten: Lutheraner Calvinisten Zwinglianer Katholiken überwiegend katholisch rekatholisiert Religiös gemischte Gebiete sind schraffiert dargestellt.

Hussiten

mahl. Zwar wurde in beiden Fällen nun Brot und Wein ausgeteilt, während in katholischen Kirchen der Wein weiterhin den Priestern vorbehalten blieb. Aber wofür standen Brot und Wein eigentlich? Ging es nur um ihre symbolische Bedeutung, wie Zwingli meinte, oder waren Leib und Blut Christi in diesem Moment tat-

Der Württemberger Kompromiss Dass man die lutherische Messe in Baden und Württemberg nicht so gut kennt, liegt an der besonderen Geschichte, die die Territorien im Südwesten haben. So bestanden im Herzogtum Württemberg jahrzehntelang lutherische und reformierte Traditionen nebeneinander: Während der Norden des heutigen Württembergs von den Reformen Luthers beeinflusst war, sympa­ thisierten die oberdeutschen Städte wie Biberach oder Ravensburg mit der Schweiz. Der Richtungsstreit im Herzogtum wurde schließlich zugunsten der Lutheraner entschieden, freilich mit der Besonderheit, dass der ­äußere Ablauf des Gottesdienstes, auch Liturgie genannt, in seiner Schlichtheit teilweise an die Schweizer Reform erinnert. Der sogenannte oberdeutsche Predigtgottesdienst war ein Kompromiss, mit dem schließlich alle leben konnten. Auch in der Abendmahlslehre konnte eine gemeinsame Linie gefunden werden. Erst 1534 hatte Herzog Ulrich in Württemberg die Reformation eingeführt. Die freien Reichsstädte waren

Wofür stehen Brot und Wein? Das richtige Abendmahlsverständnis war ein großes Thema der Reformation.


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Vorreiter gewesen, in Reutlingen, Ulm, Esslingen und Schwäbisch Hall konnte man schon früh Pfarrer nach der neuen Lehre predigen hören. Aus Schwäbisch Hall kam auch der Mann, der mit Geschick und Diplomatie die Fäden im Herzogtum spann: Der Lutheraner Johannes Brenz wurde zum Vater der württembergischen Landeskirche, sein Katechismus und seine Kirchenordnung sollten das Land auf Jahrhunderte hinaus prägen. Der Augsburger Religionsfriede Fast 40 Jahre hatte es gedauert, bis der Protestantismus im Kaiserreich endlich akzeptiert war. Mit dem Augsburger Religionsfrieden 1555 konnte jeder Landesherr nun frei entscheiden, welcher Glaubensrichtung er und seine Untertanen folgen wollten. Zuletzt hatten die evangelischen Fürsten im Schmalkaldischen Krieg eine empfindliche Niederlage einstecken müssen. Auf dem Reichstag zu Speyer 1529 hatten sie förmlich gegen das Verbot der lutherischen Lehre protestiert – und hießen fortan Protestanten. Die Markgrafschaft Baden bekannte sich erst 1556 zur Reformation. Nur im Kraichgau und in Wertheim hatte es zuvor schon evangelische Gemeinden in größerem Umfang gegeben. Doch mit dem Augsburger Religionsfrieden ging auch hier nun alles seinen geregelten Gang. Endlich konnten neue Kirchenordnungen geschrieben werden: Sie stellten den Landesherren an die Spitze der jeweiligen evangelischen Kirche. Bis 1918 war er zugleich weltliches und geistliches Oberhaupt, bis nach dem Ersten Weltkrieg das sogenannte landesherrliche Kirchenregiment abgeschafft wurde. Bereits die Napoleonischen Kriege hatten Anfang des 19. Jahrhunderts für die Kirchen im Südwesten erheb-

liche Neuerungen mit sich gebracht: So lebten im neu formierten Königreich Württemberg nun erstmals auch katholische Untertanen, und Baden sah sich auf evangelischer Seite plötzlich zwei Landeskirchen gegenüber: Durch die Aufhebung der Kurpfalz mussten reformierte Heidelberger und lutherische Karlsruher unter dem Dach des Großherzogtums zusammenleben. Die badische Vereinigung Das hielt nicht lange an: 1821 kam es zur Vereinigung der beiden unterschiedlichen Richtungen. Es entstand die Vereinigte  Evangelisch-Protestantische Kirche von Baden, eine der so genannten unierten Kirchen in Deutschland, in denen ehemals lutherische und reformierte Christen ihre Gegensätze für beendet erklärten. Beide Katechismen, der Heidelberger und der  Luthe­ rische wurden gleichberechtigt anerkannt, die Liturgie ebenfalls in eine für alle akzeptable Form gebracht. Die Vielfalt ist kennzeichnend für die gesamte evangelische Glaubenswelt. Die Freiheit des Christenmenschen ohne eine Zentralgewalt wie der des Papstes, sie gilt für alle Kirchen, die aus der Reformation hervorgegangen sind. So gibt es eine katholische, aber unzählige protestantische Kirchen in der Welt. Sind sie nicht Bestandteil einer Landeskirche, werden sie in Deutschland auch Freikirchen genannt. Das Priestertum aller Getauften ist ihnen allen gemeinsam. Zwischen Gott und dem Menschen darf keiner stehen, kein Heiliger und kein Papst. Als Luther dies 1521 in Worms widerrufen sollte, weigerte er sich mit den Worten, die später auf die griffige Kurzformel gebracht wurden: „Hier stehe ich, ich kann nicht anders, Gott helfe mir, Amen!”

Szenen aus dem Schmalkaldischen Krieg: Am Ende unterlagen die protestantischen Fürsten.


Die wichtigsten Reformatoren

Ambrosius Blarer (1492 – 1564): Theologe und Reformator, der vermittelnd zwischen Luther und Zwingli wirkte. Freund Melanchthons und ursprünglich Benediktinermönch in Alpirsbach, wo er Luthers Schriften kennenlernte. Führte in seiner Heimatstadt Konstanz die Reformation ein und hatte großen Einfluss auf die Reichsstädte Ulm, Esslingen, Lindau und Isny. Arbeitete im Auftrag des Herzogs von Württemberg, der ihn 1538 wieder entlässt. Rückkehr an den Bodensee und Flucht in die Schweiz nach der ­Rekatholisierung Konstanz’.

Johannes Brenz (1499 – 1570): Wichtigster theologischer Ratgeber von Herzog Christoph in Württemberg. Baut in Stuttgart ab 1553 die lutherisch ausgerichtete württembergische Landeskirche organisatorisch und theologisch auf. Begegnete Luther 1518 in Heidelberg und war dann über 25 Jahre Prediger in Schwäbisch Hall. Gilt als gemäßigter Reformator, der sich gegen den Bildersturm und die Hinrichtung der Wiedertäufer aussprach. Die Ehrenamtsmedaille der Württembergischen Landeskirche ist nach ihm benannt.

Martin Bucer (1491 – 1551): Der Reformator Straßburgs und des gesamten Elsass. Sprach persönlich mit Luther auf der Heidelberger Disputation 1518 und beriet später Pfalzgrafen, den Herzog von Württemberg und den Landgrafen in Hessen. Trat vermittelnd zwischen verfeindeten Reformationslagern auf und suchte den Ausgleich mit den Katholiken. Verdienste um Gemeindeaufbau und Seelsorge, Wegbereiter der  Konfirmation. Großer Einfluss auf ­Calvin, der zeitweise in Straßburg lebte. Emigrierte nach England und starb dort 1551.

Johannes Calvin (1509 – 1564): Schweizer Reformator der zweiten Generation, der ursprünglich aus Frankreich kam und dann in Genf wirkte. Sah sich als Nachfolger und Vollender Luthers. Führte eine strenge Kirchenzucht mit zum Teil drakonischen Strafen ein. Strebte die Einheit der Kirche an und fand mit seinen Lehren große Resonanz bei Tausenden von Studenten. Verbreitete die Reformation in weiten Teilen Westeuropas und ist mit Zwingli der wichtigste Wegbereiter der reformierten Kirchen innerhalb des Protestantismus.


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Martin Luther (1483 – 1546): Sein Name steht weltweit für die Reformation. Der Thesenanschlag gegen den Ablasshandel am 31. Oktober 1517 gilt als ihr eigentlicher Beginn. Augustinermönch aus Wittenberg, der 1521 aus der katholischen Kirche ausgeschlossen wurde und ­unter dem Schutz des Kurfürsten von Sachsen die Bibel erstmals ins Deutsche übersetzte. Seine „Deutsche Messe” von 1526 prägt bis heute den Gottesdienst. Sprach sich zugleich gegen allzu radikale Umwälzungen und Sozialreformen aus. Die Heirat mit Katharina von Bora begründete das evangelische Pfarrhaus.

Erhard Schnepf (1495 – 1558): Lutherischer Theologe und Reformator, Generalsuperintendent des Herzogtums Württemberg. Trieb gemeinsam und kon­ kurrierend mit Ambrosius Blarer die Reformation in Württemberg voran: der Lutheraner Schnepf im Norden des Herzogtums und der eher von Zwingli geprägte Blarer im südlichen Teil. Konnte sich schließlich gegen Blarer durchsetzen und erhielt die Zuständigkeit für ganz Württemberg. 1548 ent­ lassen und Lehrtätigkeit im thüringischen Jena, wo er 1558 starb.

Philipp Melanchthon (1497 – 1560): Großneffe des berühmten Humanisten Johannes Reuchlin. Im heute badischen Bretten geboren und durch den Wechsel an die Universität in Wittenberg seit 1518 Weggefährte ­Martin Luthers. Wurde zu dessen wichtigstem Mitstreiter, theologischen Berater und persönlichen Freund. Lehrte ­Luther die griechische Sprache und bekam dank seiner profunden wissenschaftlichen Kenntnisse und seiner Vorden­ kerqualitäten auch den Beinamen „Praeceptor Germaniae”, Lehrer Deutschlands.

Huldrych Zwingli (1484 – 1531): Katholischer Priester, der 1523 die Reformation in Zürich ­einführte und ein Jahr zuvor durch die Tolerierung eines Wurstessens während der Fastenzeit für Furore gesorgt hatte. Konsequenter als Luther in seinen Positionen, der Versuch ­einer Einigung beim Marburger Religionsgespräch 1529 scheiterte. Ließ radikal alles aus den Kirchen entfernen, was nicht aus der Bibel und dem Wort Gottes abzuleiten ist. Begründer der reformierten Richtung in der Schweiz. In der Auseinandersetzung mit katholischen Eidgenossen getötet.


Die Reformation im Überblick Ein chronologischer Ablauf der Ereignisse Auf dem Reichstag zu Speyer protestieren evangelische Fürsten und Reichsstädte gegen das Verbot der neuen Lehre. Sie werden fortan Protestanten genannt.

In Zürich beginnt die Reformation Zwinglis, in Schwäbisch Hall die von Brenz. Luther schreibt auf der Wartburg an seiner Bibelübersetzung. Im September erscheint das Neue Testament auf Deutsch.

1529

1522 Luther heiratet Katharina von Bora.

Herzog Ulrich führt die Reformation in Württemberg ein. Ambrosius Blarer und Erhard Schnepf sollen sie umsetzen.

1525

1534

Luther verteidigt seine Thesen an der Universität Heidelberg. Unter den Studenten sind spätere Reformatoren wie Bucer und Brenz.

Schmalkaldischer Krieg: Die protestantischen Fürsten und Städte, die sich im Schmalkaldischen Bund zusammengeschlossen haben, ver­ lieren gegen den Kaiser.

1518

1546

1517 Martin Luther, Mönch aus Wittenberg, formuliert 95 Thesen gegen den Ablasshandel der katholischen Kirche. Noch denkt keiner an eine neue Kirche.

1536 1521

1528

Der Papst schließt Luther aus der Kirche aus (Exkommunikation). Nachdem er auch auf dem Reichstag in Worms nicht widerruft („Hier stehe ich, ich kann nicht anders”), erklärt ihn der Kaiser für vogelfrei. Luther wird auf der Wartburg versteckt.

Erste evangelische Kirchenordnung in der Grafschaft Wertheim, die später Teil des Großherzogtums Baden wird.

1524 / 25 Der Bauernkrieg greift viele reformatorische Anliegen auf. Luther unterstützt den Aufstand jedoch nicht.

Zweite Generation der Schweizer Reformation durch Calvin in Genf. Schulterschluss aller reformierten Schweizer im ­Helvetischen Bekenntnis (HB).

1530 In Augsburg bekräftigen die lutherischen Reichsstände ihren Glauben im Augsburger Bekenntnis (AB).


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Einführung des sogenannten Interims: Ein Erlass Kaiser Karls V., der in einer Übergangszeit die Wiederein­ gliederung der Protestanten in die katholische Kirche ­regeln soll. Viele evangelische Pfarrer werden ent­ lassen und flüchten.

Große Württembergische Kirchenordnung durch Johannes Brenz.

1559

1548 Der Augsburger Religionsfriede gibt dem jeweiligen Landesherrn das Recht, über die Religion seiner Untertanen zu entscheiden („Cuius regio, eius religio”). Danach gibt es evangelisch-lutherische und katholische Territorien in Deutschland und endlich Frieden im Reich.

Beginn des Dreißigjährigen Krieges: Er ist auch ein Krieg der Religionen zwischen den evan­ gelischen Reichsständen und den katholischen Habsburgern. Der Schwedenkönig Gustav Adolf kommt den Protestanten zu Hilfe.

1618 Im so genannten Konkordienbuch werden sämt­ liche Bekenntnisschriften der Lutheraner zusammengefasst. Konsolidierung der neuen Lehre.

1555

1580

1563

1648

Konfessionswechsel in der Kurpfalz: Weil dem Kurfürsten Luthers Reform nicht weit ­genug geht, schließt er sich der Schweizer Richtung an. Bekenntnisgrundlage ist der Heidelberger Katechismus.

1546 –1563 Konzil von Trient: Die ­römisch-katholische ­Kirche formuliert angesichts der Reformation ihre Glaubenssätze.

1556 Das Herzogtum Württemberg wandelt 13 Klöster in evangelische Klosterschulen um. Im gleichen Jahr führt der Markgraf von Baden-Durlach die Reformation nach dem Vorbild Luthers ein. Auch die Kurpfalz folgt Luther.

1549 Einigung der Calvinisten und Zwinglianer in der Abendmahlsfrage. Die Schweizer Reformation wirkt in den Niederlanden und Großbritannien.

Ende des Dreißigjährigen Krieges und der Glaubenskämpfe. Im Westfälischen Frieden wird auch die Schweizer Reformation an­ erkannt. Damit gibt es im Reich erstmals offiziell drei Konfessionen: Katholiken, Lutheraner und  Reformierte.

1608 Die Glaubenskämpfe flammen wieder auf. Lutheraner und ­Calvinisten schließen sich zur „Protestantischen Union” zusammen, ein Jahr später wird die „Katholische Liga” gegründet.


Erst Kloster, dann Klosterschule und bis heute evangelisches Gymnasium: Seminar Blaubeuren.

Lernen am Ort der Mönche: Evangelisches Seminar Blaubeuren.

Musik ist Trumpf: Evangelische Schulen in Gaienhofen.

Der Bodensee macht‘s möglich: Schulsport in Gaienhofen.

Wie aus Klöstern Schulen wurden 13 württembergische Klöster wurden in der Reformation zu Klosterschulen umgewandelt. Zwei von ihnen existieren noch heute: Blaubeuren und Maulbronn. Auch in Baden gibt es evangelische Schulen mit Tradition, wie das Beispiel von Schloss Gaienhofen am Bodensee zeigt.

Als der Reformator Johannes Brenz für Herzog Christoph von Württemberg 1559 seine neue Kirchenordnung schrieb, da war dies auch mit einem großen Bildungsprogramm verknüpft: Erstmals gab es eine Schulpflicht für alle, Jungen und – ungewöhnlich in der damaligen Zeit – sogar Mädchen! In den meisten anderen Regionen Deutschlands sollte erst 200 Jahre später die allgemeine Schulpflicht eingeführt werden. Die Eliteschulen des Herzogtums Württemberg waren jene, die in den ehemaligen Klöstern eingerichtet wurden: 13 ehemalige Abteien dienten fortan als Aus-

bildungsstätten für den Pfarrernachwuchs. Das heißt, die Klöster wurden nicht zerstört, sondern weiterhin als Orte der theologischen Unterweisung genutzt. Sogar die klösterlichen Stundengebete wurden anfangs weiter praktiziert. Zwei dieser württembergischen Klosterschulen haben sich bis heute erhalten: Es sind die Evangelischen ­Seminare in Blaubeuren und Maulbronn. Beide besitzen ein Internat sowie ein alt- und neusprachliches Gymnasium. Noch immer werden dort Theologie und Alt-


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Auch in Maulbronn wird Musik groß geschrieben.

Intensive Betreuung im Tagesinternat Gaienhofen.

Historisches Brunnenhaus im Kloster Maulbronn.

Maulbronn: Schulmittagessen inmitten des Weltkulturerbes.

griechisch unterrichtet, aber natürlich können die Schüler auch moderne Sprachen wie Englisch oder Französisch lernen. In beiden Schulen spielt die Musik eine große Rolle: Die Klosterkonzerte in Maulbronn und Blaubeuren wären ohne die dortigen Seminare kaum denkbar. In Blaubeuren wird insbesondere das fächerübergreifende Arbeiten in Seminargruppen gefördert, in ­Maulbronn vor allem auch die sakrale Musik in einem besonderen Maße gepflegt. Auf eine jahrzehntelange Geschichte können auch die Evangelischen Schulen im Schloss Gaienhofen am ­Bodensee zurückblicken. Es gehört seit 1946 der Schulstiftung der Landeskirche in Baden und war bis 2013 ein Internat. Der Internatsbetrieb wurde zwischenzeitlich in eine Ganztagesbetreuung umgewandelt. Das heißt, die Lehrerinnen und Lehrer helfen den Schülern bei den Hausaufgaben, der Abiturvor­ bereitung und bei der Freizeitgestaltung. Mehr als 700 Schüler besuchen dort die Realschule, das Wirtschaftsgymnasium oder das Ambrosius-Blarer-Gymnasium. Letzteres ist nach dem bekannten Konstanzer Reformator Ambrosius Blarer benannt. Die Schulkirche

trägt wiederum den Namen des Reformators Philipp Melanchthon. Auch in Gaienhofen wird viel Wert auf Kirchenmusik gelegt. Es gibt eine große Kantorei und regelmäßig Schulandachten und Schulgottesdienste, die zeigen, dass man in einem christlich geführten Haus unterrichtet wird. Übrigens werden auch katholische Schüler aufgenommen und die Nähe zum Bodensee für zahlreiche Wassersportaktivitäten genutzt. Sowohl in Baden als auch in Württemberg gibt es ­weitere Schulen, die von den evangelischen Kirchen betrieben werden: etwa die Brenz-Schule und das Mörike-Gymnasium in Stuttgart oder die Elisabethvon-Thadden-Schule in Heidelberg und die Montes­ sori-Realschule in Freiburg.

Informationen www.seminar-maulbronn.de www.seminar-blaubeuren.de www.schloss-gaienhofen.de


Was ist eigentlich ein Katechismus? Eine neue Lehre braucht ein Lehrbuch und das heißt in der Kirche Katechismus. Vor allem zwei evangelische Katechismen sollten im Südwesten berühmt werden: der Heidelberger Katechismus aus der Kurpfalz und der Württembergische Katechismus von Johannes Brenz.

Lehrbuch des neuen Glaubens: der Heidelberger Katechismus; Jubiläumsbriefmarke; Johannes Brenz mit seinem 1535 verfassten Katechismus.

Schon 1535 hatte der Herzog von Württemberg den Schwäbisch Haller Prediger Johannes Brenz zu Hilfe gerufen, um ihm bei der Umsetzung der neuen evangelischen Lehre zu helfen. Brenz, der auch als Luthers Mann im Süden bezeichnet wurde, nahm ­Feder und Papier zur Hand und schrieb die wichtigsten Glaubensfragen auf. Das hatte er in ähnlicher Form schon in Schwäbisch Hall getan. Das als „Fragstück des christlichen Glaubens für die Jugend” ­bezeichnete Werk wurde zum Vorbild einer Schrift, die die wichtigsten Inhalte (Taufe, Vaterunser, Zehn Gebote, Glaubensbekenntnis, Abendmahl) in 15 präzisen Lehrsätzen zusammenfasste – ideal zum Auswendiglernen! Es gab Zeiten, da der Katechismus von Johannes Brenz in fast allen protestantischen Territorien des heu­ tigen Baden-Württemberg verbreitet war. Doch 1560 kam es zu einem Konfessionswechsel in der Kurpfalz: Die hatte sich 1556 zum Luthertum bekannt, doch bereits wenige Jahre später die Richtung ­gewechselt. Unter Kurfürst Friedrich III. folgte die Pfalzgrafschaft bei Rhein, wie sie damals hieß, der Reform nach Schweizer Vorbild. Da konnte man ein von lutherischen Gedanken geprägtes Lehrwerk nicht mehr gebrauchen. Ein ­neues, eigenes Glaubenshandbuch musste her. Es

sollte unter dem Titel „Heidelberger Katechismus” in die Geschichte eingehen und zur am weitesten verbreiteten Bekenntnisschrift der reformierten Kirchen weltweit werden. Ursprünglich hatten seine Verfasser Caspar Olevianus und Zacharias Ursinus gar nicht beabsichtigt, einen Keil in die protestantische Landschaft im Südwesten zu treiben. Sie glaubten, mit dem neuen Katechismus sogar tatsächlich alle widerstreitenden protestantischen Richtungen unter einen Hut bringen zu können. Ein Irrtum, wie sich herausstellen sollte: In den Religionsgesprächen von Ettlingen (1563) und Maulbronn (1564) versuchten der Herzog von Württemberg und der Markgraf von Baden-Durlach den Kurfürsten der Pfalz wieder für das Luthertum zurückzugewinnen. Sie scheiterten und fortan standen auch die beiden Katechismen für die Spaltung der evangelischen Welt im Südwesten. Der Katechismus von Brenz wurde übrigens 1696 in Württemberg mit dem kleinen Katechismus Luthers zu einem einheitlichen Württembergischen Katechismus vereinigt. In Baden, wo sich 1821 die reformierten und lutherischen Gemeinden, Kirche der Kurpfalz und lutherische Kirche der Markgrafschaft, zu einer unierten Landeskirche zusammenschlossen, galt fortan beides: der Heidelberger und der lutherische Katechismus.


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Auf den Spuren der Waldenser Hunderttausende von Protestanten flohen im 17. Jahrhundert aus Frankreich, viele von ihnen fanden im Südwesten Deutschlands eine neue Heimat. Der Hugenotten- und Waldenserpfad führt auf ihre Spuren.

Die Wege der Waldenser: Welsches Häusle bei Calw-Heumaden, Gedächtnisstein bei Neuhengstett, Henri-Arnaud-Haus in Schönenberg.

Zwischen Pforzheim und Stuttgart gibt es Orte, die heißen: Pinache, Perouse, Serres, Corres oder Kleinvillars. Ihre Einwohner tragen Namen wie Jourdan, Talmon, Piston, Servay oder Bellon. Das klingt nicht nur französisch, sondern ist es auch: Im frühen 18. Jahrhundert fanden viele Glaubensflüchtlinge aus Savoyen und Südfrankreich eine neue Heimat in Baden, im Herzogtum Württemberg und an anderen Orten in Deutschland. Seit kurzem kann man auf ihren Spuren wandeln: ­ Ein Hugenotten- und Waldenserpfad führt zu den Fluchtrouten und den Orten, in denen sich die verfolgten Protestanten niedergelassen haben. Es ist ein grenzübergreifender europäischer Kulturwanderweg, der in Italien und Frankreich beginnt und über die Schweiz nach Deutschland geht. Einer seiner interessantesten Abschnitte liegt in BadenWürttemberg: Dort kann man im Ötisheimer Ortsteil Schönenberg sogar ein spezielles Waldenser-Museum besuchen: Es ist das Haus des Pfarrers Henri Arnaud, der die Vertriebenen einst nach Württemberg geführt hat. Bis ins frühe 19. Jahrhundert haben sie noch Französisch im Gottesdienst gesprochen, den sie nach reformierter Weise feierten, und auch manches an­ dere mit in die neue Heimat gebracht: die Kartoffel zum Beispiel, die man bis dahin im Südwesten Deutschlands noch nicht kannte. Die Waldenser waren ursprünglich (12. / 13. Jahrhundert) Anhänger des kirchenkritischen Kaufmanns Petrus Valdes aus Lyon. Sie schlossen sich im 16. Jahrhundert

als eigener Zweig der Reformation Schweizer Prägung an. Sie lebten in den abgeschiedenen Tälern Savoyens, das heute in Teilen zum italienischen Piemont gehört. Die übrigen Protestanten in Frankreich wurden Hugenotten genannt. Weil sie nach der Aufhebung des Edikt von Nantes (1685) durch Ludwig XIV. mit den Waldensern auf den gleichen Fluchtrouten unterwegs waren, trägt der Wanderweg auch beider ­N amen: Hugenotten- und Waldenserpfad. Hugenotten findet man übrigens in großer Zahl in Hessen, während die Waldenser in Baden und Württemberg eine neue Glaubensheimat fanden: Seit knapp 200 Jahren sind sie dort Teil der Landeskirchen und sprechen auch kein Französisch im Gottesdienst mehr. Die meisten Pistons, Bellons und Jourdans müssen die Sprache ihrer Vorfahren genauso mühsam lernen wie alle Müllers, Maiers oder Schulzes.

Informationen Der Hugenotten- und Waldenserpfad ist in BadenWürttemberg gut beschildert und mit Infotafeln versehen: www.hugenotten-waldenserpfad.eu Das Waldensermuseum (Henri-Arnaud-Haus) in Schönenberg bei Mühlacker hat Dienstag und Sonntag geöffnet: Gruppenführungen unter Telefon 07041-7436, www.waldenser.de


Symbol des Schwarzwaldes: Der Bollenhut stammt aus drei evangelischen Gemeinden des Kinzigtals.

Der evangelische Bollenhut Der Bollenhut ist das Markenzeichen des Schwarzwaldes. Erfunden wurde er ausgerechnet in drei evangelischen Gemeinden des tiefkatholischen Kinzigtals, wo ihn die jungen Frauen traditionell ab dem Konfirmationsalter tragen.

Gutach, Kirnbach und Reichenbach – sie gehörten einstmals zum evangelischen Herzogtum Württemberg. Und weil der Herzog im Lande alles regelte, schrieb er am 7. Januar 1797 einen Brief an das zuständige Oberamt und ordnete die Fertigung von Strohhüten mit roten und schwarzen Kreisen an. Die Hutmacherei sollte die Not lindern und die verzierten Hauben die Trachtenmode beleben. Weil aus den gemalten roten und schwarzen Kreisen allmählich Wollknäuel wurden, gilt der 7. Januar 1797 als Geburtsdatum der Bollenhüte. Tatsächlich sind sie keine weitverbreitete Tracht, sondern eine lokale Mode dreier Gemeinden im Kinzigtal. Die gehörten bis zur napoleonischen Neuordnung von Süddeutschland zu Württemberg und waren folglich protestantisch in tiefkatholischer Umgebung.

Das blieben sie auch, als sie 1810 badisch wurden. Es sollte sich bald die Gewohnheit entwickeln, dass die neue Kopfbedeckung von jungen Mädchen ab dem Kon­ firmandenalter getragen wurde: Der Hut mit den ­roten Bollen blieb dabei den Unverheirateten vorbehalten, der mit den schwarzen Bollen den Verhei­ rateten. Beide waren schon ziemlich ins Hintertreffen geraten, als eine Künstlerkolonie in Gutach sie Ende des 19. Jahrhunderts für sich entdeckte: Vor allem der rote Bollenhut hatte es ihnen angetan und trat seinen Siegeszug als gefragtes Postkartenmotiv rund um die Welt an. Insbesondere der Kunstmaler Wilhelm Hasemann tat sich dabei hervor und verkaufte Tausende seiner Motive ins ferne Amerika. Als die badische Großherzogin Luise schließlich bei


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Im Vogtsbauernhof gibt es heute eine Bollenhutmacherin.

ihren Badeaufenthalten im Schwarzwald selbst Bollenhut trug, war er endgültig ­salonfähig geworden. Den Rest besorgten Theaterstücke und Verfilmungen des „Schwarzwaldmädels”, die zu einem Klassiker der Nachkriegszeit wurden. Schon um 1900 war der Auch an seinen EntBollen­hut ein gefragtes stehungsorten ist er Postkartenmotiv. längst wiederbelebt und immer wieder auch seine kirchliche Bedeutung betont worden: So führte der evangelische Pfarrer von Kirnbach 1963 eine Trachtenkonfirmation ein, die bis zum heutigen Tag Bestand hat. Das ist eine schwere Aufgabe, denn der mit Gips verstärkte Hut wiegt stolze 1,5 Kilogramm. Ob seine 14 Bollen wirklich einen christlichen Ursprung haben, ist umstritten: Zuweilen wurde behauptet, dass sie die 14 heiligen katholischen Not­ helfer symbolisieren, wodurch der Bollenhut eine wahrhaft ökumenische Tracht sei. Auch dass die rote Farbe an das Blut Christi erinnere, lautete eine

Schwerer Kopf: Ein original Bollenhut wiegt 1,5 Kilo.

­ heorie. Trachtenexperten sehen darin allerdings eher T eine nachträgliche Deutung, die der immensen Popularität der Tracht zuzuschreiben ist. Bis heute ist es allerdings Tatsache, dass die Frauen im Kinzigtal den Bollenhut am Ostersonntag im ­Gottesdienst tragen. Der ist in Gutach, Kirnbach und Reichenbach dem Zeitenwandel zum Trotz noch immer überwiegend evangelisch.

Informationen Über den Bollenhut und die Schwarzwälder Tracht informiert das Trachtenmuseum in Haslach: www.trachtenmuseum-haslach.de.vu Wer eine Bollenhutmacherin bei der Arbeit sehen will, hat dazu im Freilichtmuseum Vogtsbauernhof in Gutach Gelegenheit: www.vogtsbauernhof.de In Freiburg gibt es Kostümführungen mit einem Bollenhut tragenden Schwarzwaldmädel: www.timewalking.de


Auch die große Friedensglocke der Christuskirche in Karlsruhe stammt von der Gießerei Bachert.

Aus einem Guss In Karlsruhe gibt es eine der letzten Glockengießereien in Deutschland. Seit sieben Generationen bringt die Familie Bachert ihre Klangkörper in Form und rettet manch historisches Stück vor dem Verfall.

Albert Bachert hat einen sehr seltenen Beruf. Er ist Glocken- und Kunstgießer. Vor gut zehn Jahren wurde der Ausbildungsgang wiederbelebt und zwischenzeitlich drei neue Lehrlinge in dem Karlsruher Traditionsunternehmen ausgebildet. Seit 1724 gießen die Bacherts Glocken: Waren lange auch Schiffs- und Feuerwehrglocken darunter, so sind sie heute ausschließlich auf Kirchenglocken spezialisiert. In der Basilika von Weingarten hängt eines ihrer Werke, im Kloster Zwiefalten, im Hamburger Michel sowie in etlichen Missionskirchen Afrikas. Auch das komplette Geläut der Dresdner Frauenkirche wurde bei Bachert gegossen, es sorgte damals für Schlagzeilen. Doch muss man gar nicht so weit gehen, wenn man nach Rekordleistungen des Handwerksbetriebs sucht: In Karlsruhe selbst hängt die mit neun Tonnen schwerste Glocke Baden-Württembergs. Es ist die 2004 gegossene Friedensglocke der Christuskirche in Karlsruhe. Solche Aufträge sind selten geworden. Die große Zeit der neuen Kirchenglocken kam nach den beiden ­Weltkriegen, als unzählige Glockenstühle leer standen, weil man die Klangkörper zu Waffen verarbeitet ­hatte. Glocken zu Geschossen statt Schwerter zu Pflugscharen, was für eine Zeit! Bis Anfang der 1960er Jahre boomte das Geschäft, dann ließen die Bestellungen allmählich nach. Von einstmals 40 Glockengießereien, die es in Deutschland nach 1945 noch gab, sind genau vier übrig ­geblieben. Die Bacherts sind die letzten in BadenWürttemberg, die dieses Geschäft betreiben. Nach der Wende hatte es abermals einen kleinen ­Aufschwung gegeben, als in der ehemaligen DDR mangelhafte Ersatzlegierungen ausgetauscht werden mussten: Dort hatte es oft Glockengüsse aus Eisen

oder Stahl gegeben, „doch das hat”, so Albert Bachert, „mit Musik nicht viel zu tun”. Soll eine Glocke wirklich klingen, muss sie aus Bronze sein, andere Materialien erreichen nicht im Ansatz ihre Qualität. Immer wichtiger werden heute Glockensanierungen. Wenn ein Klöppel Jahrhunderte lang gegen den Klangkörper schlägt, leidet er. Inzwischen ist für die Glockengießerei Bachert samt ihren 25 Mitarbeitern die Instandsetzung ein sehr wichtiges Arbeitsfeld geworden. Per Computerprogramm kann man heute ­genau die Lebensdauer und den Verschleiß einer Kirchenglocke berechnen. Die Karlsruher Firma ist überdies Mitglied eines europaweiten Forschungsprojektes zur Erhaltung historischer Glocken. Albert Bachert und seine Familie sind übrigens Protestanten, doch die Anzahl der katholischen Kirchtürme, die sie bestückt haben, ist groß. Eine Glockengießerei im 21. Jahrhundert zu betreiben ist eben eine öko­ nomische und eine ökumenische Aufgabe. Informationen Glockengießerei Bachert Telefon 0721- 9597337, www.bachert-glocken.de Die Besichtigung der Friedensglocke im Turm der Christuskirche in Karlsruhe ist auf Anfrage beim Pfarramt möglich: Riefstahlstraße 2, 76133 Karlsruhe, Telefon 0721- 23177, pfarramt@christuskirche-karlsruhe.de. Kirchenführungen gibt es von Mai bis September j­eden zweiten Donnerstag im Monat, Treffpunkt Haupteingang Christuskirche, 15.45 Uhr.


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Näher die Glocken nie klingen: Im Turmmuseum der Herrenberger Stiftskirche steht man direkt neben ihnen.

Jetzt schlägt’s 13! Wer den Kirchenglocken ganz nahe kommen will, muss in den Turm der Stiftskirche in Herrenberg aufsteigen. Dort gibt es ein Glockenmuseum mit über hundert schwergewichtigen Klangkörpern.

Raus oder rein, das ist hier die Frage. Wenn die Glocken im Dachstuhl der Stiftskirche in Herrenberg erklingen, fragt der junge Mann an der Kasse vorsichtig in die Runde, ob man nicht lieber auf die Galerie gehen möchte. Ist nämlich nicht jedermanns Sache, wenn es viertelstündlich direkt ins Ohr läutet. Die meisten freilich bleiben drinnen, wollen genau ­sehen, wie das ist, wenn die Glocke einen Schlag versetzt bekommt und schwungvoll die volle Stunde einläutet. 36 funktionsfähige Glocken gibt es im Dachstuhl der Stiftskirche in Herrenberg. Sie sind das Herzstück des Glockenmuseums, das der dortige Dekan 1991 eingerichtet hat: Eine einmalige Sammlung, die lebt und bebt und den Menschen Töne näherbringt, die sie im Alltag eher beiläufig zur Kenntnis nehmen. Im Turm der Stiftskirche wird daraus ein Konzert mit vielen Stimmen: Jede Glocke hat ihren eigenen Ton und ihre eigene Geschichte. Da wurde dem armen Sünder die letzte Stunde eingeläutet oder die Gemeinde lautstark aufgefordert, für einen Verstorbenen zu beten. Die „Gloriosa” sieht so prächtig aus wie sie heißt und wiegt stolze 3,6 Tonnen. Zur vollen Stunde saust der Hammer auf sie nieder, derweil die Kreuzglocke fröhlich ihren Klöppel schwingt. So hat man oben im Turm auch ganz schnell den Unterschied begriffen, wenn Glocken läuten oder geschlagen werden. Im einen Fall bewegt sie sich und ihren Klöppel, im anderen Fall kriegt sie mit dem Hammer von außen eine drauf. Stets trifft sie dabei den richtigen Ton, und das insbesondere, seit der Bronzeguss perfektioniert wurde: Glocken aus Eisen, sie klingen nicht wirklich und erst seit der Gotik kann man von einem Musikins­ trument sprechen. Erstaunlich, dass während des Dreißigjährigen Krieges viel Glocken-Know-how verloren ging und erst nach dem Zweiten Weltkrieg wieder das

hohe Klangniveau des 15. und 16. Jahrhunderts erreicht wurde. Die Weltkriege waren auch für die Kirchenglocken eine Katastrophe. Viele von ihnen wurden eingeschmolzen und zu Waffen verarbeitet. Im Glockenmuseum in Herrenberg kann man auch zwei Notglocken aus der Zeit nach 1945 besichtigen. Es sind umgebaute LKW-Felgen, die aber gar nicht mal so schlecht klingen. Das ist eine weitere ganz nette ­Sache im Glockenmuseum in Herrenberg: Dass man mit einem Gummihammer die Glocken dort selbst kurz anschlagen darf und hören kann, wie sich die Töne von oben nach unten verändern. Insgesamt umfasst die Sammlung im Herrenberger Kirchendachstuhl über 100 Glocken. Zu den noch funk­ tionsfähigen Kirchenglocken kommen reine Ausstellungstücke sowie ein Glockenspiel, das ganze Melo­dien zum Klingen bringt. Dass das lebendige Glockenmuseum überhaupt in der Stiftskirche in Herrenberg eingerichtet werden konnte, liegt auch an ihrem außergewöhnlich breiten Dachstuhl und einer Bauhütte mit ­ehrenamtlichen Helfern, die dafür sorgen, dass der Turm den schwergewichtigen Exponaten standhält. Informationen Das Glockenmuseum in Herrenberg hat Mittwoch, Samstag sowie an Sonn- und Feiertagen geöffnet. Gruppenführungen müssen vorgebucht werden: Telefon 07032-924320, www.glockenmuseumstiftskirche-herrenberg.de Ein Klangerlebnis der besonderen Art sind die Glockenkonzerte, die an jedem ersten Samstag des Monats von 17 bis 18 Uhr in Herrenberg stattfinden.


Fest gemauert in der Kirche Warum essen die Evangelischen auf der Schwäbischen Alb keine Schnecken? Und wieso ging lange eine Mauer durch die Kirchen in der Kurpfalz? Ein paar Geschichten zum Staunen und zum Schmunzeln.

Weinbergschnecken: Für Katholiken waren sie eine Fastenspeise.

Die Schnecken Die Weinbergschnecken der Schwäbischen Alb sind eine geschätzte Spezialität und eine alte katholische Fastenspeise. Protestanten tun sich bis heute schwer damit: „Ich krieg’s nicht runter”, sagt etwa der evangelische Ehemann der bekannten katholischen Schneckenzüchterin Rita Goller aus Münsingen. Bis 1810 war die Schwäbische Alb zweigeteilt, in einen evangelischwürttembergischen Teil im Norden und einen katholisch-vorderösterreichischen im Süden. Die Mauer Als ein katholischer Kurfürst in die Kurpfalz kam, gab es 1696 ein Simultanedikt: Fortan mussten Kirchen von Protestanten und Katholiken gemeinsam genutzt werden. Das Ergebnis war, dass eine Mauer die Kirchenräume teilte: In der Heidelberger Heiliggeistkirche wurde sie erst 1936 abgebaut, aber in Mosbach steht sie noch heute – immerhin mit einer Tür zum Durchgehen. In Heidelberg gibt es übrigens noch immer die barocke katholische Kanzel im Chorraum, die seit 1874 von den Altkatholiken genutzt wurde. Die Sachsen Als die Reformation kam, gab es kaum evangelische Pfarrer in Württemberg. Zur Überbrückung warb man aus Luthers Heimat junge Theologen an. Sie brachten profunde Bibelkenntnisse und das sächsische „Ä” mit

Karl Alexander: Kurzzeitig regierte ein Katholik das evangelische Württemberg.

in den Südwesten: So sagen evangelische Schwaben bis heute zumeist „Lährer” und „Säle”, Katholiken aber „Lehrer” und „Seele”. Im Oberschwäbischen bezeichnen „Seelen” übrigens auch ein Weizengebäck mit Salz und Kümmel, das ursprünglich der Speisung von „armen Seelen” gedient haben soll. Die Lutherische Brücke Weil es in Walldorf in der Kurpfalz bis Ende des 18. Jahrhunderts keine lutherische Kirche gab, mussten die ­Lutheraner zu Fuß zum Gottesdienst nach Leimen. Die Brücke, die sie dabei überquert haben, heißt noch heute „Lutherische Brücke” und ist Teil des Radweges über den Hardtbach in einem landschaftlich besonders reizvollen Abschnitt zwischen Walldorf und Sandhausen. Der Schachzug Württemberg hatte vorgesorgt und den evangelischen Glauben im 16. Jahrhundert festgeschrieben. So blieb das Land auch protestantisch, als 200 Jahre später ein katholischer Herzog (Karl Alexander) auf den Thron kam. Formal war damit ein Katholik evangelisches Kirchenoberhaupt, er musste aber die Leitung an einen evangelischen Kirchenrat abgeben. Die Konservativen Das badische Frankenland ist bis heute die „lutherischste” Region in der unierten badischen Landeskirche


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Schattenspiel: die Lutherische Brücke in Walldorf.

Barockkanzel in der Heiliggeistkirche Heidelberg.

und zwar aus zwei Gründen: Zum einen geht die dortige Reformation (Grafschaft Wertheim) direkt auf Martin Luthers Einwirkung zurück. Zum andern bieten viele Kirchen noch ein „mittelalterliches” Dekor, einfach deshalb, weil die rasante industriell-ökonomische Entwicklung des 19. Jahrhunderts an der Region vorbeiging: So wie viele „echte Berliner” schlesische Wurzeln hatten, so hat der echte Mannheimer solche in der Region Bauland. Die Zurückgebliebenen hatten kein Geld für neumodische Umgestaltungen. Der Mummenschanz Evangelisch und Fasnet, das ging eigentlich gar nicht. Vor allem für strenggläubige Pietisten galt das ausgelassene Treiben als Mummenschanz und Teufelszeug. Faschingshochburgen wie Weil der Stadt und Rottenburg waren stets katholisch. Erst die Flüchtlinge nach dem Zweiten Weltkrieg brachten alles durcheinander und zuweilen sogar evangelische Faschingstraditionen aus ihrer Heimat mit (Urzelnzunft Sachsenheim). Der Bauernschlaue In der badischen Kurpfalz lebt teilweise noch der Geist hugenottischer Vorfahren. Ein evangelischer

Verkehrte Welt: Die Narren der Urzelnzunft sind evangelisch.

Mannheimer erzählt: „Unsere Familie ist eine alte ­Hugenottensippe. Dieses Bewusstsein prägte mir mein Großvater immer wieder ein. Eines Tages kam er voller Aufregung. Nach dem Gottesdienst war er am Bauernhof seines Cousins vorbeigekommen, als dieser in Arbeitskleidung in der Hofeinfahrt stand. Für meinen Großvater war dies zu viel. ‚Schämschd du dich net, unser Vorfahre hawe wege ihrm Glaawe die Heimat verlosse! Und du stehschd am Sonntag in Arbeitskleider im Hoftor!’ Darauf antwortete jener: ‚So bleed wär ich net gewese; do wär ich halt kadollisch worre!’” Die Kleiderordnung Alte Frauen auf dem Lande tragen bis heute einen Schurz. Bis ins frühe 19. Jahrhundert war das in Württemberg Pflicht, gab es eine strenge kirchliche Kleiderordnung mit gedeckten Farben und geschlos­ senen Blusen. So konnte man evangelische und katholische Frauen lange Zeit auch an der Kleidung und den auf evangelischer Seite fehlenden Ohrringen unterscheiden. Dieser Text entstand mit Unterstützung von Jürgen Kaiser (Evangelisches ­Medienhaus Stuttgart), Wolf-Dieter Steinmann (Rundfunkpfarrer aus Walldorf) und Georg Gottfried Gerner-Wolfhard (Pfarrer und Autor aus Karlsruhe).


Gottesdienst ist nicht gleich Gottesdienst Die Gottesdienste in den badischen und württembergischen Landesteilen unterscheiden sich voneinander. Das hat historische Wurzeln.

„Der Gottesdienst war jetzt aber arg katholisch”, so sagt vielleicht ein evangelischer Christ aus Württemberg, wenn er in Baden aus der Kirche kommt. Und umgekehrt empfinden badische Glaubensgeschwister den württembergischen Gottesdienst als sehr schlicht in der Liturgie. Das hat historische Gründe. Zur Zeit der Reformation – als neben dem Herzogtum Württemberg und der Markgrafschaft Baden noch Dutzende andere Herrschaften in Baden-Württemberg regierten – gab es in Südwestdeutschland drei gottesdienstliche Traditionen: Die einen hielten es mit Martin Luther: Der Gottesdienst soll möglichst so beibehalten werden wie immer, nur die Elemente der katholischen Messe wurden ­gestrichen, die der neuen Lehre widersprachen. Dem folgten vor allem (ab 1556) die Markgrafschaft BadenDurlach und einige Reichsstädte. Die anderen folgten der reformierten – also der Schweizer – Tradition. Hier war alles auf die Predigt konzen­t riert: Es gab keine Bilder in den Kirchen, statt des A ­ ltars einen einfachen Tisch und die Liturgie w ­ urde auf Wortverkündigung, Gebet und Gemeindegesang verkürzt. Diese Form des Gottesdienstes wurde vor allem in der Kurpfalz (ab 1559) üblich. Im Herzogtum Württemberg und etlichen Reichsstädten führte man 1534 den „oberdeutschen

Prädikantengottesdienst” als Regelform ein. Dies war eine schlichte Form des Wort­g ottesdienstes ohne Abendmahl. Die Geschichte hat bis heute Folgen: Die württembergische Landeskirche folgt bis heute im Wesentlichen dem oberdeutschen Modell, die badische Landeskirche hat in ihrer Agende verschiedene Formen, die Leit­ linie ist aber ein Gottesdienst, der wesentlich an die lutherische Messe angelehnt ist. Im Abendmahlsgottesdienst merkt man die Unterschiede deutlich: Vor der Predigt und direkt vor dem Abendmahl gibt es in Baden mehrere Gesänge und Gebete, die in Württemberg fehlen. Auch das Sündenbekenntnis und die Vergebungszusage erfolgen in ­Baden oft vor der Predigt, in Württemberg erst danach. Dafür betet man in Württemberg das Vaterunser erst nach dem Abendmahl, in Baden in der Regel im Zusammenhang der Abendmahlsvorbereitung. Der Friedensgruß der Gemeindeglieder untereinander ist in Baden deutlich häufiger als in Württemberg. Mit der äußeren Form war jahrhundertelang auch ein unterschiedliches Verständnis des Abendmahls verbunden, das soweit ging, dass Badener und Württemberger nicht gemeinsam zum Tisch des Herrn gehen konnten. Diese Differenzen sind zum Glück längst überwunden.


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Baden und Württemberg im Überblick Baden-Württemberg hat zwei Evangelische Landes­ kirchen: eine in Baden und eine in Württemberg. Die heutigen Grenzen spiegeln weitgehend das frühere Großherzogtum Baden und das Königreich Württemberg. Die Landeskirchen sind nicht nur rechtlich selbstständig, sondern auch durchaus verschieden

Gemeindemitglieder

Ehrenamtlich Engagierte

in ihrer Ausrichtung. In Baden haben sich Lutheraner und Reformierte 1821 zu einer unierten Landeskirche zusammengeschlossen. Die württembergische Landeskirche ist ­lutherisch geprägt und, entsprechend dem württembergischen Landesteil, größer. Die Zahlen­ angaben sind meist gerundet.

Evangelische Landeskirche in Baden

Evangelische Landeskirche in Württemberg

1,23 Millionen (bei 4,43 Millionen Einwohnern)

2,14 Millionen (bei 6,13 Millionen Einwohnern)

53.000

151.000

500

1.300

24

47

4.800

10.000

Gottesdienstbesucher pro Sonntag

70.000

130.000

Plätze für Menschen in ­diakonischen Einrichtungen

73.000

270.000

Mitglieder in Posaunenund Kirchenchören

25.000

61.000

74

94

Pfarrerinnen und Pfarrer

1.000

2.300

Kirchliche Religionslehrkräfte

1.200

1.850

200.000

325.000

10.100

18.000

2.900

5.200

Konfirmanden pro Jahr

13.500

25.000

Bestattungen pro Jahr

13.800

27.400

Kirchengemeinden Kirchenbezirke (Dekanate) Kirchengemeinderäte und -älteste (gewählte Gemeindeleitung)

Landessynodale (Mitglieder des „Landeskirchenparlaments”)

Schülerinnen und Schüler im evangelischen Religions­ unterricht an öffentlichen Schulen Taufen pro Jahr Trauungen pro Jahr

Aktuelle Informationen unter www.ekiba.de und www.elk-wue.de


Die wichtigsten Begriffe rungsstellung des Papstes kritisiert. Starker Einfluss auf Luther und seine Bibelübersetzung.

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Gab einem Katechismus den Namen: die Stadt Heidelberg.

Abendmahlsstreit Auseinandersetzung um die Frage, ob Brot und Wein beim Abendmahl sym­ bolisch zu verstehen sind (Zwingli) oder in diesem Moment der Leib und das Blut Christi in Brot und Wein tatsächlich gegenwärtig sind (Luther). Das Abendmahl war die letzte Mahlzeit, die Jesus mit seinen Jüngern in der Nacht vor dem Tod am Kreuz feierte. Calvinistisch Lehre, die auf den Schweizer Reformator Johannes Calvin zurückgeht. Von Lutheranern geprägter Begriff, den Calvin ablehnte, weil er ihn als Schmähung empfand. Calvinisten sind wie die Zwinglianer den reformierten Kirchen zuzurechnen. Strenge Arbeitsethik und Moral, wobei das Schicksal vorherbestimmt ist und nicht vom Menschen beeinflusst werden kann. Diaspora Kommt von dem griechischen Wort für „Verstreutheit” und bezeichnet den Zustand, wenn religiöse Gruppen als eine Minderheit in einer mehrheitlich andersgläubigen Region leben. So ist für Katholiken Alt-Württemberg Diaspora, während Evangelische in vielen Teilen des Schwarzwaldes und in Oberschwaben in der Unterzahl sind. Das nach einem Schweden-König benannte GustavAdolf-Werk unterstützt evangelische Christen in der Diaspora.

Evangelisch Oberbegriff für alle Glaubensrichtungen, die aus der Reformation hervorgingen. Ursprünglich von Luther geprägt, der damit die neue auf Evangelium und ­Bibel bezogene Lehre bezeichnete und sie von der katholischen abgrenzen wollte. Ein anderes Wort für evangelisch ist protestantisch. Hussiten Anhänger des tschechischen Theologen Jan Hus (1370 –1415), der schon vor der Reformation auf Reformen drängte und beim Konstanzer Konzil verbrannt wurde. Unter anderem hatte Hus den Ablasshandel und die Füh-

Katechismus Glaubenshandbuch und Lehrwerk, das in der Reformation große Bedeutung ­erlangt. Bekannt sind der Große und der Kleine Katechismus Martin Luthers, aber auch der von Johannes Brenz beeinflusste Württembergische Katechismus. Eine herausragende Bedeutung hat auch der Heidelberger Katechismus: Er ist das am weitesten verbreitete ­Bekenntnis der reformierten Kirchen. Konfirmation Markiert bei evangelischen Christen den Übergang ins kirchliche Erwachsenenalter. Eine Segenshandlung, aber kein Sakrament wie die Firmung in der katholischen Kirche. Bewusstes Ja zum Glauben durch Sprechen des Glaubensbekenntnisses nach einem einjährigen Unterricht mit etwa 14 Jahren. Lutherisch Die christlichen Konfessionen, die in der Reformation der Lehre Martin Luthers gefolgt sind. Im Lutherischen Weltbund sind rund 70 Millionen Christen vereint. Ursprünglich war Lutheraner ein Schimpfwort der katholischen Kirche für die Abtrünnigen. Die aus der Reformation hervorgegangenen Konfessionen, die Calvin und Zwingli folgten, werden als Reformierte bezeichnet.

Eintritt ins kirchliche Erwachsenenalter: Konfirmation um 1950.


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Oberkirchenrat Leitungsgremium der beiden evange­ lischen Landeskirchen in Baden-Württemberg, gewissermaßen ihre Regierung. Zum Kollegium gehören der Landesbischof und die Dezernenten beziehungsweise Referatsleiter, die ebenfalls Oberkirchenräte heißen, sowie die Prä­ latinnen und Prälaten. Wird in anderen evangelischen Landeskirchen auch als Konsistorium bezeichnet. Landesbischof Geistliche Leitung einer evangelischen Landeskirche. Wird vom „Kirchenparlament”, der Landessynode, gewählt. Bis 1918 gab es das Amt nicht: Kirchen­ oberhaupt war der jeweilige Landesherr – in Württemberg der König und in Baden der Großherzog.

Jochen Cornelius-Bundschuh, evangelischer Landesbischof in Baden.

nächst nur die katholische Kirche re­ formieren, führte letztlich aber zur Spaltung und der Herausbildung neuer ­Konfessionen. Seither gibt es die evangelischen Kirchen. Reformiert Spezielle Richtung innerhalb der Reformation, die im Wesentlichen auf Zwingli und Calvin zurückgeht. Die evangelischen Kirchen der Schweiz gehören dazu, aber auch zahlreiche Gemeinden in Norddeutschland.

Die Amisch in Amerika stehen in der Tradition der Täufer.

Protestantisch Ein anderes Wort für evangelisch und damit für Konfessionen, die nicht katholisch oder orthodox sind. Geht ursprünglich auf die „Speyerer Protestation” der evangelischen Reichsstände von 1529 zurück, nachdem der Kaiser die ihnen versprochene Rechtssicherheit wieder aufgehoben hatte. Reformation Die kirchliche Erneuerungsbewegung der Jahre 1517 (Luthers Thesen) bis 1648 (Westfälischer Friede). Sollte zu-

Frank Otfried July, evangelischer Landesbischof in Württemberg.

Waldenser Vorreformatorische, protestantische Gruppe, die auf den französischen Kaufmann Petrus Valdes im 12. Jahrhundert zurückgeht und in Savoyen lebte, das heute in Teilen zu Italien ­gehört. Von der Inquisition verfolgt und von Calvin beeinflusst. Zahlreiche walden­sische Glaubensflüchtlinge ­ließen sich in Württemberg und Baden nieder.

Täufer Radikalreformatorische Bewegung aus dem 16. Jahrhundert, die die Kindertaufe ablehnt. Sozusagen ihr äußerster linker Flügel. Sowohl von Lutheranern und Reformierten scharf abgelehnt, unter anderem weil sie bereits Getaufte „­wieder tauften”. Zu den Täufern gehören die Mennoniten und Amisch, die später von Deutschland aus in die USA und Lateinamerika auswanderten. Uniert Vereinigung lutherischer und reformierter Kirchen, die die Spaltung des evangelischen Lagers überwinden soll. Nach der Aufklärung häufig und zum Teil staatlich verordnet. Die badische Landeskirche ist seit 1821 uniert, die ­württembergische hingegen bis heute lutherisch.

Der erste Waldenser: Petrus Valdes auf dem Lutherdenkmal in Worms.


Ein Wort auf den Weg „Ich hebe meine Augen auf zu den Bergen – woher kommt mir Hilfe.” So fragt der Psalmdichter in Ps 121. Wenn Sie in Baden-Württemberg unterwegs sind auf den Spuren der Reformation, und Ihre Augen aufheben, wird Ihr Blick immer wieder auf Berge und Hügel ­fallen – vom Rheintal blicken Sie auf den Schwarzwald und die Vogesen, vom Neckartal auf die Schwäbische Alb. An klaren Tagen sehen Sie vom Turm des Ulmer Münsters oder aus den Orten Oberschwabens und ­Südbadens die schneebedeckten Berge der Schweiz und der Allgäuer Alpen. Und wenn Ihr Blick nicht auf solche eindrücklichen Erhebungen fällt – BadenWürttemberg hat auch viele kleinere Hügel, bewachsen mit saftigem Gras oder weinumkränzt. Berge sind in der Bibel immer wieder Orte der Gottesbegegnung. Mose begegnet Gott am Sinai, Elia am Horeb, Jesus wird auf dem Berg Tabor verklärt, um nur einige Beispiele zu nennen. Martin Luther hat auf der Wartburg die Bibel übersetzt und bei uns in Baden-Württemberg stehen auf vielen Bergen und Hügeln Kirchen und Kapellen – kein Zweifel: Auf dem Berg fühlt man sich Gott näher, der Blick in die Weite macht den Kopf frei für Gottes Schöpfung.

Das biblische Bild erinnert an einen weiteren Aspekt: Hier schaut der Psalmbeter von Jerusalem hinaus auf die Berge und Hügel in Judäa. Nach einem langen Aufenthalt am Tempel muss er aufbrechen. Voller Sorge sieht er die wilde Landschaft, durch die er wandern muss. Welche Gefahren können ihm da begegnen: Räuber und wilde Tiere, er kann stürzen und verletzt liegen bleiben, womöglich den Weg verlieren. Berge und Hügel sind stets auch Orte der Gefahr. Das kann Ihnen in Baden-Württemberg alles nicht passieren. Trotzdem mag der Blick in die Höhe Sie ­daran erinnern, dass Wege, Lebenswege, nicht immer ungefährdet sind – Wege zu den Höhepunkten des ­L ebens, Wege in den Ebenen des Alltags und Wege auch durch manches tiefe Tal. Wenn Wege gefährlich werden, dann tut Hilfe Not. „Ich hebe meine Augen auf zu den Bergen. Woher kommt mir Hilfe?” fragt der Psalmdichter. Eine Erfahrung auch für unsere Zeit. Lassen Sie sich deshalb auch die Antwort zusprechen: „Meine Hilfe kommt von Gott, der Himmel und Erde gemacht hat.” Der Schöpfer der Welt, der die Berge und Hügel gemacht hat, der mag auch Sie geleiten, auf ­allen Ihren Wegen – hier im Land und anderswo. Kirchenrat Dr. Frank Zeeb, Evangelische Landeskirche in Württemberg



Orte der Reformation Bad Urach Eine neue Heimat für Glaubensflüchtlinge

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Basel In der Stadt am Rhein tobt der Bildersturm

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Blaubeuren Traditionsreiche Klosterschule in malerischer Landschaft

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Bretten Geburtsstadt des engen Luthergefährten Philipp Melanchthon

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Emmendingen Zähes Ringen mit tödlichen Folgen

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Esslingen Mut zum Risiko beeindruckt Richter und Zünfte

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Gemmingen Unerschrockene Reichsritter im Kraichgau

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Gengenbach Die Reformation währt nur wenige Jahrzehnte

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Heidelberg Luthers Rede wird zur Initialzündung im Südwesten

S. 50

Heilbronn Die Stadt des zweitältesten lutherischen Katechismus

S. 52

Karlsruhe-Durlach Von der lutherischen zur reformierten Kirche und zurück

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Konstanz Ein Konzil mit weitreichenden Folgen

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Maulbronn Vom Zisterzienserkloster zum Weltkulturerbe

S. 58

Pforzheim Johannes Reuchlin – Inbegriff für Humanismus und Toleranz

S. 60

Ravensburg Konfessioneller Kompromiss in Oberschwaben

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Reutlingen Matthäus Alber führt die Reichsstadt zur Reformation

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Schwäbisch Hall Johannes Brenz setzt auf die Kraft des Wortes

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Speyer Geburtsstadt der „Protestanten”

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StraSSburg Gedruckt und gebunden – Luthers Schriften für ganz Europa

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Stuttgart Die Reformation als politisches Statement

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Tübingen Universitätsreform mit Turbulenzen

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Ulm Die Bürger stimmen über ihren Glauben ab

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Waldshut Das Zwischenspiel am Rhein ist ein Erbe der Täufer

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Wertheim Graf Georg als Vorreiter der Reformation

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Bild rechts: Stadtkirche in Karlsruhe-Durlach.


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Bad Urach Bad Urach war einst die zweite Residenz der Herren von ­Württemberg. Hier stritten sie über die Reformation und ­nahmen zahlreiche Glaubensflüchtlinge auf.

Veranstaltungen Uracher Schäferlauf Findet alle zwei Jahre Ende Juli statt. Es gibt einen Umzug, Wettkämpfe der Albschäfer und sogar ein eigenes Schauspiel mit dem ­Titel „D’Schäferlies”. Herbstliche Musiktage Werden seit über 30 Jahren veranstaltet, gelegentlich gibt es auch Musik aus der Reformationszeit: www.herbstliche-musiktage.de Jazz im Park Konzertreihe von Mai bis Oktober an verschiedenen Orten des ­Kurparks. Der Eintritt ist frei. Das Residenzschloss und der Turm der Amanduskirche.

Bad Urach und die Reformation Vor der Reformation war Urach die zweite Residenz der Grafschaft Württemberg. Aus dieser Zeit erzählen in der Altstadt von Bad Urach das Schloss, die Amanduskirche und das an die Kirche angebaute Stift. Heute beherbergt es das Einkehrhaus der Evangelischen Landeskirche in Württemberg, das Gäste aus dem ganzen Land zu Tagungen, Seminaren und Erholungszeiten nach Bad Urach führt. Noch immer zeigt das eindrückliche ­Gebäude die Spuren seiner reichen Geschichte, besonders die Zeit vor und nach der Reformation in Württemberg: Graf Eberhard ließ 1477 das Stift an die Amanduskirche anbauen, als Wirkstätte der „Brüder vom Gemeinsamen Leben”, die er zum geistigen Aufbau seines Landes hierher holte. Die Brüder versahen den Pfarrdienst an der Amanduskirche,

sowie den Unterricht an der Lateinschule. Auch Martin Luther ging einst bei den Brüdern in Magdeburg zur Schule. Die Zeit der Brüder wird 1514 mit dem Tübinger Vertrag beendet, noch vor der Reformation, die sie mit ihrem Wirken in vielem doch vorbereiteten. 1537, drei Jahre nach der Einführung der Reformation im Herzogtum Württemberg, kam es in Urach zu einem folgenreichen Gespräch über die Bedeutung der mittelalterlichen Bilder in den nun evangelisch gewordenen Kirchen. Auch die Uracher Amanduskirche war voll mit Altären, Heiligenfiguren und Bildern. Um die Frage des Umgangs mit den Bildern zu klären, lud Herzog Ulrich zum Streitgespräch nach Urach ein. Doch die in dieser Sache liberalen Lutheraner konnten sich mit den strengen Anhängern der schweizerischen Reformation nicht einigen. An der Schlich-

tung beteiligte sich auch der Reformator von Schwäbisch Hall, Johannes Brenz, der später auf die Burg Hohenwittlingen bei Urach flüchtete. Der Herzog verfügte schließlich die harte Linie: Alle Bilder sind zu entfernen! Viele Altäre, Figuren und Gemälde sind dem zum Opfer gefallen, aber abwartende schwäbische Langsamkeit bewahrte doch einiges. Nach der Reformation stellte der 1515 im Uracher Schloss geborene Herzog Christoph das Stift als Heimat für Glaubensflüchtlinge zur Verfügung. So kam auch Primus Truber als Pfarrer hierher, den man den slowenischen Luther nennt, weil er das Neue Testament ins Slowenische übersetzte. Mit Hilfe vieler wurde für ihn eine Dru­­ ckerei eingerichtet, in der 30.000 Bibeln, Predigten und Katechismen erstmals in Slowenisch und Kroatisch gedruckt wurden.


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Highlights Führungen Im Stift Urach werden auf Anfrage Führungen zu den Schwerpunktthemen der Reformation angeboten: www.stifturach.de Residenzschloss Beherbergt heute die größte Prunkschlittensammlung in Deutschland. Sehenswert auch der Goldene Saal: www.schloss-urach.de Wasserfälle Alleine der schöne und fast bar­ rierefreie Spazierweg lohnt den Ausflug zu den bekannten Wasserfällen. Wer etwas mehr wandern und zur Burg hinauf will, ist auf den Grafensteigen richtig: www.badurach-grafensteige.de

Prächtiges Fachwerk: Marktplatz mit dem 1562 erbauten Rathaus.

Bad Urach und die Wasserfälle Bad Urach ist mit seinen zahlreichen Fachwerkhäusern und seiner besonderen Lage am Fuße des Albtraufs eine der reizvollsten Städte der Schwäbischen Alb. Als die Grafschaft Württemberg geteilt wurde, war Urach vorübergehend sogar Hauptstadt des südlichen Landesteils. Bis 1482 blieben die inzwischen in den Herzogstand erhobenen Landes­ herren in Urach, dann brachte Graf Eberhard die beiden Landesteile wieder zusammen und verlegte die Residenz zurück nach Stuttgart. Das Residenzschloss in Urach blieb erhalten, als Jagdsitz und Sommerfrische des Herzogs und seiner Familie. Heute ist in seinen Räumen ein Museum zu

Beliebtes Ausflugs- und Wanderziel: die Uracher Wasserfälle.

finden mit der größten Prunkschlittensammlung Deutschlands. Die schönste Aussicht auf das Fachwerkschloss hat man von den Ufern der Erms. Nicht weniger attraktiv ist der lebendige Marktplatz der Stadt mit seinen vielen Cafés und kleinen Läden. Er wird komplett von Fachwerkhäusern umrahmt, das markanteste Gebäude ist dabei das 1562 erbaute Rathaus mit seinen rotbraunen Balken, Giebeln und den von Blumen umrankten Fassaden. Den Titel „Bad” hat die Stadt übrigens erst 1983 bekommen. Bei Bohrungen war man einige Jahre zuvor auf über 60 Grad heiße Mineralquellen gestoßen. Deshalb gibt es in der 12.000 Einwohner-Stadt heute auch ein Thermalbad. Außerdem darf sich die Stadt offiziell Heilbad und Luftkurort nennen. Auch eine weitere bekannte Attraktion Bad Urachs hat mit dem Wasser zu tun: Die Uracher Wasserfälle sind die größten Wasserfälle der Schwäbischen Alb. 37 Meter stürzt der Brühlbach dort über eine Tuffsteinterrasse in die Tiefe. Ein idyllischer Anblick, wenn das Wasser über die mit Moos bewachsenen Steine ins Tal fließt. Schon der Spazierweg zum Wasserfall ist ein Vergnügen. Zwischen Waldrand und Wiese plätschert ein ­kleiner Bach. An seinen Ufern wachsen Weiden, die die Spaziergänger auf ihrem Weg zu den Wasserfällen begleiten. Direkt darüber liegt die Burg Hohen­ urach. Von ihr aus wurden früher die Handels- und Verkehrswege kontrolliert. Heute ist sie eine Ruine und ein gefragtes Ziel für Wanderer.

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Thermalbad Mineral- und Heilbad mit großer Wellnesslandschaft. Das Wasser kommt 61 Grad heiß aus der Tiefe und wird auf 32 bis 38 Grad ab­ gekühlt: www.albthermen.de

Informationen Einkehren Hotel Graf Eberhard, Bei den Thermen 2, 72574 Bad Urach, Telefon 07125 -148500, www.hotel-grafeberhard.de. Schwäbisch-regionale Küche. Übernachten Das Einkehrhaus der Württembergischen Landeskirche im Stift Urach steht auch Einzelreisenden offen und gehört dem Verband Christlicher Hoteliers an (VCH): Bismarckstraße 12, 72574 Bad Urach, Telefon 07125 - 94990, www.stifturach.de Auskunft Kurverwaltung Bad Urach, Bei den Thermen 4, 72574 Bad Urach, Telefon 07125 - 94320, www.badurach-tourismus.de


Basel Veranstaltungen In Basel tobte der Bildersturm. Gleichzeitig gab es in der ­Grenzstadt aber auch ein hohes Maß an Toleranz und viele ­humanistische Debatten.

Basler Morgenstraich Wenn andernorts Karneval und Fasnacht überstanden sind, legen die Basler los. Am Montag nach Aschermittwoch ist die Stadt zwischen Morgenstraich und End­ straich drei Tage lang erfüllt von Pfeifen, Trommeln und Schnitzelbanksängern. Achtung: Ohne Fastnachtsplakette fällt man sehr unangenehm auf. Art Basel Wer sich dafür interessiert, was auf dem internationalen Kunstmarkt angesagt ist, kommt hier auf seine Kosten. Basel Tourismus bietet ­Arrangements: www.artbasel.com Basler Tattoo Tätowiert wird hier niemand. Das musikalische Programm aus Dudelsackklängen, Blasmusik und fol­ kloristischem Tanz mit Spitzenformationen aus der ganzen Welt begeistert Jung und Alt: www.baseltattoo.ch

Basels Altstadt mit dem Münster aus rotem Sandstein.

Basel und die Reformation „Von Standbildern wurde nichts unversehrt gelassen (…). Was von gemalten Bildern vorhanden war, wurde mit einer Übertünchung von Kalk bedeckt, was brennbar war, wurde auf den Scheiterhaufen geworfen, was nicht, wurde Stück für Stück zertrümmert. Weder Wert noch Kunst vermochten, dass ­irgend etwas geschont wurde...” So beschrieb Erasmus von Rotterdam den ­Bildersturm von Basel im Februar 1529, bei dem sich die Ereignisse überstürzten. Von blinder Raserei getrieben, zerschlugen unzufriedene Bürger alle „­Götzenbilder” im Münster, wie es der radikale Schweizer Reformator Ulrich Zwingli gefordert hatte, und setzten die Zerstörung im Anschluss in anderen Kirchen und Klöstern fort. Der Basler Bildersturm verlief unblutig, war aber einer der schonungslosesten und umfas-

sendsten der Reformationsgeschichte. Abgezeichnet hatte sich diese Entwicklung schon lange vorher. Durch ihren ausufernden Kult, der viel Geld verschlang, waren die Basler Bischöfe hoch verschuldet. Sie hatten bereits wichtige Rechte an die Stadt, in deren Rat zahlreiche Zunftvertreter saßen, verpfändet. Nach dem Beitritt zur Eidgenossenschaft 1501 kündigte die Stadt 1521 ihre verfassungsrechtlichen Bindungen an die bischöfliche Herrschaft auf. Der Weg in Richtung Reformation hatte begonnen. Sie fand viele Anhänger bei den Handwerkerzünften, deren aufgestauter Unmut sich schließlich an jenem Tag vor Aschermittwoch 1529 entlud. Im April trat eine Reformationsordnung in Kraft, die auch das alltägliche Leben regelte. Vier Jahre später hob das Basler Bekenntnis kirchliche Gebote auf, da­ runter die Beichtverpflichtung, Fasten-

zeit, Heiligenverehrung und das Zölibat. Trotzdem galt Basel in den Zeiten des Umbruchs als vergleichsweise tolerante Stadt. Man rief zu gegenseitiger Rücksichtnahme auf, führte humanistische Debatten. So wurden katholische Schriften nicht per se verboten. Dieser humanistische Geist lockte viele pro­ testantische Glaubensflüchtlinge nach Basel, die neue wirtschaftliche Impulse mitbrachten, etwa den Seidenhandel und die Seidenfärberei, aus denen schließlich die Pharma- und Chemiekonzerne hervorgingen. Bedeutung hatte Basel für die Reformation auch als eines der Zentren des Buchdrucks. Hier wurden wichtige reformatorische Schriften gedruckt, darunter Calvins theologisches Hauptwerk, die „Institutio Christianae Religionis” (1536). Das Lehrbuch gilt als eine der bedeutendsten Schriften der Reformation.


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Highlights Museum Tinguely Schrott, Kunst und Bewegung – große Werksammlung eines der Haupt­ vertreter kinetischer Skulpturen. Alles dreht sich, wippt, quietscht und rattert, und erst durch die ­Interaktion des Besuchers wird die Kunst zur Kunst. Interessant auch für Kinder! Paul Sacher-Anlage 2, Telefon 0041- 61- 6819320, www.tinguely.ch

Traumhafte Lage am Rhein: Im Sommer lässt man sich im Fluss treiben.

Basel im Dreiländereck Im Dreiländereck von Deutschland, Frankreich und der Schweiz, am Schnittpunkt von Schwarzwald, Vogesen und Jura liegt die drittgrößte Stadt der Schweiz auf beiden Seiten des Rheins. Basel hat den Ruf, die Kulturhauptstadt der Eidgenossen zu sein, und das zu Recht. Die Dichte an hochkarätigen Museen mitsamt ihrer zum Teil spektakulären Architektur ist beeindruckend, angefangen von der Fondation Beyeler (Sammlung der klassischen Moderne und zeitgenössischer Werke) bis hin zum Museum Tinguely, wo sich die Monstermaschinen des Schweizer Künstlers auf Knopfdruck ratternd und scheppernd in Bewegung setzen. Und dann ist noch die Art Basel, die internationale Kunstmesse, die so-

Tinguely-Brunnen: Basel ist eine Stadt der Kunst und Kultur.

gar einen Ableger in Miami besitzt. Kultur sind auch die „drey scheenschte Dääg”, die weit über die Grenzen Basels hinaus bekannt sind: Mit dem Morgenstraich um vier Uhr, wenn in der Stadt alle Lichter gelöscht werden, beginnt die einzige protestantische Fastnacht mit Masken, Guggenmusik und Laternenzügen. Diese führen vorbei am Tinguely-Brunnen und über den Barfüsserplatz zum Marktplatz mit dem einzigartigen scharlachroten Rathaus, das mit seinen kräftigen Farben und Verzierungen in Gold, Grün und Blau aussieht, als sei es aus einer Buchmalerei gefallen. Dann geht es hinab zum Rhein und über den Fluss nach Kleinbasel. Der Fluss lässt sich aber auch auf so traditionsreiche wie charmante Weise mit einer der kleinen Rheinfähren q­ueren, die Vogel Gryff, Ueli, Leu und Wild Maa heißen und am Stahlseil, nur von der Strömung gezogen, ans ­andere Ufer schaukeln. Der Rhein – er ist neben dem Basler Münster aus rotem Sandstein das heim­ liche Wahrzeichen der Stadt, Lebensader und Naherholungsgebiet. Im Sommer wird er zur Badeanstalt der Basler, die sich gerne flussabwärts treiben lassen, während die Steinterrassen an der Kleinbasler Flusspromenade, auch Basler ­Riviera genannt, zum Sitzen, Plaudern, Sonnen und Flanieren einladen. Der Blick geht Richtung Münsterhügel, im Rücken hört man das Klackern von Boule-Kugeln. Man spürt, dass das Mittelmeer ganz nah ist und es in Basel definitiv mehr als nur drei schönste Tage gibt.

Basler Läckerli In Basel ist quasi das ganze Jahr über Weihnachten. Die leckeren ­Honiglebkuchen gibt es etwa im Läckerli Huus in der Gerbergasse 57. Papiermühle ­ In den Mauern einer mittelalter­ lichen Papiermühle erfährt der ­Besucher alles über den Weg vom handgeschöpften Papier bis hin zum fertigen Buch. Eine Mischung aus Ausstellung und Produktionswerkstätten zum Anfassen und Mitmachen. St.-Alban-Tal 37, Telefon 0041- 61- 2259090 www.papiermuseum.ch

Informationen Einkehren Schnabel, Trillengässlein 2, Telefon 0041- 61- 2612121 www.restaurant-schnabel.ch Eine typische Basler Beiz mit ­gutbürgerlicher Schweizer Küche. Stammbeiz von diversen ­Fasnachts-Cliquen. Übernachten Au Violon, Im Lohnhof 4, 4051 Basel Telefon 0041- 61- 2698711 www.au-violon.com Das geschichtsträchtige Hotel oberhalb des Barfüsserplatzes war früher ein Gefängnis. Auskunft Tourist-Information im Stadt-­ Casino am Barfüsserplatz Telefon 0041- 61- 2686868 www.basel.com


Blaubeuren Veranstaltungen Blaubeuren steht heute für zweierlei: das Kloster mit seiner ­evangelischen Internatsschule und der sagenhafte Blautopf gleich hinter der Abteikirche.

Klosterkonzerte Die Internationalen Klosterkonzerte Blaubeuren sind ein kulturelles Forum für Blaubeuren und die Region Ulm. Die Veranstaltungsreihe beinhaltet Auftritte der Schulchöre und auswärtiger Künstler: Telefon 07344-96260, www.seminarblaubeuren.de Mittelaltermarkt Buntes Spektakel im Mai mit ­Krämern, Gauklern und Handwerkern vor der historischen Kulisse des Klosterhofs. Gartentage Jeden Sommer geht es im Klosterhof um Blumen, Kräuter und Kunsthandwerk. Weihnachtsmarkt Im Advent wird ein Wochenende lang ein Weihnachts- und Kunsthandwerkermarkt auf dem Klostergelände veranstaltet.

Klosterkirche mit dem gotischen Hochaltar und dem Chorgestühl.

Blaubeuren und die Reformation Malerischer könnte die Umgebung für die Schülerinnen und Schüler des Evange­ lischen Seminars in Blaubeuren nicht sein: Sie wohnen und lernen inmitten einer alten Abtei, umgeben von einem grünblau schimmernden Quellsee, der schon manchen Dichter inspirierte. Bekannte Dichter, Denker und Geistes­ größen hatten die Blaubeurer schon viele in ihren Reihen: Wilhelm Hauff ­gehörte ebenso zu den evangelischen Schülern wie David Friedrich Strauss, ­Albrecht Goes oder der spätere Reden­ schreiber von Willy Brandt, Klaus ­Harpprecht. Das Evangelische Seminar in Blaubeuren hat eine Tradition, die bis in die Reformationszeit zurückreicht. Als eines von 13 Männerklöstern in Württemberg wurde das Benediktinerkloster Blaubeuren in eine evangelische Klosterschule

umgewandelt. Neben Maulbronn ist es die einzige Einrichtung, die noch heute in diesem Geiste weiter fortbesteht. Es war ein Geist der Bildung und des Glaubens, der 1556 die Gründung begleitete. Herzog Ulrich von Württemberg brauchte evangelische Pfarrer und bildete sie auf Staatskosten in den ehemaligen Konventsgebäuden aus. Die Reformation war in Blaubeuren schon 1534 von Herzog Christoph von Württemberg eingeführt worden. Bereits 1447 hatten die Grafen von Helfenstein die Stadt und das 1085 gegründete Kloster an die Württemberger verkauft. Nach der Reformation hatten die dort ganz das Sagen und verbannten den Prior und die Mönche nach Markdorf am Bodensee. Während des sogenannten Interims kehrten die Ordensbrüder wieder zurück und in einer Übergangszeit lebten katholische Mönche und evangelische Kloster-

schüler in Blaubeuren sogar zusammen in der Klosteranlage. Zu den herausragenden Persönlichkeiten der neuen evangelischen Klosterschule gehörte ihr erster Abt: Matthäus Alber, der von 1563 bis 1570 die Leitung inne hatte, war ein bedeutender Reformator, der schon in Konstanz, Esslingen und Reutlingen gewirkt hatte. Blaubeuren war seine letzte Station, hier starb er am 3. Dezember 1570, sein Grab befindet sich heute in der Stadtkirche. Blaubeuren ist mit seinem Evangelischen Seminar und seiner großen Klosterkirche bis heute ein lebendiger Ort der Spiritualität. Besuchermagneten sind der gotische Hochaltar und das Chorgestühl der Klosterkirche. Auch der Kreuzgang des Klosters kann besichtigt werden sowie das ehemalige Badehaus der Mönche, in dem heute das Heimatmuseum von Blaubeuren untergebracht ist.


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Highlights Klosterkirche Geöffnet von März bis Oktober täglich 10 bis 18 Uhr. Im Winter eingeschränkte Öffnungszeiten. Im Badehaus der Mönche ist das Heimatmuseum untergebracht. Klosterführungen Geführt werden nur gebuchte Gruppen. Besonders unterhaltsam ist die Themenführung mit Kellermeister Gregorius: Telefon 07344-962625, www.seminar-blaubeuren.de Blautopfbähnle Am Wochenende zwischen April und Oktober Panoramafahrten rund um den Blautopf und Blaubeuren.

Magisch und märchenhaft: der Blautopf hinter der Klosterkirche.

Blaubeuren und sein Blautopf Der Blautopf trägt nicht von ungefähr seinen Namen. Wenn das Sonnenlicht auf sein Wasser fällt und seine Oberfläche bläulich schimmert, ahnt man, wieso ihm magische Fähigkeiten zugeschrieben wurden. In Wahrheit sind seine Tiefe von über 20 Metern und seine trichterartige Form dafür verantwortlich, dass die Farben des Spektrums absorbiert werden und am Ende nur noch Blau übrig bleibt. Sachlich betrachtet ist der Blautopf ein Quelltrichter, der rund 32.000 Liter Wasser pro Sekunde ausschüttet. Doch schon immer rankten sich Geschichten um das geheimnisvolle Loch in Blaubeuren: Die bekannteste von ihnen ist

Lebendiger Ort des Lernens: das Evangelisch-Theologische Seminar.

die Sage von der „Schönen Lau”, die Eduard Mörike in seinem Werk „Das Stuttgarter Hutzelmännlein” verarbeitet hat. In den Tiefen des Blautopfs soll sie ihr Lachen wiedergefunden haben. Tatsächlich hat man dort unten ein 1.200 Meter langes Höhlensystem entdeckt mit großen Hallen, von denen eine sogar den Titel Mörike-Dom trägt. Die meisten Besucher erleben den­ ­Blautopf von oben und wandern einmal herum. Nebenan können sie eine alte Hammerschmiede besichtigen. Der Blautopf und das Kloster sind die bekanntesten Sehenswürdigkeiten von Blaubeuren. Doch die knapp 12.000 Einwohner große Stadt im Alb-DonauKreis hat weitere Attraktionen zu bieten. So gibt es im URMU, dem Urgeschichtlichen Museum, sogar eine echte Rarität zu bestaunen: Die Venus vom Hohlen Fels, die älteste bekannte, von Menschenhand geschaffene Figurendarstellung der Welt, ist annähernd 40.000 Jahre alt. Ein weiterer Höhepunkt des Museums ist eine urzeitliche Flöte aus Schwanenknochen, das älteste bekannte Musikinstrument der Welt. Das URMU wurde erst kürzlich renoviert und nach neuesten museumspädagogischen Gesichtspunkten umgestaltet. Wer nach dem Museumsbesuch noch ein wenig bummeln möchte, der sollte sich die Aachgasse nicht entgehen ­lassen. Die trägt nicht ohne Grund den Beinamen Klein-Venedig. Dort plätschert ein Bach mit vielen kleinen ­Brücken idyllisch an den malerischen Fassaden alter Fachwerkhäuser vorbei.

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URMU Das neu gestaltete Urgeschicht­ liche Museum zeigt einen der bedeutendsten archäologischen Funde Deutschlands, die Venus vom Hohlen Fels: www.urmu.de

Informationen Einkehren Forellenfischer, Aachtalstraße 8, 89143 Blaubeuren, Telefon 07344 -  6545, www.forellenfischer.de Gemütliches Restaurant mit schwäbischer Küche und Fisch. Übernachten Hotel Ochsen Marktstraße 4, 89143 Blaubeuren Telefon 07344 - 969890 www.ochsen-blaubeuren.de Evangelisches Seminar Ephorat, Klosterhof 2, 89143 Blaubeuren, Telefon 07344 -96260 www.seminar-blaubeuren.de Auskunft Tourist Information Blaubeuren Kirchplatz 10, 89143 Blaubeuren Telefon 07344 - 966990 www.blaubeuren.de


Bretten Bretten im Kraichgau ist vor allem mit einem Namen verbunden: Philipp Melanchthon. Hier wurde der wichtigste Wegbegleiter ­Luthers 1497 geboren. Veranstaltungen Melanchthons Geburtstag Zum Geburtstag Philipp Melanchthons am 16. Februar finden alljährlich kulturelle und theologische Veranstaltungen im Melanchthonhaus statt. Reformationstag Am Reformationstag wird im ­Melanchthonhaus ein Gottesdienst gefeiert. Außerdem wird immer zum Ende des Schuljahres der Melanchthon-Schülerpreis verliehen: www.melanchthon.com Peter-und-Paul-Fest Das große Brettener Stadtfest mit Mittelaltermarkt und vielen Attraktionen findet Anfang Juli statt: www.peter-und-paul.de Gedächtnishalle mit Fresken und Figuren im Melanchthonhaus in Bretten.

Bretten und die Reformation Als Philipp Melanchthon am 16. Februar 1497 in Bretten das Licht der Welt erblickte, da hieß es noch Brettheim und war Teil der historischen Kurpfalz. ­Melanchthon selbst hieß wiederum Schwarzerdt, sein späterer Name war die direkte griechische Übersetzung ­davon und eine Auszeichnung an einen Jungen, der bereits mit zwölf Jahren ein kleiner Gelehrter war. Ein großer Gelehrter war hingegen sein Großonkel Johannes Reuchlin, der Humanist aus Pforzheim, der zu den frühen Förderern des Hochbegabten gehörte. Nach der Lateinschule in Pforzheim studierte Melanchthon in Heidelberg und Tübingen. 1518 wurde er als Griechischprofessor nach Wittenberg berufen. Ihn verband ein freundschaftliches Verhältnis mit Luther, der ihm den Weg zur reformatorischen Theologie eröffnete. Da Luther als Geächteter an Verhand-

lungen auf Reichsebene nicht teilnehmen konnte, war Melanchthon seit 1529 bei Reichstagen und Religions­ gesprächen der offizielle Wortführer der Wittenberger Theologie. Aus seiner Feder stammen wichtige theologische Werke und Bekenntnisschriften der Reformation: die „Loci communes” (1521), die erste refor­ matorische Dogmatik, und das „Augsburger Bekenntnis” (1530), die zen­ trale Bekenntnisschrift aller evangelischen Kirchen bis heute. Melanchthon hat immer versucht, die Einheit der Kirche auf evangelischer Grundlage zu bewahren. Deshalb wird er heute oft als ein „Vater der Ökumene” bezeichnet. Von ihm sind eine große Zahl an Lehrbüchern aus fast allen Wissensgebieten der damaligen Zeit sowie Übersetzungen antiker Autoren überliefert. Dies hat ihm, zusammen mit vielen Schul-

gründungen, Schul- und Universitätsordnungen auch den Beinamen „Prae­ ceptor Germaniae” (Lehrer Deutschlands) eingebracht. Philipp Melanchthon starb am 19. April 1560 in Wittenberg und liegt dort neben Luther in der Schlosskirche begraben. Eine Ironie der Geschichte ist, dass die Stadt, die Luthers engsten Mitarbeiter hervorbrachte, Ende des 16. Jahrhunderts wieder vom Luthertum abfiel und sich dem reformierten Glauben nach Schweizer Vorbild zuwandte. Erst 1685 gab es in Bretten auch wieder eine ­lutherische Gemeinde, 1705 wurden in der Stadt 520 Lutheraner und 390 reformierte Christen gezählt. Beide evangelische Gemeinden existierten neben­ einander bis zur Vereinigung im Großherzogtum Baden 1821. Die Kurpfalz rechts des Rheins war 1803 im nun erheblich größer gewordenen Baden aufgegangen.


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Highlights Melanchthonhaus Umfassende Schau zum Leben und Wirken des in Bretten geborenen Reformators. Geöffnet von Februar bis November jeweils Dienstag bis Sonntag, im Winter geschlossen: Telefon 07252 - 94410, www.melanchthon.com

Fachwerk und Straßencafés: der belebte Marktplatz in Bretten.

Bretten und das Melanchthonhaus Bretten nennt sich auch die MelanchthonStadt. Das wichtigste Besucherziel ist daher das Melanchthonhaus. Die Gedenkstätte wurde 1897 bis 1903 an der ­Stelle des ursprünglichen Geburtshauses Melanchthons errichtet. Das Ge­ bäude beherbergt Museum, Bibliothek und Forschungsstelle. Es besitzt eine Gedächtnishalle mit Fresken und wei­ tere Räume mit einer umfangreichen Sammlung von Büchern, Autographen, Graphiken und Medaillen. Das Städtezimmer nennt auf holz­ geschnitzten Wappen 121 Städte, von

Forschungs- und Gedenkstätte der Reformation: das Melanchthonhaus.

denen feststeht, dass Philipp Melanchthon persönlich mit ihnen Beziehungen unterhalten hat. Das Fürstenzimmer zeigt Bildnisse von Fürsten, die die Reforma­ tion in ihren Ländern eingeführt haben. Außerdem sind ausgewählte Holzschnitte, Handschriften und Drucke ausgestellt, die in Melanchthons Leben und Wirken einführen. Dem Melanchthonhaus ist auch die Europäische Melanchthon-­ Akademie Bretten angegliedert. Eine andere, viel kleinere Persönlichkeit hat es ebenfalls zu Berühmtheit gebracht: das Brettener Hundle. Es soll der Sage nach die Stadt während einer Be­ lagerung vor der Zerstörung bewahrt haben. Die Einwohner hatten es während einer Belagerung mit ihren letzten Vorräten gemästet und vor die Tür geschickt, worauf die Angreifer resigniert abzogen, weil sie den Eindruck hatten, dass sie überhaupt nie an ihr Ziel kommen würden. Eine Statue in der Fußgängerzone erinnert an das Hundle, das als Brettener Symbolfigur in zahlreichen Geschichten und Darstellungen fortlebt. Geographisch liegt Bretten mitten im Kraichgauer Land direkt an der Badischen Weinstraße. Rund um die Stadt mit ihren 29.000 Einwohnern bietet die Kraichgauer Hügellandschaft zahlreiche Rad- und Wandermöglichkeiten. Das kulturelle Angebot spiegelt sich bei zahlreichen Konzerten, Theateraufführungen im Gugg-e-mol-Kellertheater wider. Am Wochenende nach dem Peterund-Pauls-Tag (29. Juni) begehen die Bewohner Brettens das Peter-und-PaulFest, bei dem die Belagerung der Stadt im Jahr 1504 nachempfunden wird.

Schutzengelmuseum Im Museum im Schweizer Hof können halbjährlich wechselnde Sonderausstellungen sowie das Deutsche Schutzengelmuseum ­besichtigt werden. Kindermuseen Für Kinder gibt es die Bäderwelt Bretten, das Indianermuseum ­ und den Brettener Tierpark mit seinem großen Streichelzoo. Altstadtrundgang Ein Highlight sind die Stadtführungen sowie die nächtlichen Rundgänge durch die Gassen mit dem Brettener Nachtwächter.

Informationen Einkehren Im Krone-Gebäude bietet das Restaurant des elsässischen Meisterkochs Guy Graessel mediterrane, elsässische und regionale Küche: Telefon 07252 - 7138, www.restaurant-krone.de Übernachten Das Hotel Krone liegt in unmittelbarer Nachbarschaft zum Melanchthonhaus: Marktplatz 2, 75015 Bretten, Telefon 07252 - 97890, www.krone-bretten.de Auskunft Tourist-Info Bretten, Melanchthonstr. 3, 75015 Bretten, Telefon 07252 - 583710, www.bretten.de Für die Region: Kraichgau-­ Stromberg Tourismus: www.kraichgau-stromberg.com


Emmendingen Der Stadtschreiber enthauptet und der Markgraf vergiftet: Die Reformation im markgräflichen Emmendingen und Kenzingen liest sich in Teilen wie ein Krimi. Veranstaltungen Theater im Steinbruch Emmendingen hat eine lange Ama­ teurtheater-Tradition. Das Theater im Steinbruch ist eine Freilichtbühne mit 300 Sitzplätzen, es gibt hier auch Openair-Konzerte: www.theater-im-steinbruch.de Historisches Altstadtfest Alle zwei Jahre findet in Kenzingen ein mittelalterliches Altstadtfest mit Gauklern, Rittern und ­alten Handwerken statt: www.kenzingen.de Närrisches Treiben Kenzingen ist eine Hochburg der Alemannischen Fasnet: Für Be­ sucher ein Erlebnis ist der Umzug am Fasnets-Sonntag: www.wellebengel.de Zentrum der Reformation in Südbaden: Stadtkirche in Emmendingen.

Emmendingen und die Reformation Es sollte bis 1556 dauern, ehe in der Markgrafschaft Baden-Durlach die Reformation eingeführt wurde. Davor gab es immer wieder frühe reformatorische Strohfeuer: Zu diesen Pionier-Orten gehörte Kenzingen, dessen lutherisches Intermezzo eng mit der Predigttätigkeit des Elsässers Jakob Otter (1485 – 1547) verbunden war. 1522 war er nach Kenzingen gekommen. Mit seinen Messen in deutscher Sprache und der Feier des Abendmahls mit Brot und Wein fand er große Beachtung, erregte aber auch die Gemüter des benachbarten österreichischen Erzherzogs Ferdinand. In dessen Auftrag wurde im Sommer 1524 die Stadt Kenzingen so unter Druck gesetzt und der Stadtschreiber enthauptet, dass Otter mit seinen Anhängern nur noch die Flucht nach Straßburg blieb. In der Markgrafschaft Hachberg, dem

heutigen Landkreis Emmendingen, zu dem auch Kenzingen gehört, bildeten Emmendingen und die Stadtkirche das Zentrum der Reformation. Wie die neue Lehre die Welt in Emmendingen veränderte, darüber berichten die Visitationsprotokolle von 1558, 1560 und 1582. Diese Protokolle sind einzigartige Zeugnisse für die komplizierte Umsetzung der lutherischen Ideen, weil sich oft auch lange nach Einführung der Reformation die „altgläubigen”, katholischen Frömmigkeitsformen großer Beliebtheit erfreuten. In Mundingen wollten die Einwohner weiterhin an der Verehrung der St. Barbara festhalten, in Denzlingen zog es die Menschen in die katholische Nachbarschaft zu den Gottesdiensten. Emmendingen rückte unter Markgraf Jakob III. (1562 – 1590) erneut in den Mittelpunkt der reformatorischen Umbrüche. 1590 lud der Regent protestan-

tische Pfarrer aus der Markgrafschaft und Vertreter des römisch-katholischen Glaubens aus Freiburg zu einem Reli­ gionsgespräch ein. Wenige Wochen nach diesem Kolloquium trat Markgraf Jakob III. völlig über­ raschend zur römischen Kirche über. In Rom wurde dies gefeiert, doch die Euphorie über die bevorstehende Rekatholisierung der Markgrafschaft sollte nur wenige Wochen andauern. Im Sommer desselben Jahres erreichte Jakob III. schwer erkrankt seine Heimatstadt und verstarb qualvoll. Die Obduktion wies zweifelsfrei tödliche Mengen an Arsen im Magen nach. Der plötzliche Tod des rekatholisierten Markgrafen bietet bis heute Stoff für einen handfesten Krimi. Und Emmendingen blieb evangelisch, genauso wie das benachbarte Malterdingen, dessen historische Jakobskirche liebevoll restauriert wurde.


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Highlights Markgräfliches Schloss Museum in Emmendingen mit stadtgeschichtlicher Sammlung. Aber auch der badischen Revolution sowie Goethes Schwester Cornelia, die hier lebte, sind Räume gewidmet: www.literaturland-bw.de Hochburg Die Ruine ist frei zugänglich. Das Museum hat von April bis Oktober an Sonn- und Feiertagen geöffnet: www.hochburg-emmendingen.de Größte Sehenswürdigkeit der Region: die Ruine Hochburg.

Emmendingen und Kenzingen Das kleine Renaissance-Schloss der Markgrafen in Emmendingen kann besichtigt werden und beherbergt heute eine stadtgeschichtliche Sammlung sowie ein Fotomuseum. Im Kapitelsaal des Nachbar­ gebäudes fand 1590 das folgenreiche Reli­gionsgespräch statt. Die für die Reforma­tion ebenfalls bedeutsame evangelische Stadtkirche wurde 1815 komplett umgebaut, nur der Chor blieb aus gotischer Zeit erhalten. Der Marktplatz Emmendingens und die Gassen der Altstadt sind von schönen alten Bürger­ häusern gekennzeichnet, zu den beliebtesten Fotomotiven der Stadt gehört das Emmendinger Stadttor mit seinen Fenstern, Bögen, der Uhr und dem Dachreiter.

Neugotischer Umbau: Langhaus und Turm der Emmendinger Stadtkirche.

Die wichtigste Sehenswürdigkeit in der Umgegend ist die Hochburg, nach dem Heidelberger Schloss die größte Burg­ ruine in Baden. Sie wurde im Dreißigjährigen Krieg und dem pfälzischen Erbfolgekrieg zerstört und seither nicht wieder aufgebaut. Etwa 15 Kilometer nördlich von Emmendingen liegt Kenzingen, das nach einer kurzen lutherischen Episode wieder zum alten Glauben zurückkehrte. Die katholische Kirche St. Laurentius steht dort wie das Freiburger Münster dia­ gonal auf dem Kirchplatz. Die katholische Tradition wird dort auch durch die Alemannische Fasnet unterstrichen, die in Kenzingen sogar ein eigenes Museum mit lebensgroßen Puppen und geschnitzten Masken bekommen hat (Oberrhei­ nische Narrenschau). Sowohl von Kenzingen als auch von Emmendingen aus sind es nur wenige Kilometer zum sonnenverwöhnten ­Kaiserstuhl, eine der beliebtesten Genuss- und Wanderregionen Deutschlands. Hier werden die höchsten Temperaturen des Landes gemessen und ei­ nige der besten Weine getrunken. Auf dem Smaragdeidechsen-Pfad in Oberbergen kann man die seltenen und sonst nur in Südeuropa heimischen Reptilien tatsächlich zu Gesicht bekommen. Und wer etwas mehr wandern will, der kann auf dem Kaiserstuhlpfad einmal quer durch die Vulkanberge spazieren. Die Ausflugsmöglichkeiten sind damit noch keineswegs erschöpft: Auch der Schwarzwald, Freiburg und das Elsass liegen in Emmendingen und Kenzingen vor der Haustür.

Europa-Park Der größte Freizeitpark Deutschlands liegt nur wenige Kilometer entfernt: www.europapark.de ­ Deutsches Tagebucharchiv Bundesweit einmalig sammelt ­dieses Archiv persönliche Erinnerungen aus Tagebüchern und Briefwechseln. Für Besucher ­Montag bis Freitag geöffnet: www.tagebucharchiv.de

Informationen Einkehren Café Mahlwerkk Westend 11, 79312 Emmendingen Telefon 07641- 954625 www.mahlwerkk.de, selbst­gerös­ tete Kaffees aus aller Welt. Gasthaus zur Krone, Mußbach 6, 79348 Freiamt, Telefon 07645 - 227 www.krone-freiamt.de Übernachten Hotel Schieble, Offenburgerstr. 6, 79341 Kenzingen Telefon 07644 - 9269990 www.hotel-schieble.de Auskunft Tourist-Information Emmendingen Bahnhofstraße 8, 79312 Emmendingen, Telefon 07641-19433 www.emmendingen.de Tourist-Information Kenzingen Hauptstraße 15, 79341 Kenzingen Telefon 07644 - 900113 www.kenzingen.de


Esslingen Veranstaltungen Mutige Bekenntnisse zum evangelischen Glauben und ein Prediger mit Charisma brachten die Reformation in die alte ­Fachwerkstadt am Neckar.

Zwiebelfest Der Sage nach hat eine Esslinger Marktfrau dem Teufel, der nach ­einem Apfel verlangte, eine Zwiebel gereicht und ihn damit vertrieben. Grund genug, jedes Jahr im August auf dem Marktplatz das Zwiebelfest zu feiern: www.esslingerzwiebelfest.de Mittelalter-Weihnachtsmarkt Honigsüßer Met, dampfende Badezuber, Gaukler, Handwerkskunst, Marktgeschrei – in den vier Wochen vor Weihnachten wird in Esslingen die Zeit 600 Jahre zurückgedreht. Es funkelt Am letzten Samstag der Sommerferien erstrahlen die Altstadtgassen im Lichterglanz, die Geschäfte ­haben bis 24 Uhr geöffnet. Mit Kunsthandwerkermarkt und Nachtflohmarkt: www.esslingen-marketing.de

Die Burg, die keine ist: Stadtmauer an den Weinbergen von Esslingen.

Esslingen und die Reformation Es waren überzeugte und mutige Männer, die den evangelischen Glauben nach Esslingen und sich selbst dadurch in heikle Situationen brachten. Denn die Stadt war zu jener Zeit von Württemberg eingekreist, das die katholischen Habsburger besetzt hielten. Bereits 1522 bekannte sich der Mönch und Mathematiker Michael Stifel zur Reformation und hielt im ehemaligen Augustinerkloster die erste evangelische Predigt in Esslingen. Drei Jahre später wurde der Reutlinger Prediger Matthäus Alber vor dem Reichsregiment im Esslinger Rathaus verhört. Es galt, das Wormser Edikt Karls V. umzusetzen, das nicht nur die Reichsacht über Luther verhängt, sondern auch die Lektüre und Verbreitung seiner Schriften verboten hatte. Doch Matthäus Alber beeindruckte das Gericht mit seinem

geradezu lebensgefährlichen Bekennermut und fundierten Glauben so sehr, dass man ihn ziehen ließ. Als im Jahr 1531 schließlich 13 Zünfte befragt wurden, bekannte sich eine überwältigende Mehrheit zum evange­ lischen Glauben. Da es in Esslingen ­keinen Prediger mit Charisma gab, der die Reformation hätte einführen können, fragte der Rat bei Ambrosius Blarer an, der auch in Konstanz, Ulm, Lindau und Memmingen wirkte. Blarers Predigten begeisterten die Massen, und die Stadt erlebte bewegte Monate. „Der brennende Eifer ist nicht zu bändigen. Er steht täglich neu auf”, schrieb Blarer an einen Freund. In kurzer Zeit wurden die wichtigen Bereiche der Stadt neu geordnet: die Messe abgeschafft, die Bordelle und alle sechs Esslinger Klöster geschlossen sowie die Armenfürsorge neu geregelt. Im Zuge der Reformation entstand auch

eine täuferische Bewegung, die die Kirche als Bruderschaft verstand und die Erwachsenentaufe praktizierte. Rund 200 solcher Taufgesinnter soll es in Esslingen gegeben haben, die sowohl von Altgläubigen als auch von Anhängern der Reformation abgelehnt und verfolgt wurden. In Esslingen landeten viele von ihnen im Südturm der Stadtkirche St. Dionys, der einmal ein Gefängnis war. Einige wurden hingerichtet. Ambrosius Blarer lehnte diese Vorgehensweise strikt ab und schaffte es, die Obrigkeit zum Umdenken zu bewegen. Rund 70 Jahre nachdem der Bildersturm durch die Kirchen und ­Klöster gefegt war, passierte in St. Dionys etwas Ungewöhnliches: 1604 erhält der Chor einen protestantischen Hochaltar mit zahlreichen Szenen aus dem Leben Jesu – ein Bekenntnis der Stadt Esslingen zur vergleichsweise bilderfreundlichen lutherischen Lehre.


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Highlights Stadtrundgang „Wie Esslingen evangelisch wurde” – auf Anfrage beim Citypfarramt, Telefon 0711- 3007544 oder per Mail an: Pfarramt.Esslingen.City @elkw.de

Kirche St. Dionys mit Verbindungssteg und protestantischem Hochaltar.

Esslingen und seine Altstadt Seit dem Mittelalter führt eigentlich kein Weg an Esslingen vorbei. Früher wären den Reisenden wichtige Geschäfte in der reichen Reichsstadt an der Handelsroute von Flandern nach Italien entgangen. Heute würden sie eine bezaubernde mittelalterliche Stadt verpassen, in der sich das älteste Fachwerkhaus Deutschlands aus dem Jahr 1261 (Heugasse 3) sowie die älteste zusammenhängende Fachwerkzeile befinden. Zu den schönsten Gebäuden gehört das Alte Rathaus. Seine Südseite ist ein Meisterwerk des Fachwerkbaus, auf der Nordseite erhielt es im 16. Jahrhundert eine prachtvolle Renaissancefassade, blutrot mit Treppengiebel, Glockenspiel-

Einmaliges Fachwerkensemble aus dem Mittelalter: die Esslinger Altstadt.

türmchen und einer astronomischen Uhr, die Hightech war zu jener Zeit. Neben Sonnenbewegung und Mondphasen zeigt sie täglich um 12 Uhr einen figürlichen Himmelskörper für den jeweiligen Wochentag. Dennoch kann man die Zeit leicht aus den Augen verlieren in Esslingens Gassen, beim Bummel über den Hafenmarkt und die Innere Brücke mit den winzigen Barockhäuschen. 200 Jahre lang war sie in der Region die einzige Brücke über den Neckar. Unweigerlich wird man irgendwann vor St. Dionys stehen, dem zweiten prominenten Bau der Stadt. Spektakulär ist die äußere ­Erscheinung der Kirche mit dem Verbindungssteg zwischen den Doppeltürmen, der dem sich neigenden Südturm Halt gibt, innen präsentiert sie sich von kostbarer Schönheit. Mit ihrer Nordflanke schmiegt sich die Stadt an steile Weinberge. Die jahrhundertealte Weinbautradition lockte 1826 Georg Christian Kessler nach Esslingen. Der hatte bei Veuve Cliquot in Frankreich die Geheimnisse der Champagnerherstellung erlernt und gründete hier die erste Sektkellerei Deutschlands. Im Speyrer Pfleghof, einem von sieben Kontoren auswärtiger Klöster, reifen bis heute in tiefen Gewölbekellern kostbare Kessler-Schaumweine – handgerüttelt. Es lohnt sich auch, durch die Weingärten hinaufzusteigen zur Burg, die gar keine ist, sondern Teil der ehemaligen Stadtbefestigung. Der Blick reicht bis zur Schwäbischen Alb.

Sektkellerei Kessler Ein Gläschen in Ehren ist fast ein Muss. Möglich ist auch eine ­Besichtigung der labyrinthischen mittelalterlichen Keller mit Sektprobe, immer samstags und am ersten Freitag im Monat. GeorgChristian-von-Kessler-Platz, ­Telefon 0711-  3105930, www.kessler-sekt.de Merkel'sches Schwimmbad Der Fabrikant Oskar Merkel schenkte den Esslingern 1907 ­ ­diesen einzigartigen Jugend­ stilbadtempel: Mühlstraße 6, Telefon 0711- 3907700, www.merkelsches-bad.de

Informationen Einkehren Weinkeller Einhorn, Heugasse 17 73728 Esslingen am Neckar ­Telefon 0711-  353590 www.weinkellereinhorn.de Weinkeller, Backstub und Einhorn­ stüble versprechen traditionelle sowie moderne schwäbische ­Gerichte, gute Weine und viel ­Gemütlichkeit. Übernachten Hotel am Schillerpark Neckarstraße 60, 73728 Esslingen am Neckar, Telefon 0711- 931330, www.hotel-am-schillerpark.de Zentrumsnah gelegenes und doch ruhiges, modernes Hotel mit Tiefgarage. Auskunft Esslinger Stadtmarketing, Marktplatz 16, 73728 Esslingen am ­Neckar, Telefon 0711- 39693969, www.esslingen-marketing.de


Gemmingen Gemmingen im Kraichgau gehört zu den ganz frühen Orten der Reformation. Mutige Reichsritter hatten ihr dort, beeindruckt von einer persönlichen Begegnung mit Luther, den Weg geebnet.

Veranstaltungen Schlossparkkonzerte Im Sommer finden regelmäßig Konzerte der Musikschule im Gemminger Schlosspark statt. Mehr im Veranstaltungskalender unter www.gemmingen.eu. Theater in der Krone Im Veranstaltungssaal des Restaurants Krone in Gemmingen lädt der Kulturverein zu Theaterauf­ führungen ein: www.kukukev.de Kultur in Bad Rappenau Im unweit gelegenen Kurort Bad Rappenau gibt es regelmäßige Vortrags-, Konzert- und Kulturveranstaltungen: www.badrappenau.de Figurentheater Eppingen Das Figurentheater Eppingen ist etwas für Kinder und Erwachsene: www.eppinger-figurentheater.de

1847 neu erbaut: die evangelische Kirche von Gemmingen.

Gemmingen und die Reformation Nur wenige Jahre nach Luthers Thesenanschlag in Wittenberg begann die Reformation auch in einigen Dörfern im Kraichgau: Gemmingen, Guttenberg / Neckarmühlbach, Fürfeld, Neckarbischofsheim, Steinach und Sulzfeld. Das lag nicht zuletzt an den reichsunmittelbaren Rittern im Kraichgau, die sich Luthers Ideen gegenüber sehr aufgeschlossen zeigten. So hatte 1510 der Reichsritter Pleikard von Gemmingen neben dem Haupt­ pfarrer eine neue Predigerstelle gestiftet, die mit einem Mann namens Bernhard Griebeler besetzt wurde. Der setzte zusammen mit Pleikard 1514 neue Kirchenstatuten in Gemmingen durch, die in ihrem Inhalt ein Stück Refor­mation bereits vorwegnahmen: Das Leben der Pfarrer sollte sich ­wieder mehr an der Bibel orientieren und ihre Predigt ebenfalls. Die bis­

herige Praxis des Messelesens war ­ihnen „unnutz g ­ eschwetze”. Das wiederum brachte die Inhaber der Pfarr­ stelle auf die Palme: Die waren vom Domkapitel in Speyer nach Gemmingen entsandt worden und den neuen aufrührerischen Ideen gegenüber streng ablehnend. Als Pleikard 1515 starb, führten seine Söhne sein Werk fort: Insbesondere Wolf mit seiner direkt dem Kaiser unterstellten Besitzung Gemmingen war ­Feuer und Flamme für Martin Luther, den er 1521 auf dem Reichstag in Worms selbst erlebte. Er handelte und vertrieb den bisherigen Amtsinhaber Johannes Dynthalm von der Pfarrstelle in Gemmingen und machte seinen ­Prediger Bernhard Griebeler zum neuen lutherischen Pfarrer in Gemmingen. Im Ort gründete Wolf auch eine Volksschule, damit die Kinder die Bibel lesen konnten, die Lateinschule wurde sogar

weit über die Region hinaus bekannt. An Weihnachten 1521 feierte die Gemeinde dort erstmals Abendmahl im ­lutherischen Sinne. Das war mutig und hochgefährlich: Gemmingen war eine der ersten protestantischen Gemeinden überhaupt in dieser Zeit, als noch keiner ahnen konnte, dass die neue Richtung sich bald in weiten Teilen durchsetzen würde. Und während in vielen anderen Teilen des heutigen Baden die Gegenreformation die Verhältnisse bald wieder umdrehte, sollte Gemmingen protestantisch bleiben: Die evangelische Pfarrstelle besteht dort seit 1521 ohne Unterbrechung. Auch Wolfs Brüder Dietrich und Philipp entschieden sich für die Reformation nach Luthers Vorbild. Ihr Bruder Hans jedoch ging als Chorherr nach Worms und starb dort 1549. Die Glaubensspaltung, sie ging auch mitten durch ad­ lige Familien.


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Highlights Schlosspark Das Gemminger Schloss, Sitz der Herren von Gemmingen, kann nicht besichtigt werden, aber der Schlosspark ist einen Besuch wert. Bad Wimpfen In der Nähe liegt auch die alte ­Kaiserpfalz Bad Wimpfen. Man sollte unbedingt den blauen Turm ­besteigen und die Stadtkirche besuchen: www.badwimpfen.de Burg Guttenberg Auch die nahe Burg Guttenberg lohnt einen Besuch. Sie gehört seit Generationen der Familie Guttenberg-Gemmingen, es gibt dort eine Falknerei und ein Burgmuseum: www.burg-guttenberg.de

Trieben die Reformation voran: Schlossherren von Gemmingen.

Gemmingen und sein Schloss Die Gemeinde Gemmingen liegt im nordbadischen Kraichgau zwischen Eppingen und Sinsheim. Sie hat 5.000 Einwohner und gehört heute zum Landkreis Heilbronn, welches wiederum eine württembergische Stadt ist. Historisch turbulent ging es schon immer zu im Kraichgau: So verkauften die Herren von Gemmingen Teile des Ortes nach dem Dreißigjährigen Krieg an das Haus Württemberg, die es wiederum 1710 an die Herren von Neipperg abtraten. Der heutige Ortsteil Stebbach, der Gemmingen 1974 zugeschlagen wurde, war hingegen lange Zeit Teil der Kurpfalz und wechselte zwischen 1545 und 1648 alleine zehnmal die Konfessions-

Idylle mit See und Pavillon: der Schlosspark in Gemmingen.

zugehörigkeit, ehe es wie die gesamte Kurpfalz dem reformierten Glauben folgte. Schließlich wurden beide, Gemmingen und Stebbach, nach der na­ poleonischen Gebietsreform dem neuen Großherzogtum Baden zugeschlagen. Das bedeutendste historische Bauwerk Gemmingens ist das Schloss Gem­ mingen. Es war der Sitz der Herren von Gemmingen und wurde Ende des 16. Jahrhunderts auf den Fundamenten eines Vorgängerbaus neu errichtet. Vor allem sein Renaissance-Portal ist sehenswert sowie die historischen Grabplatten des Adelsgeschlechts, die man beim Kirchenneubau dorthin versetzt hatte. Die heutige evangelische Kirche wurde 1847 neu errichtet, von der alten Kirche blieben der Turm und die Vorhalle erhalten. Das Schloss selbst kann innen nicht besichtigt werden, aber der angrenzende Schlosspark mit seinem malerischen Weiher und Pavillon lohnt einen Spaziergang. In Gemmingen begegnen sich Kraichgau und Heilbronner Land: Beide Regionen sind vom Weinbau bestimmt und beide große Weinstraßen, die Württembergische bei Heilbronn, Weinsberg und Brackenheim und die Badische bei Eppingen, sind nur einen Katzensprung entfernt. Überhaupt Eppingen: Die nur acht Kilometer entfernte und mit Gemmingen eng verbundene Nachbarstadt mit ihren vielen alten Fachwerkhäusern ist einen ausführlichen Abstecher wert. Der ist auch mit dem Fahrrad möglich: Alleine vier Radrouten führen durch Gemmingen und seine Umgebung.

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Badische Weinstraße Unweit von Gemmingen, in ­Eppingen, macht die Badische Weinstraße einen Schlenker durch den Kraichgau: www.badische-weinstrasse.de

Informationen Einkehren Restaurant Krone, Richenerstraße 1 75050 Gemmingen, Telefon 07267 -  256, www.krone-gemmingen.de Familienbetrieb mit gehobener schwäbischer und internationaler Küche. Übernachten Familotel Villa Waldeck, Waldstraße 80, 75031 Eppingen, Telefon 07262 - 61800, www.villa-waldeck.de Familienfreundliches Vier-SterneHotel im Nachbarort Eppingen. Auskunft Bürgermeisteramt Gemmingen, Hausener Straße 1, 75050 Gemmingen, Telefon 07267 - 8080 www.gemmingen.eu Für die Region: Touristikge­ meinschaft Heilbronner Land, Telefon 07131- 9941390 www.heilbronnerland.de


Gengenbach Der Rat der Freien Reichsstadt Gengenbach empfing die Reformation mit offenen Armen. Doch sie hielt sich nur wenige Jahrzehnte.

Veranstaltungen Adventskalender Alljährlich verwandelt sich das klassizistische Rathaus in einen der größten Adventskalender der Welt. Jeden Abend um 18 Uhr während der Vorweihnachtszeit wird feierlich eines der 24 Fenster der Vorderfront des Rathauses geöffnet. Fastnacht Heißt in Gengenbach „Fasend” und geht auf eine Tradition des Jahres 1499 zurück. Großer ­Umzug am Fastnachtssonntag und närrisches Treiben in den Wirtschaften der Stadt. Weinfest Beim großen Stadt- und Weinfest Ende September kann man sich durch Rot- und Weißweine pro­ bieren.

Ort des reformatorischen Geistes: die malerisch gelegene Martinskirche.

Gengenbach und die Reformation Die Hinwendung zur Reformation in der Ortenau ging von Straßburg aus. In der Freien Reichsstadt Gengenbach fiel sie auf fruchtbaren Boden: Zum einen war das benediktinische Kloster am Ort schon lange kein Vorbild mehr für religiös-moralisches Leben, zum anderen unterstützte der Rat die neue Lehre tatkräftig. Die ersten evangelischen Prediger kamen aus Straßburg: Lucius Kyber, gefolgt von Thomas Lindner und Lorenz Mon­ tanus. Belegt ist auch, dass Kaspar ­Hedio, Münsterprediger und Freund des Straßburger Reformators Martin Bucer, 1546 eine evangelische Kirchenvisita­ tion in Gengenbach durchgeführt hat. Als in Straßburg die Pest ausbrach, wurde das dortige Gymnasium an die 1536 in Gengenbach gegründete protestantische Lateinschule verlegt. Es soll sogar erwogen worden sein, Gen-

genbach als Ausweichort für die Straßburger Universität einzuplanen. Ort des reformatorischen Geistes und der evangelischen Predigten war die vor der Stadtmauer gelegene Leutkirche St. Martin. Während der Reformation wurde die Klosterkirche zur Pfarr­ kirche für die Anhänger der katholischen Lehre, deren Zahl nicht bekannt ist. Denn die Bauern, Bergleute und ­Tagelöhner in den einsamen Tälern blieben von den neuen Einflüssen weitgehend unberührt. Weitere Ereignisse trugen zur Stärkung des neuen Glaubens bei. Auf dem Reichstag zu Augsburg 1530 bekannte sich Gengenbach zur Lehre Luthers und unterschrieb beim Augsburger Religi­ onsgespräch 1541 als „protestantische Reichsstadt”. Die Prediger der Stadt verfassten 1545 sogar einen „Evangelischen Katechismus für Gengenbach”. Schon 1547 kündigt sich jedoch das

Ende der Reformation in Gengenbach an: Der evangelisch gewordene Wilhelm von Fürstenberg wurde als klöster­ licher Schutzvogt durch seinen katholisch gebliebenen Bruder Friedrich ersetzt. Besonders das Interimsgesetz auf dem Reichstag zu Augsburg 1548 ­stärkte die katholische Lehre. Kaiser Karl V. wies seine kleine Reichsstadt unmissverständlich an, zum alten Glauben zurückzukehren. Die Rekatholisierung nahm ihren Lauf. Die protestantische Lateinschule wurde wieder katho­ lische Klosterschule, die Klosterkirche blieb allein den Mönchen vorbehalten, alle evangelischen Theologen mussten die Stadt verlassen. Es dauerte über 300 Jahre, bis sich 1865 wieder eine evangelische Gemeinde ­zusammenfand und 1890 ein bescheidenes Kirchlein gebaut werden konnte, das 1970 durch eine größere Pfarrkirche ersetzt wurde.


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Highlights Nachtwächterführung Gengenbach lernt man am besten bei einem geführten Rundgang kennen, buchbar über die Touristinformation. Beliebt sind auch Nachtwächterrundgänge. Es gibt auch einen kulinarischen Stadtrundgang und Weinwanderungen.

Das schmucke Erbe der Freien Reichsstadt: Obertor in Gengenbach.

Gengenbach und sein Fachwerk Gengenbach liegt umgeben von den Ausläufern des Schwarzwalds inmitten fruchtbarer Reb- und Obstgärten am Ausgang des Kinzigtals in der Rhein­ ebene. Man sieht es der Stadt an, dass sie einst ein wohlhabendes Gemein­ wesen war. Schon von weitem zeichnen sich die Tore und Türme der Altstadt ab, die von zahlreichen Gässchen durchzogen wird. Ein Bummel durch die ehemalige Freie Reichsstadt führt vorbei am alten Rathaus und den Patrizier- und Bürgerhäusern, die mit den Fachwerkbauten und den Türmen das Stadtbild bestimmen. Alleine fünf Türme der ehemaligen Stadtbefestigung haben sich erhalten.

Fachwerk und Blumenschmuck in der verwinkelten Engelgasse.

Die meisten Häuser Gengenbachs stammen dabei allerdings aus dem 18. und 19. Jahrhundert, nachdem die Stadt im Pfälzischen Erbfolgekrieg 1689 stark zerstört worden war. Man spart in Gengenbach nicht am Blumenschmuck, sondern liebt es, sein Stadtbild herauszuputzen. Zur Traditionspflege gehört auch die Schwäbisch-­ Alemannische Fasnet: Gengenbach ist eine ihrer Hochburgen, hier findet das katholische Erbe der Stadt seinen unmittelbaren Niederschlag im Brauchtum. Zahlreiche andere Ereignisse wie Theater, Konzerte, Schauspiel, Musik und ­Lesungen bestimmen den Jahreslauf. ­Allein in der Altstadt zeigen vier Museen Dauerausstellungen über Narretei, ­Flößerei, Wehrgeschichte und Kunst. Wer der Glaubensgeschichte auf die Spur kommen will, ist in der ehemaligen Benediktinerabtei richtig: Die ­Klosterkirche gehört zu den wenigen erhaltenen romanischen Kirchen der Umgebung. Etwas außerhalb der Altstadt liegt malerisch an einem Hang die für die Reformation bedeutende Martinskirche. Sie wurde später ebenfalls rekatholisiert und bekam eine sehenswerte Rokokokanzel. Gengenbach ist der ideale Ausgangspunkt zu Ausflügen ins Rheintal oder in den Schwarzwald: So ist Straßburg ebenso schnell zu erreichen wie etwa das Freilichtmuseum Vogtsbauern­ höfe in Gutach. Eine schöne Wanderung führt auf den 871 Meter hohen Mooskopf, der einen weiten Blick in die Umgebung verspricht.

Paramentenmuseum Im Mutterhaus der Franziskane­ rinnen ist ein Paramentenmuseum untergebracht, das sakralen Schmuck aus verschiedenen ­Zeiten zeigt: Bahnhofstraße 10, 77723 Gengenbach, Telefon 07803 - 80766. Kinzigtal Im Kinzigtal gibt es zahlreiche ­ Wander- und Radfahrmöglichkeiten. Lohnenswert ist auch ein Besuch des Freilichtmuseums Vogtsbauern­ höfe oder des Hansjakob-Museums in Haslach. In Hausach gibt es eine der größten Modelleisenbahn­ anlagen in Deutschland: www.kinzigtal.com

Informationen Einkehren Restaurant Pfeffermühle, VictorKretz-Straße 17, 77723 Gengenbach, Telefon 07803 - 93350, www.stadthotel-gengenbach.de Hier gibt es auch ein Nacht­ wächterstüble. Übernachten Hotel Reichsstadt, Engelgasse 33, 77723 Gengenbach Telefon 07803 - 96630 www.die-reichsstadt.de Boutique-Hotel mitten in der Altstadt. Auskunft Kultur und Tourismus GmbH Im Winzerhof, 77723 Gengenbach Telefon 07803 - 930143 www.gengenbach.info


Heidelberg Luther persönlich kam nach Heidelberg, um über den Glauben zu diskutieren. Die Kurpfalz folgte später trotzdem nicht ihm, sondern der Reform nach Schweizer Vorbild.

Veranstaltungen Schlossbeleuchtung Feuerwerk und Illuminierung des Schlosses, die dreimal pro Jahr im Sommer stattfindet. Den besten Blick hat man vom Philosophenweg: www.schlossbeleuchtungheidelberg.de Schlossfestspiele Sommertheater auf dem Schloss und den umliegenden Bühnen: www.heidelberger-schlossfest­ spiele.de Orgelkonzerte Orgelmusik aus fünf Jahrhunderten in der Heiliggeistkirche von Juni bis September täglich außer Samstag von 17.15 bis 17.45 Uhr, an Samstagen „Stunde der Kirchenmusik” um 18.15 Uhr. 2017 ist ein Chorfestival geplant: www.kirchenmusik-heidelberg.de

Blick vom Heidelberger Schloss auf Altstadt und Neckar.

Heidelberg und die Reformation Am 26. April 1518 kam ein junger Augustinermönch namens Martin Luther an die Universität nach Heidelberg, um über seine provokanten Thesen zu diskutieren. Er hatte ein halbes Jahr zuvor schon in seiner Heimat Wittenberg für Furore gesorgt und gegen den päpstlichen Ablass gepredigt. Vergebung sei auch ohne Bußzahlungen möglich und das Evangelium der größte Schatz, den die Kirche besitze. Die Universität in Heidelberg war schon damals eine berühmte Universität, die älteste in Deutschland. Entsprechend prominent war der Kreis der Zuhörer, die Luthers Ausführungen dort folgten: Viele spätere Reformatoren wie Bucer und Brenz waren darunter, doch auch Professoren der alten Schule. Die lehnten Luther empört ab, doch die Jungen beklatschten seine Reformvorschläge: Die Heidelberger Disputation sollte zur

Initialzündung für die weitere Ent­ wicklung im südwestdeutschen Raum werden. Sieht man einmal von einem frühen Kurzbesuch in Ulm ab, so war Heidelberg tatsächlich die einzige Stadt im heutigen Baden-Württemberg, die Martin Luther als Reformator besucht hat. Umso bemerkenswerter, dass sie sich doch einer anderen protestantischen Richtung, der reformierten Lehre aus der Schweiz, anschloss. 1556 hatte Kurfürst Ottheinrich den evangelischen Glauben in der Kurpfalz eingeführt. Er war Anhänger Martin ­Luthers, doch hinterließ er am Ende seiner dreijährigen Regentschaft eine ungeklärte Situation mit einem Nebeneinander radikaler Lutheraner und Anhänger der schweizerischen Reform. Sein Nachfolger Friedrich III. gab der re­ formierten Schweizer Richtung den Vorzug. An der neuen Zusammen­

fassung der evangelischen Lehre, die 1563 daraus resultierte, wirkte er sogar persönlich mit: Sie sollte unter dem ­Namen „Heidelberger Katechismus” in die Geschichte eingehen. Nach dem Tode der protestantischen Fürstenlinie und der Übernahme durch das katholische Haus Pfalz-Neuburg kam es auch in der Kurpfalz zu einer massiven Rekatholisierung, viele Kirchen wurden mit Mauern geteilt und mussten von beiden Konfessionen genutzt werden. Ein Zeichen der Gegen­ reformation war 1712 in Heidelberg auch der Bau der Jesuitenkirche. Heute ist die Theologische Fakultät Heidelberg unterhalb des Schlosses eine der international bedeutsamsten evangelisch-theologischen Fakultäten. Das Moratahaus an der Alten Brücke gegenüber der Altstadt beherbergt das Pre­ digerseminar Petersstift und Studierende aus aller Welt.


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Highlights Mit Bus und Schiff Bei einer Stadtrundfahrt mit Schlossführung kann man Altstadt und Geschichte kennenlernen: www.heidelberg-marketing.de Eine kurzweilige Alternative ist es auch, Heidelberg vom Schiff aus zu erleben: www.weisse-flotte-heidelberg.de

Wahrzeichen der Stadt: Alte Brücke und Heidelberger Schloss.

Heidelberg und die Romantik Die Hauptsehenswürdigkeit ist natürlich das Heidelberger Schloss. Malerisch thront die bekannteste Schlossruine der Welt über der Altstadt, vom gegenüberliegenden Philosophenweg auf der anderen Seite des Neckars hat man einen Panoramablick auf Alt-Heidelberg. Vor allem die Dichter der Romantik haben sich in die Ruine verliebt sowie der amerikanische Schriftsteller Mark Twain, der die Stadt in launigen Zeilen beschrieb und auch dem Spektakel der Schloss­beleuchtung beiwohnte: Noch heute werden dabei dreimal im Jahr die Altstadt illuminiert und auf dem Schloss bengalische Feuer entzündet. Das Heidelberger Schloss war Jahrhun-

Evangelisch seit Jahrhunderten: Heiliggeistkirche auf dem Marktplatz.

derte lang die Residenz der Kurfürsten von der Pfalz. Nach der Zerstörung im pfälzischen Erbfolgekrieg zogen sie nach Mannheim und überließen die ­Ruine sich selbst. Die Romantik bewahrte sie vor der vollständigen Abtragung. Glück hatte Heidelberg im Zweiten Weltkrieg: Die Altstadt wurde nicht zerstört und ist deswegen für Besucher nicht weniger attraktiv als das Schloss selbst. Vor allem der Bereich um die Alte Brücke lockt die Gäste aus aller Welt in Scharen in die lebendige Studentenstadt mit ihren vielen Kneipen, ebenso wie die mit 1,5 Kilometer ­längste Fußgängerzone Europas. Zu den Sehenswürdigkeiten Alt-Heidelbergs gehören auch seine Kirchen, allen voran die Heiliggeistkirche auf dem Marktplatz. Sie ist die größte Kirche Heidelbergs und eine der wichtigsten evangelischen Gotteshäuser der badischen Landeskirche. Bis zum 30-jährigen Krieg war in ihr die große Universitätsbibliothek (Bibliotheca Palatina) untergebracht, die nach der Besetzung Heidelbergs durch die Katholische Liga als Kriegsbeute an den Vatikan ging. Die Heiliggeistkirche erzählt viele Geschichten, unter anderem die aus der Zeit des Simultanedikts, als eine Mauer mitten durch die Kirche gezogen und ein Bereich den Katholiken zur Benutzung überlassen wurde. Bis 1936 stand die Mauer, heute ist die Kirche wieder rein evangelisch. Nur die barocke Kanzel im Chor erinnert noch an die Teilung. Interessant für Besucher: Die Kirche und ihr Turm sind täglich geöffnet.

Universität Von April bis Oktober gibt es jeden Samstag um 14.30 Uhr öffentliche Führungen, Treffpunkt Universitätsplatz. Dort erinnert auch eine Gedenktafel an den Besuch Luthers. Themenführungen Für Gruppen gibt es Themenfüh­ rungen durch die täglich geöffnete Heiliggeistkirche sowie auf den Spuren Martin Luthers: Telefon 06221- 5840226, E-Mail: gruppen @heidelberg-marketing.de, www.ekihd.de

Informationen Einkehren Zum Roten Ochsen Hauptstraße 217, 69117 Heidelberg Telefon 06221- 20977 www.roterochsen.de Historisches Studentenlokal mit regionaler Küche. Übernachten Hotel zum Ritter St. Georg Hauptstraße 178, 69117 Heidelberg Telefon 06221-1350 www.ritter-heidelberg.de Das Haus aus dem Jahre 1592 ist selbst eine Sehenswürdigkeit. Modern: Hotel Bergheim 41, Bergheimerstr. 41, 69115 Heidelberg Telefon 06221- 750040 www.bergheim41.de Auskunft Tourist Information,
Willy-BrandtPlatz 1, 69115 Heidelberg Telefon 06221- 5844444 www.heidelberg-marketing.de


Heilbronn Ein Pfarrer und ein Bürgermeister sorgten dafür, dass Heilbronn früh evangelisch wurde. Und es bis ins 19. Jahrhundert auch fast ausschließlich blieb.

Veranstaltungen Heilbronner Weindorf Rund um das historische Rathaus werden Mitte September die vielfältigen Weine der Region präsentiert: www.weindorf.biz Heilbronner Neckarfest Licht- und farbenprächtiges Wasserfest Ende August am Alten Neckar. Mit Feuerwerk und Fackelschwimmern: www.neckarfest.de Bundesgartenschau Heilbronn ist 2019 Schauplatz der Bundesgartenschau. Zahlreiche Bereiche des Neckarufers ­werden dazu neugestaltet: www.buga2019.de Pferdemarkt Krämermarkt im Februar mit Ponyund Pferdeprämierung am Trappensee: www.heilbronn-marketing.de

Bauwerk mit großer Geschichte: die Kilianskirche in Heilbronn.

Heilbronn und die Reformation Die Reformation in der Freien Reichsstadt Heilbronn verbindet sich vor ­allem mit zwei Namen: Johann Lachmann, dem Heilbronner Reformator, und Bürgermeister Hans Riesser. Johann Lachmann (1491 – 1538) war der Sohn eines Glocken- und Geschütz­ gießers. Sein Vater war als angesehener und erfolgreicher Handwerker seit 1479 Mitglied im Rat der Stadt. Er war sehr vermögend, deshalb konnte Johann Lachmann die Heilbronner Lateinschule besuchen und nachher in Hei­ delberg Jura studieren. Ohne Theologie studiert zu haben, ­wurde Lachmann – damals nicht ungewöhnlich – zum Priester geweiht und 1521 mit dem Predigeramt an der Kilianskirche betraut. Bald näherte er sich dem Gedankengut der Reformation, seine Predigten fanden großen Zulauf. Beharrlich arbeitete er an der Einführung

des neuen evangelischen Glaubens in Heilbronn, heiratete 1526 und führte seit 1529 Taufen und Eheschließungen in deutscher und nicht mehr in latei­ nischer Sprache durch. Eine neue Lehre braucht ein Lehrbuch und auch daran arbeitete Johann Lachmann frühzeitig: Der von ihm begonnene und vom Rektor der Lateinschule, Kaspar Gretter, vollendete „Heilbronner Katechismus” von 1528 ist der zweit­ älteste lutherische Katechismus überhaupt. Zu Lachmanns bleibenden Verdiensten gehört auch eine Neuorganisation des Schul- und Krankenwesens in Heilbronn. Der politische Mitstreiter Lachmanns in diesen Jahren war der Heilbronner Bürgermeister Hans Riesser (1488 – 1552 / 54). Er stammte aus einfachen Verhältnissen, besuchte ebenfalls die Heilbronner Lateinschule und machte eine rasche kommunalpolitische Kar­

riere: Schon 1522 in den Rat gewählt, wurde er 1528 Bürgermeister. Lachmann und Riesser konnten den Rat der Stadt nachhaltig von der Richtigkeit der neuen Lehre überzeugen: Heilbronn unterzeichnete 1529 zusammen mit 13 anderen Reichsstädten die Protestation von Speyer und gehörte zu den Unterzeichnern des Augsburger Bekenntnisses von 1530. Nachdem es auf dem Reichstag in Augsburg 1530 zur erhofften Anerkennung des neuen Glaubens nicht kam und kaiserliche Repressalien drohten, bekannte sich der Rat der Stadt am 18.11.1530 bedingungslos zum neuen Glauben, ließ sich diesen Beschluss von der Bürgerschaft bestätigen und schaffte 1531 die katholische Messe endgültig ab. Daran änderte sich auch in der Folge nichts: Bis ins 19. Jahrhundert blieb Heilbronn eine fast ausschließlich evangelische Stadt.


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Highlights Kilianskirche Kostenlose Kirchenführungen von April bis Oktober jeden ersten Sonntag und jeden ersten und dritten Mittwoch im Monat, jeweils 15 Uhr. Kirche und Turm sind täglich geöffnet. Es finden auch zahlreiche Konzerte statt: www.gemeinde. heilbronn-kilianskirche.elk-wue.de, www.kirchenmusik-heilbronn.de

Hier treffen sich die Menschen: Weindorf vor dem Rathaus.

Heilbronn und der Wein Die große evangelische Kilianskirche im Zentrum der Stadt ist zugleich eine der Hauptsehenswürdigkeiten von Heilbronn. Im Zweiten Weltkrieg zerstört, wurde sie komplett wiederaufgebaut. Sehenswert ist dabei nicht nur der geschnitzte gotische Hochaltar, sondern auch der Zyklus der neuen Kirchenfenster, die nach 1945 von Charles Crodel gestaltet ­wurden. Was die Reformationsgeschichte der Stadt angeht, ist vor allem der 1529 errichtete Westturm von Bedeutung: Er zählt zu den ersten Renaissance-Bauwerken nördlich der Alpen und greift dabei auf spöttische Art und Weise die Themen der Zeit auf. So kann

Ein Gläschen in Ehren: In Heilbronn dreht sich alles um den Rotwein.

man dort unter anderem einen Affen in Mönchskutte entdecken, Vögel mit dem Kopf einer Nonne oder Bischöfe mit Tierzungen. Zu den herausragenden Gebäuden der Stadt gehört auch das Renaissance-­ Rathaus mit der astronomischen Kunstuhr von Isaak Harbrecht. Es wurde nach dem Krieg ebenso wiedererrichtet wie der Deutschhof, der heute ein Kulturzentrum beherbergt. Ansonsten ist Heilbronn eine Stadt mit eher moderner ­Architektur, die nicht nur für Kunst- und Kulturfreunde viele Angebote bereithält, sondern Besuchern auch zahlreiche Einkaufsmöglichkeiten bietet. Überdies ist der Name Heilbronn überregional auch für zwei Dinge bekannt: Das ist zum einen der Rotwein und zum anderen das von Heinrich Kleist verfasste Schauspiel „Das Käthchen von Heilbronn”. Das Käthchen ist heute eine Repräsentationsfigur der Stadt, die im Rahmen eines festlichen Balls alle zwei Jahre neu gewählt wird. Man kann sogar Themenführungen mit ihr buchen. Was den Wein angeht, so ist Heilbronn auch als „Hauptstadt der Württembergischen Rotweine” bekannt geworden. Über 500 Hektar Rebfläche umgeben die Stadt am Neckar, hier werden hervorragende Trollinger, Lemberger, Spätburgunder oder Schwarzrieslinge erzeugt. Besucher können das Thema auf vielfältige Weise erleben: Es gibt Weinwanderungen, Radtouren, Weinfeste, Verkostungen in Besenwirtschaften oder direkt bei den Weingütern oder Win­ zergenossenschaften.

Wandern auf Weinwegen Am Heilbronner Wartberg gibt es einen sechs Kilometer langen Wein-Panoramarundwanderweg: www.weinsueden.de Württemberger Weinradweg Ein schöner Abschnitt führt durch die Weinberge Heilbronns und ­ trifft schließlich mit dem Neckarradweg zusammen: www.tourismus-bw.de www.neckarradweg.de Experimenta Großes Science-Center, Lern- ­ und Erlebniswelt für Kinder, ­Jugendliche und Erwachsene: www.experimenta-heilbronn.de

Informationen Einkehren Restaurant Beichtstuhl, Fischergasse 9, 74072 Heilbronn, Telefon 07131- 899370, www.beichtstuhlheilbronn.de. Rappenhof, Rappenhofweg 1, 74189 Weinsberg, Telefon 07134 - 5190, www.rappenhof.de Übernachten Hotel zum Rössle, Saarbrückener Straße 2, 74078 Heilbronn, Telefon 07131- 91550, www.roesslefrankenbach.de. Traditionsbetrieb im Ortsteil Frankenbach. Auskunft Tourist-Information Heilbronn, Kaiserstr. 17, 74072 Heilbronn Telefon 07131- 562270 www.heilbronn-tourist.de


Karlsruhe-Durlach Von der lutherischen zur reformierten Kirche und wieder zurück: Die Markgrafen, die von Durlach aus regierten, hatten unterschiedliche religiöse Überzeugungen.

Veranstaltungen Art Karlsruhe Tausende Kunstinteressierte pilgern jedes Jahr im März zur Messe „Art Karlsruhe”. Über 200 Gale­ risten aus dem In- und Ausland bieten dort über 10.000 Kunst­ werke: www.art-karlsruhe.de Stadtgründung Zum 300. Stadtgeburtstag wird es in Karlsruhe 2015 einen Festivalsommer geben. Darüber hinaus feiert die Stadt jedes Jahr um den 17. Juni herum, dem Tag der Stadtgründung, ein Volksfest: www.ka300.de, www.karlsruhe.de Händel-Festspiele Zum Geburtstag des Komponisten Georg Friedrich Händel finden in Karlsruhe die Händel-Festpiele statt. Opern und Konzerte stehen ebenso auf dem Programm wie ein ökumenischer Gottesdienst: www.staatstheater.karlsruhe.de

Altstadt des einst selbstständigen Durlach mit evangelischer Stadtkirche.

Durlach und die Reformation Heute gehört Durlach zu Karlsruhe, doch früher war es eine eigenständige Stadt und sogar markgräfliche Residenz. Karl II. zog 1565 von Pforzheim hierher und nannte sich fortan Markgraf von BadenDurlach. Zu der Zeit war die Stadt längst protestantisch: 1556 hatte Karl II. von Baden eine neue Kirchenordnung erlassen für die Markgrafschaft. Er war damit einer der letzten deutschen ­Fürsten, der die Reformation einführte. Schon zuvor war 1529 /1530 in Durlach die Heilige Schrift in deutscher Übersetzung erschienen. Da die Luthersche ­Gesamtübersetzung erst 1534 fertig war, haben in der Durlacher Bibel, wie auch in vielen anderen Übersetzungen dieser Zeit, andere Autoren die fehlenden Teile ins Deutsche übertragen. Ernst Friedrich war der älteste Sohn von Karl II. und wurde sein Nachfolger. Der

junge Markgraf fand Gefallen an der reformierten Lehre, die sich im Schweizer Raum nach den Ideen von Ulrich Zwingli und Johann Calvin durchsetzte. Als Ernst Friedrich zum reformierten Bekenntnis übertrat, erwartete er dies ab 1595 auch von seinen Untertanen. Das blieb nicht ohne Konflikte, etwa mit der Stadt Pforzheim, die ihren lutherischen Glauben nicht preisgeben wollte. Um den Wechsel zu unterstützen, verfasste er ein calvinistisches Glaubens­ bekenntnis, das er in seinem Sommerschloss Staffort drucken ließ. Das Werk zählt zu den anerkannten Bekenntnisschriften der reformierten Tradition und wurde unter dem Namen „Stafforter Buch” bekannt. Heute ist es ebenso wie die Durlacher Bibel im Pfinzgaumuseum in der Karlsburg in Durlach zu sehen. Nach dem Tod Ernst Friedrichs im Jahr 1604 wurde sein Bruder, der Luthera­

ner Georg Friedrich von Baden, zu seinem Nachfolger. Er entließ sogleich fast alle Geistlichen, Räte und Beamten seines Bruders sowie die Lehrer der Gymnasien. So wurde Durlach erneut zum Zentrum einer breit angelegten Konfessionalisierungskampagne. Noch über 200 Jahre lang wurden die theologischen Differenzen ausgetragen, bis sich schließlich 1821 die Reformierten und Lutheraner im ganzen – inzwischen zum Groß­ herzogtum gewordenen – Land Baden zu einer Landeskirche zusammenschlossen. Da hatte bereits Markgraf Karl-­ Wilhelm im Jahr 1715 von Durlach aus die Stadt Karlsruhe begründet und als neue Residenz erwählt. Sein Privilegien­ brief sorgte dafür, dass die Bevölkerung in der jungen Stadt rasch wuchs: Darin räumte er den Bürgern etliche Rechte ein und an allererster Stelle stand die Religionsfreiheit.


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Highlights ZKM Zentrum für Kunst und Medientechnologie: Vom Computerspiel bis zur Holographie – Interaktive Kunstwerke locken die Besucher an: Telefon 0721- 81000, www.zkm.de Pfinzgaumuseum Die Geschichte der einst selbstständigen Stadt Durlach wird in den Räumen der barocken Karlsburg gezeigt (Pfinztalstraße 9): Telefon 0721-1334222 Die Durlacher Stadtkirche mit ihrer spätbarocken Orgel.

Durlach und Karlsruhe Verwinkelte Gassen und schmucke Fachwerkhäuser beweisen es: Die Geschichte Durlachs reicht viele Jahrhunderte ­weiter in die Vergangenheit als die Karlsruhes. Die ehemals selbstständige Stadt wird deshalb in der Region auch häufig „Mutter von Karlsruhe” genannt. Beim Bummel durch die Altstadt zeigen sich hübsche Fassaden und hier findet sich auch die Karlsburg, in der die Markgrafen vor ihrem Umzug nach Karlsruhe residierten. Heute liegt darin das Pfinzgaumuseum, das sich der Geschichte Durlachs widmet. Der Hausberg Karlsruhes erhebt sich ebenfalls in diesem Stadtteil: Der nordöstlichste Gipfel des Schwarzwalds heißt

Deutlich jünger als die Reformation: Karlsruhe und sein Schloss.

Turmberg und ist 256 Meter hoch. Besucher steigen über das „Hexenstäffele” mit 528 Stufen zu ihm hinauf oder nutzen die älteste noch betriebene Standseilbahn Deutschlands. Oben angekommen können sie auf Rundwegen wandern und die weite Aussicht genießen. Auch die Fächerstadt Karlsruhe liegt von hier oben zu Füßen. Den Namen trägt sie, weil Markgraf Karl II. alle 32 Straßen und Alleen so anlegen ließ, dass sie in der Mitte auf seine Residenz zulaufen. Dadurch ergibt sich für den Stadtkern ein Grundriss in Fächerform. Das Schloss selbst ist seit 1921 Sitz des b ­ adischen Landesmuseums. Mit seinem Park bildet es auch heute den Mittelpunkt der Stadt – vor allem im Sommer, wenn viele Menschen das Grün zur Erholung nutzen. Nur ein ­kurzer Fußweg führt vom Schloss zur Majolika, in der seit mehr als 100 Jahren Kostbares aus Keramik nach Entwürfen von Malern, Bildhauern und ­anderen Künstlern entsteht. Dass in Karlsruhe Demokratiegeschichte geschrieben wurde, zeigt sich hier ebenfalls: Das Bundesverfassungsgericht liegt direkt am Park und nicht weit ­davon auch der Platz der Grundrechte. Dort prangen auf 24 roten Fahnen ­Texte, die sich mit dem Thema Recht und Unrecht auseinandersetzen. Wer sich weiter durch die Straßen treiben lässt, stößt auf Lokale, Läden und Ga­ lerien. In der Studentenstadt gibt es zudem ein breit gefächertes Kulturangebot, das vom Staatstheater bis zum Kulturverein „Tollhaus” reicht.

Badisches Landesmuseum Im Schloss werden die historische Kulturgeschichte und Lebens­ welten des badischen Landesteils lebendig: Telefon 0721- 9266514, ­ www.landesmuseum.de Stadtgarten In einer Gondoletta kann man über den See schaukeln, der von einem Park umgeben ist. Zum Gelände gehört auch der Zoo: Telefon 0721- 1336815 www.karlsruhe.de

Informationen Einkehren Hotel Restaurant Zum Ochsen, Pfinzstraße 64, 76227 Karlsruhe Telefon 0721- 943860 www.ochsen-durlach.de Gehobene Küche in Durlach mit Vinothek. Übernachten Schlosshotel, Bahnhofplatz 2, 76137 Karlsruhe Telefon 0721- 38320 www.schlosshotelkarlsruhe.de Zentral gelegenes Haus mit über hundertjähriger Tradition. Auskunft Karlsruhe Tourismus, Bahnhofplatz 6, 76137 Karlsruhe Telefon 0721- 37205383 www.karlsruhe-tourismus.de


Konstanz Veranstaltungen Das Konstanzer Konzil schrieb Geschichte. Der dort hingerichtete Jan Hus auch. Er wurde Luthers Vorbild.

Seenachtsfest Das historisch gewachsene Fest mit seinem ganz besonderen Flair findet jedes Jahr Anfang August statt. Mit Musik, Marktstraßen, Shows auf dem Wasser und Kinderprogramm. Das Feuerwerk ist ­eines der größten Seefeuerwerke Europas: www.seenachtsfest.de Fasnacht Konstanz ist eine Hochburg der schwäbisch-alemannischen Fasnet mit Hästrägern, Narrensprung und großem Umzug. Besonders ­beliebt ist die Straßenfasnacht am schmutzigen Donnerstag, wenn sich jedermann unter das närrische Treiben mischen kann.

Heute ein Restaurant: das Konzilgebäude am Bodenseeufer.

Konstanz und die Reformation Im Grunde beginnt die Geschichte der Reformation in der mittelalterlichen Freien Reichsstadt bereits vor 600 Jahren während des Konstanzer Konzils von 1414 bis 1418, als die Spaltung der Chris­ tenheit beendet und wieder ein von ­allen anerkannter Papst gewählt wurde. Damals kam auch ein Prager Theologe nach Konstanz, um Kritik zu üben und Missstände anzuprangern. Jan Hus ­wetterte gegen Konkubinen für Priester, Reichtümer der Kirche und die Käuf­ lichkeit von Bischofsämtern. Seine Glaubensüberzeugungen brachten den unbequemen Vorreformator noch während des Konzils auf den Scheiterhaufen. Für Martin Luther aber war Hus ein Held des Glaubens und ein Vorbild, auf das er sich berief, als er 100 Jahre danach die Kirche wieder zu einer Erneu­ erung führen sollte. Nur wenige Monate nach Luthers Thesen-

anschlag in Wittenberg wurden seine Schriften in Konstanz bekannt und mit Begeisterung aufgenommen – nicht ohne den Hintergedanken, den katholischen Bischof zu entmachten und aus der Stadt zu jagen. Der verlegte denn auch seinen Sitz nach Meersburg auf der anderen Seeseite. Zwei Kirchenmänner, Ambrosius Blarer und Johannes Zwick, trieben die Reformation in ­Konstanz mit ihren Predigten voran und vertraten dabei eine von Luther abweichende Haltung, die die Besonderheit der Konstanzer Reformation ausmacht. So wurde auf eine Lebensführung im Einklang mit Gottes Wort größten Wert gelegt. Das Konstanzer Gemeinwesen war bemüht „zu sein ein Volk, das Gott gefall”. Dieses Streben mündete unter anderem in eine Zuchtordnung wider den Zerfall der Moral, die umfangreiche ­Unterstützung von Armen und Kranken sowie in eine eigene Abendmahlslehre.

Flohmarkt Feilschen vor einmaliger Kulisse und bei Kerzenschein, 24 Stunden, 14 Kilometer – der große grenzüberschreitende Flohmarkt in Konstanz und Kreuzlingen im Juni gilt als einer der schönsten Europas und ist ein großes Bürgerfest.

Sie besagt, dass das Entscheidende nicht die Handlung, sondern der Glaube sei: „Ohne den Glauben würde das Abendmahl niemals würdig gehalten.” Zu ­diesem frühen Zeitpunkt war das außergewöhnlich. Sogar ein eigenes Kirchengesangbuch haben die Konstanzer Refor­ matoren herausgegeben mit Liedern von Ambrosius Blarer und Johannes Zwick. Doch Konstanz kam nicht zur Ruhe, und die Reformation endete unter Gewalt: 1548 zwangen die Habsburger die Stadt zur Rekatholisierung. Das Domkapitel zog wieder in Konstanz ein. Es dauerte gut 200 Jahre, bis sich in Konstanz wieder protestantisches Leben regte. Erst seit dem 19. Jahrhundert gibt es in der Stadt eine kontinuierlich bestehende evangelisch-landeskirchliche Gemeinde. Ihr gehört die Lutherkirche, deren Grundstein am 6. Juli 1865 gelegt wurde zum 450. Todestag von Jan Hus.


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Highlights Hus-Museum Das Fachwerkhaus am Schnetztor war der Überlieferung nach die Herberge des böhmischen Gelehrten Jan Hus vor seiner Verhaftung im November 1414. Hussenstraße 64, 78462 Konstanz Telefon 07531- 29042

Längst ein Besuchermagnet: die umstrittene Hafenfigur Imperia.

Konstanz am Bodensee Da steht sie am Hafen, mit üppigen Kurven und viel zu großer Oberweite, die Augen halb geschlossen, das Kleid offen. Imperia ist eine Frau von so sinnlicher wie imposanter Gestalt: neun ­Meter hoch und 18 Tonnen schwer. Gegen das heutige Wahrzeichen der größten Stadt am Bodensee hatten viele Kon­ stanzer heftig rebelliert, und während sie stritten, wurde Imperia zum Pub­ likumsliebling und zu einem Besuchermagnet. Auf ihren Händen trägt die Skulptur von Peter Lenk zwei klapprige, nackte Männlein: Papst und Kaiser. Denn die Kurtisane war vor 600 Jahren die heimliche Herrscherin des Kon­­ stanzer Konzils. Schön. Unwiderstehlich. Mächtig. In unmittelbarer Nachbarschaft befindet sich das Konzilgebäude, ein ehemaliges Lagerhaus. 1417 wurde hier der neue Papst gewählt. Damals war in der Kon­ stanzer Altstadt die Hölle los. Sie wird von Bodensee und Seerhein umspült und lehnt sich mit dem Rücken an die Schweiz, mit der sie fast schon zusam-

mengewachsen ist. Vom Hafen sind es nur wenige Schritte zum Rathaus­ ensemble, dessen sehenswerter Innenhof deutlich vom Geist der italienischen Renaissance geprägt ist. Noch ein paar Gassen weiter, die zum gemüt­ lichen Bummeln einladen, erhebt sich das zweite markante Gebäude von ­Konstanz: das Münster mit Krypta, Kreuzgang und reichem Figurenschmuck. Nördlich des Münsters stößt man auf den ältesten und touristisch wenig bekannten Stadtteil Niederburg mit seinen stillen Gassen, hübschen kleinen Läden und gemütlichen Weinstuben sowie der Spitalkellerei, wo man die Tropfen im Rahmen einer Weinprobe verkosten kann. Außerhalb der urbanen Zone besitzt die quirlige Universitätsstadt aber noch mehr Perlen: Strandbäder, ein ausgedehntes Schifffahrtsnetz mit Verbin­ dungen nach Meersburg, Lindau und Friedrichshafen, das artenreiche Naturschutzgebiet Wollmatinger Ried und ­natürlich die unvergleichliche Blumeninsel Mainau.

Bodenseeschifffahrt Fast das gesamte Jahr können die Gäste mit den Ausflugsdampfern kreuz und quer über den See fahren: www.bsb.de An vier bis fünf Sommersonntagen gibt es ökumenische Gottesdienste auf dem See. Tourist-Information Bodman-Ludwigshafen, Telefon 07773 - 930040, www.kirche-imtourismus-am-­bodensee.de Insel Mainau Die Blumeninsel liegt wie eine Perle im See. Mit Schmetterlingshaus, Palmenhaus, Arboretum, Spielplatz und saisonalen Blütenschauen. Eintritt 18 Euro; Telefon 07531- 3030; www.mainau.de

Informationen Einkehren Konzil Konstanz, Hafenstraße 2 Telefon 07531- 21221 www.konzil-konstanz.de Frische Bodenseefelchen mit Blick auf den Hafen. Übernachten Hotel Barbarossa Obermarkt 8 – 12, 78462 Konstanz Telefon 07531- 128990 www.hotelbarbarossa.de Zentral in der Altstadt gelegenes Haus mit viel Atmosphäre, Zimmer rustikal bis minimalistisch ein­ gerichtet. Auskunft Tourist-Information Bahnhofplatz 43, 78462 Konstanz Telefon 07531- 133030 www.konstanz-tourismus.de

Blick auf das Konstanzer Münster, die Altstadt und den Bodensee.


Maulbronn Veranstaltungen Das Kloster Maulbronn ist UNESCO-Weltkulturerbe und gilt als die am besten erhaltene Klosteranlage nördlich der Alpen. Bis heute gibt es dort eine evangelische Schule aus der Zeit der Reformation.

Klosterkonzerte Hochkarätig. Finden seit über 40 Jahren von Mai bis September in der Klosterkirche, im Laienrefektorium und im Kreuzganggarten statt: www.klosterkonzerte.de Klosterfest Jährlich Ende Juni im Klosterhof, mit Umzügen und mittelalterlichen Darbietungen. Kräuter- und Erntemarkt Klostermanufakturen präsentieren Mitte September ihre Produkte im Klosterhof: www.kraeuterhexe-­ galerie.de Themenführungen Eine Sonderführung für Genießer, Familien oder mit einem Mönch im Gewand bringt das Klosterleben auf eine ganz besondere Art näher: www.kloster-maulbronn.de Weihnachtsmarkt Sehr malerisch ist der Weihnachtsmarkt im Klosterhof an einem ­Wochenende Anfang Dezember.

Komplett erhaltenes Kloster aus dem Mittelalter: das UNESCO-Welterbe Maulbronn.

Maulbronn und die Reformation 1556 wurde Maulbronn zusammen mit zwölf anderen Abteien in Württemberg in eine evangelische Klosterschule umgewandelt. Der Grund dafür war ein ganz einfacher: Die junge evangelische Kirche hatte keine Pfarrer und musste schleunigst Nachwuchs ausbilden. Die im romanischen und gotischen Stil ­errichteten Gebäude der ZisterzienserMönche schienen dafür bestens ge­ eignet: Bewusst verzichtete man auf größere Um- oder Neubauten, so dass die einmalige Klosteranlage fast komplett original erhalten blieb. Die Reformation in Württemberg war auch das Ende des Mönchsklosters. Die württembergischen Herzöge lösten die Klöster auf und zogen deren Vermögen ein. Die Zeit zwischen dem Beginn der Reformation und der endgültigen Auf­

lösung des Klosters war turbulent verlaufen: 1534 hatte man den Abt aufgefordert, das Vermögen des Klosters offen zu legen. Stattdessen floh er mit dem gesamten Kapital und den Dokumenten über den Rhein und verschanzte sich in einem Klosterhof in Speyer. Die ver­ bliebenen Mönche weigerten sich, einen Nachfolger zu wählen, und für kurze Zeit wurde Maulbronn zu einem Zufluchtsort für Zisterzienser, die am alten Glaubensleben festhalten wollten. Vergebens. Sie wurden schon 1537 vertrieben. 1558 wurde Valentin Vannius zum ersten evangelischen Klosterschulvorsteher ernannt. Sein offizieller Titel lautete übrigens weiterhin Abt, und das sollte auch bis ins frühe 19. Jahrhundert so bleiben, bis die Schulleiter dann den etwas weltlicheren Begriff Ephorus bekamen. Zeit-

gleich wurden die Klosterschulen in Evangelische Seminare umbenannt. So heißt es bis heute: Das Evangelische Seminar Maulbronn hat den Wandel der Zeiten überlebt und ist neben der Klosterschule in Blaubeuren als einzige aus der Zeit der Reformation erhalten geblieben. Heute ist sie ein altsprach­ liches Gymnasium mit Internat, das ­gemeinsam vom Land Baden-Württemberg und der Evangelischen Landes­ kirche in Württemberg getragen wird. Die Schüler wohnen in den Räumen der ehemaligen Klosterklausur und sorgen dafür, dass das Kloster auch heute noch ein lebendiger Ort der geistigen und geistlichen Auseinandersetzung ist. Dazu trägt auch die evangelische Kirchengemeinde in Maulbronn bei, die jeden Sonntag in der alten Klosterkirche Gottesdienst feiert.


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Highlights Klosterbesichtigung Das Kloster Maulbronn hat von März bis Oktober täglich geöffnet, im Winter ist montags geschlossen. Es gibt täglich zwei Führungen: Telefon 07043-926610, www.kloster-maulbronn.de

Ort vieler berühmter Konzerte: die Maulbronner Klosterkirche.

Maulbronn und das Welterbe In Maulbronn ist fast alles irgendwie mit dem Kloster verbunden: Die An­ lage ist in ihrer Dimension und Bedeutung so einmalig, dass sie 1993 zum UNESCO-Weltkulturerbe erklärt wurde – als erste in Baden-Württemberg überhaupt. Wer immer ein Kloster aus dem Hochmittelalter komplett und unzerstört erleben möchte, ist hier richtig. Viele Themenführungen der Staat­ lichen Schlösser und Gärten bringen das 1147 erbaute Kloster und seine besondere Geschichte näher. Wie war das damals, als die Zisterzienser sich niederließen und was unterscheidet sie eigentlich von den Benediktinern? Und stimmt es, dass die Maultaschen

Lange Tradition: Die heutige Schule geht auf die Reformation zurück.

so heißen, weil sie in Maulbronn erfunden wurden? Voller Anekdoten ist auch die Zeit der berühmten Klosterschüler, die das Maulbronner Seminar besuchten: Der Astronom Johannes Kepler gehörte zu ihnen, aber auch Friedrich Hölderlin, Eduard Mörike und Hermann Hesse. Das völlig neu gestaltete Literaturmuseum innerhalb der Klostermauern erzählt von ihnen, aber auch von früheren Zeiten, als die Mönche noch mühevoll von Hand Bücher abschrieben. Da ist Musik drin in der Maulbronner Geschichte und die erklingt jedes Jahr von Mai bis September in Form der ­berühmten Klosterkonzerte. Seit über 40 Jahren ertönen die Klänge in den Klostermauern und ziehen Tausende von Besuchern an. Wenn sie wollen, können sie auch wandern: Unter dem Motto „Wasser, Wein und Wald in zisterziensischer Kulturlandschaft” wurden sechs Rundwanderwege angelegt. Wer nach Abkühlung sucht, kann in den Tiefen See eintauchen, der im 12. Jahrhundert ebenfalls von den Mönchen in Maulbronn angelegt wurde. Im idyllisch gelegenen Maulbronner Ortsteil Schmie ist schließlich das Dorfmuseum Steinhauerstube einen Besuch wert. Der bedeutendste Steinhauer war im 15. und 16. Jahrhundert ein Mann namens Conrad von Schmie. Seine Spur der Steine führt – wie könnte es anders sein – natürlich auch ins nahe Zister­ zienserkloster.

Literaturmuseum Unter dem Titel „Besuchen. Bilden. Schreiben” wurde ein neugestaltetes Literaturmuseum eröffnet, das von den Mönchen bis zum Semi­ narschüler Hermann Hesse reicht: www.maulbronn.de Klosterroute Die Klosterroute Nordschwarzwald verbindet die drei Klöster Maulbronn, Hirsau und Alpirsbach. ­ Es gibt Rad-, Wander- und Übernachtungsangebote: www.calw.de/­ klosterroute-nordschwarzwald

Informationen Einkehren und Übernachten Das Restaurant Klosterschmiede und das Hotel Klosterpost befinden sich auf dem Klostergelände: www.klosterschmiede.de Evangelisches Seminar Altsprachliches Gymnasium mit Internat für Schülerinnen und Schüler ab Klassenstufe 9: www.seminar-maulbronn.de Auskunft Kloster Maulbronn Klosterhof 5 75433 Maulbronn Telefon 07043 - 926610 info@kloster-maulbronn.de www.kloster-maulbronn.de


Pforzheim Wer der Reformation in Pforzheim auf die Spur kommen will, muss in die Altstadtkirche gehen. Dem Wirken Reuchlins begegnet man hingegen überall in der Stadt.

Veranstaltungen Ausstellung „Anwälte der Freiheit! Humanisten und Reformatoren im Dialog”: 13. September bis 8. November 2015, Ausstellung im Reuchlinhaus Pforzheim. City on Ice Jedes Jahr zur Adventszeit kann man umgeben vom Weihnachtsmarkt Schlittschuhlaufen auf dem Pforzheimer Marktplatz. Oechsle-Fest Alljährlich stattfindendes sommerliches Weinfest, benannt nach dem Pforzheimer Erfinder Ferdinand Oechsle, der der Maßeinheit für das Mostgewicht ihren Namen gab: www.ws-pforzheim.de Pforzheim mit dem 82 Meter hohen Turm der Evangelischen Stadtkirche.

Pforzheim und die Reformation Die älteste Kirche Pforzheims ist die Altstadtkirche, auch wenn man es ihr nicht auf den ersten Blick ansieht. Ihre Anfänge reichen bis ins 7. Jahrhundert zurück. Doch die Schlosskirche St. Michael lief ihr bald den Rang ab. Mit der Erhebung der Schlosskirche zur Stiftskirche im Jahre 1460 war es vorbei mit der Selbstständigkeit der Altstädter Pfarrei: Sie wurde direkt St. Michael unterstellt. Die Reformation verlief in Pforzheim eher zögerlich, was hauptsächlich mit der abwartenden Haltung der badischen Markgrafen zu tun hatte. Der aus Pforzheim stammende Johannes Schwebel, der später das Augsburger Bekenntnis mit unterzeichnete, begann 1519 in der Spitalkirche mit Predigten im Sinne Luthers, musste jedoch 1521 Pforzheim auf Befehl des Markgrafen wieder verlassen.

Ihm folgte Johannes Unger, der in jungen Jahren Hauslehrer Philipp Melanchthons in Bretten war und intensive Kontakte zu den Reformatoren pflegte. 1524 erhielt er die Predigerstelle an der Schlosskirche St. Michael. Das war nicht einfach, zeitweise landete er sogar im Gefängnis, bis ihn Markgraf Ernst, der ab 1535 regierte, unter seinen Schutz stellte. Doch erst Ernsts Sohn, Markgraf Karl II., führte 1556 die Reformation in seinem Landesteil ein und erließ eine neue lutherische Kirchenordnung. Die drei Pforzheimer Klöster wurden aufgelöst. An der Altstadtkirche lässt sich besonders gut der Wandel der Bildsprache von der spätmittelalterlichen Frömmigkeit mit ihrer Marien- und Heiligen­ verehrung zur evangelischen Glaubensauffassung, die Christus ins Zentrum rückt, ablesen. Die Wandmalereien im

Chor, nach der weitgehenden Zerstörung der Kirche beim Luftangriff vom 23. Februar 1945 entdeckt und später freigelegt, stammen aus der Zeit um 1440. Das größte Bild ist Maria als Himmelkönigin gewidmet. Sie ist die oberste Fürbitterin für die sündige Menschheit – eine Heilslehre, die Luther dezidiert ablehnte. Auf den beiden noch erhaltenen bürger­ lichen Grabdenkmälern aus dem frühen 17. Jahrhundert wird hingegen ganz im evangelischen Sinne Jesus Christus ins Zentrum gerückt. Bemerkenswert sind auch die Grabsteine früher evangelischer Pfarrer der Altstadtkirche, ins­ besondere der von Joachim Giftheil (1585), der dreisprachig abgefasst wurde: lateinisch, griechisch und hebräisch. Joachim Giftheil steht damit in der Tradition des Pforzheimer Humanisten Johannes Reuchlin.


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Highlights Altstadtkirche St. Martin Evangelische Altstadtgemeinde, Ab­ nobastr. 3, 75175 Pforzheim, regelmäßig öffentliche Führungen, Termine unter www.altstadtkirche.de, Sonderführungen unter Telefon 07231- 313360.

Ein Stück altes Pforzheim: die Schlosskirche St. Michael.

Pforzheim und Johannes Reuchlin Sein Name ist überall präsent in Pforzheim: Johannes Reuchlin. Der große Humanist, Jurist und Sprachlehrer ging als Inbegriff der Toleranz in die Geschichte ein. Eine Toleranz, die er allen Widerständen zum Trotz gegenüber Menschen jüdischen Glaubens zum Ausdruck brachte. Es gab keinen Christen in seiner Zeit, der den hebräischen Urtext des Alten Testaments besser beherrschte als Johannes Reuchlin. Für Luther war seine Übersetzung der Bußpsalmen eine unverzichtbare Quelle. 1455 wurde Johannes Reuchlin in Pforzheim geboren. Zwei Standbilder unweit der Schlosskirche erinnern an Johannes Reuchlin und seinen Großneffen, den Reformator Philipp Melanchthon.

Denkmal für den Humanisten Johannes Reuchlin vor der Schlosskirche.

Fast 18.000 Einwohner kamen ums Leben, als kurz vor Ende des Zweiten Weltkriegs ein Luftangriff die Stadt weitgehend auslöschte. Auch die Schlosskirche St. Michael wurde zerstört. Heute präsentiert sich das his­ torisch getreu wiederhergestellte Bauwerk als ein Juwel sakraler Kunst mit Farbglasfenstern der Moderne. Landesweit bedeutsam ist die Kirche als Grablege der badischen Markgrafen ­sowie als Sitz des Johannes-ReuchlinMuseums. Es wurde 2008 im wieder aufgebauten Sakristei- und Bibliotheksanbau am Chor der Schlosskirche er­ öffnet und zeichnet auf vier Etagen Leben, Werk und Wirkung des Humanisten nach. Nicht zu verwechseln ist das ReuchlinMuseum mit dem Reuchlin-Haus in Pforzheim. Zwar steht im Stadtgarten vor dem Reuchlinhaus ein 1995 er­ richtetes Denkmal, das Motive von Reuchlins Sprachen und Büchern aufgreift – das Gebäude selbst ist aber ein Kulturzentrum, in dem unter anderem das Schmuckmuseum Pforzheim untergebracht ist. Denn auch für die lange Tradition der Schmuck- und Uhrenherstellung ist Pforzheim bekannt, was ihr auch den Beinamen Goldstadt einbrachte. Einen großen Einblick in die Geheimnisse der Mineralien, Gold- und Glaskunst er­ halten Besucher in der modernen interaktiven Ausstellung der Pforzheimer Schmuckwelten, wo man sogar selbst Hand anlegen und sein eigenes Schmuckstück gestalten kann.

Reuchlin-Museum Schloss- und Stiftskirche St. Michael, Schloßberg 14, 75175 Pforzheim: Telefon 07231- 392113, www.pforzheim.de, www.literaturland-bw.de/museum/info/112, geöffnet Montag und Mittwoch 14 bis 17 Uhr, Sonntag 12 bis 17 Uhr. Schmuck-Museen Zum Thema Schmuck gibt es gleich drei Ausstellungen: die modernen ­ Schmuckwelten (www.schmuckwelten.de), das Schmuckmuseum (www.schmuckmuseum-pforzheim.de) und das Technische Museum der Pforzheimer Schmuck- und Uhrenindustrie: www.technisches-­ museum.de

Informationen Einkehren Ketterers Braustüble Jahnstraße 10, 75173 Pforzheim Telefon 07231- 21732 www.ketterers-braustueble.de Übernachten Parkhotel Pforzheim, Deimlingstraße 32 – 36, 75175 Pforzheim, Telefon 07231-1610, www.parkhotelpforzheim.de; Hohenwart Forum, Schönbornstraße 25, 75181 Pforzheim, Telefon 07234 - 6060, www.hohenwart.de. Kirchliches VCH-Hotel. Auskunft Tourist-Information Pforzheim,
 Schloßberg 15 – 17,
75175 Pforzheim, Telefon 07231- 393700, www.pforzheim.de/tourismus.html


Ravensburg Hier regierte der Kompromiss: Im oberschwäbischen Ravensburg mussten sich Evangelische und Katholische Jahrhunderte lang die Kirchen und die Ämter teilen. Veranstaltungen Ravensburger Rutenfest Traditionelles Schüler- und Stadtfest vor Beginn der Sommerferien. Großer Festumzug am Ruten­ montag mit über 5.000 Mitwirkenden: www.das-rutenfest.de Christkindlesmarkt Die historische Altstadt bietet den stimmungsvollen Rahmen für den Weihnachtsmarkt, der vier Wochen lang täglich geöffnet hat: www.ravensburg.de Kirchenmusik In der Evangelischen Stadtkirche in Ravensburg finden jährlich rund 30 Konzerte statt. Die Palette reicht dabei von Orgelmusik über Posaunenchöre, Orchesterdar­ bietungen und Vokalensembles: www.kirchenmusik.evkirche-rv.de Spitalkapelle: Auch hier herrschte strenge Parität der Konfessionen.

Ravensburg und die Reformation Im Augsburger Religionsfrieden von 1555 und im Westfälischen Frieden von 1648 wurde festgelegt, dass vier freie Reichsstädte bikonfessionell regiert werden sollten: Augsburg, Dinkelsbühl, Biberach und Ravensburg. Das bedeutete nichts anderes, als dass beide Konfessionen hier ihren Platz hatten, wohingegen sonst ein Entweder-Oder zwischen der alten und der neuen Lehre galt. 250 Jahre lang war das so und noch bis heute ist die Tradition dieser so genannten Parität und der damit verbundenen Notwendigkeit der Kompromiss­ bereitschaft in religiösen Fragen im Bewusstsein der Bürger präsent. Ravensburg war quasi eine eigene „Landeskirche”, mit eigenem Katechismus und eigenem Gesangbuch. Auch die Ämter der Stadt mussten streng gleichbe­ rechtigt mit Evangelischen und Katho­

lischen besetzt werden. Im Westfälischen Frieden nach dem Dreißigjährigen Krieg wurde die Parität in den vier Reichsstädten noch einmal bestätigt. Verhältnismäßig spät, nämlich 1546, war Ravensburg evangelisch geworden, für knapp drei Jahre war die Stadt sogar ganz protestantisch. Danach regelte ein städtischer Vertrag, dass die Stadtkirche gleichzeitig von den römisch-katholischen Karmelitern und der evangelischen Gemeinde genutzt werden durfte. Das war so bis 1810, als Ravensburg zu Württemberg kam. Im Zuge des planmäßigen Ausbaus der Stadt ab 1340 waren die Karmeliter-Mönche nach Ravensburg gekommen. 1349 wurde eine erste Kirche geweiht, die vermutlich die flächenmäßigen Ausmaße des Chores hatte. Die Karmeliter waren sehr „erfolgreich”, sie konzentrierten sich auf Predigt und Seelsorge, die Bürger hono-

rierten das mit zahlreichen Schenkungen. 1450 erhielten der Konventsbau und die Kirche das heutige Aussehen. Von einem Umbau im neugotischen Stil (1859 – 1862), der Mitte der 1960er-Jahre wieder rückgebaut wurde, sind noch die Fenster im Südschiff erhalten. Sie zeigen wichtige Personen der Reformation. Eine wichtige Größe in der Reichsstadt war das „Hospital zum Heiligen Geist” und die dazugehörige Stiftung. Ganze Dörfer in der Umgebung gehörten ­dieser Stiftung, deren Hauptaufgabe es war, bedürftige Ravensburger Bürger im Gebäude in der Bachstraße zu versorgen. Parität hieß, dass auch diese Stiftung von beiden Konfessionen verwaltet wurde. Lange Zeit gab es evan­ gelische und katholische Flure und Stockwerke. Sehenswert ist die bis heute ­paritätisch genutzte Kapelle im HeiligGeist-Spital im Erdgeschoss.


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Highlights Turmbesteigung Der Blaserturm ist von April bis Oktober täglich geöffnet. Hervorragende Aussicht über die gesamte Altstadt und an klaren Tagen sogar bis zum Bodensee und Säntis: www.ravensburg.de

Die Stadt der vielen Türme: Ravensburg mit der Stadtkirche im Vordergrund.

Ravensburg und seine Türme Mit seinen 14 Tor- und Mauertürmchen wird Ravensburg auch die „Stadt der Türme und Tore” genannt. Das spätmittelalterliche Stadtbild ist in Ravensburg fast komplett erhalten geblieben. Insbesondere in der Marienstraße entfaltet es seine ganze Pracht, der viereckige Blaserturm bildet dort das weithin sichtbare Zentrum. Er misst 51 Meter, kann bestiegen werden und ist ebenso hoch wie der sogenannte Mehlsack, der als Wahrzeichen Ravensburgs gilt. Markante Gebäude der Altstadt sind auch das schneeweiße Waaghaus mit seinem Treppengiebel, das Lederhaus mit seinen Malereien und Giebelver­

Typisch Ravensburg: Haus mit Treppengiebel in der Altstadt.

zierungen und das spätgotische Rathaus mit seinem prunkvollen RenaissanceErker. Eine reizvolle Umgebung, um im Sommer draußen zu sitzen und Kaffee zu trinken. Ein reizvoller Rundgang führt vom Frauentor nördlich der Liebfrauenkirche in westlicher Richtung entlang der Stadtmauer. Entlang der Markt­ straße kann man zahlreiche alte Patrizierhäuser entdecken und das im Barockstil erbaute Alte Theater. In der Marktstraße 26 ist auch das Stammhaus einer Firma, die den Namen Ravensburg in alle Welt hinausgetragen hat: Im alten Gebäude des Spieleverlags Otto Maier ist heute das Museum der Ravensburger Spiele untergebracht. Außerhalb der Stadt, im nahen Meckenbeuren, betreibt die Firma überdies ­einen Freizeitpark, der den Titel „Ravensburger Spieleland” trägt. Von dort ist es dann auch nur noch einen Katzensprung an den Bodensee: Wer in Ravensburg ist, der hat auch binnen kurzem die Ufer von Lindau, Langenargen oder Friedrichshafen erreicht. Für Museumsfreunde gibt es übrigens eine Reihe weiterer interessanter Ausstellungen in Ravensburg: So ist im ehemaligen Gebäude der Familie Humpis, die für Ravensburg ähnliche Bedeutung hat wie die Fugger für Augsburg, eine historische Schau eröffnet worden, die die Geschichte von Menschen in der Stadt erzählt. Überdies ist der Wirtschaftsgeschichte in Ravensburg ein Museum gewidmet und ein modernes Kunstmuseum mit Werken des Expressionismus entstanden.

Evangelische Stadtkirche Die ehemalige Karmeliter- und heutige Evangelische Stadtkirche ist täglich geöffnet. Kirchenfüh­ rungen gibt es beim Pfarramt auf Anfrage unter Telefon 0751- 22446, www.ravensburg-evangelisch.de Museum Humpis-Quartier Für 2017 ist eine Ausstellung zum Thema „Reformation in der Reichsstadt Ravensburg” im Mu­ ­ seum Humpis-Quartier geplant: www.museum-humpis-quartier.de Ravensburger Spiele In der Marktstraße 26 befindet sich das große Spielemuseum, in Meckenbeuren der Freizeitpark Ravensburger Spieleland: www.ravensburger.de www.spieleland.de

Informationen Einkehren Kuppelnauwirtschaft, Kuppelnau­ straße 18, 88212 Ravensburg Telefon 0751- 3592829 www.kuppelnauwirtschaft.de Übernachten Gasthof Ochsen, Eichelstraße 17, 88212 Ravensburg Telefon 0751- 25480 www.ochsen-rv.de Hotel Waldhorn, Marienplatz 15, 88212 Ravensburg, Telefon 0751- 36120, www.waldhorn.de Auskunft Tourist Information Kirchstraße 16, 88212 Ravensburg Telefon 0751- 82800 www.ravensburg.de


Reutlingen Früh kam die Reformation in die Stadt. 1530 war Reutlingen neben Nürnberg sogar die einzige Reichsstadt, die das Augsburger Bekenntnis unterzeichnete.

Veranstaltungen Schwörtag Am zweiten Sonntag nach dem 4. Juli feiern die Reutlinger mit ­einem Umzug und einem bunten Programm ihre Vergangenheit als freie Reichsstadt: www.reutlingen.de Classic Open Air Jedes Jahr im Juli erklingen Chöre, Arien und sinfonische Stücke im Kreuzeiche-Stadion. Krönender Abschluss ist ein Feuerwerk: www. philharmonia-chor-reutlingen.de Naturtheater Reutlingen Mit über 1.200 Sitzplätzen zählt es zu den größten Amateur-Freilichttheatern in Deutschland: www.naturtheater-reutlingen.de Wahrzeichen der Stadt: die Marienkirche mit dem über 70 Meter hohen Turm.

Reutlingen und die Reformation Die Geschichte der Reformation in der ehemaligen freien Reichsstadt ist eng mit dem Namen Matthäus Alber (1495 – 1570) verbunden. Der Sohn eines Reutlinger Goldschmieds lernte an der Universität in Tübingen Philipp Melanchthon kennen, den er als seinen Lehrer bezeichnete. 1520 wechselte Alber kurzzeitig nach Freiburg, wo er auch die Schriften Luthers studierte. Als ihn 1521 die Reutlinger zum Prediger beriefen, verkündete er in seiner Heimatstadt die Kernelemente aus Luthers Lehre – sehr zum Missfallen des Bischofs und der vorderösterreichischen Regierung. Das württembergische ­Gebiet um Reutlingen stand zwischen 1519 und 1534 nämlich unter öster­ reichischer Herrschaft. Doch die Reutlinger Bürgerschaft drängte ihren Rat dazu, „bei dem Gotteswort zu bleiben”

und sich auf die von Alber verkündete Lehre festzulegen. Weil dies auf dem Marktplatz beschlossen wurde, heißt das Ereignis aus dem Jahr 1524, das in den folgenden Jahrhunderten auch stets alle Kinder in den Reutlinger Schulen beschäftigte, Markteid. Kurz darauf wechselte auch die Führung im städtischen Regiment: Neues Stadtoberhaupt wurde Jos Weiß, Bäcker und Befürworter der Reformation. Das Reutlinger Heimatmuseum zeigt heute Porträts dieser beiden Männer und dazu viele weitere Zeugnisse der spannenden Kirchen- und Re­ formationsgeschichte der Stadt. Mit dieser Unterstützung wagte Alber weitere Schritte und feierte 1524 in Reutlingen die erste deutsche Messe. Die Reaktion blieb nicht aus: Wenige Monate später musste er bei einem Verhör vor Vertretern des Reichsregiments in Esslingen Rede und Antwort stehen

und bekannte sich klar zu seinen theologischen Anschauungen, die sich eng an die Luthers anlehnten. Die Räte ­ließen ihn ziehen – wohl auch deshalb, weil sich andere Städte schützend auf die Seite Reutlingens schlugen. Alber erarbeitete daraufhin in seiner Heimatstadt eine neue Gottesdienstordnung, die Luthers Zustimmung fand. So festigte sich hier die Reformation und Reutlingen reihte sich 1529 in die Gruppe der Reichsstädte ein, die auf dem Reichstag zu Speyer gegen den Versuch König Ferdinands protestierten, das Wormser Edikt mit aller Strenge durchzusetzen. Auf dem nachfolgenden Reichstag zu Augsburg im Jahr 1530 war Reutlingen neben Nürnberg die einzige Reichsstadt, die das gemeinsame Augsburger Bekenntnis der evangelischen Stände, die „Confessio Augus­ tana”, unterzeichnete.


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Highlights Pomologie und Volkspark Die Pomologie wurde 1860 als Übungsgelände der „Lehranstalt für Pomologie, Obstkultur und Gartenbau” angelegt. Heute bildet sie mit dem Volkspark eine Grünanlage mit Obstbäumen und Wasserspielen: www.tourismus-reutlingen.de Marienkirche 1247 und 1343 errichtet, im 19. Jahrhundert im neogotischen Stil restauriert. Heute ist die ­Kirche ein „Nationales Kulturdenkmal”. Besucher können auf den Turm steigen und im Sommer OrgelKonzerte hören. www.neue-­ marienkirchen-gemeinde.de

Belebte Einkaufsmeile: die Reutlinger Fußgängerzone.

Reutlingen und seine Kultur Das Tübinger Tor aus dem 13. Jahrhundert ist einer von mehreren Türmen ­ der Stadtbefestigung, die Reutlingen umschloss. Ein großer Brand hat im Jahr 1726 zwar manches unwiederbringlich zerstört, doch dem Wiederaufbau ist auch etwas Kurioses zu verdanken: die engste Straße der Welt. Die Spreuerhofgasse ist nur 31 Zentimeter breit und ein beliebtes Fotomotiv bei Besuchern. Den Marktplatz säumen Zunftund Bürgerhäuser mit spitzen Giebeln. In unmittelbarer Nachbarschaft liegt die Marienkirche aus dem 14. Jahrhundert, in der der Reformator Matthäus Alber predigte. Mit ihrem mehr als 70 Meter hohen Turm ist die Kirche das Wahrzei-

Innenraum der Marienkirche: Hier predigte der Reformator Matthäus Alber.

chen der Stadt und eines der wich­ tigsten gotischen Bauwerke in Württemberg. Die mittelalterliche Blütezeit ist zwar vorbei, doch auch heute ist Reutlingen mit seinen über 110.000 Einwohnern ein wirtschaftliches Zentrum mit vielen Einkaufsmöglichkeiten und einem reichen Kulturleben. Erst 2013 wurde eine neue Stadthalle eröffnet, in der auch die Konzerte der Württembergischen Philharmonie Reutlingen zu hören sind. Seit Jahrzehnten gibt es das Theater in der Tonne, das eigens zum Reforma­ tionsjubiläum gemeinsam mit der evangelischen Gesamtkirchengemeinde ein Stück inszenieren wird. Mit dem Kunstverein Reutlingen und der Städtischen Galerie gibt es gleich zwei Einrichtungen, die sich mit zeitgenössischer Kunst beschäftigen und auch die Stiftung Konkrete Kunst ist hier zuhause. Überdies zeigt das Museum im Spendhaus Werke des Künstlers und Grafikers HAP Grieshaber. Für 2017 ist dort eine Ausstellung mit dem Titel „evangelisch. katholisch. Grieshaber und die Ökumene” geplant. Oberhalb der Stadt liegt ihr 700 Meter hoher Hausberg, die Achalm. Auf der Spitze des kegelförmigen Berges, auf dem einst die Burg der Grafen von Achalm thronte, findet man heute einen Aussichtsturm mit Blick über die Stadt, die umliegenden Orte und den Albtrauf. Ein Hotel mit Restaurant gibt es außerdem und auf der Terrasse kann man an lauen Abenden den Sonnenuntergang genießen.

­ Tulpenblüte und Samenmuseum Von den Samenhändlern im Stadtteil Gönningen erzählt das Sa­ menhandelsmuseum. Jedes Jahr strömen zwischen März und Mai Besucher hierher, um die Tulpenpracht zu bewundern: www.goenninger-tulpenbluete.de

Informationen Einkehren Altstadt Weinstube im Gasthof Achalm, Mauerstraße 20, 72764 Reutlingen Telefon 07121- 9942234 www.gasthof-achalm.de Traditionsreiches Gasthaus mit rustikaler Weinstube. Übernachten Achalm Hotel & Restaurant Achalm (Gewand) 2 72766 Reutlingen Telefon 07121- 4820 www.achalm.com Schlafen und Essen in bester Aussichtslage. Auskunft Tourist Information Reutlingen Marktplatz 2, 72764 Reutlingen Telefon 07121- 93935353 www.tourismus-reutlingen.de


Schwäbisch Hall Schwäbisch Hall ist die Stadt des Reformators Johannes Brenz. Auf der Freitreppe vor seiner Kirche finden jeden Sommer die­ ­bekannten Freilichtspiele statt.

Veranstaltungen Musik an St. Michael Breites Spektrum von traditioneller bis experimenteller Kirchen­ musik: www.musikanstmichael.de Freilichtspiele Theater und Show auf der Großen Treppe von St. Michael jeden ­Sommer von Juni bis August: www.freilichtspiele-hall.de Impulse der Reformation Veranstaltungsreihe zur Reforma­ tionsdekade. Prospekte in allen Kirchen und im Tourismusbüro. Es gibt auch Themenführungen: www.kirchenbezirkschwaebischhall.de Salztag Im Oktober lassen die Salzsieder ihre Traditionen aufleben. Besucher können sehen, wie mit viel Feuer und Rauch das weiße Gold des Mittelalters entstanden ist.

Kirche St. Michael: Hier predigte Johannes Brenz 26 Jahre lang.

Schwäbisch Hall und die Reformation 53 Stufen führen vom Rathaus und dem Marktplatz hinauf zur Kirche St. Michael, die Schwäbisch Hall weit sichtbar überragt. Die 1156 geweihte Kirche ist das zentrale Bauwerk der ­Reformation in Schwäbisch Hall. Hierher berief der Rat der freien Reichsstadt 1522 einen neuen Prediger, Johannes Brenz (1499 –1570). Während des Studiums in Heidelberg hatte er Martin Luther kennengelernt und war seither mit ihm verbunden. Bereits an Weihnachten 1526 feierte Johannes Brenz das Abendmahl erstmals in lutherischer Form mit der Gemeinde. Seit Mitte 1530 ist der Protestantismus in Schwäbisch Hall etabliert – und prägt die Stadt bis heute. 26 Jahre lang wirkte Johannes Brenz als Prediger in Schwäbisch Hall. Er war ein umsichtiger Reformator: Statt auf

Gewalt setzte er bei der Einführung der Reformation auf die Kraft des Wortes und der Überzeugung. Dadurch blieb der Bildersturm in Hall aus. Viele Kostbarkeiten in den Kirchen sind erhalten, wer einmal die Michaelskirche mit ihrer kostbaren gotischen Innenausstattung besucht, weiß, wovon die Rede ist. Auch konnten katholische Christen und Juden weiterhin ihren Glauben ausüben. Das Kloster Großcomburg außerhalb der Stadt blieb katholisch und ist bis heute mit seiner Fortbildungsakademie ein Ort der Bildung und der Kontemplation. Im 20. Jahrhundert kamen Muslime in die Stadt. Mit dem Bau der Mevlana-Moschee ist Schwäbisch Hall heute auch äußerlich als multireligiöse Stadt zu erkennen, mit einem Geist der Toleranz, der ganz in der Tradition von Johannes Brenz steht. Kirche, Schule, Diakonie: Von Johannes

Brenz gingen zahlreiche Impulse aus. Das Stadtarchiv am Marktplatz verwahrt dazu eine einzigartige Sammlung re­ formatorischer Dokumente. Im Schulwesen setzte sich Brenz für eine Auf­ hebung des Schulgelds und für einen freien Zugang der Jungen und der Mädchen zu Schule und Bildung ein. Auch die Unterstützung der Armen war Brenz ein wichtiges Anliegen. Das Diakoniekrankenhaus und verschiedene Einrichtungen für alte und behinderte Menschen fühlen sich bis heute diesem besonderen Erbe verpflichtet. Auch das Haus der Kirche mitten in der Stadt steht mit seinen Bildungsangeboten, diakonischen Hilfen und Angeboten der Kirchengemeinde allen Menschen offen. Es wird auch kurz Brenz-Haus genannt, zu Ehren des großen Haller Reformators und späteren Architekten der Württembergischen Landeskirche.


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Highlights Hällisch-Fränkisches Museum Die Reformationsabteilung des Hauses gibt Auskunft über Johannes Brenz in Schwäbisch Hall: www.schwaebischhall.de

Showtreppe vor der Kirche: Schwäbisch Halls Freilichtspiele sind sehr bekannt.

Die alte Salzstadt Hall Die St. Michaelskirche im Zentrum von Schwäbisch Hall bildet auch alljährlich die Kulisse für die bekannten Freilichtspiele. Das ist für die Schauspieler gar nicht so einfach, denn gespielt wird auf den 53 Stufen der Freitreppe, während das Publikum ebenerdig auf dem Marktplatz sitzt und gebannt das nächtliche Geschehen verfolgt. Dort ist auch das schlossähnliche Rathaus sehenswert und die mittelalterliche Altstadt einen ausführlichen Bummel wert. Die Entstehung und Entwicklung der Stadt Schwäbisch Hall hängt eng mit einer alten Salzquelle zusammen: Die freie Reichsstadt war zeitweise die bedeutendste Produktionsstätte für Salz im deutschen Südwesten. Seit 1924

wird kein Salz mehr gewonnen, aber das Brauchtum der Haller Salzsieder wird bis zum heutigen Tag gepflegt und Besuchern etwa im Rahmen der Salztage nähergebracht. Heute ist Schwäbisch Hall deutschlandweit bekannt als Sitz der gleichnamigen Bausparkasse. Die Stadt hat 37.000 Einwohner und besticht durch ihre schöne Lage im tief eingeschnittenen Kochertal. Vor allem im Sommer ist es ein lauschiges Vergnügen, dort am Fluss unter Kastanienbäumen zu sitzen, besonders ­malerisch ist die Umgebung am Unterwöhrd und Steinernen Steg, wo der ­Kocher mehrere Inseln bildet. Das aus Holz errichtete Globe Theater lädt dort regelmäßig zu Vorstellungen ein. Schwäbisch Hall ist auch eine Stadt der Kunst: He­ rausragend ist die Kunsthalle Würth mit ihrer modernen Ar­ chitektur und den wechselnden Exponaten der Gegenwartskunst. Auch in der Johanniterkirche sind immer wieder Ausstellungen zu sehen. ­Sehenswert ist auch die von ­alten Linden ­umgebene ­KathaHat die Reformation überstanden: Hochaltar in St. Michael von 1460. ­ri­nenkirche.

St. Michaelskirche Für Besucher täglich geöffnet. ­Informationen zu Führungen über das Gemeindebüro: Telefon 0791- 94674120 Diakonie-Pilgerweg Der einzige Diakonie-Pilgerweg in Deutschland beginnt in Schwäbisch Hall und führt bis nach ­Wilhelmsdorf. Er hat 46 Etappen, ­zentrale Orte der Reformation in Württemberg wie Reutlingen, Tübingen, Bad Urach, Esslingen und Stuttgart liegen auf der Strecke: www.diakonie-wuerttemberg.de Kunsthalle Würth Modernes Kunstmuseum mit vielfältigen Wechsel- und Themenausstellungen bekannter Künstler: www.kunst.wuerth.com

Informationen Einkehren Sudhaus an der Kunsthalle Würth, Lange Straße 35 /1, 74523 Schwäbisch Hall, Telefon 0791- 9467270, www.sudhaus-sha.de. Selbstgebrautes Bier und regionale Küche. Übernachten Hotel Hohenlohe, Weilertor 14, 74523 Schwäbisch Hall, Telefon 0791- 75870, www.hotel-hohen­ lohe.de. Lage am Kocher mit Panoramablick über die Altstadt. Auskunft Touristinformation, Am Markt 9, 74253 Schwäbisch Hall, Telefon 0791- 751600, www.schwaebischhall.de / erlebnisstadt.html


Speyer Veranstaltungen In Speyer wurde der Begriff Protestanten geboren und später eine große evangelische Kirche gebaut, die an ihn erinnert – das schlanke Gegenstück zum bekannten Dom.

Kantorei Regelmäßige Konzerte der Kantorei der Gedächtniskirche, anderer Chöre und Instrumentalmusiker in der Gedächtniskirche: www.gedaechtniskirchengemeinde.de Musiktage im Dom Jährlich finden im Dom „Interna­ tionale Musiktage” statt. Dabei stehen Orgel-, Symphonie- und Kammerkonzerte auf dem Programm: www.bistum-speyer.de, Stichwort Dommusik Altstadtfest Jährlich stattfindendes zweitägiges Straßenfest Mitte September mit viel Musik und Wasservergnügen: www.speyer.de Herbstmesse Jahrmarkt mit Fahrgeschäften auf dem Festplatz Ende Oktober. Geht über zwei Wochenenden: www.speyer.de

Speyer und der Kaiserdom: Früher einmal lag er außerhalb der Stadt.

Speyer und die Reformation Wer sich von Hockenheim kommend der Stadt Speyer nähert, sieht zunächst den mächtigen romanischen Dom, der das katholische Speyer, Sitz des gleichnamigen Bistums, repräsentiert. Erst kurz vor der Rheinbrücke erkennt man im Westen gelegen einen schlanken neugotischen Kirchturm. Er gehört zur so genannten „Gedächtniskirche der Protestation”. 1904 war sie eingeweiht worden, nachdem sich schon Kaiser Wilhelm I. 1870 für ihren Bau persönlich eingesetzt hatte. Zahlreiche Spenden waren aus dem gesamten Land zusammen­ gekommen. Die Reichsgründung und der Streit mit dem Papst und der katholischen Kirche hatten den Anstoß ge­ geben, dem katholischen Dom ein nationales evangelisches Monument ent­ gegenzusetzen – eben an jenem Ort, an dem der Begriff des Protestantismus

überhaupt erst geprägt worden war. Die „Protestation zu Speyer” war eine Erklärung von sechs Fürsten und 14 freien Reichsstädten auf dem Reichstag zu Speyer, die vom Kaiser die ungehinderte Ausbreitung des neuen evange­ lischen Glaubens forderten. Sie „protestierten” gegen die Verhängung der Reichsacht über Martin Luther und den Mehrheitsbeschluss, der sie zurück zum katholischen Glauben bringen sollte. Von da an wurden Evangelische auch Protestanten genannt. Speyer selbst hatte zunächst nicht zu den protestierenden Reichsstädten ­gehört, sondern war der alten Lehre treu geblieben. Politische Rücksichten hatten wohl den Ausschlag gegeben, denn Speyer war mit dem Reichstag 1526 Sitz des kaiserlichen Reichskammergerichts geworden. Ein bedeutender Ort im Mittelpunkt des Reiches, von 30 Reichstagen des 16. Jahrhunderts

fanden allein fünf in Speyer statt. Doch die neue Lehre fiel auch in der freien Reichsstadt am Rhein auf fruchtbaren Boden: Ab 1538 erwog der Rat der Stadt die Einführung der lutherischen Reformation, 1540 wurde mit ­Michael Diller der erste evangelische Pfarrer angestellt. Wenig später wurde Speyer dann ganz offiziell lutherisch. Der bekannte Dom und das katholische Bistum lagen zu diesem Zeitpunkt üb­ rigens außerhalb der Stadtgrenzen. Erst mit der Aufhebung der freien Reichsstädte unter Napoleon und der Neuordnung der Grenzen kam der Dom zurück nach Speyer und Speyer zur damals bayerischen Rheinpfalz. Heute ist Speyer Sitz eines katholischen Bischofs, des evangelischen Kirchenpräsidenten von der Pfalz und der jüdischen Kultusgemeinde, die dort inzwischen auch wieder eine neue ­S ynagoge hat.


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Highlights Protestantismus auf der Spur Durch die Gedächtniskirche und die Dreifaltigkeitskirche werden Themenführungen für Gruppen angeboten: www.speyer.de Die Gedächtniskirche ist Mittwoch Nachmittag, Samstag und Sonntag für Besucher geöffnet, Füh­ rungen auch übers Pfarramt: Telefon 06232 - 2890077, www.gedaechtniskirchengemeinde.de Historisches Museum der Pfalz Hier werden die Geschichte der Stadt und der Rheinpfalz dargestellt. Ferner wird der Domschatz gezeigt. Eine Abteilung ist auch dem Weinbau gewidmet: www.museum.speyer.de

Monumental: die evangelische Gedächtniskirche der Protestation.

Speyer und seine großen Kirchen Die „Gedächtniskirche der Protestation” ist neben dem Dom in Speyer die zweite große Kirchensehenswürdigkeit der Stadt. Ihr Kirchturm ist mit 100 Metern Höhe einer der höchsten in Deutschland und überragt sogar den Dom. Eine Besonderheit sind die Farbfenster der Kirche, die ein Stück weit den Zeitgeist des 19. Jahrhunderts widerspiegeln. So zeigt die Glasmalerei der Fenster des Kaiserchors die Vermischung allgemeinchristlicher, reformatorischer und politischer Motive: Christus, Paulus und Johannes werden von den vier Reformatoren Melanchthon, Luther, Zwingli und Calvin flankiert. Aus manchen reforma-

Der Turm der Gedächtniskirche in Speyer ist über 100 Meter hoch.

torischen Lebensgeschichten wurden dabei Heiligenlegenden: So wird die Berufung des Reformators Calvin neben die von biblischen Figuren wie Paulus und Jesaja gestellt. Das Calvin-Fenster war dabei von Genfer Protestanten ­gestiftet worden. Neben der Gedächtniskirche gibt es zwei weitere ältere evangelische Stadtkirchen in Speyer: die Heiliggeistkirche als Kirche der reformierten sowie die Dreifaltigkeitskirche als Kirche der lutherischen Gemeinde. Die Dreifaltigkeits­ kirche besticht durch ihre eindrucksvolle Emporenmalerei, die auf den Holz­ tafeln dargestellten biblischen Szenen lassen die Kirche als eine begehbare Bilderbibel erscheinen. Hauptsehenswürdigkeit Speyers bleibt jedoch der große Kaiserdom. Bereits seit 1981 gehört er zum UNESCO-Weltkulturerbe und lockt jährlich viele Tausend Besucher in die Stadt. Mit dem Bau der sechstürmigen und dreischiffigen Kirche, die offiziell den Namen St. Maria und St. Stephan trägt, wurde im 11. Jahrhundert begonnen. Bei seiner Weihe 1061 war der Dom das größte Gotteshaus im christlichen Abendland, acht Mitglieder des salischen Königs- und Kaiserhauses sind dort begraben. Heute ist er das größte noch erhaltene Kirchenbauwerk der Romanik in Europa. Sehenswert in Speyer sind übrigens auch die Zeugnisse der jüdischen Geschichte: Reste des Ritualbads und der Synagoge blieben erhalten, 2010 wurde ein Museum der jüdischen Geschichte (SchPIRA) in Speyer eröffnet.

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Technikmuseum Speyer Europas größte Raumfahrtausstellung zeigt auch ein russisches Spaceshuttle. Außerdem gibt es Flugzeuge, Oldtimer und Lokomotiven: www.technik-museum.de Holiday Park Hassloch Großer Freizeit- und Vergnügungspark, 13 Kilometer von Speyer e­ntfernt: www.holidaypark.de

Informationen Einkehren Hotel Domhof, Bauhof 3, 67346 Speyer, Telefon 06232 - 13290 www.domhof.de. Auf dem Gelände des ehemaligen kaiserlichen Reichskammergerichts. Übernachten Ratskeller, Maximilianstr. 12, 67346 Speyer, Telefon 06232 78612, www.ratskeller-speyer.de Historisches Ambiente, großer Hof und Garten. Auskunft Tourist-Information Speyer Maximilianstraße 13, 67346 Speyer Telefon 06232 - 142392 www.speyer.de


Straßburg Veranstaltungen Straßburg war ein Zentrum des Buchdrucks. Bis zu 50 Prozent aller Schriften Luthers wurden von hier aus in Umlauf gebracht.

Weihnachtsmarkt Seit 1570 findet in Straßburg der Christkindelsmärik statt und ist damit der älteste Weihnachtsmarkt in Frankreich. Mit viel Kunsthandwerk und einer kunstvoll geschmückten Riesentanne auf dem Place Kléber. Ende November bis Ende Dezember. Symphonie der zwei Ufer Großes kostenloses Konzert des Straßburger Philharmonieorchesters am Rheinufer bei Einbruch der Nacht, während auf der Wiese gepicknickt wird. Sehr romantisch (Juni). Jardin des Deux Rives, Rue des Cavaliers; Telefon 0033 - 388 - 609293

Straßburgs Altstadt mit ihrem Wahrzeichen, dem Münster.

Straßburg und die Reformation Nicht weit vom Straßburger Münster steht die Statue eines Mannes, der für die Stadt und die Reformation insgesamt von besonderer Bedeutung war: Es ist Johannes Gutenberg, der Erfinder des Buchdrucks. Während seiner Straß­ burger Zeit arbeitete Gutenberg an einer Druckpresse und machte die Stadt zu ­einem der frühen und bedeutenden Zentren der mechanischen Vervielfältigung. Ohne diese hätten sich die reformatorischen Lehren nie in diesem Tempo über ganz Europa verbreiten können. Der ­Anteil an Luthers Schriften, die in Straßburg gedruckt wurden, betrug zeitweise bis zu 50 Prozent der Gesamtproduktion. Es ist daher nicht verwunderlich, dass die Gedanken des Reformators in Straßburg früh festen Fuß fassten, zumal die Kritik an den Missständen der Geistlichkeit auch hier immer lauter wurde und das Heilsverlangen groß war. Von 1521

an predigte Matthäus Zell am Münster im lutherischen Sinne – auf einer mobilen Kanzel, die die Schreiner der Stadt gefertigt hatten, nachdem ihm der Predigtstuhl des Münsters entzogen worden war: Zell vertrat die Auffassung, die Aufgabe der Kleriker sei es nicht, die Gläu­ bigen um ihr Geld zu bringen, sondern ihnen durch die Verkündigung des Evangeliums zu dienen. Den Durchbruch der Reformation hatte die Freie Reichsstadt dem Wirken ­Martin Bucers zu verdanken. Er trat als Sprecher gegenüber der Obrigkeit auf und setzte sich für die Verbesserung des persönlichen und kirchlichen Lebens ein. Unterstützung fand er bei den Zünften, die bei einer Abstimmung für die sofortige Abschaffung der Messe ­votierten. Denn die katholischen Priester, verächtlich „Messpfaffen” genannt, lasen oft ihre lateinische Messe herunter und kümmerten sich ansonsten wenig

Beleuchtung des Münsters Bei Einbruch der Dunkelheit werden der graue Stein und die Skulpturen der Kathedrale mit Licht und Musik in Szene gesetzt. Juli und August ab 22:15 Uhr, mehrfach am Abend.

um das Seelenheil ihrer Gemeinden. Bucer ging es weniger um die Recht­ fertigung des Sünders vor Gott, sondern eher um die Frage: Wie kann ich als ­Gerechtfertigter meine Beziehung zu Gott und zu meinen Mitmenschen leben? Er setzte sich für eine strenge Kirchenzucht ein und wurde zum Vor­ gänger der ökumenischen Bewegung. In den folgenden Jahren legte Straßburg ein eigenes Glaubensbekenntnis vor (zusammen mit anderen Reichs­ städten wie Konstanz) sowie die Straßburger Kirchenordnung, ordnete das Schulwesen neu und gründete die Hohen Schulen (Gymnasium). Der Sieg der evangelischen Bewegung in Straßburg war unaufhaltbar, und ihre Ausstrahlung übte einen wesentlichen Einfluss auf Europa aus. Straßburg blieb im katholischen Frankreich ein wesentlicher Ort des Protestantismus mit ­langer ­ökumenischer Tradition.


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Highlights Cave historique des Hospices de Strasbourg In diesem mittelalterlichen Weinkeller des Städtischen Hospitals reifen erlesene Weine in uralten Eichenfässern. Man kann das Kellergewölbe besichtigen und auch Weine aus dem Elsass erwerben. 1, Place de l‘Hôpital, Telefon 0033 - 388 - 116450, www.vinsdes-hospices-de-strasbourg.fr Batorama Rundfahrten durch Straßburg mit dem Ausflugsboot, Place du Marché aux Poissons; Telefon 0033 - 388 - 841313 www.batorama.fr

Interreligiöse Feier an der großen Fußgängerbrücke über den Rhein.

Straßburg und sein Flair Vor 1000 Jahren wurde der Grundstein gelegt, 400 Jahre daran gebaut: das Straßburger Münster, eine der bedeutendsten Kathedralen der Welt. Ihre Westfassade und der 142 Meter hohe Turm sehen aus wie aus Stein gehäkelt. Die gewaltige Kirche beherrscht nicht nur den Münsterplatz mit seinen Fachwerkhäusern im alemannisch-süd­ deutschen Stil, sondern die gesamte Grande Ile, die von der Ill umflossene, gut erhaltene historische Altstadt, die seit 1988 Unesco-Welterbe ist. Der Besuch des Straßburger Münsters ist ein Muss. Niemand wird von der Großartigkeit seines Figurenschmucks, der mächtigen astronomischen Uhr, dem Engelspfeiler, den Glasfenstern

In der evangelischen Médiathèque lagern viele Schätze der Reformation.

und Wandteppichen unberührt bleiben – allesamt hervorragende Beispiele abendländischer Kunst. Als profanes Pendant stiehlt auf dem Münsterplatz das mit kunstvollen Schnitzereien reich verzierte Kammerzellhaus allen anderen Gebäuden die Schau. Es gilt als eines der schönsten Fachwerkhäuser der deutschen Spätgotik überhaupt. Es ist diese Mischung aus deutscher ­G emütlichkeit und französischem Charme, in die man sich in dieser Stadt von e­ uropäischem Rang sofort verliebt. Der schönste Ort, sich dieser Liebe hinzugeben, ist das malerische Viertel ­Petite France (Klein Frankreich) mit seinen Kanälen und Brückchen, den Kopfsteinpflastergassen und geraniengeschmückten Fachwerkhäusern. Früher lebten und arbeiteten hier die Fischer, Müller und Gerber. Heute laden schöne Plätze und urige Weinstuben zum (Fest-) Sitzen ein, bei Flammkuchen oder Sauerkraut mit Würsten und Speck – Grundbestandteile der tradi­tionellen elsässischen Küche. Bei einer Stadtbesichtigung mit den Straßburger Ausflugsbooten lernt man die vielen Gesichter der Stadt kennen: Vom fürstbischöflichen Palais des Rohan beim Münster aus geht es durch Klein Frankreich, zu den gedeckten Brücken von Vauban, durch das Viertel aus der wilhelminischen Kaiserzeit bis ins Europaviertel, Sitz von Europarat, Europaparlament und dem Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte. In der Adventszeit verwandelt sich die ganze Stadt in einen duftenden und leuch­ tenden Weihnachtsmarkt.

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Tomi Ungerer Museum Originalwerke des berühmten Illustrators, die dieser seiner Heimatstadt vermacht hat: Kinderzeichnungen, Werbeplakate, erotische Werke. Humorvoll und witzig. Villa Greiner, 2, avenue de la Marseil­ laise; Telefon 0033 - 369 - 063727, www.musees.strasbourg.eu

Informationen Einkehren Maison Kammerzell, 16, place de la Cathédrale, 67000 Straßburg, Telefon 0033 - 388 - 324214 www.maison-kammerzell.com Traditionelle Elsässer Küche in ­einem der ältesten und schönsten Häuser der Stadt direkt beim Münster. Übernachten Hotel Gutenberg, 31 Rue Des ­Serruriers, 67000 Straßburg, Telefon 0033 - 388 - 321715, www.hotel-gutenberg.com Mitten im Weltkulturerbe ge­ legen mit Blick aufs Münster. Auskunft Office du Tourisme, Place de la Gare, 67000 Straßburg Telefon 0033 - 388 - 522828 www.otstrasbourg.fr/de/


Stuttgart

Veranstaltungen

Stuttgart war das Zentrum des Herzogtums Württemberg und der evangelischen Landesherrschaft. 1559 schrieb dort ­Johannes Brenz eine neue Kirchenordnung.

Musicals Mit dem Apollo und dem Palladium Theater hat Stuttgart zwei MusicalBühnen, auf denen internationale Produktionen zu erleben sind. SI Centrum Stuttgart-Möhringen. Tickethotline 01805 - 4444 (gebührenpflichtig), www.stage-entertainment.de Stuttgarter Weindorf Ende August bis Anfang September lädt das Weindorf an zwölf Tagen in gemütlichen Lauben zum Genuss von schwäbischen Weinen und Spezialitäten wie Maultaschen, Zwiebelrostbraten und Schupf­ nudeln mit Kraut auf den Marktund Schillerplatz ein: www.stuttgarter-weindorf.de Cannstatter Wasen Mit vier Millionen Besuchern gehört es zu den größten Volksfesten in Deutschland. Im Mittelpunkt: Bierzelte, Gaudi und wilde Fahrgeschäfte. Ende September bis Mitte Oktober: www.wasen.de

Die Stiftskirche in Stuttgart ist die evangelische Hauptkirche in Württemberg.

Stuttgart und die Reformation Die Reformation kam mit Verzögerung in der Landeshauptstadt an, doch dann ging alles ganz schnell. Nur drei Tage nach der Schlacht bei Lauffen am Neckar, am 13. Mai 1534, bei der Ulrich von Württemberg die Regentschaft über sein Herzogtum aus den Händen der katho­ lischen Habsburger zurück erkämpfte, wurde von der Kanzel der Stiftskirche die erste evangelische Predigt in Stuttgart gehalten. Die von Herzog Ulrich umgehend eingeführte Reformation war auch ein politisches Statement. Tatsächlich hatte alles schon früher begonnen mit dem Humanisten Johannes Reuchlin (1455 – 1522), einer Schlüsselfigur im Vorfeld der Reformation. Die Studien und Kenntnisse des Stuttgarter Gelehrten in der griechischen und althebräischen Sprache waren die Grundlagen für Martin Luthers Übersetzung des Alten Testaments. Der Reformator

nutzte dafür Reuchlins hebräisches Wörter- und Grammatikbuch von 1506. Johannes Reuchlin liegt in der Leonhardskirche begraben. Dort befindet sich auch ein Gedenkstein mit einer griechischen, hebräischen und lateinischen Inschrift sowie eine kleine Ausstellung zum Gedenken an den großen Humanisten und Anwalt der Juden. Eine der bekanntesten Reformatorenpersönlichkeiten überhaupt kam nach politischen Wirren und Flucht 1553 als erster evangelischer Propst an die Stiftskirche nach Stuttgart und wirkte weit darüber hinaus: Johannes Brenz hatte schon in Schwäbisch Hall eine neue Kirchenordnung entworfen, die nicht nur Gottesdienst, Predigt, Abendmahl und Taufe neu regelte, sondern auch das Eherecht, das er in die Verantwortung der weltlichen Obrigkeit überführte. Darüber hinaus reformierte er das Schulwesen: Talentierte

Schüler gleich welcher Herkunft sollten laut Brenz Latein lernen, außerdem forderte er Schulunterricht für Mädchen. In Stuttgart knüpfte Brenz an diese Arbeit an und machte sich mit der Großen Kirchenordnung von 1559 zum Architekten der Evangelischen Landeskirche Württemberg. Seine Grabstätte kann man in der Stiftskirche ­besuchen. Die für die Reformation in Stuttgart bedeutenden Kirchen – ­Leonhardskirche, Stiftskirche und Hospitalkirche – sind heute Zentren eines vielfältigen kirchlichen und kulturellen Lebens. Im Nachklang der lutherischen Reformation wurde Stuttgart viele Jahre ­später zur Bibelstadt. Die hier ansässige Deutsche Bibelgesellschaft gibt unter anderem die weltweit studierte Biblia Hebraica Stuttgartensia heraus – der Geist von Johannes Reuchlin lässt ­grüßen.


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Highlights Hop on / Hop off Auf der Citytour im DoppeldeckerCabrio-Bus sind die Fahrgäste mit Audioguides ausgestattet und kommen an allen wichtigen Punkten der Stadt vorbei. Abfahrt an der Tourist-Information i-Punkt, Königstraße 1A.

Stadt der Kunst, Kultur und Architektur: Opernhaus am Schlossgarten.

Stuttgart und seine Kultur In einem Talkessel, flankiert von waldigen Anhöhen und Weinbergen, erstreckt sich die baden-württembergische Landeshauptstadt. Ihr Herz schlägt am zen­ tralen Schlossplatz, der umarmt wird von einem einzigartigen Architekturensemble aus nahezu allen Stilepochen: Altes Schloss (Renaissance), Neues Schloss (Barock), Königsbau (Klassizismus), Gründerzeithäuser, Nachkriegs­ architektur und der moderne Glaskubus des Kunstmuseums – selbst ein Kunstwerk und Ort spannender Kunstschauen. Der Schlossplatz ist aber auch ein Platz des Volkes. Im Sommer nutzen die Menschen die Grünflächen als Liegewiese und erfrischen sich in den Brunnen neben der Jubiläumssäule. Hier finden Konzerte statt, Public Viewing, das

Sommervergnügen: Der Schlossplatz ist der Treffpunkt für alle.

I­ nternationale Trickfilmfestival, Stadtfeste, und im Winter steht dort eine ­Eisbahn. Die Königstraße, Stuttgarts Einkaufsmeile, führt direkt daran ­vorbei. Vom Schlossplatz schweift der Blick ­hinauf zum Fernsehturm, dem architektonischen Ausrufezeichen aus dem Jahr 1956. Es erinnert daran, dass Stuttgart eine Architekturstadt ist. Von interna­ tionaler Bedeutung ist die Weißenhofsiedlung auf dem Killesberg, erbaut von Bauhausarchitekten wie Le Corbusier, Walter Gropius und Mies van der Rohe. Nur wenige Schritte vom Schlossplatz befinden sich die Staatsoper und das Schauspielhaus, Europas größtes Drei­ spartenhaus. Theaterstücke, Ballette und mit Preisen überhäufte Operninszenierungen begeistern das Publikum. Die Staatsgalerie dahinter zählt mit Werken aus 800 Jahren Kunstgeschichte zu den bedeutendsten Museen Deutschlands. Stuttgart ist ein Multitalent. Auch als Musical-, Auto- und Bäderstadt hat es sich einen Namen gemacht. Die Museen von Mercedes und Porsche vereinen ­visionäre Museumsbauten mit der Geschichte des Automobils, chromglänzend, PS-stark und spektakulär präsentiert. Wem dann der Sinn nach Ent­ spannung steht: Nach Budapest besitzt Stuttgart das größte Mineralwasser­ vorkommen Europas, dessen Heilquellen mehrere Bäder speisen. Oder man geht im weitläufigen Rosensteinpark spazieren, der an der Wilhelma vorbeiführt, dem ganz besonderen zoologischbotanischen Garten.

Ausstellung „Christoph. Ein Renaissancefürst im Zeitalter der Reformation”, ­Landesmuseum Württemberg im Alten Schloss, Schillerplatz 6, ­Telefon 0711-  89535111, www.landesmuseum-stuttgart.de 24. Oktober 2015 bis 3. April 2016 Stäffelestour In Stuttgart gibt es mehr als ­ 400 Stäf­fele (Treppen). Sie führen als verwunschene Wege vom ­Kessel zu den schönsten Aussichtspunkten. Buchung bei www.staeffelestour.de

Informationen Einkehren Weinstube Schellenturm, Weberstraße 72, 70182 Stuttgart, Telefon 0711- 2364888, www.weinstubeschellenturm.de. In dem Turm aus dem Jahr 1564 wird schwäbische Hausmannskost serviert. Alte Kanzlei, Schillerplatz 5A, 70173 Stuttgart, Telefon 0711- 294457, www.alte-kanzlei-stuttgart.de Übernachten Hotel Wartburg, Lange Straße 49, 70174 Stuttgart, Telefon 071120450, www.vch.de/hotel-info/ wartburg.html. Das Hotel ist Mitglied im Verband Christlicher ­Hoteliers. Hotel Zur Weinsteige, Hohenheimer Straße 28 – 30, 70184 Stuttgart, Telefon 07112367000, www.zur-weinsteige.de Auskunft Tourist-Information i-Punkt ­Königstraße 1A, 70173 Stuttgart Telefon 0711- 2228100 www.stuttgart-tourist.de


Tübingen Veranstaltungen Die Reformationsgeschichte in Tübingen ist eng mit der Geschichte der Universität verknüpft. Am dortigen Evangelischen Stift werden bis heute Pfarrer ausgebildet.

Reformationstag Am 31. Oktober findet abends in der Stiftskirche ein Reformationsgottesdienst statt. Ebenfalls am Reformationstag ist in der Neuen Aula die Promotionsfeier der Universität. Tübinger Motette Liturgischer Abendgottesdienst ohne Predigt, aber mit hochkarätiger Kirchenmusik. Immer samstags um 20 Uhr in der Stiftskirche: www.stiftskirche-tuebingen.de Stocherkahnrennen Findet einmal jährlich statt und gehört zu den lustigen Events der Studen­tenstadt: www.stocherkahnrennen.com Messe ChocolArt Top-Chocolatiers und Manufakturen aus aller Welt präsentieren ihre Produkte jährlich Anfang Dezember auf dem Tübinger Schokoladenfestival: www.chocolart.de

Evangelisches Stift: Hier studieren angehende Pfarrerinnen und Pfarrer.

Tübingen und die Reformation Die Ideen der Reformation hatten sich frühzeitig in Tübingen herumgesprochen: Schon seit 1521 predigte in der elf Kilometer entfernten freien Reichsstadt Reutlingen der Reformator Matthäus Alber. Als württembergische Residenzstadt musste Tübingen jedoch bis zur Rückkehr Herzog Ulrichs aus dem Exil 1534 auf die Reformation warten. Als Herzog Ulrich 1534 Ambrosius Blarer und Erhard Schnepf mit der Einführung der Reformation in Württemberg beauftragte, gab es in Tübingen Turbulenzen: Blarer hielt am 2. September 1534 die erste evangelische Predigt in der Stiftskirche. Umgehend verbot der Rektor der Universität, Johann Armbruster, weitere derartige Experimente. Erst am 7. März 1535 schaffte man die lateinische Messe ab. Herzog Ulrich hatte schnell erkannt, dass zur Reformation auch eine Reform

der Universität nötig sein würde. Der Reformator Philipp Melanchthon schien dafür der richtige Mann zu sein: Zwischen 1512 und 1518 hatte Melanchthon schon an der Universität Tübingen ­s tudiert und gelehrt, bevor er unter dem Einfluss Luthers an die Universität Wittenberg wechselte. Der Versuch, den Reformator 1534 nach Tübingen zu berufen, scheiterte am Widerstand des sächsischen Kurfürsten, doch erstellte Melanchthon ein Gutachten zur Universitätsreform in Tübingen. Schließlich berief Herzog Ulrich Joachim Camerarius und den Schwäbisch Haller Reformator Johannes Brenz zu landesherrlichen „Commissarii”, die die Universitätsreform durch die Erarbeitung einer neuen Verfassung ab­schlie­ ßen sollten. Ein akuter Pfarrermangel war die Folge der Reformation: Die Pfarrer, die sich weigerten, evangelisch zu predigen,

mussten das Land verlassen – das waren die meisten. Andere waren willig, aber unfähig. Um dem Mangel abzuhelfen, gründete Herzog Ulrich 1536 im ehemaligen Augustinerkloster das Tübinger Stift. Begabte männliche Landes­ kinder erhielten dort Kost und Logis und die Möglichkeit eines Theologiestudiums auf Staatskosten. Das Stipendium besteht bis heute, wird aber nicht mehr nur vom Staat, sondern zu einem Großteil von der Evangelischen Landeskirche in Württemberg finanziert. Im Laufe der Jahrhunderte hat das Tübinger Stift viele berühmte Absolventen hervorgebracht: Hier lebten und lernten Theologen wie Johann Albrecht Bengel, Johann Christoph Blumhardt und Eduard Mörike ebenso wie die Philosophen Georg Wilhelm Friedrich Hegel und Friedrich Schelling, der Astronom ­J ohannes Kepler oder der Dichter ­Friedrich Hölderlin.


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Highlights Stiftskirche Besichtigung von Turm und Kirche mit Chorraum und Grablege möglich. Täglich geöffnet zwischen ­Ostern und Erntedank von 9 bis 16 Uhr. In der Stiftskirche finden auch regelmäßig thematische Führungen zur Reformation statt: www.stiftskirche-tuebingen.de

Postkartenansicht: die Neckarfront mit der Stiftskirche im Hintergrund.

Tübingen am Neckar Noch heute ist Tübingen geprägt von den Idealen des Humanismus, der Reformation und Aufklärung. Auch an der herausragenden Bedeutung der Univer­ sität hat sich nichts verändert: Von den gegenwärtig 84.000 Einwohnern sind rund ein Drittel, nämlich 28.000, Studenten. Sie bestimmen das Straßenbild und die Atmosphäre der Stadt, die ­malerisch am Neckarufer gelegen ist. Das Wahrzeichen ist dort der Hölderlinturm. Er ist der Blickfang der Neckarfront und das am häufigsten fotografierte Gebäude der Stadt. Ein Museum erzählt dort aus dem tragischen Leben des Dichters. Unmittelbar neben dem Höl-

Idyllischer Zeitvertreib: Stocherkahnfahren vor dem Hölderlinturm.

derlinturm ist die Anlegestelle für die Stocherkähne. Das Stocherkahnfahren auf dem Neckar gehört zu den Lieblingsbeschäftigungen der Tübinger und der Touristen. Oft sind es Studenten, die die Gäste entlang der idyllischen Ufer staken. Romantisch ist auch ein Spaziergang auf der Plataneninsel im Neckar. Zu den Perlen der Altstadt gehören auch die Häuser der Studentenverbindungen, die überall in der Stadt zu finden sind. Das markanteste Altstadt-Bauwerk ist jedoch das Renaissance-Rathaus mit der astronomischen Uhr und dem Glockenspiel. Es steht mitten auf dem Marktplatz, der zu den herausragenden Beispielen der süddeutschen Platzgestaltung im 16. Jahrhundert zählt. Im Stil der Renaissance wurde auch das Schloss Hohentübingen errichtet, von dessen Aussichtsterrasse man einen herrlichen Blick über die Stadt und die Schwäbische Alb hat. Das Schlossmuseum ist für seine altsteinzeitlichen Elfenbeinschnitzereien bekannt. Erhaben inmitten der Altstadt liegt auch die Stiftskirche St. Georg mit ihrer reich verzierten Steinkanzel, einem Taufstein aus dem 15. Jahrhundert und dem Altarbild des Dürer-Schülers Hans Schäufelein. Der Chorraum war nach der Reformation die Grablege der Herzöge von Württemberg. In der Altstadt finden sich auch die ältesten Gebäude der Universität, unter anderem die Alte Aula aus dem Jahre 1547. Sie war bis 1845 das Hauptgebäude der Universität Tübingen und wird noch heute von ihr genutzt.

Stadtmuseum Im Tübinger Stadtmuseum ist auch der Reformationsgeschichte ein Abschnitt gewidmet: www.tuebingen.de Stocherkahnfahrten Einzeltouristen und Gruppen ­können Stocherkahnfahrten über ­ die Tourist-Information buchen: www.tuebingen-info.de Wandern im Schönbuch Tübingen liegt in unmittelbarer Nach­barschaft des Naturparks Schönbuch, wo es zahlreiche schöne Wandermöglichkeiten gibt, unter anderem zum Kloster Bebenhausen: www.naturpark-schoenbuch.de

Informationen Einkehren Gasthausbrauerei Neckarmüller, Gartenstraße 4, 72074 Tübingen, Telefon 07071-27848, www.ne­ ckarmueller.de, Biergarten direkt am Neckarufer. Weinstube Forelle, Kronenstr. 8, 72070 Tübingen ­Telefon 07071-  24094 www.weinstube-forelle.de Übernachten Hotel am Bad, Freibad 2, 72072 Tübingen, Telefon 07071- 79740 www.hotel-am-bad.de Hotel Krone, Uhlandstr. 1, 72072 Tübingen, Telefon 07071- 13310 www.krone-tuebingen.de Auskunft Tourist-Information, An der ­Neckarbrücke 1, 72072 Tübingen Telefon 07071- 91360 www.tuebingen-info.de


Ulm Veranstaltungen Als die Reformation nach Ulm kam, fiel sie auf fruchtbaren Boden. Aus dem bekannten Münster wurde eine evangelische Kirche ohne Altäre.

Schwörmontag Ulms höchster Feiertag am vor­ letzten Montag im Juli: Der Bürgermeister legt Rechenschaft ab, die Bürger feiern mit einem Volksfest und dem sogenannten Nabada, ­einem karnevalistischen Wasser­ umzug mit Themenbooten: www.schwoermontag.com Fischerstechen Alle vier Jahre findet an den beiden Sonntagen vor dem Schwörmontag das Fischerstechen statt, eine Art Ritterturnier auf Booten. Nächster Termin: Juli 2017 www.fischerstechen-ulm.de Ulmer Weinfest Geselligkeit und Genuss in den beiden letzten Augustwochen auf dem Münsterplatz. Zu den Weinen aus zahlreichen Ländern gibt es passende Gerichte: www.ulmerweinfest.de

Ulm an der Donau: im Hintergrund die Altstadt und der Münsterturm.

Ulm und die Reformation Als der Reformationsgedanke zu Beginn des 16. Jahrhunderts allerorten aufblühte, hatte die freie Reichsstadt Ulm längst kleine Schritte in diese Richtung getan. Bereits im Jahr 1377 begannen die Bürger mit dem Bau einer innerstädtischen Pfarrkirche, die sie selbst ­finanzierten: dem Ulmer Münster. Mit dieser, ihrer, Kirche besaß die Stadt bereits vor der Reformation erheblichen Einfluss auf das kirchliche Leben. Die Menschen waren nicht kirchenfeindlich, lehnten aber mehr und mehr die Vorherrschaft Roms ab. Und so standen die Bürger dem reformatorischen Gedankengut und der spirituellen Erneuerung aufgeschlossen gegenüber, die der Theologe Konrad Sam und der Arzt Wolfgang Rychard von 1524 an in der Stadt verbreiteten. Allein der Ulmer Stadtrat – gefangen im Zwiespalt zwischen Loyalität gegenüber dem Kaiser und Erneuerung – zögerte lange, die

Entscheidung in den strittig gewordenen religiösen Fragen herbeizuführen. Doch was dann geschah, mutet überaus modern an: Im November 1530 ließ der Stadtrat die Bürger über ihre Glaubenshaltung abstimmen – gemäß der verfassungsrechtlichen Grundlage des Großen Schwör­ briefs von 1397, der unter anderem regelte, dass Fragen von grundsätzlicher Bedeutung stets mit dem Wissen und Willen der Gemeinde verhandelt werden sollen. Eine überwältigende Mehrheit sprach sich für die neue Kirchenlehre aus, und das Ulmer Münster wurde evangelische Kirche. Noch heute legt der Ulmer Bürgermeister am Schwörmontag vom Balkon des Schwörhauses jährlich Rechenschaft ab und bekräftigt den Treueschwur zwischen Bürgern und Stadtrat. Zur Neuordnung des kirchlichen Lebens wurden namhafte Reformtheologen in die Stadt an der Donau berufen, darunter auch Martin Bucer aus Straßburg. Im stän-

digen Gespräch zwischen ihm und den Theologen der Stadt konnten einvernehmliche Lösungen für die strittigen Positionen von Zwingli und Luther gefunden werden. Dem Zwingli-Schüler Konrad Sam gelang es dennoch, 1531 zum Bildersturm aufzurufen, während der Stadtrat alles versuchte, diesen zu verhindern. Mehr als 50 Altäre reicher Patrizierfamilien schmückten damals das Gotteshaus, und die Künstler der Ulmer Schule strahlten weit über die Stadtgrenzen hinaus. Der Rat appellierte an die Stifter, ihr ­Eigentum abzuholen. Einige Kunstschätze konnten gerettet werden, andere wurden als altmodisches gotisches „Glomp” zu Brennholz, wenige fanden später den Weg zurück in das Münster, dessen Turm durch mangelnde Spendenbereitschaft im Zuge der Reformation 300 Jahre lang unvollendet blieb. Erst im 19. Jahrhundert wurde der bis ­h eute höchste Kirchturm der Welt (161,53 Meter) fertiggestellt.


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Highlights Ulmer Münster Man kann dieses mächtige Gotteshaus einfach auf sich wirken lassen oder mit einer der zahlreichen Führungen – auch zum Thema Reforma­ tion – Unerkanntes und Verstecktes entdecken (www.ulmer-muenster.de). Tipp: Zwischen Mai und September findet um die Mittagszeit ein halbstündiges Orgelkonzert statt.

Vergangenheit trifft Gegenwart: das alte Rathaus und die moderne Bibliothek.

Ulm und seine Altstadt Als die Alliierten im Winter 1944 die Stadt Ulm in Schutt und Asche bombten, überlebte ein Bauwerk die Luftangriffe fast unbeschadet: das Ulmer Münster. Wie einen Finger Gottes reckte es seinen erst gut 50 Jahre zuvor fertiggestellten Turm gen Himmel. Das sollte man im Hinterkopf haben, wenn man heute durch das historische Zentrum der Stadt geht und sich vor Staunen die ­Augen reibt. Über die Wucht und Schönheit des weltgrößten Kirchturms und darüber, was die Ulmer ihre Neue Mitte nennen: die moderne weiße Bauskulptur des Stadthauses am Münsterplatz oder die gläserne Pyramide der Zentralbibliothek in unmittelbarer Nachbarschaft zum Rathaus. Ihre Silhouetten

Ulmer Sommerspektakel: die alljährliche Feier vor dem Schwörhaus.

ähneln einander sehr. Unter dem Motto „Mittelalter trifft Moderne” hat die Stadt noch einmal das Spannungsfeld des Möglichen ausgelotet und Mut bewiesen wie schon 600 Jahre zuvor beim Bau des Münsters. Die Ulmer Spatzen pfeifen es von den Dächern: Aufregender kann ein architektonischer Dialog kaum sein. 768 Stufen führen hinauf auf die oberste Plattform des Münsterturms, von wo man bei klarem Wetter eine Fernsicht bis zu den Alpen genießt, während das Kirchenschiff Kunstschätze hütet wie das Chorgestühl aus dem 15. Jahrhundert. Nur einen Steinwurf vom Münster entfernt befindet sich das gotische Rathaus mit seiner prächtigen Außenbe­ malung, und von dort schlendert man durch hübsche Gassen, vorbei am his­ torisch bedeutsamen Schwörhaus zum Fischerviertel an der Mündung der Blau in die Donau. Dieses malerische Quartier ist das bedeutendste Altstadtensemble Ulms mit Restaurants, Galerien, kleinen Geschäften und einem Gebäude, bei dem sich Besucher auch in nüchternem Zustand betrunken wähnen: Das schiefe Haus, heute eine Herberge, ist laut Guiness-Buch der Rekorde das schiefste Hotel der Welt. Auf der einstigen Stadtmauer kann man dann an der Donau entlang spazieren und hinüber schauen ins bayerische Neu-Ulm. Sollte Ihnen beim Stadtbummel eine Skulptur begegnen, die Ihnen die Zunge he­ rausstreckt, nehmen Sie es nicht persönlich: Es ist Albert Einstein, Visionär, Genie und Querkopf, der in Ulm zur Welt kam.

Donau-Radwanderweg Ein Besuch Ulms lässt sich hervorragend mit einer Etappe auf diesem überaus populären Radwander­ weg entlang der Donau verbinden – bis Passau oder Budapest. Museum der Brotkultur Wo wären wir ohne Getreide und Brot? Ein spannender und umfassender Einblick in die Kultur-, Sozialund Handwerksgeschichte unseres Grundnahrungsmittels sowie das Brot in der Kunst. Salzstadelgasse 10, Telefon 0731- 69955, www.museum-brotkultur.de

Informationen Einkehren Gaststätte Krone, Kronengasse 4, 89073 Ulm, Telefon 0731-1400874, www.krone-ulm.de. Die älteste Gaststätte Ulms (seit 1320) war einst die Fürstenherberge für hohen Besuch in der Stadt. 1414 soll der böhmische Reformator Jan Hus auf dem Weg zum Konstanzer Konzil hier übernachtet haben. Übernachten Hotel Schiefes Haus, Schwörhausgasse 6, 89073 Ulm, Telefon 0731967930, www.hotelschiefeshaus­ ulm.de. Nicht nur schräg, sondern auch sehr charmant, im historischen Fischerviertel wenige Schritte von der Donau. Auskunft Tourist Information, Münster­ platz 50 (Stadthaus), 89073 Ulm, ­Telefon 0731-1612830, www.tourismus.ulm.de


Waldshut Das reformatorische Zwischenspiel in Waldshut war kurz, aber heftig. Am Ende wurde der radikale Täufer Balthasar Hubmaier verbrannt.

Veranstaltungen Heimatfest Chilbi Mehrtägiges Volksfest in Waldshut am dritten Augustwochenende mit Fahrgeschäften und Trachtenumzug. Abends wird die Kaiserstraße festlich illuminiert: www.chilbi.de Heimatfest Schwyzertag Traditionelles Heimatfest in Tiengen am ersten Juliwochenende mit Böllerschießen. Wird seit 600 Jahren in Erinnerung an die Schweizer Belagerung gefeiert: www.tiengen.de Tiengener Sommer Bekanntes Jazzfest im Juli, bei dem auf vier Bühnen pro Abend mehrere Bands auftreten: www.tiengen.de Katholische Kirche Waldshut: Das evangelische Intermezzo war bald vorbei.

Waldshut und die Reformation Die kleine Provinzstadt Waldshut am Rhein gehörte Anfang des 16. Jahrhunderts zu Vorderösterreich. Unter diesem Namen wurden alle Besitzungen der Habsburger zusammengefasst, die westlich von Tirol und Bayern lagen. Ein streng römisch-katholisches Herrschaftsgebiet, das jedoch in seinen Ausläufern im Südschwarzwald unter Schweizer Einfluss geriet. Besonders stark beeinflusst von den ­Reformbestrebungen Ulrich Zwinglis in Zürich war der neue Pfarrer von Waldshut, der 1521 in die Stadt kam: Balthasar Hubmaier, ein gebildeter Mann und Doktor der Theologie hatte Luthers Schriften gelesen und Bekanntschaft mit prominenten Schweizer ­Reformatoren gemacht. 1523 nahm er sogar an einer Disputation in Zürich teil und wurde zu einem entschiedenen Parteigänger Zwinglis.

Hubmaier gelang es in Waldshut binnen kurzem die Bevölkerung auf seine Seite zu ziehen. Das rief die österreichische Regierung auf den Plan, die Hubmaiers Auslieferung forderte. Der Rat lehnte ab, Hubmaier musste fliehen. Doch schon nach ein paar Monaten kehrte er 1524 zurück und setzte seinen Kurs ­unbeirrt fort. Er reformierte die Messe, machte aus dem Abendmahl eine Gedächtnisfeier und setzte dem priester­ lichen Zölibat ein Ende, indem er 1525 heiratete. Mit einer seiner Reformen sollte er jedoch auch ins Abseits der Reformation geraten: Hubmaier war radikaler ­Ver­fechter der Erwachsenentaufe und glaubte dabei zunächst auch Zwingli auf ­seiner Seite. Doch der Schweizer entschied sich für die Beibehaltung der Kindertaufe und sagte den sogenannten Wiedertäufern den Kampf an. Damit war es um Hubmaier geschehen, der

e­ inem aus Zürich vertriebenen Täufer namens Wilhelm Reublin Asyl gewährt und sich von ihm hatte ein zweites Mal taufen lassen. 300 Waldshuter waren diesem Beispiel gefolgt und hatten die Stadt zu einer radikalen Täufergemeinde gemacht. Doch das war nur von kurzer Dauer: Dass sich die Waldshuter 1525 beim Bauernkrieg engagiert hatten, nahmen habsburgische Truppen zum Vorwand, die Stadt einzunehmen. Sie zwangen die Bewohner, wieder katholisch zu werden, und bis heute sind Evange­ lische dort nur eine Minderheit. Hubmaier flüchtete mit seiner Frau Elsbeth Hügline zu Täuferfreunden nach Zürich, wurde dort jedoch schon bald von der Obrigkeit in Haft genommen. Er konnte nach einem Widerruf Zürich verlassen und wanderte nach Mähren aus. 1528 wurde er in Wien verbrannt und seine Frau in der Donau ertränkt.


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Highlights Rheinfähre Ein Erlebnis der besonderen Art ist die Rundfahrt mit der Rhein­ fähre entlang der naturbelassenen Ufer am Hochrhein: www.stadtwerke-wt.de Stadtführungen Ob Brunnen, Walds-Hüte oder Gottesacker: Es gibt in WaldshutTiengen zahlreiche thematische Stadtführungen, die bei der Stadt gebucht werden können. Oberes Tor in Waldshut: Die Altstadt lädt zum Flanieren ein.

Waldshut am Rhein Mehrere Dinge erinnern in Waldshut heute an Balthasar Hubmaier: Es gibt eine nach ihm benannte Kirche, die der baptistischen Gemeinde in Waldshut gehört. Die Baptisten praktizieren wie Hubmaier die Erwachsenen- oder ­Glaubenstaufe: Der Täufling soll bewusst seine Entscheidung für die Taufe aus einer eigenen Glaubensüberzeugung heraus treffen können. In der Nähe der Schiffsanlegestelle am Rhein ist eine Gedenktafel der Stadt ­angebracht, auf der auch auf Balthasar Hubmaier eingegangen wird. In Schleitheim, einem Schweizer Ort gegenüber dem badischen Stühlingen, ist im ­Heimatmuseum ein Täuferzimmer ein-

Pittoresk mit Dachaufbau: der Storchenturm in Tiengen.

gerichtet mit Bildern und Texten zur Reformationsgeschichte des Hochrheins und besonders zur Geschichte der ­Täufer. Für Besucher sehr reizvoll ist Waldshuts Lage am Rhein. Ein schöner Spazierweg führt direkt am Fluss entlang. Doch auch die Altstadt kann sich sehen lassen: Das gilt vor allem für die Kaiserstraße zwischen dem Oberen und Unteren Stadttor. Seit sie eine Fußgängerzone ist, plätschert durch ihre Mitte auch wieder der Stadtbach. Aufwändig restaurierte Bürgerhäuser mit Fassadenmalereien und Holzgiebeln bestimmen das Bild, die Nähe zur Schweiz ist dabei unverkennbar. Ein paar Kilometer östlich und etwas abseits des Rheins liegt Tiengen, das seit der Gemeindereform 1975 zu Waldshut gehört. Offiziell trägt die Stadt heute ­einen Doppelnamen: Waldshut-Tiengen. Die wichtigste Sehenswürdigkeit Tiengens ist das Schloss der Fürsten von Schwarzenberg, das auf einer Anhöhe über der Altstadt liegt. Die Schloss­ kirche St. Maria und ihr Turm ist ein barockes Alterswerk des Vorarlberger Baumeisters Peter Thumb. Waldshut ist Ausgangspunkt vieler ­interessanter Wanderrouten im Südschwarzwald. Sowohl der Schluchsee als auch der Feldberg sind von hier aus nicht weit und auch die bekannte Sauschwänzle-Dampfeisenbahn ist in erreichbarer Nähe. Ebenso schnell ­erreicht man von Waldshut aus die Schweiz: Allein schon die 1857 gebaute Eisenbahnbrücke über den Rhein ist ­sehenswert.

Täuferzimmer Sehenswert und für die Reforma­ tionsgeschichte bedeutend ist das Täuferzimmer im Heimatmuseum von Schleitheim in der Schweiz: ­ www.museum-schleitheim.ch Wanderungen Zahlreiche Wanderwege beginnen in Waldshut-Tiengen: Man kann den Rheinweg entlang gehen oder zum Aussichtsturm Vitibuck in ­Tiengen. Auch der bekannte Schwarzwälder Schluchtensteig und die Wutach sind nicht weit.

Informationen Einkehren Brauerei Walter, Hauptstraße 23 79761 Waldshut-Tiengen Telefon 07741- 83020 www.brauereiwalter.de Restaurant Storchenturm Weihergasse 10, 79761 WaldshutTiengen, Telefon 07741- 808833 www.joachim-ruenzi.de Übernachten Waldshuter Hof, Kaiserstraße 56 79761 Waldshut-Tiengen Telefon 07751- 87510 www.waldshuter-hof.de Auskunft Tourist-Information Waldshut-­ Tiengen, Wallstraße 26, 79761 Waldshut-Tiengen, Telefon 07751- 833200 www.waldshut-tiengen.de


Wertheim Wertheim am Main gehörte zu den frühen Unterstützern der Reformation. Der Graf hatte Luther persönlich kennengelernt und der soll der Sage nach in Wertheim eine Bratwurst gegessen haben.

Veranstaltungen Reformationsjahr Für 2017 sind Stadtführungen in historischen Gewändern zum ­Thema Reformation in Wertheim geplant. Auch ein Theaterstück der Gruppe Gewölbegaukler ist in Vorbereitung. Ferner sollen Wanderrouten auf den Spuren der Reformation entstehen: www.kirchenbezirk-wertheim.de Weihnachtsmarkt Findet jährlich am dritten und vierten Adventswochenende rund um den Wertheimer Marktplatz statt. Liebliches Taubertal Rossmärkte, Sonnenwendfeuer, Narrentreiben, Musikfeste, Wein­ lese: Einen Überblick über die ­vielfältigen Veranstaltungen im Taubertal gibt die Seite: www.liebliches-taubertal.de

Malerische Lage am Zusammenfluss von Main und Tauber.

Wertheim und die Reformation 1518 verbot Graf Georg II. zu Wertheim aufwändige Beerdigungen und Stiftungen für Totenmessen und schloss sich damit der Kritik an einem zentralen Element der katho­lischen Praxis an. Auf dem Reichstag in Worms 1521, der Luther zum Widerruf bewegen sollte, lernte Georg von ­Wertheim den Reformator persönlich kennen. Die Begegnung scheint den Grafen stark beeindruckt zu haben: Im Jahr darauf ließ er sich von Luther einen geeig­ neten Prediger für Wertheim empfehlen. Die Haltung des Grafen Georg zielte nicht nur auf eine Reform der Kirche und ­ihrer Frömmigkeitspraxis, sondern er wollte im eigenen Herrschaftsbereich das landesherrliche Kirchenregiment zur Festigung der eigenen Machtposi­ tion nutzen. Das Urteil des Würzburger Bischofs aus dem Jahre 1527, dass „die graven in irer herschaft selbs gern

bischof sein wollten”, beleuchtet eben diese politische Zielsetzung des Wertheimer Grafen, dessen Territorium von den geistlichen Fürstentümern Würzburg und Kurmainz umgeben war. Eine Konfrontation mit dem katholischen Kaiser indes vermied Graf Georg wie die meisten Reichsgrafen. Ab 1523 war mit dem ehemaligen Kartäusermönch Franz Kolb ein entschieden reformatorisch gesinnter Prediger in Wertheim tätig. 1524 verfasste er im Auftrag des Grafen Georg eine evange­ lische Bekenntnisschrift. Diesem „Wertheimer Ratschlag” war eine Versammlung der Pfarrer und Klöster der Grafschaft vorausgegangen, in der Graf ­Georg deren Meinung zur Reformation einholte. Dabei wurden Veränderungen fast durchweg abgelehnt. Die Pfarrer wollten bei der alten Ordnung ­bleiben oder auf die Ergebnisse eines

Reichskonzils warten. Die Situation in der Grafschaft war also nicht eindeutig. Nach dem Bauernkrieg holte Graf Georg 1526 mit dem ehemaligen Franziskanermönch Johann Eberlin von Günzburg einen profilierten Lutheraner, Prediger und Humanisten nach Wertheim, der zum eigentlichen Reformator der Grafschaft wurde. Dennoch dürfte es noch eine Zeit lang katholische Gottesdienste in Wertheim gegeben haben. Die Witwe des 1530 verstorbenen Grafen Georg schickte ihren Sohn Michael III. zum Studium nach Wittenberg und Leip­ zig. In die Jahre nach Michaels Regierungsantritt 1551 fällt die Reformation der Klöster, die Einführung von Visita­ tionen in den Landpfarreien und einer evangelischen Kirchenordnung. Damit kam die Reformation der Grafschaft Wertheim im Jahr des Augsburger Reli­ gionsfriedens 1555 zu einem Abschluss.


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Highlights Stiftskirche Evangelische Hauptkirche mit einzigartigem Ensemble an Grabdenkmalen im Chorraum. Ist täglich ­geöffnet, aber auch Teil jeder allgemeinen Stadtführung in Wertheim. Grafschaftsmuseum Im sogenannten Haus der Ge­ krönten gibt es auch eine Reformationsabteilung sowie ein Modell der Grafenburg: www.grafschaftsmuseum.de Burgruine Zweitgrößte Burganlage BadenWürttembergs nach dem Heidelberger Schloss. Kann besichtigt werden, es gibt auch ein Restaurant: www.burgwertheim.de

Wertheims Altstadt und der kleine Hafen an der Tauber.

Wertheim an Main und Tauber Eine der schönsten Geschichten, die in Wertheim erzählt werden, ist die, als Luther dort eine Bratwurst verspeist haben soll und sie nicht bezahlte. Das Gasthaus „Goldener Adler”, wo dies ­angeblich geschah, gibt es noch heute: Es ist das älteste der Stadt und macht kräftig Werbung mit seiner Luther-­ Legende. Tatsächlich war Luther aber wohl nie in Wertheim und lebt als ­Zechpreller trotzdem in zahlreichen ­Anekdoten und Gedichten fort. Ganz und gar real ist hingegen der schöne, altfränkische Fachwerkort am Zusammenfluss von Main und Tauber. Die Lage wissen vor allem auch die Radfahrer zu schätzen, die über den Taubertal-Radweg oder den Main-

Burg Wertheim: Der Graf hatte Luther persönlich kennengelernt.

Radweg in die Stadt kommen. Beide ­gehören zu den gefragtesten Radrouten in Deutschland und sind vom ADFC in die seltene Fünf-Sterne-Kategorie eingestuft worden. Entlang des TaubertalRadweges gibt es zahlreiche offene Radwege-Kirchen, die zu einer spiritu­ ellen Rast einladen. Wer Graf Georg und seiner Familie auf die Spur kommen will, der hat dazu im Grafschaftsmuseum Gelegenheit. Zu seinen Besonderheiten gehört auch eine Sammlung von Scherenschnitten. Die Grabmäler der Grafen sind hingegen in der spätgotischen Stiftskirche und heutigen evangelischen Stadtpfarrkirche zu besichtigen, die Anfang des 15. Jahrhunderts auf romanischen Fundamenten ­erbaut wurde. Auf einem Bergsporn über der Stadt liegt die Burg der Grafen, die seit der Zerstörung im Dreißigjährigen Krieg eine Ruine in allerbester Lage ist. Kleine Gässchen umgeben den Marktplatz und zu dessen Besonderheiten ­gehört auch das so genannte Zobelsche Haus, das auch den Beinamen schmalstes Haus in Franken trägt. Apropos Franken: Obwohl Wertheim heute in Baden-Württemberg liegt und die evangelische Gemeinde zur Badischen Landeskirche gehört, sind seine Wurzeln im Fränkischen zu finden. So gehörte die Stadt am Main bis 1806 dem Fränkischen Reichskreis an und Fränkisch klingt natürlich auch das, was die Menschen dort sprechen: Sie sind die nördlichsten aller Baden-Württemberger und nur etwa 40 Kilometer von Würzburg entfernt.

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Radwege Sowohl der Mainradweg als auch der Radweg durchs Taubertal führen durch Wertheim. Sie wurden beide vom ADFC mit fünf Sternen ausgezeichnet: www.mainradweg.com, www.tauberradweg.de, www.radwegekirchen.de

Informationen Einkehren Gasthof Goldener Adler, Mühlenstraße 8, 97877 Wertheim Telefon 09342 -1337 www.goldener-adler-wertheim.de Hier soll Luther der Sage nach eine Bratwurst gegessen haben. Übernachten Hotel Schwan, Mainplatz 8 97877 Wertheim Telefon 09342 - 92330 www.hotel-schwan-wertheim.de Am Stadttor mit großer Terrasse, hier sind auch Fahrradfahrer willkommen. Auskunft Tourist-Information Wertheim, Gerbergasse 16, 97877 Wertheim Telefon 09342 - 935090 www.tourist-wertheim.de


IMPRESSUM Herausgeber Tourismus Marketing GmbH Baden-Württemberg Esslinger Str. 8, 70182 Stuttgart Evangelische Landeskirche in Baden Evangelischer Oberkirchenrat Blumenstraße 1–7, 76133 Karlsruhe Evangelische Landeskirche in Württemberg Evangelischer Oberkirchenrat Gänsheidestr. 4, 70184 Stuttgart Redaktion Andreas Steidel Redaktionsbeirat Andreas Braun, Eleonora Steenken Tourismus Marketing GmbH Baden-Württemberg Dr. Wolfgang Vögele, Doris Banzhaf Evangelische Landeskirche in Baden Dr. Frank Zeeb, Karl-Heinz Jaworski Evangelische Landeskirche in Württemberg Konzeption und Gestaltung Büro für Publizistik GmbH, Ulrich Fraschka, 74865 Neckarzimmern RiegerDesign, Larissa Winter, 69126 Heidelberg Druck Maurer Druck und Verlag GmbH & Co.KG, 73312 Geislingen / Steige ISBN 978-3-935983-69-3

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Mit freundlicher Unterstützung des Ministeriums für Ländlichen Raum und Verbraucherschutz.



1. Thementour

2. Thementour

Auf den Spuren reformatorischer Bildung a) Blaubeuren b) Bad Urach c) Tübingen d) Denkendorf e) Pforzheim f) Maulbronn g) Bretten h) Heidelberg

Evangelisch im Kraichgau, in Franken und Hohenlohe a) Bad Wimpfen b) Gemmingen c) Heilbronn d) Öhringen e) Schwäbisch Hall f) Crailsheim g) Rothenburg h) Creglingen i) Bad Mergentheim j) Wertheim

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Reformation am Rhein a) Konstanz b) Waldshut c) Basel d) Emmendingen / Kenzingen e) Straßburg f) Karlsruhe g) Speyer

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Evangelische Landeskirche in Baden Evangelische Landeskirche in Württemberg u na Do u na Die rot markierten Orte finden Do Sie im Magazin BAYERN ab S. 32, die grau markierten Orte sind lohnende Ergänzungen auf Ihrer Thementour.

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Evangelisch in der Diaspora a) Biberach u na b) Ravensburg Do c) Konstanz BAYERN d) Waldshut e) Emmendingen / Kenzingen f) Gengenbach g) Straßburg


Die Kirchen-App der evangelischen Kirche Sie besuchen gerne Kirchen in anderen Städten? Auch unterwegs suchen Sie Offene Kirchen auf? Sie besitzen ein Smartphone oder ein Tablet? Dann könnte die Kirchen-App das Richtige für Sie sein. Sie ermöglicht es Ihnen, per Umkreissuche Kirchen in Ihrer Umgebung aufzufinden. Sie finden in der Kirchen-App Informationen wie ­Öffnungszeiten, Gottesdienstzeiten und andere mehr. Und bei teilnehmenden Kirchen können Sie die Kirche über eine Audio-Kirchenführung entdecken. Hier sieht man die Illustration einer Kirche, in der Punkte wie Altar oder Taufstein angeklickt werden können, so dass eine Erläuterung erklingt.

500 Jahre Reformation 2017 wird der 500. Jahrestag der Reformation gefeiert. Dem Jubi­ läum voran geht eine von der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD) ausgerufene Lutherdekade, bei der jedes Jahr ein anderes ­Thema im Mittelpunkt steht: 2015 geht es um „Reformation, Bild und Bibel”, 2016 um „Reformation und die Eine Welt”: www.luther2017.de

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Wir laden Sie ein auf eine spirituelle Reise: www.Kirchen-App.de

Tourismus Marketing GmbH Baden-Württemberg Esslinger Straße 8, 70182 Stuttgart Telefon 0711- 238580 info@tourismus-bw.de www.tourismus-bw.de www.reformation-bw.de

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Ihre Fragen richten Sie gerne an:

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Evangelischer Oberkirchenrat Zentrum für Kommunikation Blumenstr. 1–7 76133 Karlsruhe Telefon 0721- 9175109 E-Mail: info@ekiba.de

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Ansprechpartnerin für Tourismusarbeit und Urlaubseelsorge Sabine Kast-Streib Leiterin Abteilung Seelsorge mit Zentrum für Seelsorge

Ansprechpartner für Tourismusarbeit Karl-Heinz Jaworski Fachbereichsleiter Kirche in Freizeit und Tourismus Grüninger Straße 25 70599 Stuttgart-Birkach Telefon 0711- 45804 - 9412 Karl-Heinz.Jaworski@elk-wue.de

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