Schwerpunkte 2012

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Intakte Böden, Nahrung, Trinkwasser, saubere Luft oder Klimaregulation: Die Dienstleistungen der Natur werden oft noch als selbstverständlich angesehen, ihr wirtschaftlicher Wert spielt bei konventionellen ökonomischen Analysen meist keine Rolle. Dabei sichern die Leistungen der Natur die Existenzgrundlage vieler Menschen, vor allem in den Entwicklungsländern. Der Ökonom Pavan Sukhdev erklärt im Interview, warum eine zukunftsfähige und nachhaltige Entwicklung ohne eine Inwertsetzung der Ökosystem-Dienstleistungen nicht möglich ist. herr sukhdev, die finanz- und Wirtschaftskrise 2008 wurde ausgelöst, weil sich viele menschen vor allem in den usa häuser kauften, die sie sich gar nicht leisten konnten und durch faule kredite von den banken finanziert wurden. kanzlerin angela merkel hat gesagt, dass die finanzkrise und die umweltkrise gemeinsame ursachen haben. Wie sehen sie das? Nun, beide Probleme entstanden durch falsche Bewertungen und daraus folgende Kapitalfehlallokationen. Finanzkapital wurde bis 2008 massiv fehlgeleitet, weil zu viel Liquidität in das Bankensystem gepumpt wurde, die Geldanleger nach ertragreichen Anlagen mit hoher Bonität suchten, gierige Verbriefungsspezialisten strukturierte Finanzinstrumente mit hoher Bonität entwickelten, die hochriskante Anlagen, etwa faule Immobilienkredite, enthielten und die Investoren den falschen Marktbewertungen glaubten. Die Umweltkrise – beim Klima wie auch bei der Biodiversität – liegt in der massiven Fehlallokation von Naturkapital. Wir verwandeln Naturkapital, zum Beispiel Regenwälder, achtlos in Bargeld und denken nur an den Gewinn, der sich aus den gerodeten Flächen durch Viehzucht, Forstwirtschaft oder Bergbau ziehen lässt. Dabei müssten wir zuerst den Wert der damit verlorengehenden Dienstleistungen der Waldökosysteme ermitteln, wie etwa den Wert des Niederschlagszyklus und der natürlichen Bestäubung, des Schutzes vor Hochwasser und weiterer wertvoller Dienstleistungen, die wir noch nicht ökonomisch bewertet haben. Kanzlerin Merkel hat in diesem Sinne also recht: Obwohl die beiden Krisen sehr unterschied-

lich erscheinen, können sie auf gemeinsame Ursachen zurückgeführt werden: Fehlbewertungen, die zu einer Fehlallokation von Kapital führten.

Welche krise ist bedrohlicher für die heutige gesellschaft und künftige generationen? Die finanzkrise oder die umweltkrise? Eindeutig die Umweltkrise! Ich sollte besser Umweltkrisen sagen, denn es gibt viele davon: der Klimawandel, der Verlust an biologischer Vielfalt, die Überfischung und Versauerung der Meere, die zunehmende Wasserknappheit in einigen Regionen… die Liste ließe sich weiterführen. Doch anders als bei Finanzkrisen, denen man mit öffentlichen Geldern zur Rettung kollabierender Banken entkommen kann, können wir ein Ökosystem, das kritische Schwellen überschritten hat, oder eine überhitzte Biosphäre vor Schäden durch den Klimawandel nicht retten. Unsere Umweltkrisen sind auf fundamentalste Weise eine Überlebensfrage, für die heutige und für die künftige Gesellschaft. in einer studie haben sie versucht, den wirtschaftlichen Wert der Dienstleistungen der natur zu bewerten, also was uns etwa sauberes Wasser oder die kohlenstoffspeicherfunktion von Wäldern wert ist. zu welchem ergebnis sind sie gekommen? Wir haben verschiedene ältere und einige neue Abschätzungen zusammengetragen, um zu zeigen, dass sich die ökonomischen Kosten des Biodiversitätsverlustes und der Zerstörung von Ökosystemen

„Den ökonomischen Wert Der natur sichtbar machen“

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