Faszinierende Alltäglichkeit

Thomas Woodtli

«Faszinierende Alltäglichkeiten»

Galerie Werner Bommer, Zürich Galerie Kunstgarten, Aarwangen Galerie Ueker&Ueker, Basel

In diesem Katalog sind Arbeiten der letzten 10 Jahre abgebildet. Alles Werke auf Papier, Leinwand, Alluminium und Glas. Die Grรถssen variieren von 30 cm x 30 cm bis 120 cm x 150 cm. Die angewandten Techniken sind Malerei, Zeichnung, Fotokopien, Laserdrucke, Inkjetdrucke und digital Airbrush.

TW

«Die Kunst ist eine Lüge, die uns erlaubt, uns der Wahrheit zu nähern, zumindest der Wahrheit, die uns verständlich ist.» Picassos Formulierung (1923) hat einiges mit der Kunst Thomas Woodtlis zu tun, die stets Fragen stellt wie «Was ist die Realität?», «Was/wie nehmen wir wahr?» oder «Wie wahr ist das Wahrgenommene?».Woodtli gibt Antworten von eindeutiger Vieldeutigkeit: Die Realität ist zu komplex, zu vielschichtig, ja widersprüchlich als dass man ihr mit prägnanten, einfachen Bildformulierungen habhaft werden könnte.

Unschärfe, Komplementärkomposition, puzzleartige Vielteiligkeit sind bei ihm keine Stilmittel, keine formalen Kunstgriffe, sondern Bildinhalt, Kunstthema.

Interessant im Bezug auf Thomas Woodtli scheint mir bei der PicassoSentenz der beim Zitieren meist weggelassene zweite Teil «... zumindest der Wahrheit, die uns verständlich ist», bewegt sich doch Woodtlis Kunst ganz bewusst im Grenzbereich zwischen dem Verständlichen, Lesbaren einerseits und dem Erahnbaren, Vagen andererseits.

Künstler, Kleinunternehmer, Laborant, Hausmann und Politiker ist Thomas Woodtli. Und das eine hat stets mit dem andern zu tun. (Die Teilzeitstelle in einem Forschungs-

labor der Universität Basel gibt er allerdings demnächst auf. Zwischen diesem Arbeitsfeld und der Kunst sind die Entsprechungen am offensichtlichsten. Das experimentelle Vorgehen und die Bereitschaft, sich mit jeder technologischen Neuerung auseinanderzusetzen sind ihm hier wie dort selbstverständlich.)

Fünf Berufe, fünf Tätigkeiten. Das halbe Dutzend muss voll sein; ich lasse deshalb Thomas Woodtli auch noch zum auf dem Feld der Optik forschenden Physiker werden.

Also, glauben sie es mir oder auch nicht: Ich hatte das Glück, in sein geheimes optisches Atelier in Oberwil eintreten zu dürfen. Eine Wunderwelt tat sich mir auf! Stellen sie sich aber weder ein Kabinett mit Apparaten aus hochglänzend poliertem Messing noch ein klinisch reines Labor mit weisslackierten Hightechgeräten vor –, das Ganze sieht eher wie eine Installation von Thomas Hirschhorn aus. Viele Dutzend Kartonröhren, fixiert mit braunem Kunststoffklebeband. Anstelle von Stativen braucht Woodtli zum Bau seiner Versuchsanlagen aus dem Brockenhaus stammende Holztabouretts, die zum Teil zu zur Decke reichenden Türmen gestapelt sind. – Folgen Sie mir durch sein optisches Labor!

Peter Killer

Im optischen Labor, I. Schon der alte Johann Gottfried Herder wusste: «Man sieht, was man weiss.»

Die moderne Gehirnforschung bestätigt Herders These weitgehend: Das Hirn registriert nur jene visuellen Eindrücke, die bereits an vertrauten andocken können. In Zusammenarbeit mit einem befreundeten Neurologen hat TW eine mit einer Videobrille versehene Haube entwickelt, die mit niedrigsten Voltströmen das Gehirn auf eine Weise irritiert, die lesbare, gegenständliche Bilder hervorruft, die garantiert nicht den bisherigen individuellen Erfahrungen entstammen.

Im optischen Labor, II. Zu den erstaunlichsten Entwicklungen von TW gehört das Radialteleskop. Mit einem simpel anmutenden Gerät kann TW den Sehstrahl so beugen, dass er bei genau waagrechter Ausrichtung eine präzis gleich bleibende Distanz zum Erdmittelpunkt beibehält.

Die Stunden, die er hinter dem Radialteleskop verbringt, würden ihm helfen, weltbezogen zu arbeiten, nicht in mystische Räume auszuschweifen. Die neue Serie von Architekturansichten aus aller Welt ist ohne die Beobachtungen durchs in der Alten Ziegelei Oberwil aufgestellte Fernrohr nicht denkbar.

Im optischen Labor, III. Der «Nahferngenerator» ist völlig ausgereift.

Ein schwarzes Tuch, das eine leise surrende Apparatur bedeckt. TW hat mir erlaubt, unter das Tuch zu kriechen, mich rittlings auf einen länglichen Schemel zu setzen, an dessen vorderem Ende eine Art Joystick befestigt ist, der es erlaubt, in unbeschränkter Zahl – paarweise und gleichzeitig – bewegte Bilder aus aller Welt und aus nächster Nähe abzurufen, die (in allerdings nicht gestochen scharfer Qualität) so auf faszinierende wie verwirrliche Weise in Parallelprojektion sichtbar werden.

Im optischen Labor, IV. Den habe er in Arbeit, erklärt mir TW vor einem halbfertigen Apparat, aus dem ein Kartonrohr – so dick wie eine dreissigjährige Tanne – ragt. Einen ontologischen Rezeptor wolle er bauen. Ja, quasi eine Seins-Erfassungsmaschine.

Wenn man so wolle, könne man ihn – TW – als Platoniker verstehen, der – wie im Höhlengleichnis ausgedrückt – davon ausgehe, dass die sichtbare Welt nicht die Realität an sich sei, und dass es darum gehe, unsere Wahrnehmung, die man eigentlich als eine Falschnehmung bezeichnen müsste, zu emanzipieren

Im optischen Labor, V. Von allen Entwicklungen und Erfindungen des TW ist für mich als Physik-Laie jene kleine, handliche, ebenfalls mit Hilfe eines View-Masters geschaffene Apparatur am einfachsten erfassbar, die er Dezentralisator nennt. Durch den Dezentralisator blickend sieht man das, was am Rand des Blickfelds liegt, im Zentrum, und das sonst Zentrale am Rand.

Den Dezentralisator benutze er fast täglich.

Seit Jahren, seit er gemerkt habe, dass das Auge ihn insofern permanent täusche bzw. nötige, Dinge als zentral anzusehen, die es oft in keiner Weise seien.

Im optischen Labor, VI. Den «Farbpolierer» hat Thomas Woodtli im November 2003 entwickelt. Der trübe Herbst, der auf den Jahrhundertsommer folgte, weckte das Bedürfnis, Farbe in äusserster Intensität zu erleben. Wie bei andern von ihm erfundenen Geräten blickt man durch einen ausgeweideten View-Master aus Bakelit. Mit Hilfe eines Reziprokfilters werden alle Ausbleichungseffekte, die Schmutzpatina und Licht absorbierenden Mikrokratzer korrigiert, so dass selbst bei dämmriger Beleuchtung Farben so intensiv erscheinen, als wären sie eben aus einer Talens-Tube gedrückt worden.

Im optischen Labor, VII. Eigentlich sei es paradox, als grüner Politiker unternehme er – TW – alles, um die Feinstaub-Emmissionen und –Immissionen zu verringern, aber gerade der Feinstaub sei es, der das Funktionieren des Retroskops ermögliche.

Das Retroskop ist ein Binokular, bei dem der eine Sehstrahl auf ein in der Ferne zu beobachtendes Objekt gelenkt ist und der andere auf die darüber liegende Luftmasse, wobei – bei richtiger Einstellung des Gerätes – die Feinstaubpartikel den Sehstrahl so umlenken, dass auch die Seitenund Rückansicht erfasst werden können.

Thomas Woodtli

Auszeichnungen

*1956 in Dübendorf lebt und arbeitet in Witterswil, Oberwil und Kleinlützel Solothurner Kantonsrat Projektleitung «Der kartierte Körper» an der Hochschule Kunst Bern

1999

Werke in öffentlichem Besitz

Veröffentlichungen

Breitenbach: Alterszentrum Bodenacker, 6 Siebdrucke zum Thema Krankheit Witterswil: Mehrzweckhalle, 8 Glasscheiben, «Tanz, Spiel und Politik» Breitenbach: Gewerbeschule Grien, 16-teilige Siebdruckarbeit «macpaint» Luzern: Aids-Hilfe, 3 Spiegel «It`s time to act» Pneumologische Gruppenpraxis, Löwenplatz Luzern Glaswand 237 cm x 192 cm, (VSG, Siebdruck, artifizielle Röntgenbilder) Retera, Physiotherapieinstitut Luzern, Turnsaalgestaltung (Glas, Siebdruck, Röntgenbilder bemalt) Chiropraxis Dr. Kalbermatten, Emmen, Gestaltung Eingangsbereich Isolierglas 92 cm x 235 cm, Aetzung und Siebdruck Kantonsspital Basel, ZLF Tiefbauamt der Stadt Solothurn College M, Inselspital Bern, «Irritationen» Karger Verlag Basel, Glasscheibe im Eingangsbereich, Airbrush digital auf Glas Fassadengestaltung und Farbkonzept, Alterssiedlung Dornach, mit Daniel Gaemperle

1991

Ankäufe Spital Dornach, Solothurner Bank, Kantonsspital Basel, Gemeinde Witterswil, Glas Trösch AG Pratteln, Gemeinde Kaiseraugst, Kanton Solothurn, Schloss Waldegg, Credit Suisse, Zürich Versicherung, TFL Ledertechnik AG Basel, UBS Zürich, Helvetia Versicherung Zürich, Bayrische Staatsbank, Hofmann La Roche

1992

1994 1995 1996 1998 1999 2000 2000 2004

1. Preis des Fotowettbewerbs «Arbeit» der Solothurner Handelskammer

Weissbuch «Kulturtage Schwarzbubenland» Palais Besenval, Solothurn Baselbiet Aktuell, Liestal, März-Heft, Doppelseite über die Edition Mezzanotte, Oberwil, und das Leporello «Im Innern einer Zelle» Beitrag «Auf der Suche nach des Pudels Kern» in der Münchner medizinische Wochenschrift vom 4. Februar Katalog «Kunst als Wissenschaft» Kulturzentrum Witterswil, Rheinhardt Verlag Basel Katalog, Zeitgenössische Schweizer Glasmalerei, Einsiedeln/Romont, Benteli Verlag Galerie Impress Olten, Edition Hirschkuh, «Atelierbesuche» Katalog, Glas in Brig, ISBN 3-9520853-5-9 Katalog www.containeronline.ch, Kultur im äusseren Wasseramt.

Cash-Value, Februar 2002, «Ästhestische Investitionen» «Keine Aquarelle» Ein Werkbuch Edition Hirschkuh, ISBN 3-033-00052-5 «Last Minutes» Ein Reiseprotokoll Edition Hirschkuh, Oberwalliser Kunstverein Seit 1985 zahlreiche Ausstellungen in der Schweiz, in Frankreich und in Deutschland www.thomaswoodtli.ch www.likeyou.com/thomaswoodtli