Solidarität 2/2014

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Ausgabe Mai 2/2014

thema F端r eine faire WM PAKISTAN Kinderarbeit

Das Magazin von


2 EDITORIAL Liebe Leserin, lieber Leser, Allen Unkenrufen zum Trotz habe ich mir während einiger Monate vorgestellt, dass ich im Februar nach Brasilien fliege und dort in einer Mediationsrolle den Fifa-Präsidenten himself an einen Tisch bringe mit den brasilianischen Interessenverbänden der StrassenverkäuferInnen und den Comites Populares der WM-Austragungsstädte. Ob ich denn tatsächlich so naiv sein konnte, werden Sie sich nun fragen …

gewerkschaft BHI bei der Fifa zum Gespräch über die menschenverachtenden Arbeitsbedingungen der Bauarbeiter in Qatar eingeladen war, glaubte ich einen Silberstreifen am Horizont zu erkennen, weil der Fifa-Präsident mit Theo Zwanziger einen Delegierten für Menschenrechtsfragen eingesetzt hatte, der uns allen glaubwürdig erschien. Seine Positionen klangen durchdacht, und wir hofften, dass man ihm Handlungskompetenzen einräumen würde. Doch nur zwei Tage später wurden wir eines Besseren belehrt: Die Medienmitteilung zum Meeting des Fifa-Executive-Commitee, bei dem der Bericht zur Menschenrechtssituation in Qatar behandelt wurde, war wieder ganz im bekannten Fifa-Stil: Alles ist bestens dank Fussball und Fifa, und wo dies nicht der Fall Esther Maurer ist, sollen es Politik und Wirtschaft richten! Geschäftsleiterin Solidar Suisse

Nun, ich hatte im Oktober 2013 die Zusage von Sepp Blatter erhalten, dass er persönlich an einem solchen Runden Tisch teilnehmen und gemeinsam mit mir die Medienkonferenz in Brasilien durchführen würde, an der man bekannt geben könnte, dass mit den genannten Organisationen eine Einigung zu deren Anliegen erreicht wurde. Wir hatten Stillschweigen vereinbart, denn wir wussten, dass ein solches Treffen nur dann stattfinden und zu einem guten Resultat führen kann, wenn die Medien nicht mitmischen, Druck machen und jeden Schritt kommentieren. Ich habe mich ans Stillschweigen gehalten, selbst dann noch, als im Januar 2014 die Absage des Fifa-Präsidenten kam. Und als ich am 18. März gemeinsam mit der internationalen Bau- und Holz­

Ja, es war naiv, an eine Änderung zu glauben. Aber es soll mich nicht daran hindern, weiterhin dafür einzustehen, dass Giga-Fussballevents, ob in Russland, Brasilien oder Qatar, nur noch stattfinden dürfen, wenn die Fifa ihre soziale und ökologische Verantwortung wahrnimmt, und nicht nur ihre wirtschaftlichen Interessen durchsetzt. Nachhaltige Entwicklung – eben! Esther Maurer

Medienschau

12.3.2014 Zara muss wegen Lohndumping 450  000 Franken bereitstellen Auf der Zara-Baustelle an der Bahnhof­ strasse wird wieder gearbeitet. Unia und der Textilriese Inditex haben den Arbeitskonflikt beendet. (…) Goa Invest übernimmt die Verantwortung für Subunternehmen, stellt die Einhaltung der geltenden Verträge für die gesamte Baudauer sicher und richtet ein Sperrkonto für offene Lohnnachzahlungen ein. (…) Die Firma Goa Invest will als Zeichen ihrer sozialen Verantwortung eine Spende von 150  000 Franken leisten. Unia hat dafür das Hilfswerk Solidar vorgeschlagen.

6.3.2014 Mit der Bevölkerung vor Ort Ein Steuerprozent wendet die Stadt Illnau-Effretikon jährlich für Entwicklungshilfe auf. (…) Nicht zuletzt auch wegen der guten Projektauswahl findet die Entwicklungszusammenarbeit von Illnau-Effretikon nationale Beachtung. Solidar Suisse, das frühere Schweizerische Arbeiterhilfswerk, verlieh der Gemeinde sehr gute Noten. Die Non-Profit-Organisation bewertete vergangenes Jahr das soziale Engagement von 88 Schweizer Gemeinden und Städten. (…) Die Gesamtschweiz gibt im Vergleich wenig Geld für Entwicklungshilfe aus.

15.2.2014 Mehr Solidarität möglich In einer Interpellation will Gemeinderat Simon Jacoby (SP) vom Stadtrat wissen, ob dieser sich im Gemeinderating der solidarischen Städte verbessern will. Dieses führte die Organisation Solidar Suisse ein. (…) Im letzten Rating erreichte Adliswil 27,5 von 100 möglichen Punkten. Deshalb bittet Jacoby den Stadtrat um die Beantwortung folgender Fragen: Wie beurteilt der Stadtrat das Resultat? Was wurde unternommen, um das globale Verantwortungsbewusstsein zu verbessern? Rechnet der Stadtrat damit, das nächste Mal besser abzuschneiden?


3 THEMA (Un)faire Fussball-Weltmeister­ schaften

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WM von Südafrika bis Qatar: Wenige profitieren, die Zeche bezahlt die Bevölkerung

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Brasilien: Vertreibungen im Vorfeld der WM bedrohen die Existenz­der Strassenhändle­­rInnen

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STANDPUNKT Stefan Grass: Können Sport-Gross­ veranstaltungen bald nur noch in Diktaturen durchgeführt werden? 11 THEMA kulturell Moçambique: Ein Solidar-Projekt zeigt, was Sport abseits von Gigan­ tismus und Profit bewirken kann 12

Die Fifa foutiert sich um ihre Verantwortung zur Wahrung von Arbeits- und Menschenrechten rund um Fussball-Weltmeisterschaften. Solidar bleibt dran.

aktuell In Pakistan arbeiten 12 Millionen Kinder statt zur Schule zu gehen: Perspektivlosigkeit ist die Folge 14

aktuell

Viele Kinder in Pakistan müssen arbeiten, damit ihre Eltern über die Runden kommen. Ein Solidar-Projekt will dafür sorgen, dass sie trotzdem eine Ausbildung bekommen.

Kolumne 13 PINGPONG 16 NETZWERK News aus den SAH-Vereinen 17

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12 EINBLICK

EINBLICK Südafrika: Mary Nxumalo kämpft dafür, dass sich ihre Gewerkschaft für die Anliegen von Arbeiter­innen einsetzt 18

In Südafrika ist die Situation von Arbeiterinnen speziell prekär. Trotzdem opfern die Gewerkschaften Frauenanliegen häufig als Erstes. Dagegen kämpft Mary Nxumalo.

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kulturell

Mit der Verbindung von Sport, Kultur und Prävention bietet der Club «Unidos venceremos» Jugendlichen eine Perspektive.

IMPRESSUM Herausgeber: Solidar Suisse, Quellenstrasse 31, Postfach 2228, 8031 Zürich, Tel. 044 444 19 19, E-Mail: kontakt@solidar.ch, www.solidar.ch, Postkonto 80-188-1 Mitglied des europäischen Netzwerks Solidar Redaktion: Katja Schurter (verantwortliche Redaktorin), Rosanna Clarelli, Eva Geel, Alexandre Mariéthoz, Cyrill Rogger

Layout: Binkert Partner, www.binkertpartner.ch / Spinas Civil Voices Übersetzungen: Milena Hrdina, Interserv SA Lausanne, Jean-François Zurbriggen Korrektorat: Jeannine Horni, Milena Hrdina Druck und Versand: Unionsdruckerei/subito AG, Platz 8, 8201 Schaffhausen Erscheint vierteljährlich, Auflage: 37 000

Der Abonnementspreis ist im Mitgliederbeitrag inbegriffen (Einzelmitglieder mindestens Fr. 50.–, Organisationen mindestens Fr. 250.– pro Jahr). Gedruckt auf umweltfreundlichem Recycling-Papier. Titelbild: Die Fifa macht Druck, das Tempo auf den Baustellen für die Fussball-WM in Brasilien zu erhöhen: Unfälle sind vorprogrammiert. Foto: Ueslei Marcelino. Rückseite: Schluss mit den Fouls der Fifa – für eine faire WM. Foto: Enrique Marcaian.


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THEMA Ob für die WM in Südafrika 2010 oder in Brasilien 2014: Die Arbeitsbedingungen auf den Stadionbaustellen sind häufig prekär.

FAIRE WM

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Solidar Suisse kämpft seit Jahren gegen Ausbeutung und Menschenrechtsverletzungen rund um die Fussball-Weltmeisterschaften. Sei es in Südafrika, Brasilien oder im Hinblick auf Russland und Qatar. Bis anhin foutiert sich die Fifa um ihre Verantwortung. Gleichzeitig werden sportliche Grossanlässe immer gigantischer – ebenso die Profite von Fifa, Grossinve­s­ toren und Sponsorinnen. Den Austragungsländern und ihren Bevölkerungen hingegen bleiben lediglich Verluste. Wie sieht die Situation in Brasilien vor dem Anpfiff aus? Werden MegaSportanlässe bald nur noch in Diktaturen durchgeführt? Hat das Engagement von Solidar in Südafrika etwas bewirkt? Lesen Sie mehr dazu auf den nächsten Seiten. Foto: Joachim Merz


6 Sportereignisse: immer grösser, teurer, unfairer? Ob in Südafrika, Brasilien oder Qatar: Von der WM profitieren wenige, während ArbeiterInnen, Slum­ bewohnerInnen und die öffentliche Hand unter ihren Folgen leiden. Text: Joachim Merz, Fotos: Joachim Merz, BHI, zVg

35 Mrd. Schweizer Franken investiert die öffentliche Hand laut einer eher konservativen Schätzung des brasilianischen Senats für die Fussball-WM 2014 und die Olympischen Spiele 2016: in Stadien, Strassen, Flughäfen und die Räumung unansehnlicher Favelas in der Nähe der Spielstätten. Eine auch für ein boomendes Schwellenland wie Brasilien nicht einfach aufzubringende Summe. Und sie übersteigt die gesamten Kosten der drei letzten Fuss­ ball­­ Weltmeister­ schaften in Südkorea/Japan, Deutschland und Südafrika. Internationale Sportanlässe werden immer gigantischer – und teurer: Die Olympischen Winterspiele 2014 in Sotschi liess sich Putin rund 50 Mrd. Franken kosten – genaue Zahlen sind nicht bekannt. Das Wüstenemirat Qatar wird für

die Fussball-WM 2022 gar weit über 100 Mrd. investieren. Verluste für die öffentliche Hand, Gewinne für die Fifa Volkswirtschaftlich können diese Gross­ ereignisse niemals halten, was die Austragungsländer sich und der Bevölkerung versprechen. Die Kosten für die südafrikanische Regierung waren um ein Vielfaches höher als geplant. Für die öffentliche Hand resultierte ein Netto-Verlust von 2,8 Mrd. Franken, den die SteuerzahlerInnen begleichen müssen. Errungenschaften wie neue Arbeitsplätze, bessere Wohnungen oder Spitäler hingegen blieben keine zurück. Geschweige denn weniger Armut und soziale Ungleichheit. Die Fifa hingegen strich 2,35 Mrd. Gewinn ein, die beteiligten Bauunternehmen

Bereits im Vorfeld der WM in Südafrika 2010 kämpften BauarbeiterInnen gegen ausbeuterische Arbeitsbedingungen – und erreichten Lohnerhöhungen.

1,4 Mrd. Solidar hat sich bereits im Vorfeld der WM in Südafrika 2010 für faire Arbeitsbedingungen auf den Stadionbaustellen, gegen Vertreibungen und für die Einhaltung der Menschenrechte eingesetzt. Einerseits mit einer Petition an die Fifa, andererseits in Zusammenarbeit mit südafrikanischen Gewerkschaften. Auch vor der WM in Brasilien forderte Solidar die Fifa mit diversen Aktionen auf, für eine faire WM zu sorgen. Denn es zeichnet sich dasselbe Debakel ab wie in Südafrika. Auf Druck der Fifa hatte der brasilianische Fiskus dem Fussballverband massive Steuergeschenke gemacht. Der Verlust für den Staat beträgt, vorsichtig geschätzt, rund 750 Mio. Franken. Ausserdem wurden Favela-BewohnerInnen vertrieben und StrassenhändlerInnen ihre Existenzgrundlage entzogen (siehe Artikel S. 8).


THEMA 7 Wir forderten: keine Vertreibung von Favela-Bewohnerinnen und Strassenhändlern, keine Ausbeutung auf den Baustellen und keine Steuerbefreiung und Sondergesetze für die Fifa (siehe www.solidar.ch/brazil). Die Fifa ging nicht darauf ein.

Zahlen vor. Sie alle sind jedoch unter dem Zwangsarbeitssystem Kafala – das zum Beispiel verbietet, den Arbeitgeber zu wechseln oder das Land zu verlassen – schlimmsten Verhältnissen ausgesetzt.

Es regt sich Widerstand … Gilt für Fussball-Weltmeisterschaften und Olympische Spiele also: grösser, teurer, unfairer statt höher, schneller, weiter? Die Fifa und das Internationale Olympische Komitee IOK kommen zusehends unter Druck der Gewerkschaften, der Medien und einer kritischen Öffentlichkeit. Bei demokratischen Abstimmungen sagt die Bevölkerung Nein zur AusDiese Grossereignisse können tragung der Spiele niemals halten, was die (siehe Artikel S. 11), weil dem wirtAustragungsländer sich und der schaftlichen Nutzen Bevölkerung versprechen. für wenige hohe Schulden für die Das erhöht das Unfallrisiko auf unverant- öffentliche Hand und gravierende Umwortliche Weise. In Qatar ist die Situation weltbelastungen gegenüberstehen. Und sogar noch schlimmer: Obwohl die WM was niemand für möglich gehalten hätte: erst 2022 stattfindet, sind laut Internati- Während dem Confederations Cup im onalem Gewerkschaftsbund (IGB) bei Juni 2013 gingen in Brasilien HundertBauarbeiten im Hinblick auf die WM al- tausende auf die Strasse und demonstlein im Jahr 2013 über 400 Nepali und rierten gegen die horrenden Kosten der strophalen Zustand der Inder ums Leben gekommen. Von ande- WM, den kata­ versorgung und des Bilren Nationalitäten der rund 1,4 Mio. aus- Gesundheits­ ländischen Arbeitskräfte liegen keine dungswesens, die Vertreibungen und die Tote auf den WM-Baustellen Vorbereitungen für die WM bedeuten auch grossen Druck für die ArbeiterInnen auf den riesigen Baustellen. In Südafrika 2010 starben zwei Arbeiter, in Brasilien waren es bis anhin bereits acht – und Brasilien muss das Bautempo erhöhen, weil es weit hinter dem Zeitplan herhinkt.

Gentrifizierung der Innenstädte, die prekären Arbeitsbedingungen auf den Stadionbaustellen. Unterstützten 2008 noch 79 Prozent aller BrasilianerInnen die WM im eigenen Land, so sind es heute nur noch 52 – und das im fussballverrücktesten Land der Welt. … mit Erfolg Und der zunehmende Protest gegen den Gigantismus trägt erste Früchte. Die Baugewerkschaften in Südafrika gewannen in der Vorbereitungsphase der WM 2010 fast 30  000 Neumitglieder und erzielten substanzielle Lohnerhöhungen (siehe solidar.ch/anstoss). Auch ihre KollegInnen in Brasilien führten erfolgreiche lokale Arbeitskämpfe. Brasilianische StrassenhändlerInnen erkämpften sich für den Confederations Cup in vier Städten Verkaufsrechte in den ursprünglich exklusiv für Fifa-SponsorInnen reservierten Fanmeilen. Solidar hat mit Kampagnenarbeit in der Schweiz diese Arbeit von zivilgesellschaftlichen Organisationen unterstützt. Unter dem enormen medialen und gewerkschaftlichen Druck erklärte die Regierung Qatars im Februar 2014, dass die Bedingungen für ausländische Arbeits­ kräfte auf den WM-Baustellen zukünftig «hohen Standards» genügen würden – ob Taten folgen, ist jedoch genau zu beobachten.

In Qatar müssen die Arbeitsmigranten in elenden Massenunterkünften wohnen (links), in Brasilien wurden Favela-BewohnerInnen aus ihren Häusern vertrieben (oben).


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Keine Kaugummis für Fussballfans Bereits mehr als ein halbes Jahr vor Anpfiff der Fussball-WM werden Strassenhändler­Innen in Brasilien vertrieben und sehen ihre Existenzgrundlage bedroht. Zum Beispiel Gloria Oliveira da Silva. Text: Sandro Benini, Foto: StreetNet International Cartoon von Chapatte

Seit einigen Monaten hat Gloria Oliveira da Silva Angst, an ihrem Stammplatz in der Metro- und Busstation Itaquera im Osten von São Paulo Getränke, Kaugummis, Süssgebäck, Zigaretten und Feuerzeuge zu verkaufen. In Sichtweite erhebt sich auf einem Hügel das neue Stadion Itaquerão, eigens errichtet für die Fussball-WM 2014. Zu 97 Prozent sei der Bau vollendet, versichern die Verantwortlichen. Hier wird am 12. Juni das Eröffnungsspiel zwischen Brasilien und Kroatien stattfinden. Eigentlich hat die 12-Millionen-Metropole bereits zwei Fussballstadien, doch beschlossen die Behörden, ein drittes zu errichten. Zwei Bauarbeiter starben dabei. Sie wurden getötet, als im November 2013 ein Baukran in Schieflage geriet, aus­einander­

«Für mich und meine Familie ist diese WM ein Unglück.» brach und auf das Stadiondach stürzte. Einer der glühendsten und einflussreichsten Befürworter des Projekts war Brasiliens Ex-Präsident Luiz Inácio Lula da Silva, Fan des in São Paulo ansässigen Fussballclubs Corinthians und enger Freund des Unternehmers Marcelo

Bahia Odebrecht. Die Baufirma Odebrecht gewann die Ausschreibung für das Grossprojekt, nachdem sie Lula, dessen Nachfolgerin Dilma Rousseff und die regierende Arbeiterpartei jahrelang mit Wahlkampfspenden unterstützt hatte. Im internationalen Korruptionsindex der Organisation Transparency International liegt Brasilien von 177 ausgewerteten Ländern auf Rang 72. Vertrieben und Ware beschlagnahmt Laut Ítalo Cardoso, Vizepräsident einer Tourismus- und Eventagentur in São Paulo, könnten bis zu 250  000 TouristInnen nach São Paulo kommen, um die Spiele im Itaquerão zu verfolgen. Gloria Oliveiras Kaugummis werden sie nicht kaufen, zumindest nicht in der Umgebung des Stadions. Denn während der WM dürfen in einem Rayon von zwei Kilometern rund um die Austragungsstätten lediglich von offiziellen Sponsoren hergestellte und vertriebene Produkte verkauft werden. Dasselbe gilt für die Public-Viewing-Zelte. Doch bereits jetzt duldet die Polizei nicht mehr, dass Gloria Oli­veira an der Metrostation Itaquera ihren Lebensunterhalt verdient, genauso wenig wie die anderen ambulanten VerkäuferInnen, die

© Chapatte in NZZ am Sonntag

ihre Stände gewöhnlich auf einer überdachten Asphaltfläche zwischen Bussen und Imbissbuden aufstellen. «Ich bin nur noch nachmittags für zwei oder drei Stunden hier. Zweimal hat mich die Polizei bisher vertrieben, einmal wurde ein Teil meiner Ware beschlagnahmt», sagt Gloria Oliveira. Die 52-Jährige lebt mit ihren vier Kindern, ihrem Ehemann und ihrer Schwester in einem einstöckigen Haus in der Favela da Paz. Das Elendsviertel liegt 900 Meter vom Stadion entfernt. Fifa drückt sich vor der Verantwortung Die Koordination der landesweiten Proteste gegen die WM erfolgt durch die Ver-


THEMA 9 An der WM sollen Strassenhändle­ rInnen ihre Waren rund um die Stadien nicht verkaufen dürfen.

einigung der «Comités Populares da Copa», die in sämtlichen Austragungsorten aktiv ist. Die Sektion von São Paulo schreibt auf einem Flugblatt: «Traditionellerweise verkaufen Strassenhändler in der Umgebung der Fussballstadien typisch brasilianische Lebensmittel, Getränke und andere Gegenstände. Diese autonomen Arbeiterinnen müssen sich registrieren lassen und von den jeweiligen Stadtbehörden erlassene Regeln sowie sanitarische Auflagen befolgen. Die Fifa verlangte ihren Rückzug, und die Gemeinde­ regierungen sind nicht bereit, ihnen eine Alter­native zu garantieren.» Die Fifa betont in einem Brief an Solidar Suisse, sie habe eine Studie anfertigen lassen, um

den Sektor des Strassenhandels «besser zu verstehen». Ausserdem habe die Fifa am Confederations Cup im Juni 2013 erstmals «die Zwei-Kilometer-Schutzzone für eine bestimmte Anzahl von den Behörden der Austragungsorte autorisierter Strassenverkäufer geöffnet». Allerdings durften die StrassenhändlerInnen lediglich «autorisierte Getränke» verkaufen, und auch dies bloss in den Städten Brasilia, Recife, Salvador und Fortaleza. Die anderen beiden Austragungsorte hätten «wegen bestehender Gesetze und Richtlinien» darauf bestanden, die HändlerInnen von den Stadien fernzuhalten. Ob auch während der WM solche Initiativen in den Austragungsstädten umge-

setzt werden, steht jedoch in den Sternen. Gloria Oli­veira da Silva hat davon jedenfalls bisher nichts gespürt. Seit sie sich aus Angst vor der Polizei nur noch für wenige Stunden pro Tag auf ihren angestammten Verkaufsplatz wagt, sei ihr Umsatz um mehr als die Hälfte gefallen. Laut der Vereinigung der «Comités Populares da Copa» haben landesweit mehrere Tausend Strassen­händle­rInnen ihre Arbeit verloren oder sehen sich zumindest gezwungen, auf andere Standorte auszuweichen. Gloria Oliveira sagt: «Für mich und meine Familie ist diese WM ein Unglück.»


10 Notizen Bolivien: Bildung für Demokratie Bildung ist das Thema der von Solidar Bolivien herausgegebenen Agenda 2014. Liebevoll illustriert mit Bildern der boliviani-

Pakistan: Flutbetroffene haben sich noch nicht erholt Noch immer kämpft die bereits zuvor von schwerer Armut betroffene Bevölkerung im Süd-Punjab mit den Folgen der Jahrhundertflut im Jahre 2010. Das Hochwasser, das fast zwei Drittel von Pakistan überschwemmte, zerstörte nicht nur Häuser und Infrastrukturen, sondern auch die Einkommensquellen der Bevölkerung. Soli­ dar Suisse unterstützt seit 2010 den Wiederaufbau. Viele Menschen müssen nach wie vor mit zwei Franken pro Tag auskommen und leben unter völlig unzureichenden hygienischen Bedingungen. Solidar hat deswegen drei neue Projekte gestartet, um die Bedürftigsten – speziell auch Menschen mit Behinderung – zu unterstützen. So werden in Schulen und

Initiative gegen Nahrungs­ mittelspekulation eingereicht Am 24. März 2014 wurde die Juso-Initiative gegen die Nahrungsmittelspekulation, die von Solidar Suisse unterstützt wird, mit fast 140 000 Unterschriften eingereicht. Denn die Preisexplosion auf den Nahrungsmittelmärkten von 2008 und 2011 hatte in Entwicklungsländern dramatische

schen Künstlerin Graciela Rodo Boulanger, regt sie zum Nachdenken und zum Handeln an. Bildung – so die Botschaft – vermittelt nicht nur Wissen und praktische Fähig­keiten, sondern vor allem auch Werte wie die Achtung der Menschenrechte, die Gleichberechtigung von Mädchen und Jungen, Rücksichtnahme, Toleranz, Gewaltfreiheit. Alle tragen dafür Verantwortung: die Regierung, Gemeinden, Lehrerinnen, Eltern, Schüler. Denn Bildung findet nicht nur im Klassenzimmer statt, sondern ebenso in der Familie und im öffentlichen Raum. Und wenn wir uns für Verbesserungen im Bildungssystem einsetzen, steigen nicht nur die Berufschancen der SchulabgängerInnen. Die Gesellschaft als Ganzes wird demokratischer und solidarischer.

Gesundheitszentren Toiletten gebaut und die Bevölkerung für die Bedeutung von Hygiene zur Vorbeugung von Krankheiten sensibilisiert. Ausserdem werden Familien angeleitet, wie sie Gärten zur Selbstversorgung anlegen können, und KleinunternehmerInnen beim Wiederaufbau ihrer zerstörten Läden unterstützt. www.solidar.ch/pakistan

Konsequenzen. Da viele Haushalte bis zu 80 Prozent ihres Einkommens für Lebensmittel aufwenden, wurden Millionen Menschen in den Hunger getrieben. Obwohl sich die Lage auf den Märkten etwas entspannt hat, liegen die Preise immer noch höher als vor 2008, und weltweit leidet fast eine Milliarde Menschen Hunger. Heute sind 80 Prozent des Rohstoffhan-

Linker Wahlsieg in El Salvador Salvador Sánchez Cerén von der linken Partei FMLN hat die PräsidentschaftsStichwahl vom 9. März mit einer hauchdünnen Mehrheit von 50,11 Prozent der Stimmen gewonnen, wie die salvadorianische oberste Wahlbehörde nach zweimaliger Überprüfung offiziell bekanntgab. Zuvor hatte Norman Quijano, der rechte Kandidat der Arena-Partei und Bürgermeister von San Salvador, seine AnhängerInnen dazu aufgerufen, das Wahl­ ergebnis nicht zu akzeptieren. Quijano rief sogar die Armee zum Widerstand auf. Dies nahm er zwar wieder zurück, die Drohung mit einem Militärputsch ist jedoch massiv in einem Land, das 12 Jahre Bürgerkrieg mit über 75  000 Toten erlebt hat und in dem die Militärs immer noch nicht für ihre Verbrechen zur Verantwortung gezogen wurden. Die Drohungen der Rechten lassen schwierige Zeiten für die kommende Regierung befürchten. Umso wichtiger ist eine internationale solidarische Begleitung der gesellschaftlichen Kräfte in El Salvador, die sich für eine gerechtere Verteilung und für die demokratische Mitsprache aller Bevölkerungsgruppen einsetzen.

dels spekulativ, in den letzten zehn Jahren stiegen die Investitionen auf den RohstoffDerivatemärkten von 13 auf 430 Milliarden Dollar – und Schweizer Banken spielen in diesem Geschäft eine wichtige Rolle. Ein Verbot der Nahrungsmittelspekulation ist deshalb ein wichtiger Schritt in Richtung einer gerechteren globalen Entwicklung. www.solidar.ch/spekulation


standpunkt 11

Spiele für Diktatoren? Bei Abstimmungen sind Sport-Grossveranstaltungen zunehmend chancenlos. Können Olympiade und WM bald nur noch in Diktaturen durchgeführt werden? Von Stefan Grass, Leiter des Komitees Olympiakritisches Graubünden Ob die Fussball-WM in Brasilien, Putins Spiele in Sotschi, Fussball in Qatars Wüstenhitze, die vergangenen Olympiaden in Peking, Athen, Vancouver und Turin mit ihren verrottenden Wettkampfruinen, bank­rotten Hotels und überdimensionierten Verkehrsinfrastrukturen – sportliche Gross­anlässe bleiben in der Kritik. Überall gibt es zunehmend Widerstand aus der betroffenen Bevölkerung gegen die drei grössten Sportevents der Welt: 1. Olympische Sommerspiele, 2. FussballWeltmeisterschaften, 3. Olympische Winterspiele (OWS). Das Internationale Olympische Komitee IOK und die Fifa – die auf ihre gigantischen Gewinne kaum Steuern zahlen – verkaufen die Übertragungsrechte für die emotionalen internationalen Sportevents für Milliarden von Dollar an die zwangsläufig interessierten Fernsehanstalten. Dank der Urheberrechte und der darauf abgestützten Exklusivwerbung bezahlen Grosssponsoren dem IOK oder der Fifa für die weltweite TV-Präsenz weitere Milliarden. Wenn es um so viel Geld geht, bleibt alles andere auf der Strecke: der olympische Geist, der unpolitische Sport, die dopingfreien Wettkämpfe, die Förderung des Breitensports, die Entschädigung für Enteignete, die Löhne für die

ArbeiterInnen, der Umweltschutz und die nachhaltige Entwicklung.

– wie in Sotschi, Peking, Pyeongchang, Qatar und Brasilien. Denn es profitieren nur wenige: Autokraten inszenieren ihre Macht, das IOK, die Fifa und ihre SponsorInnen erschliessen neue Märkte. Es zeigt sich vor allem in Europa: Wenn die Menschen die Wahl haben zwischen Sportbegeisterung und dem Zahlen der Zeche mit jahrelanger Schuldenlast, entscheiden sie sich gegen die Knebelung durch die Verträge des IOK. Viele verstehen wie in Brasilien, dass der

Die Bevölkerung sagt Nein Wenn – wie in der Schweiz, Deutschland und Österreich – die betroffene Bevölkerung in einer direktdemokratischen Abstimmung ihre Meinung kundtun kann, ist ein Nein zu den Olympia-Kandidaturen mehrheitsfähig: Bern, St. Moritz, München, Salzburg und Wien. Einige Stadt­ behörden haben in Erwartung einer Ablehnung der Stimmenden von sich aus verzichtet: Zürich, «Wenn es um so viel Geld Barcelona und Stockholm. Die Mehrheit der norwegigeht, bleibt alles andere auf schen Bevölkerung hat sich der Strecke.» gegen eine OWS-Kandidatur Oslo 2022 ausgesprochen. Bei einer früheren lokalen Umfrage in Sport-Gigaevent nur dem Renommee Oslo hatte noch eine knappe Mehrheit der Regierung und den Profiten einiger eine Bewerbung unterstützt. weniger dient und das Geld im eigenen Land für Bildung, Gesundheit und SoziMachtdemonstration und ales fehlt. Erschliessung neuer Märkte Fazit: Wo abgestimmt wird, ist eine AbDie Analysen von JournalistInnen zei- lehnung von Sport-Gigaevents für die gen deutlich, dass Sportgrossveranstal- Behörden verbindlich. Ohne Volksbefratungen nur noch in Ländern vergeben gung ist der Widerstand nur über Dewerden können, in denen Regierungs­ monstrationen möglich, die aber das IOK eliten, auch wenn demokratisch gewählt, und die Fifa nicht beirren. keine Volksabstimmungen durchführen www.olympia-nein.ch


12 kulturell Mittelstürmerin Maria de Lurdes vom CDR-Frauenfussballteam hat Ambitionen.

Gemeinsam gewinnen wir Was Sport abseits von Gigantismus und Profit bewirken kann, zeigt ein Solidar-Projekt in Moçambique. Text: Francisco Palma Saidane, Fotos: Florência Muchemo

«Irgendwann möchte ich auf nationaler oder internationaler Ebene Fussball spielen», meint Maria de Lurdes Americo Bungarre. Sie gehört zum Frauenfussballteam des Clube Desportivo e Recreativo (CDR), aus Chimoio, Moçambique. Die Mittelstürmerin ist noch ein wenig ausser Atem, sie hat gerade auf dem Spielfeld ihre Leichtfüssigkeit unter Beweis gestellt. Es ist der 8. März, und das erste Spiel des Turniers zum Internationalen Frauentag hat mit 0 : 0 unentschieden geendet. Die 17-jährige Waise lebt mit ihren vier Brüdern bei ihrer Tante und geht noch zur Schule. Mit ihrem Spiel möchte sie auch ihre Geschwister unterstützen: «Vom Beitrag für einen Match kann ich Kleider und Schulmaterial für mich und meine Brüder kaufen.» 1000 Meticais erhalten die SpielerInnen von CDR für ein gewonnenes Spiel, 500 für ein Unentschieden (knapp 30 bzw. 15 Franken). Sport, Kultur und Prävention Doch beim CDR geht es nicht nur um sportliche Erfolge und Gewinnprämien. Zwar hat das Frauenteam 2013 den Provinzcup von Manica gewonnen. Doch für die 24-jährige Spielführerin Carla Jose

Jofrisse sind auch die anderen Angebote des Clubs wichtig: «Ich finde es gut, dass wir neben dem Training Informationen erhalten, wie wir eine HIV-Infektion und frühe Schwangerschaften vermeiden können, und dass wir diese Themen auch untereinander im Team diskutieren.» So ist der Slogan von CDR «Unidos venceremos – gemeinsam gewinnen wir» auf jeder Ebene Programm. Auch Sofia Alexandre Miquitaios hat sich dem Fussballteam vor zwei Jahren nicht nur aus sportlichen Gründen als Torhüterin

angeschlossen. Sie schätzt den Verhaltenskodex des CDR, der sexuelle Belästigung verbietet, von der junge Frauen in Sportclubs in Moçambique häufig betroffen sind. Nicht so im CDR: «Hier werden Frauenanliegen ernst genommen, und der Club bietet uns Ausbildungskurse, Arbeitsmöglichkeiten und medizinische Unterstützung», meint die 21-Jährige. «Ich möchte, dass sich uns mehr junge Frauen anschliessen und so von Drogen, Alkohol und Prostitution wegkommen, die in Chimoio weit verbreitet sind.» Für viele Ju-

Clube Desportivo e Recreativo Seit seiner Gründung 2008 bietet der Clube Desportivo e Recreativo (CDR) mit Unterstützung von Solidar benachteiligten Jugendlichen sportliche Aktivitäten wie Volley­ball, Fussball und Gymnastik. Gegenwärtig trainiert CDR ein Frauenfussballteam sowie ein Männer- und ein Frauenvolleyballteam. Ausserdem werden Kunstausstellungen, Konzerte und Diskussionsveranstaltungen zu Themen wie Alkohol- und Drogenkonsum, HIV/Aids, Kinderarbeit und ungewollten Schwangerschaften durchgeführt. Der CDR wächst stetig und hat inzwischen ein eigenes Gebäude mit Veranstaltungssaal, der auch als Verkaufsraum für Sportartikel und Kunsthandwerk dient und zudem an Externe vermietet wird. Die Jugendlichen erhalten Weiterbildungen, die ihnen eine Perspektive eröffnen und sie befähigen sollen, den Club langfristig eigenständig zu führen.


KOLUMNE Hans-Jürg Fehr Präsident Solidar Suisse

Ecopop zielt daneben

Carla Jose Jofrisse schätzt am CDR auch den Austausch zu Themen, die sie beschäftigen.

Perspektiven und Unabhängigkeit Der CDR wurde von Solidar gegründet, um benachteiligten Jugendlichen sportliche und kulturelle Aktivitäten sowie Weiterbildungsmöglichkeiten zu bieten. So konnte Cita Coutinho Viola, die 2009 dem Volleyballteam beitrat, einen Buchhaltungskurs besuchen. Heute ist die 22-Jährige als Hilfsbuchhalterin des Clubs tätig und hat sich an der lokalen Universität einich auf geschrieben.

gendliche, die aus ärmsten Verhältnissen stammen und häufig auch Gewalt erleben, ist der Club ein Rettungsanker und zugleich Hoffnung auf ein besseres Leben. Mit der Verbindung von sportlichen, kulturellen und präventiven Aktivitäten möchte der CDR möglichst viele Jugendliche erreichen. So treten an den Spielen der Fussball- oder Volleyballteams manch­

«Irgendwann möchte nationaler oder internationaler Ebene Fussball spielen.» mal lokale Bands auf, die mit Texten zu HIV/Aids Präventionsbotschaften verbreiten. Für den blinden Musiker Castigo Raul und seine Band ist dies eine willkommene Unterstützung: «Wir haben nun einen Übungsraum, in dem wir traditionelle Sungura-Musik spielen und dazu Texte für den Kampf gegen übertragbare Krankheiten singen», erzählt Castigo Raul und setzt hinzu: «Die Arbeit mit CDR gibt mir das Gefühl, mich in eine gute Zukunft zu bewegen, mit Leuten, die sich um andere Leute kümmern.»

Der Puls von Maria de Lurdes und ihren Mitspielerinnen hat sich in der Zwischenzeit beruhigt. Sie sitzen rund um Trainer Ipolito Sente im Gras und diskutieren den Verlauf des Spiels. Niemand ist mit dem Ausgang ganz zufrieden. Doch der neue Trainer ist überzeugt von seinen Spielerinnen: «Ich finde es inte­re­ssant, ein Team zu trainieren, das den Titel des Provinz-Frauenfussballcups hält. Es würde mich nicht erstaunen, wenn sie nationaler Champion würden. Die meisten Spielerinnen sind sehr talentiert.» Maria de Lurdes Ambitionen könnten also durchaus Realität werden.

Die Ecopop-Initiative fordert eine weitere massive Begrenzung der Zuwanderung in die Schweiz. Sie enthält aber auch ein entwicklungspolitisches Postulat: Zehn Prozent der Staatsausgaben für Entwicklungszusammenarbeit müssen für Familienplanung in den Ländern der Dritten Welt verwendet werden. Das ist aus zwei Gründen hochgradiger Unsinn: Zum einen stammt aus den Ländern des Südens mit ihren hohen Geburtenraten nicht einmal ein Prozent der Einwandernden. Die Zuwanderung würde also auch dann nicht abnehmen, wenn aus diesen Ländern niemand mehr käme. Zum andern ist das mit Abstand wirksamste Mittel zur Minderung des Bevölkerungswachstums die Beseitigung der Armut. Armut erzeugt Kinderreichtum, Wohlstand erzeugt Kleinfamilien. Das war überall zu allen Zeiten so. Der indische Bundesstaat Kerala zum Beispiel weist eine Kinderquote von unter zwei pro Frau aus, weil hier eine fortschrittliche Regierung seit Jahrzehnten in drei Bereiche investiert: Volksbildung, Gesundheitsversorgung und Gleichstellung der Frauen. Der Kontrast zum übrigen Indien könnte grösser nicht sein. Der Kampf gegen Armut, wie er in Kerala erfolgreich praktiziert wird, ist auch Hauptziel der schweizerischen Entwicklungszusammenarbeit. Sie setzt damit auch aus Sicht der Geburtenkontrolle am richtigen Punkt an. Dies ganz im Gegensatz zur EcopopInitiative. Sie ist aus entwicklungspolitischer Sicht unsinnig, ihr demografischer Nutzen für Entwicklungsländer nicht erkennbar, ihre massiven Schäden für die Schweiz dagegen schon.


14 AKTUELL Der zehnjährige Khurram schiebt frisch bemalte Haarkämme in den Trockenraum.

Ohne Kinderarbeit kein Überleben In Pakistan müssen viele Kinder arbeiten statt zur Schule gehen zu können. Ein neues Solidar-Projekt will dafür sorgen, dass sie trotzdem eine Ausbildung erhalten. Text: Katja Schurter, Fotos: Usman Ghani «Ja, ich würde gerne zur Schule gehen», sagt die achtjährige Naheed. Dieselbe Antwort geben ohne zu zögern auch Khurram, Sahiba und Dillawar. Sie leben in Ahmed Town und Shahdara, zwei Slums der Millionenstadt Lahore im Nordosten von Pakis­tan. Doch statt zur Schule zu gehen, arbeiten sie als Metallarbeiter oder Stickerin, bemalen Kämme oder Spardosen. Damit helfen sie ihren Eltern, über die Runden zu kommen. Alltag in Pakistan, wo 60 Prozent der Bevölkerung mit weniger als zwei Dollar pro Tag auskommen müssen und zwölf Millionen Kinder arbeiten.

Unerschwingliche Schulgebühren «Ich möchte, dass meine Kinder zur Schule gehen, damit sie eine bessere Zukunft haben», meint Naheeds Mutter. «Nach der Geburt meines Jüngsten ging es mir sehr schlecht, und ich musste mich operieren lassen. Mein Mann verdient nicht genug, deshalb mussten die Kinder mithelfen», erzählt sie. Die zwei ältesten ihrer fünf Kinder – Naheed und ihre siebenjährige Schwester – helfen der Mutter bei Stickereiarbeiten. Für alle drei springen dabei jedoch nur wenig mehr als zehn Franken pro Monat heraus. «Wenn es eine Schule ohne

Gebühren gäbe, würde ich Naheed sofort hinschicken», sagt auch ihr Vater, der als Tuctuc-Fahrer monatlich etwa 80 Franken verdient. In Ahmed Town gibt es keine öffentliche Schule, und die Gebühren für die lokale Privatschule können sich die meisten Eltern nicht leisten. Naheeds Traum, Lehrerin zu werden, ist fast unerfüllbar. Kinder sind billiger Auch der elfjährige Dillawar hat die Schule nach der zweiten Klasse verlassen. «Der Lehrer hat sowieso nur geschlafen statt zu unterrichten», bringt sein Bruder


Naheed und Sahiba helfen ihren Müttern bei der Heimarbeit, damit die Familie über die Runden kommt.

den desolaten Zustand des pakistanischen Bildungssystems auf den Punkt. Wie viele Kinder hat Dillawar bereits mit sechs Jahren zu arbeiten begonnen. In einer Metallwerkstatt bedient er Maschinen oder schleppt schwere Eisenteile herum. Manchmal bis in die Nacht hinein, ohne dass die Überzeit bezahlt würde. Im Gegenteil wird ihm immer wieder ein Teil des mageren Lohns von zwanzig Franken abgezogen, weil er angeblich nicht hart genug arbeite. «Die Eltern fragten mich, ob ich nicht ihre Kinder anstellen würde, da-

Schule für arbeitende Kinder Damit Kinder wie Naheed, Dillawar, Sahiba und Khurram zur Schule gehen können, schafft Solidar Suisse in den Slums von Lahore informelle Schulen, in denen arbeitende Kinder in der Nähe ihrer Arbeitsstelle täglich Unterricht erhalten. Denn Kinderarbeit in Pakistan zum Verschwinden zu bringen, ohne die eigentlichen Ursachen anzugehen, ist illusorisch und reine Symptombekämpfung. Die Eltern sind auf den Zusatzverdienst ihrer Kinder angewiesen. Sie sollen für die Wichtigkeit von Schulbildung – auch für Mädchen – sowie für die gefährlichen Bedingungen und schädlichen Auswirkungen von Kinderarbeit sensibilisiert werden, ebenso wie Arbeitgeber, Behörden und LehrerInnen.

mit sie etwas lernen», meint Dillawars Arbeitgeber auf die Frage, warum er Kinder beschäftige. Mohammad Haheeb ist der Meinung, den Eltern damit einen Gefallen zu tun. «Ohne Kinder hätte ich einfach weniger Arbeiter mit höheren Löhnen», sagt er. Seine eigenen Kinder arbeiten nicht, sie besuchen eine Privatschule. Davon träumt auch Dillawar, der gerne lesen und schreiben lernen würde, um später einmal einen guten Job zu haben.

Haarkämme herstellt. Die Produktionsstätte befindet sich in einem Neubau, der nach frischem Beton riecht. Im Erdgeschoss spucken riesige Maschinen Plastikteile aus, die in Heimarbeit von Frauen und Kindern mit Federn versehen werden, damit sie ins Haar geklemmt werden können. Khurram und seine kleinen Arbeitskollegen fixieren die fertigen Kämme an Stöcken, bemalen sie, laden sie auf rollende Gestelle und schieben sie zum Trocknen in einen Raum. Bemalt wird zwar draussen, auf dem Dach des Hauses bei laufenden Ventilatoren, doch der Geruch ist so beissend, dass der Schreiberin nach einer halben Stunde ganz schwindelig ist. «Die Farbe ist nicht gefährlich», meint Arbeitgeber Imran Ali. Ihre Zusammensetzung will er dann aber doch nicht verraten. Er gibt an, fünf Kinder und fünf Erwachsene im Betrieb zu beschäftigen, der für den heimischen Markt und den Export nach Afghanistan produziert. Bei unseren zwei Besuchen treffen wir jedoch ausser den Geschäftsführern keine Erwachsenen an, dafür sieben Jungen im Alter von acht bis zwölf

Ausbeuterische Heimarbeit Die zwölfjährige Sahiba ist nach der vierten Klasse von der Schule abgegangen. Gemeinsam mit ihrer zehnjährigen Schwester hilft sie der Mutter beim Bemalen von Spardosen aus Plastik. Für 144 bemalte Spardosen erhalten sie gerade mal 13 Rappen. Gefragt, ob die Eltern ihre Kinder zur Schule schicken würden, wenn sie in der Nähe wäre, meint Sahibas Vater: «Meine Söhne würde ich gehen lassen – nach der Arbeit und wenn es keine Lohneinbusse bedeutet. Aber die Mädchen sind erwachsen, die sollen heiraten.» Wie Sahibas und Naheeds Mütter arbeiten in Pakistan viele Frauen zuhause, was meist mit Kinderarbeit «Die Kinder sind gute Arbeiter, verbunden ist. Denn die besser als ihre Eltern.» Heimarbeit ist noch schlechter bezahlt als die Arbeit in den Fabriken, und so müssen die Kinder Jahren. Wahrscheinlich auch deswegen, mithelfen. Die Mädchen arbeiten meist zu- weil Imran Ali ihnen – inklusive Überzeit – nur einen Viertel des Erwachsenenhause, die Jungen in Werkstätten. lohns bezahlen muss. Bei Krankheit erhalten sie gar keinen Lohn. Kein Wunder Giftige Dämpfe So auch der zehnjährige Khurram, der für sagt er: «Die Kinder sind gute Arbeiter, einen Monatslohn von etwa 25 Franken besser als ihre Eltern.»


16 PINGPONG Solidar-sudoku 2

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9 6

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1

8

Schicken Sie das Lösungswort an Solidar Suisse – mit einer Postkarte oder per E-Mail an: kontakt@solidar.ch, Betreff «Rätsel». 1. Preis ein Schal 2. Preis eine Küchenschürze mit Topfhandschuh 3. Preis ein Portemonnaie Die Preise stammen aus dem Frauenbildungszentrum Père Celestino, das Solidar Suisse in Burkina Faso unterstützt.

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9

6

Spielregeln Füllen Sie die leeren Felder mit Zahlen von 1 bis 9. Dabei darf jede Zahl in jeder Zeile, jeder Spalte und in jedem der neun 3x3Blöcke nur ein Mal vorkommen. Das Lösungswort ergibt sich aus den grauen Feldern waagrecht fortlaufend, nach folgendem Schlüssel: 1=Ü, 2=R, 3=F, 4=A, 5=W, 6=N, 7=E, 8=I, 9=M

4

Lösungswort

Einladung

Einsendeschluss ist der 18. Juni 2014. Die Namen der GewinnerInnen werden in der Solidarität 3/2014 veröffentlicht. Über den Wettbewerb wird keine Korrespondenz geführt. Der Rechtsweg ist ausgeschlossen. Von der Teilnahme ausgeschlossen sind Mitarbeitende von Solidar Suisse. Das Lösungswort des Rätsels in Solidarität 1/2014 lautete «Decent Pension». Gabriela Grubenmann aus Zürich hat einen Gutschein für ein Mittagessen im Restaurant Sahltimbocca gewonnen, Jacqueline Hottelier aus Plan-les-Ouates und Marianne Schindler aus Rüti je ein Säckchen Schokoladenmandeln. Wir danken dem Sahltimbocca des SAH Zürich für die gestifteten Preise und den Mitspielenden für die Teilnahme.

Damit nicht der Profit siegt …

Generalversammlung Solidar Suisse 2014 Dienstag 3. Juni, 16 Uhr, Kulturmarkt, Aemtler­str. 23, Zürich Programm 16 Uhr: Statutarische Geschäfte Unter anderem Statutenrevision. Eingeladen sind die Mitglieder von Solidar Suisse. Bitte melden Sie sich per E-Mail (kontakt@solidar.ch) oder Telefon (044 444 19 19) bis zum 26. Mai an. Anschliessend Apéro 19 Uhr: Öffentliche Veranstaltung Internationale Solidarität – tun wir das Richtige? Die Solidarität der Schweiz mit den Armen dieser Welt ist gross. Doch tun staatliche und private Organisationen immer das Richtige? Könnten sie mehr, müssten sie weniger oder schlicht anderes tun? Diesen und weiteren Fragen stellen sich Martin Dahinden (Deza) und Peter Niggli (Alliance Sud), zwei profunde Kenner der schweizerischen Entwicklungszusammenarbeit. Moderiert wird das Gespräch von Monika Oettli, Redaktorin «Echo der Zeit», Radio SRF. Weitere Informationen unter: www.solidar.ch/agenda

… sondern eine bessere Zukunft für diese Kinder! Mit Ihrer Trauerspende oder einem Vermächtnis engagieren Sie sich für benachteiligte Menschen und eröffnen Ihnen echte Chancen. Infos und Merkblätter erhalten Sie unter: www.solidar.ch/testament oder direkt bei Christof Hotz (044 444 19 45) Solidar Suisse PC 80-188-1


Netzwerk 17 In dieser Rubrik bieten wir Organisationen aus unseren Netzwerken eine Plattform. In dieser Nummer sind es Neuigkeiten aus den SAH-Regionalvereinen, die in der Schweiz Programme für Erwerbslose und MigrantInnen durchführen. Mit ihnen verbinden uns eine gemeinsame Geschichte und Trägerschaft.

SAH Zentralschweiz: Arbeitsintegration und Innovation

SAH-Netzwerk unterstützt Mindest­lohninitiative Das SAH-Netzwerk hält den Mindestlohn für ein sinnvolles Instrument, um ein faires Einkommen für alle sicherzustellen. Wer arbeitet, sollte von seinem Lohn leben und eine Familie unterhalten können. Der Mindestlohn stärkt zudem die Berufsbildung. Präsident Jean-Christophe Schwaab: «Es ist schockierend, dass jemand, der drei bis vier Jahre in eine Lehre investiert, danach einen Lohn erhält, der kaum zum Leben reicht. Eine Ausbildung muss sich lohnen.» Das Argument der InitiativgegnerInnen, wonach ein Mindestlohn junge Menschen dazu verleiten würde, zugunsten einer unqualifizierten Arbeitsstelle auf eine Ausbildung zu verzichten, weist das SAH als realitätsfern zurück. In den zahlreichen Eingliederungsprogrammen für Jugendliche, die in der Regel hohe Erfolgsquoten aufweisen, beobachtet das SAH, dass den Jungen der Wert einer guten Ausbildung durchaus bewusst ist und sie dafür einen tiefen Lernenden­ lohn in Kauf nehmen. Würden die Jugendlichen tatsächlich vor allem nach Gewinn streben, ginge bereits heute die Mehrheit von ihnen statt einer Ausbildung einer unqualifizierten Tätigkeit nach, die teilweise mehr als 4000 Franken pro Monat einbringt. www.sah-schweiz.ch

Per 1. Mai ergänzt das SAH Zentral­ schweiz seine Palette an Arbeitsintegrationsmassnahmen mit einem weiteren Angebot in Luzern: das Restaurant Libelle, eine professionell geführte soziale Unternehmung. Die Libelle eröffnet erwerbslosen Menschen mit geringen Chancen auf dem Arbeitsmarkt eine Perspektive. Hier eignen sie sich Kenntnisse und Fertigkeiten an, die ihnen bei der künftigen Stellensuche behilflich sind. Bei ihrer Arbeit in der Küche, im Service, hinter dem Buffet oder im Office werden sie mit den marktwirtschaftlichen Anforderungen eines Normalbetriebs konfrontiert; festangestellte Gastro-Mitarbeitende begleiten und schulen sie.

Eine weitere Besonderheit des Betriebskonzepts der Libelle sind regelmässige Innovationsworkshops, in denen die Programm-Mitarbeitenden und Gastrofachleute gemeinsam neue Rezepte entwickeln. So bereichern Kochtraditionen ver­schiedener Länder die typische Küche der Quartierbeiz. www.restaurantlibelle.ch

SAH Genf: Ausbildung für über 25-Jährige Anfang April hat das SAH Genf ein neues Programm gestartet, das zwanzig Erwachsenen über 25 Jahren die Absolvierung einer Grundausbildung (Eidg. Fähigkeitszeugnis oder Eidg. Berufsattest) ermöglicht. Denn oft besteht die einzige Perspektive für Sozialhilfe-EmpfängerInnen ohne Ausbildung in prekären Anstellungen, was einem dauerhaften sozialen Ausschluss Vorschub leistet. Die Teilnehmenden erreichen ein genügendes schulisches Niveau, um sich mit einem Praktikum wieder dem Arbeitsmarkt zu stellen und unter Begleitung des SAH eine neue Arbeitsstelle zu suchen. Neu an diesem gemeinsamen Mandat des Kantonalen Arbeitsamts und des Sozialamts des Kantons Genf ist, dass die TeilnehmerInnen während der gesamten Zeit ihrer Ausbildung weiterhin Sozialhilfe erhalten und sechs bis zwölf Monate – bzw. bis sie eine Lehre gefunden haben – im Programm bleiben. www.oseo-ge.ch

Neuer Geschäftsleiter im SAH Waadt Per Ende Juni 2014 verlässt Geschäftsleiter Joël Gavin das SAH Waadt. Nach einem offenen Ausschreibungsverfahren steht nun sein Nachfolger fest. Er ist für das SAH kein Unbekannter und bringt eine grosse Kenntnis der Organisation mit: Yves Ecoeur, ehemaliger Leiter des SAH Wallis (1996 –  2009) und Nationaler Sekretär der regionalen SAH-Vereine bis April 2013, übernimmt am 1. Juni die Leitung des SAH Waadt. www.oseo-vd.ch


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nicht die Frauenanliegen opfern Mary Nxumalo kämpft unermüdlich dafür, dass ihre Gewerkschaft sich gegen die prekäre Lage von Arbeite­­rinnen in Südafrika einsetzt. Text: Eva Geel, Foto: Willman Nkosi


Einblick 19 Frech und humorvoll setzt sich Mary Nxumalo gegen Widerstände von Arbeitgebern oder aus den eigenen Reihen durch.

Sei es für Forstarbeiterinnen, deren Probleme von den Gewerkschaften nicht ernst genommen werden, oder gegen widerspenstige Arbeitgeber: Mary Nxumalo kämpft mit warmem Lachen und unerschütterlichem Mut. Sie ist die Frauen­ beauftragte der südafrikanischen Gewerkschaft der Chemie-, Energie-, Papier-, Druck- und ForstarbeiterInnen und vertritt ihre Organisation beim Dachverband BHI, der internationalen Bau- und Holzarbeitergewerkschaft. Und sie kennt die vielfach prekäre Lage der Frauen in der südafrikanischen Arbeitswelt. Schlangen und sexuelle Übergriffe «Die Frauen in der Forstwirtschaft sind sehr verletzlich: Sie müssen bei jedem Wetter

draussen arbeiten; bei Regen wird es im men mit anderen Gewerkschaftsfrauen Wald sehr rutschig, das kann schnell töd- drohte sie beispielsweise, ihre Mitgliederlich werden.» Dazu komme die Gefahr von beiträge in einen Fonds zur Finanzierung Schlangenbissen und die ständige Bedro- von Mutterschaftsurlauben für bedürftige hung durch sexuelle Übergriffe – denn im Arbeiterinnen einzuzahlen. So richtig ernst Wald sind die Frauen häufig allein. Das ist gemeint war das nicht, aber, und dabei jedoch nicht die einzige Sorge der berufs- lacht sie schelmisch, «für einige Monate tätigen Frauen: Die alleinerziehenden Müt- wäre eine solche Aktion schon denkbar – ter haben Angst um ihre Kinder, die alleine zu Hause «Wir bekommen noch heute sind. Denn auch sie werden immer wieder Opfer von Anrufe von ArbeiterInnen, die Übergriffen. Kein Wunder uns danken.» also, dass die Frauen andere Forderungen haben als viele ihrer männlichen Arbeitskollegen. damit die Gewerkschaftsmänner uns endUnd um diese kümmert sich Mary Nxumalo lich ernst nehmen und Frauenanliegen in – keine einfache Aufgabe. Die Gewerk- Verhandlungen nicht als Erstes opfern». schaften, meint die überzeugte Gewerk- Unkonventionell war ihr Vorgehen auch in schafterin, seien häufig zu fixiert auf Lohn- der Provinz Mpumalanga, östlich von Jofragen. Verständlich in einem Land mit hannesburg, wo die ForstarbeiterInnen tiefen Löhnen und einer Arbeitslosigkeit ohne Schutzkleider ans Werk mussten. Ihvon beinahe 25 Prozent bzw. 40 Prozent, ren Arbeitgeber kannten sie nicht. Mary wenn diejenigen einbezogen werden, die Nxumalo ging einfach zur grössten Holzes aufgegeben haben, Arbeit zu suchen. firma der Region und sagte dem Chef, die Bei vielen ArbeiterInnen geht es da um die Gewerkschaft werde ihn anzeigen, wenn pure Existenz. er nicht dafür sorge, dass die Arbeite­ rInnen aller Unternehmen Schutzkleidung bekämen. «Zwei Wochen später rief er Lohnerhöhung oder Kinderkrippe So bleiben die Anliegen der Frauen oft mich an, um mir mitzuteilen, dass nun alle auf der Strecke. Dabei geht es auch hier Forstangestellten Schutzkleidung hätten. um Existenzielles: günstige Transport- Und so war es auch – wir bekommen noch möglichkeiten bei Nachtarbeit, bezahlter heute Anrufe von ArbeiterInnen, die uns danken. Das gibt mir Kraft und Energie: Mutterschaftsurlaub und Kinderhorte. Die Arbeitgebenden stellen die Gewerk- Wenn wir etwas verändern, wenn ich ein schaften bei solchen Forderungen oft vor Lächeln auf den Gesichtern der Meneine harte Wahl: Lohnerhöhung oder Kin- schen hervorrufen kann.» derkrippe. Dann steht die Belegschaft vor einer Zerreissprobe. Doch manchmal geIhre Spende wirkt lingt das schier Unmögliche: So strich ein Holzunternehmen gegen den Widerstand eines Teils der Belegschaft die geplante Mit Ihrem Beitrag von 70 Franken kann Lohnerhöhung und richtete dafür einen eine Gewerkschaftsführerin eine einKinderhort ein. Mary Nxumalo: «Weil sie tägige Weiterbildung absolvieren, um sahen, wie wichtig das ist, unterstützten ihre Verhandlungsfähigkeiten zu verdies mit der Zeit auch jene Beschäftigten, bessern. So kann sie sich effektiver die keine kleinen Kinder haben.» für arbeits- und sozialrechtliche Mindeststandards einsetzen, die die Bauund Holzarbeiter Internationale BHI im Unkonventionelle Wege südlichen Afrika durchsetzen will. Von solchen Erfahrungen lebt die 54-Jährige. Um ihre Ziele zu erreichen, geht sie www.solidar.ch/suedafrika_projekte auch mal unkonventionelle Wege. Zusam-


Schluss mit den Fouls der Fifa Die exklusiven Verkaufsrechte, welche die Fifa an der WM in Brasilien für sich und ihre SponsorInnen fordert, bedrohen die Existenzgrundlage der StrassenhändlerInnen. Noch ist es nicht zu spät, das Verkaufsverbot vollumfänglich aufzuheben. Unterstützen Sie uns kurz vor dem Anpfiff: www.solidar.ch/fairewm


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