Semper Magazin No.7 12/13

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Nora Schmid, Autorin Matthias Creutziger, Fotograf

Folgendes Szenario ist denkbar: Im August 1791 sitzt Wolfgang Amadeus Mozart mit seiner Frau Constanze und seinem Schüler Franz Xaver Süßmayr in einer Kutsche auf dem Weg nach Prag, jene Stadt, in der er bislang seine größten Erfolge feiern konnte. Dass dies seine letzte Reise werden sollte, weiß er wohl noch nicht. Im Wagen rüttelt und schüttelt es, dennoch ist Mozart am Komponieren, denn die Zeit drängt. Gar kurzfristig haben zuvor die böhmischen Stände anlässlich der Anfang September stattfindenden Krönung des deutschen Kaisers Leopold II. zum böhmischen König einen Kompositionsauftrag für eine Festoper vergeben. Der Zeitdruck ist so groß, dass Mozart die Komposition der Secco-Rezitative gleich seinem mitreisenden Schüler überlässt. Das Sujet wiederum ist bestens bekannt und dem höfisch-zeremoniellen Anlass entsprechend: Im Mittelpunkt steht der milde, unerschütterlich großmütige römische Kaiser Titus Flavius Vespasianus. Seine Geschichte hat in der fiktiven Fassung von Metastasio seit 1734 schon mehrfach für Huldigungszwecke gute Dienste geleistet. Voltaire nennt Metastasios Text gar eine »ewige Lehre für alle Könige und ein Entzücken für alle Menschen«. – Offenbar will man auch Leopold II. zu seinem Amtsantritt den Fürstenspiegel vorhalten. Hohe Erwartungen sind an ihn geknüpft: Als fortschrittlicher und vorbildlicher Großherzog der Toskana hat er einen Musterstaat der europäischen Aufklärung geschaffen. Die aufgeklärten und reformwilligen Bürger aller Stände versprechen sich nun von ihm eine besonnene Fortsetzung der Reformen von Kaiser Joseph II. sowie deren Weiterführung zur konstitutionellen Monarchie. 1791, mitten in der Krise des Ancien Régime, soll mit den Mitteln der Opera seria die Erbmonarchie nochmals besungen werden.

Ist der Sieg der Barmherzigkeit mehr als eine Utopie? Aber ist Mozarts »Titus« hierfür wirklich das passende Stück? Entgegen den Erwartungen ist seine Oper, für die der Dresdner Hofdichter Caterino Mazzolà Metastasios Vorlage bearbeitet hat, über weite Strecken keine hymnische Festveranstaltung, sondern ein regelrechter Krimi. Intrigen sind keine Seltenheit an diesem Ort, bis sogar die Stadt Rom in Flammen steht. Doch der Ansporn für die einzelnen Figuren ist nicht politischen Ursprungs, sondern es sind ihre ungezügelten Leidenschaften, so dass es immer wieder die erhoffte, verschmähte oder verlorene Liebe ist, die gewollt und ungewollt Politik macht: Vitellia erhebt Anspruch auf den Kaiserthron und hofft auf eine Verbindung mit Tito, den sie liebt. Er jedoch will Sestos Schwester Servilia heiraten. Sesto wiederum liebt Vitellia, und sie verspricht ihm ihre Liebe, falls er Tito tötet. Öffentlich von Tito umworben, bekennt sich Servilia zu Annio. Tito lobt ihre Aufrichtigkeit und ignoriert eine Nachricht über eine Verschwörung. Unerwartet hält er nun um Vitellias Hand an, die das Attentat nicht mehr verhindern kann. Als Sesto zum Tode verurteilt werden soll, bekennt sich Vitellia als Urheberin des Mordplanes. Tito erkennt im Konflikt zwischen Staatsräson und Freundesliebe das Grundproblem des aufgeklärten Herrschers, Macht und Humanität sowie persönliche und politische Interessen vereinen zu wollen. Am Ende lässt er Milde walten und begnadigt beide. Aber ist dieser Sieg der Barmherzigkeit wirklich mehr als eine Utopie? Oder ist er gar nur Herrscher-Willkür im Kleide der Großmut, da Tito rettet, wen er retten will, Gesetz hin oder her?


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