Semper Magazin No. 4 12/13

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Semper!

Kosmos Oper

Nacht an der Semperoper miterlebt, sei es eine Garnison Scharfschützen hinter der Panther-Quadriga auf dem Operndach anlässlich des Dresden-Besuchs Barack Obamas 2009, seien es angetrunkene Stadtfestbesucher, die nicht eben höflich in der Oper nach einer Toilette suchen. »Passiert ist noch nie etwas, meistens genügen ein paar bestimmte Worte, um die ungebetenen Besucher zum Umkehren zu bewegen, doch natürlich weiß man nie, was im Kopf des Einzelnen vorgeht.« Gibt es Waffen zum Selbstschutz der nächtlichen Kontrollgänger? »Nein«, meint Uwe Franke entschieden, »und darüber bin ich froh. Ein entwaffnendes Lächeln ist wesentlich effektiver«. Dafür bieten sich kuriose Situationen, die geradezu bühnenreif sind. Ein Erlebnis dieser Art bekam Uwe Franke von seinen Kollegen berichtet: »Beim nächtlichen Gang durch die Oper hörten die Kollegen ein Klopfen an einer der Türen – allerdings im ersten Stock, vom Opernbalkon aus. Als sie öffneten, stand davor ein Kletterer, der sich aus Jux vorgenommen hatte, die bloße Fassade der Oper hochzuklettern. Nur herunter kam er nicht mehr von selbst.« Die meisten Nächte verlaufen allerdings ruhiger, so auch diese. Langweilig wird es trotzdem nicht – im Gegenteil, denn nun beginnt der Gang in die Tiefen des Opernhauses. Und das im wahrsten Sinne des Wortes. Selbst einige langjährige Opernmitarbeiter dürften überrascht sein von den labyrinthischen Räumen und Gängen, die sich unter ihren Füßen ausbreiten. Im Lichtkegel der Taschenlampen zeichnen sich die unförmigen Umrisse der riesigen Klimaanlage, des Wasserspeichers für die Bühnen-Sprinkleranlage und der Belüftungsapparatur ab. Alles andere liegt im Dunkeln, die Räume sind fensterlos und nach wenigen Schritten und Ecken hat man die Orientierung völlig verloren. Ein halbes Jahr lang habe er gebraucht, um sich hier zurechtzufinden, meint René Pohl, der schon seit 17 Jahren beim Sicherheitsdienst DWSI arbeitet

René Pohl in der Brandmeldezentrale der Semperoper

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Anne Gerber, Autorin Matthias Creutziger, Fotos

Nach der Vorstellung: Abbau auf der Bühne

und mit seinen Kollegen wohl einer der wenigen sein dürfte, die jeden Winkel des Operngeländes wie ihre Westentasche kennen. Der Weg führt über enge Wendeltreppen, durch niedrige Türen, auf schwankende Brücken in schwindelerregende Höhen. Gut zwei Stunden lang wird das Bühnengebäude vom Keller bis auf den Schnürboden durchstreift, gewissenhaft auf offene Türen oder noch angeschaltete Lampen überprüft – Strom sparen! Ein Gang nach dem anderen versinkt im Dunkeln. Schließlich geht es zurück ins Funktionsgebäude. Beim Außenkontrollgang hatten Pohl und Kalan in einem der Räume ein Licht entdeckt. Die beiden sehen nun nach – und müssen lachen. Heimelig leuchtet ein Schwibbogen auf dem Fensterbrett. Kalan zieht den Stecker, der Brandschutz geht vor. »Ab und zu trifft man sogar weit nach Mitternacht noch auf einen Kollegen, der beim Schreiben die Zeit vergessen hat, oder einen Künstler, der die Gunst der ruhigen Stunde für eine einsame Probe nutzt«, erklärt er schmunzelnd. »Die Regel lautet allerdings, dass spätestens eine Stunde nach Vorstellungsende die Mitarbeiter das Haus verlassen sollen und die Tür verschlossen wird.« Zum Schluss folgt der Gang um und durch die Werkstätten der Semperoper. Nach weiteren anderthalb Stunden im Halbdunkel der riesigen Tischlereiund Plastikhalle, vorbei an klappernden Rüstungen und unheimlichen Pappmaché-Köpfen, kehrt für eine Weile verdiente Ruhe ein. Bis zu neun Kilometer legt ein Wachhabender an der Semperoper pro Nacht zurück. Dennoch schätzen Pohl und Kalan den Nachtdienst: »An die verschobenen Schlafzeiten gewöhnt man sich, und bei den Kontrollgängen vergeht die Zeit wie im Fluge.« Schon ist es vier Uhr, bald treffen die ersten Reinigungskräfte ein, und die zwölfstündige Schicht neigt sich dem Ende zu. Zeit, die Lichter wieder anzuschalten.


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