RA_Muskelkater

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Ratgeber | Muskelkater

Schenkelglühen Konsequenz Muskelkater von Dr. Dieter Kleinmann

Bei der Illustration zu diesem Thema entschied sich unser freier GrafikDesigner Florian Schmitt für eine experimentelle Umsetzung, die an Stilmix und Collage erinnert. Die fiktive Szene soll eher surreal als realistisch wirken. Schmitt zog sich während der Findungsphase beim Training tatsächlich einen Muskelkater zu und will den nicht sichtbaren Schmerz dargestellt wissen.

digkeit (Wucht) und koordinativen Fähigkeiten beim Aufprall mehr oder weniger stark gedehnt („auseinandergerissen“). Der Energieaufwand ist hierbei sehr gering, im Gegensatz zur konzentrischen Muskelarbeit. Selbst bei maximaler Belastung ist auch die Laktatkonzentration geringer.

FLORIAN SCHMITT

Einfach eindrucksvoll

Muskelkater tritt auf bei ungewohnter muskulärer Beanspruchung nach langer Sportabstinenz, neuen Bewegungsabläufen, die noch nicht beherrscht werden und körperlichen Höchstbelastungen auch bei trainierten Athleten im Wettkampf, wenn sich aufgrund muskulärer Ermüdung die Koordination verschlechtert. Die Symptomatik beginnt meist einige Stunden nach Belastungsende, erreicht ihren Höhe-

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punkt am ersten bis dritten Tag danach und dauert abhängig von der Ausprägung der vorangegangenen Überlastung etwa eine Woche an. Am häufigsten ist ein Muskelkater bei der exzentrischen Kraftentwicklung zu beobachten, wie beim Bergablaufen. Koller und Mitarbeiter konnten zeigen, dass beim Bergablaufen (exzentrische Kraft) auf einer Strecke von vier Kilometern und 950 Höhenme-

tern das Muskelenzym Kreatinkinase (CK) mit einem Gipfel nach einer Woche massiv anstieg, ebenso die für einen Muskelzelluntergang sprechenden Myosinschwerkettenfragmente im Blut. Dagegen stiegen diese Werte beim Bergauflaufen (konzentrische Kraft) auf derselben Strecke nur wenig mit einem Gipfel innerhalb von zwei Tagen an. Beim Bergablaufen handelt es sich um Bremsvorgänge. Der angespannte Muskel wird abhängig von der Geschwin-

RUNNING | 06/2009

Bereits 1956 hat der skandinavische Sportphysiologe Assmussen einen sehr anschaulichen Test veröffentlicht: Eine Versuchsperson steigt mit gleichmäßiger Geschwindigkeit bis zur Erschöpfung auf einen Stuhl hinauf und wieder hinunter. Das Hinaufsteigen (positive Arbeit, konzentrische Muskelbeanspruchung) leistet nur ein Bein, während das andere zum Abbremsen (negative Arbeit, exzentrische Muskelbeanspruchung) beim Absteigen benutzt wurde. Da der Energieverbrauch beim Aufsteigen größer ist, ermüdet dieses Bein zuerst. Der geringe Energieaufwand beim Absteigen kann von wenigen sich abwechselnden Muskelzellen aufgebracht werden. Dadurch sind allerdings die Kräfte, die auf den einzelnen Zellen lasten, „bergab“ größer als „bergauf“, denn die Gesamtkraft (Kraft = Masse mal Beschleunigung) bleibt bei jeder Bewegungsrichtung gleich. Zusätzlich werden die Muskeln beim Abstieg sogar noch auseinandergezogen und wahrscheinlich beschädigt. Es ist daher verständlich, dass der Muskelkater in diesem Versuch immer nur im bremsenden Bein auftritt.

Ursachenforschung Früher glaubte man, dass der Muskelkater durch eine Ansammlung von Milchsäure im Muskel verursacht wird. Besonders hohe Milchsäurewerte erzielen 400- und 800-MeterLäufer. Auffällig ist allerdings, dass nach Mittelstreckenwettkämpfen mit

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extrem hohen Laktatspiegeln deutlich weniger Muskelkater auftritt als nach einem Marathonlauf mit geringem Laktatanstieg, aber sehr hohem Energieverbrauch. Säuren können Gewebsschäden und Schmerzen auslösen, weshalb man hierin die Ursache des Muskelkaters vermutete. In diesem Fall müsste jedoch der Schmerz zum Zeitpunkt der höchsten Milchsäurekonzentration, also in der Regel bei Belastungsende am größten sein. Zum Zeitpunkt des Muskelkaters, also ein bis zwei Tage später ist die Milchsäure aber längst wieder auf Normalwert abgesunken. Der Normalwert wird im Allgemeinen ein bis zwei Stunden nach Arbeitsende wieder erreicht. Mittlerweile konnten elektronenmikroskopisch Mikroverletzungen der Muskelzellen nach exzentrischer Belastung als Ursache des Muskelkaters nachgewiesen werden. Die Faserdefekte waren nach sechs Tagen weitgehend abgeheilt. Bei untrainierten Männern wurden allerdings noch nach zehn Tagen Muskelfaseruntergänge registriert. Wenn die exzentrischen Muskelbelastungen im vorgedehnten Zustand durchgeführt wurden, war der Muskelschaden größer, was den Sinn von Stretchingübungen vor derartigen Beanspruchungen in Frage stellt.

Vorbeugemaßnahmen Die beste Vorbeugung ist der Muskelkater selbst, der kurze Zeit zurückliegt. Dies wird mit einer verbesserten Koordination bei Einsatz von mehr Muskelfasern und verbesserter zeitlicher Abstimmung sowie mit einer verstärkten mechanischen Belastbarkeit oder einer Zerstörung besonders empfindlicher Muskelfasern erklärt. Der schützende Effekt eines bereits durchgemachten Muskelkaters hält mindestens sechs Monate an und ist nach zwölf Monaten nicht mehr nachweisbar. Ein vorbeugendes Training sollte eine exzentrische Kraftkomponente enthalten, bei-

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spielsweise Bergab- und Treppabläufe. Das vielfach geübte „Auslaufen“ hat nach einem Marathonlauf keinen Effekt in Bezug auf den Wiederherstellungsprozess gemessen an der Wiederauffüllung der Glykogendepots oder an Enzymaktivitäten. Unmittelbar nach einer Überlastung der Muskulatur haben sich entzündungshemmende und die Regeneration fördernde Eismassagen beziehungsweise Kaltwasseranwendung bewährt. In den ersten Tagen des Muskelkaters sollten lediglich leichte Übungen zur Erhaltung der Beweglichkeit und Koordination durchgeführt werden, evtuell auch Schwimmen im Falle überlasteter Laufmuskulatur.

Wirkungslose Bemühungen Ein Training während der Schmerzsymptomatik des Muskelkaters ist wirkungslos, wie eine Untersuchung von Gutenbrunner und Mitarbeitern zeigte. Sie belasteten 45 gesunde Männer bis zum Auftreten eines Muskelkaters. Danach wurden drei Gruppen gebildet: Eine Gruppe führte mit Muskelkater weiter ein Krafttraining durch, die andere Gruppe dasselbe Training erst nach abgeklungenem Muskelschmerz und die dritte Gruppe blieb als Kontrolle ohne Training. Die Abnahme der Maximalkraft war in allen drei Gruppen am zweiten Tag des Muskelkaters am größten. Danach nahm sie langsam wieder zu. In der nicht trainierenden Kontrollgruppe und in der Gruppe, die noch während des Muskelkaters ein viertägiges Krafttraining durchführte, waren allerdings die Ausgangswerte bis zum Ende des 25-tägigen Nachbeobachtungszeitraums noch nicht wieder erreicht. Das viertägige Training mit Muskelkater war also nutzlos. Die Trainierbarkeit der Muskulatur unmittelbar nach Überlastung mit Muskelkater ist aufgehoben. Dagegen zeigte die Gruppe mit Trainingsbeginn nach dem Muskelkater anfänglich wohl denselben Kraftverlust, jedoch war eine deutlich stärkere Kraftzunahme zu verzeichnen als in den übrigen Gruppen.

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