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Alice

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Vogelgezwitscher laufen, damit niemand das Plätschern am Pissoir hört. Doch nach Feierabend ist der Eklat nur ein paar Gläser Sake entfernt. Dann verwandeln sich die Workaholics scheinbar zu unberechenbaren Cholerikern im Smoking. Unter der glatt polierten aber dünnen Haut der formellen Höflichkeit fand Brown S&M, Fetisch-Partys, Gewalt, Schizophrenie. Und einen Antipol: Seine Ehefrau Konomi Izumi ist im Land der aufgehenden Sonne eine angesehene Künstlerin – und entwirft hauptberuflich Teddybären. Auch für Kinder. Paraphilie: psychische Störungen, die von der „Norm“ Nicht für Kinder arbeitet Brown, sondern mit Kindern. abweichende sexuelle Bedürfnisse wie Schmerz oder Demütigung einschliessen. Pädophilie: sexuelles Interesse an Respektive: Mit (zu) jungen Mädchen, die er in Positionen bringt, für die er im richtigen Leben wohl aufgeknüpft würde. Kindern, die noch nicht die Pubertät erreicht haben. BDSM: Szenen, die man auch dem österreichischen Skandal-Künstler sexuelle Verhaltensweisen, die mit Dominanz, Unterwerfung, und Manson-Mentor Gottfried Helnwein zuschreiben könnte, Bestrafung, Lustschmerz und Fesselspielen in halt einfach dargestellt in Manga-Ästhetik und Pop-ArtZusammenhang stehen können. Kitsch. Und wie bei Helnwein finden das nicht alle besonders Einführungstexte zu Trevor Brown lesen sich wie die Anklageschrift von Josef Fritzl. Der nach Tokio übergesiedelte lässig, diese Faszination für das Abgründige, die sittenbewusste Bürger gern unter dem Teppich behalten. Engländer dreht die kindliche Unschuld durch den Öffentliche Auftritte Browns sind selten, 2007 holte ihn Klang Fleischwolf, vergewaltigt sie mit Tusche und Bleistift zu & Kleid erstmals in die Schweiz. Doch Brown hat sein kulleräugigen Manga-Sklaven. Eben erst hat (er zusammen mit Yuriko Yamayoshi) „Time Of Alice“ herausgegeben, einen Publikum – und seine Auftraggeber. Er illustriert Plattencovers für Splatter-Punk-Legende GG Allin, zeichnet Bildband, gegen den Tim Burtons Lewis-Carroll-Verfilmung für die Electro-Hipster Crystal Castles und Unmengen von mit heruntergelassenem Rock dasteht. Wehte durch die Industrial-Berserkern. Drei Jahre nach der Landung in Tokio dreidimensionalen Filmsequenzen ein Windhauch des Horrors, erzeugt Brown einen Hurrikan der Entrüstung. Alice erschien sein erstes Buch, sieben weitere folgten. Und jedes in Latexwäsche, verwickelt in Bondage und Fesselspiele. Das von ihnen ist schwerer zu erstehen, als ein gebrauchtes Höschen von Miley Cyrus. volle Programm.

revor Brown spielt Ping Pong mit unseren Moralvorstellungen und lächelt dabei: Er zeigt Dinge, die wir uns kaum vorzustellen wagen. An denen jedoch – kriegen wir sie zu Gesicht – das Auge kleben bleibt wie Kaugummi an der Schuhsole. Gerade hat er sich (auch noch) „Alice im Wunderland“ vorgeknöpft. Das Hasenloch führt in eine Folterkammer. Und Humpty Dumpty endet als Sexknecht. (rgg)

Gerade feierte man im Ameisenhaufen der Arbeitergesellschaft ja wieder Halloween. Die Nacht, in welcher das Spiessbürgertum für ein paar Augenblicke den Mantel lichtet, wo die Working Class einblicken lässt in den Wahnsinn, die perversen Phantasien in den Köpfen von Menschen, die sich in der Strassenbahn neben uns setzen. Die uns vielleicht versehentlich anrempeln, wenn sie sich bei Starbucks vordrängeln. Menschen, die wir am Ende vielleicht sogar selber sind. Trevor Brown, 1959 in London geboren, ging nach Tokio, fasziniert von solchen vermeintlichen Tabus. Das war 1993 und kein Zufall. Die Japaner lassen zwar auf der Toilette

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