Das Crowdfunding-Handbuch

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„Crowdfunding kehrt die Machtverhältnisse um.“

ISBN 978-3-936086-80-5

m um Fil z h c u Das B

Capital C

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Das | Crowdfunding | Handbuch

Das Crowdfunding-Handbuch ist anlässlich des Films CAPITAL C und in Kooperation mit seinen Machern Jørg Kundinger und Timon Birkhofer entstanden. Geschichten aus dem Film und Recherchen aus seiner Ent­stehung sind ebenfalls in das vorliegende Buch eingeflossen.

Dieses Handbuch erklärt, welches grundlegend neue Potenzial in Crowdfunding steckt, wofür es sich eignet und vor allem: wie es funktioniert. Schritt für Schritt führt es durch die Vorbereitung und Umsetzung einer Crowdfunding-Kampagne, dazwischen berichten erfolgreiche Starter in Fallbeispielen von ihren eigenen Erfahrungen.

Ulrike Sterblich, Tino Kreßner, Anna Theil & Denis Bartelt

D i e E x p e r t e n Anna Theil, Tino Kreßner und Denis Bartelt sind die Köpfe hinter Startnext, einer 2010 gegründeten CrowdfundingPlattform für kreative und nachhaltige Ideen. Inzwischen ist Startnext mit monatlichen Finanzierungs­summen im Millionenbereich die größte Crowdfunding-Plattform im deutschsprachigen Raum.

Und es geht dabei um mehr als nur um Geld. Die Initiatoren erfahren im direkten Austausch, was die Interessenten wollen, und die Unter­stützer können unmittelbar an der Ent­s tehung eines Projekts teilnehmen. Crowdfunding macht die Möglichkeiten der Vernetzung ganz konkret er­lebbar, und alle profitieren davon.

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D i e A u t o r i n Ulrike Sterblich kannte das Prinzip Crowdfunding vor der Arbeit am Crowdfunding-Handbuch vor allem aus der Perspektive der Projekt-Unterstützerin. Sie schreibt Bücher, Kolumnen und kurze Hörspiele; als „Supatopcheckerbunny“ hat sie in Radio- und TV-Beiträgen sowie einer Bühnenshow Kompliziertes einfach erklärt und mit Tex Rubinowitz Comics gemacht.

Fair produzierte Turnschuhe, ein Möbelbauprojekt mit Flüchtlingen, ein außergewöhnliches Konzert: Mit Crowdfunding können Ideen unabhängig von herkömmlichen Finanzierungsmethoden verwirklicht werden – einfach, weil ausreichend viele Menschen sie verwirklicht sehen wollen.

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Ulrike Sterblich, Tino Kreßner, Anna Theil, Denis Bartelt

Das d w Cro g n i d n u f h c u b d han n sam n gemeir e n I dee n z ie a n fi

Die Erinnerungen einer 102-Jährigen in Kalenderform, ein Live-Album von Peter Licht, ein verpackungsfreier Supermarkt: Bei alledem war „Crowdfunding“ das Zauberwort. Startkapital für Innovationen und kreative Unternehmungen kommt dabei nicht von der Bank oder der Erbtante, sondern direkt von der „Crowd“, d. h. von den mög­lichen Unterstützern und Interessenten. Immer mehr Menschen lassen auf diese Art gezielt Ideen von anderen Wirklichkeit werden – kleine und große, mit 5 oder auch 500 Euro, einfach weil sie sich dafür begeistern und das Ergebnis sehen wollen. So bekommen Autoren Zeit, um Bücher zu schreiben; können Erfinder ihre Einfälle weiterentwickeln; so hat Kabarettist Dieter Hildebrandt störsender.tv an den Start gebracht. Doch welche Projekte eignen sich für die Methode, was ist zu bedenken – und was passiert, wenn es nicht funktioniert wie geplant? Zusammen mit den Crowdfunding-Pionieren von Startnext, der größten Plattform für Schwarmfinanzierung im deutschsprachigen Raum, erklärt Ulrike Sterblich das Prinzip im Crowdfunding-Handbuch anschaulich, kompakt und für jeden nachvollziehbar.


Ulrike Sterblich, Tino Kreßner, Anna Theil, Denis Bartelt: Das Crowdfunding-Handbuch – Ideen gemeinsam finanzieren Freiburg: orange-press 2015 © Copyright für die deutsche Ausgabe 2015 bei orange Alle Rechte vorbehalten.

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Gestaltung: Katharina Gabelmeier Lektorat: Undine Löhfelm Gesamtherstellung: Pozkal Im Text angegebene URLs verweisen auf Websites im Internet. Der Verlag ist nicht verantwortlich für die dort verfügbaren Inhalte, auch nicht für die Richtigkeit, Vollständigkeit oder Aktualität der Informationen. ISBN: 978-3-936086-80-5 | www.orange-press.com | www.crowdfunding-handbuch.de


Inhalt – Anleitung Vorwort Grundsätzliches Was ist Crowdfunding? Welche Projekte eignen sich? Persönliche Voraussetzungen Die Motive der Unterstützer Positive Nebeneffekte Vorbereitung der Kampagne Von anderen lernen Welche Plattform ist die Richtige für mich? Delegieren und Teamarbeit Crowdbuilding Konzeption der Projektseite Titel und Text Pitch-Video und Bilder Kalkulation Gegenleistungen Laufzeit Während der Kampagne Werbung Kommunikation mit der Crowd Arbeiten mit der Crowd Nach der Kampagne Ziel erreicht Neue Chancen und Folge-Effekte Umgang mit Scheitern Das Kleingedruckte Rechtliches und Steuerliches Anhang

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Inhalt – Fallbeispiele Die Nachbarschafts-Initiative: Prinzessinnengarten Das Sozialunternehmen: Cucula Das Generationen-Projekt: Der Kalender der Hundertjährigen Das gesellschaftliche Experiment: Mein Grundeinkommen Die Newcomer: I Heart Sharks Der Entwickler: SHIFT / iCrane Die Kulturinstitution: C/O Berlin Die Punks: SO36 Das Fan-Projekt: Am Borsigplatz geboren Die Musikerin: Mine Die Veranstalter: Auerworld Festival Die Regionalen: Dreiklang Der Comic-Autor: Wormworld Saga Die Gründer: Hafervoll Der Markttest: Langstrecke Die Digitalen: FahrradJäger Die Filmemacher: Capital C Die Durchstarterinnen: Original Unverpackt

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Vorwort Dieses Handbuch stellt das Prinzip Crowdfunding vor und führt alle, die sich für diese Finanzierungsmethode entschie­den haben, Schritt für Schritt durch eine Crowdfunding-Kampagne. Dazu erklären wir zunächst Grundsätzliches und widmen uns dann konkret der Durchführung einer Kampagne. Die Abläufe und Merkmale sowie die meisten Erfahrungswerte gelten für alle Crowdfunding-Projekte, und seien sie noch so verschieden. Zwischen den anleitenden Kapiteln zeigen Fallbeispiele, in denen erfolgreiche Starter von ihren Erfahrungen erzählen, die Bandbreite mö­g­licher Ansätze. So veranschaulichen Praxisberichte die Theorie, und umgekehrt werden Fragen, die sich aus den orangefarbenen Seiten ergeben, in den Anleitungskapiteln beantwortet – es lohnt sich, das Buch nicht nur linear zu lesen, sondern vor- und zurückzublättern! Weil sich das Phänomen Crowdfunding schnell entwickelt und rechtliche und steuerliche Regelungen sich jederzeit ändern können, gibt es mit crowdfunding-handbuch.de die Website zum Buch. Sie enthält jeweils neue Informationen zur Gesetzeslage und nützliche Links zur Vertiefung sowie Mustervorlagen für Kalkulationen, Verträge etc. Beim Crowdfunding spielt die Kommunikation eine Schlüsselrolle. Dabei duzen sich Projektstarterinnen und Unterstützer üblicherweise, und das halten wir in diesem Buch genauso. Apropos Starterinnen: Wir verwenden in diesem Buch keine Binnen-Is (wie in „AutorInnen“) oder Schrägstriche („Autor/innen“), lassen es aber auch nicht einfach bei der männlichen Form bewenden. Stattdessen wechseln wir munter zwischen männlicher und weiblicher Form, wo es nicht um bestimmte Personen geht; auf dass sich jeder und jede in unserer Crowd angesprochen fühlen kann. Viel Spaß beim Lesen!

Die Autorinnen und Autoren 7


G r u n ds ä t z lich e s

Was ist Crowdfunding? Welche Gemeinsamkeiten gibt es zwischen dem Wandkalender mit Ge­schichten einer hundertjährigen Frau, einem Berliner Supermarkt, der ohne Verpackungen auskommt, und der aktuellen, aufwendig pro­ du­zier­ten Fortsetzung eines Computerspielerfolgs von 1988? Alle diese Projekte wurden mithilfe von Crowdfunding-Kampagnen finan­ziert und umgesetzt. Doch was ist Crowdfunding eigentlich? In einem Satz lässt sich das Prinzip so zusammenfassen: Viele Personen finanzieren mittels kleiner Beträge gemeinsam ein Vorhaben. Im deutschen Buchhandel wurde mit dem Subskriptionsverfahren im 17. Jahrhundert etwas Ähnliches eingeführt. Über ein Vorbestell­ system konnte die Anzahl potenzieller Käufer von Büchern ermittelt werden, vor allem aber diente es zur Vorabfinanzierung. Das Verfahren gibt es noch heute, es wird jedoch nur in Einzelfällen angewandt. Auch im Wein­han­del können Subskriptionskundinnen sich im Vorfeld ein Kontingent eines bestimmten Weins sichern, indem sie den Winzern darauf einen finan­ziel­len Vorschuss zahlen (und dann allerdings zum Teil mehrere Jahre auf den Wein warten müssen). Was ist also an Crowdfunding überhaupt neu?

Begriff und Entwicklung

Im Jahr 2003 sammelte die US-amerikanische Musikerin Maria Schnei­ der über eine neuartige Internetplattform von ihren Fans ausreichend Geld für die Produktion einer neuen CD ein. D. h. jemand mit einer Projektidee (eine Starterin) wandte sich über eine Schnittstelle im Internet (die Plattform) direkt an ihre Zielgruppe (die Crowd), um von denjenigen, die sich für ihre Idee begeisterten (Unterstützer), das nötige Geld für die Finanzierung zu bekommen (Funding). Damit sind wesentliche Merkmale des Prinzips Crowdfunding sowie die dafür charakteristischen Begriffe erklärt. 10


Was ist Crowdfunding?

Der Begriff „Crowd“ kam erst gegen 2006 dazu, als der Autor und Blogger Jeff Howe den Ausdruck „Crowdsourcing“ prägte. Die Wort­ neu­schöpfung aus dem englischen „Crowd“ (eine Menge von Menschen) und „Outsourcing“ (was ursprünglich nicht die Auslagerung von Arbeits­plätzen zu schlechteren Bedingungen meinte, sondern das Zurückgreifen auf externe Dienstleister für bestimmte Aufgaben) beschreibt die informelle, freiwillige und arbeitsteilige Kooperation von Menschen über das Internet. Am bekanntesten ist vielleicht die Umsetzung des Prinzips in Form der frei zugänglichen InternetEnzyklopädie Wikipedia. Michael Sullivan, Gründer der nicht mehr existierenden Plattform fundavlog.com, war dann der Erste, der das Wort Crowdfunding verwen­ dete. Zum ersten Mal im Zusammenhang mit einer Plattform benutzt wurde es auf sellaband.com, wo Fans Musik­projekte finanzieren können. Der deutsche Begriff „Schwarmfinanzierung“ hat sich auch im deutschen Sprachraum nicht durchgesetzt.

Crowdfunding-Modelle

Vier Modelle haben sich beim Crowdfunding herauskristallisiert, für die im Deutschen eigene, an die amerikanischen Bezeichnungen angelehnte Bezeichnungen gefunden wurden: Crowddonating (als Spende)

Donation-Based Crowdfunding

Lending-Based Crowdfunding

Crowdlending (mit verzinster Rückzahlung)

Equity-Based Crowdfunding

Crowdinvesting (mit finanzieller Beteiligung)

Reward-Based Crowdfunding

Crowdfunding mit Gegenleistung

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G r u n ds ä t z lich e s

Crowddonating Bei Crowddonating-Projekten wird Geld für einen guten Zweck ge­­sam­­melt. Vom Spenden-Modell der klassi­schen humanitären Hilfswerke unterscheidet sich Crowddonating dadurch, dass ein einzelnes, ganz kon­kretes Projekt damit finan­ziert werden soll. Über eine Crowdfunding-Plattform wird dann z. B. um Unterstützung für eine bestimmte Flüchtlingsfamilie geworben, oder für den Bau einer Solarstromanlage in einem afrikanischen Dorf. Im Unterschied zum großen Hilfs­werk, bei dem die Spendengelder in unterschiedliche Projekte fließen, besteht eine persön­liche Verbindung zu dem Vorhaben, um dessen Unterstützung geworben wird, und die Unterstützerinnen können anschließend verfolgen, was mit ihrem Beitrag passiert – z. B. bei betterplace.org und helpedia.de. Crowdlending Beim Crowdlending erhalten Privatpersonen, aber auch Unternehmen, über eine Inter­net-Plattform einen Kredit von der Crowd. In Deutsch­ land können u. a. auf auxmoney.com und lendico.de solche Schwarmkredit-„Anträge“ eingestellt werden. Die Kreditnehmer müssen dafür das gesammelte Geld wie bei einer Bank auch nach einer bestimmten Zeit zurückzahlen – in der Regel plus Zinsen. Für die Geldgeber ist Crowdlending meistens eine normale Geldanlage, die Rendite bringen soll. Auf Crowdlending-Plattformen wird schon mal Geld für die Anschaffung privater Pkws gesammelt oder um bereits vorhandene Schulden zu be­zahlen. Die Plattform kiva.org vermittelt in Zusammenarbeit mit lokalen Partnern auf der ganzen Welt Kleinbetrieben und Einzelpersonen in ärme­ren Regionen Mikrokredite, z. B. für geschäftliche Investitionen, Bildung oder Kunstprojekte. Die Unterstützer erhalten dafür keine Rendite. Viele Expertinnen für Entwicklungshilfe halten diese Form der Unterstützung für sinnvoller als die klassische Spende. Crowdinvesting Hier wird in Unternehmen investiert, die eine Idee mit kommerziellem Erfolgspotenzial auf den Weg bringen oder ihr Unternehmen bzw. ihre 12


Was ist Crowdfunding?

Leistungen weiter ausbauen wollen (Gründungs- bzw. Wachstums­finan­zie­rung). Den Investoren ist dabei bewusst, dass sie das Risiko eines Totalverlusts eingehen. Während die öster­rei­chische Plattform greenrocket.com vor allem ökologisch ausgerich­tete Projekte im Port­ folio hat, bietet seedmatch.de internetaffinen Start-ups ein Portal. Platt­ formen wie deutsche-mikroinvest.de oder bankless24.de fokussieren sich zunehmend auf die Finanzierung mittelständischer Unternehmen. Bei der Handelsplattform bergfuerst.com bieten Unternehmen Aktien als Investmentoption an. Weil es sich um komplexe wirtschaftliche Vorgänge handelt, sind die rechtlichen und ökonomischen Details beim Crowd­investing deutlich komplizierter als bei den anderen Modellen. Crowdfunding mit Gegenleistungen Bei dieser Variante erhalten die Geldgeber eine Gegenleistung, ideell oder materiell, aber auf jeden Fall nichtmonetär. Anstelle einer Rendi­te steht das Interesse am Projekt oder am Produkt, gepaart mit der Aus­ sicht auf kleine oder große „Rewards“, auch Dankeschöns, Prämien oder noch ganz anders genannt, im Vordergrund. Diese Gegen­leistun­ gen sind bei diesem Modell der entscheidende oder ein zusätzlicher Anreiz für die Unterstützung eines Projekts. Bei CrowdfundingProjek­ten für ein Produkt funktioniert das Angebot dieses Produkts als Gegenleistung im Sinne einer Vorbestellung. Dieses Handbuch ist ausschließlich dem Modell des Crowdfunding mit Gegenleistungen gewidmet, und der Begriff Crowdfunding steht im Folgenden immer dafür.

Besondere Effekte von Crowdfunding

Crowdfunding funktioniert, weil es Menschen mit gemeinsamen Inte­­ ressen über eine einzige Schnittstelle – die jeweilige Internet-Plattform – direkt miteinander in Verbindung bringt. Das unterscheidet es von allem bisher Dagewesenen und lässt sich mit drei Adjektiven charakte­risieren: Crowdfunding ist unmittelbar, gleichzeitig, interaktiv. 13


G r u n ds ä t z lich e s

Unmittelbar Bevor ein Produkt auf den Markt kommt, muss es üblicherweise eine Reihe von Zwischenstationen durchlaufen. Um finanziert, entwickelt, beworben, verkauft werden zu können, unterliegt es dem Urteil von Leuten in Kreditabteilungen oder Förderungsgremien, in Verlagen, Marketingabteilungen, Zeitschriftenredaktionen, im Einzelhandel. Das Gleiche gilt entsprechend für Erfindungen, Veranstaltungen und andere Initiativen. Die Beurteilung dieser Experten ist meist eine wertvolle Rückmeldung. Manche Ideen gehen jedoch versehentlich unter – weil jemand keine Zeit hatte, um sie sich anzusehen, oder ein zu geringes Budget, um genug dafür tun zu können; oder weil er einfach nicht richtig verstand, was die eigentliche Zielgruppe selbst sofort verstehen würde. So schei­tern viele Projekte, bevor ihr „Publikum“ davon erfahren konnte. Crowdfunding setzt dieses System außer Kraft. Eine Idee kann dabei unmittelbar allen vorgestellt werden, die sich vielleicht dafür interessie­ ren. Wer davon angetan ist, kann die Idee unkompliziert mit einem selbst gewählten, vielleicht nur kleinen Betrag unter­stützen, und entscheidet so selbst mit darüber, ob sie verwirklicht wird. Auf diese Weise können auch Projekte, die keinen oder nur geringen Profit versprechen, verwirklicht werden – einfach, weil genügend Gleichgesinnte sie realisiert sehen wollen, sie haben wollen, einen Sinn darin sehen oder sich etwas Gutes davon erhoffen. Das gibt ausgefallenen Produkten, die nur in kleinen Mengen hergestellt werden, oder Initiativen, die „nur“ dem Gemeinwohl dienen, eine Chance. Sie können sich über Crowdfunding unkompliziert eine direkte, private Förderung auf breiter Basis erschließen. Umgekehrt gibt es damit für privates Engagement Möglichkeiten der Teilhabe in einer vorher nicht gekann­ten Form. Gleichzeitig Die Phasen, die ein Projekt im konventionellen Fall durchläuft, bevor diejenigen davon erfahren, die sich dafür interessieren oder gar begeistern, folgen aufeinander oder überschneiden sich allenfalls teilweise. Ein Businessplan wird geschrieben, um jeman­den zu finden, der bereit 14


Was ist Crowdfunding?

ist, das Vorhaben zu finanzieren, oder ein schönes Exposé wird erstellt, um ein Unter­nehmen zu überzeugen, dass es die Idee verwirklicht. Wenn das geschafft ist, geht es an die Umsetzung. Irgendwann wird das Projekt den Vertriebspartnern und der Presse vorgestellt, d. h. das Angebot möglichst dort platziert, wo Interessenten danach suchen würden. Zum Zeitpunkt der „Veröffent­lichung“ schließlich wird Werbung dafür gemacht. Crowdfunding stellt auch hier die klassische Reihenfolge auf den Kopf bzw. auf die Füße: Da Geldsucher und Geldgeberinnen, Produzentinnen und Verbraucher, Erfinder und Anwenderinnen direkt und ohne Mittelspersonen zusammenkommen, sind Finanzierung, Marktforschung, Presse­arbeit, Werbung und Vertrieb verdichtet zu einem einzigen Prozessschritt namens Crowdfunding-Kampagne. Mit ihrem erfolgreichen Abschluss ist alles abgedeckt, was normalerweise mehrere Monate dauert. Interaktiv Diejenigen, die ein Projekt initiieren, und diejenigen, die sich dafür interessieren, Starter und Crowd also, kommunizieren beim Crowdfunding auf Augenhöhe. Anders als bei Pressemitteilungen und Werbemaßnahmen findet Kommunikation nicht nur in eine Richtung statt, sondern wechselseitig und interaktiv. Die Initiatorinnen informieren über das Projekt und bekommen daraufhin Feedback von der Crowd. Sie können ihre Unterstützer und Fans gezielt um Rat, Entscheidungs­ hilfe oder Antwort auf fachliche Fragen bitten. In beiden Fällen binden sie diese bereits in der Planungsphase mit in das Projekt ein, verbessern so das Ergebnis und gewinnen an Reichweite. Menschen, die nicht nur als passive Zielgruppe verstanden werden, sondern konkret zum Ergeb­ nis beitragen, identifizieren sich damit und berichten anderen davon, z. B. über die sozialen Medien. Die Vernetzung über das Internet macht es möglich, ohne großen finanziellen und personellen Aufwand viele Leute zu erreichen und etwas mit ihnen zusammen zu entwickeln.

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G r u n ds ä t z lich e s

Drei Prinzipien

Crowdfunding mit Gegenleistungen ist gekennzeichnet durch drei charakteristische Prinzipien: Das Alles-oder-nichts-Prinzip Das Geld, das für ein Projekt gesammelt wurde, wird nur an die Projekt­ starterin ausgeschüttet, wenn das selbst gewählte Finanzierungs­ziel bis zum Ende einer definierten Projektlaufzeit zu mindestens hundert Prozent erreicht werden konnte. Kommt dieser Betrag nicht zusammen, erhält jeder Unterstützer sein Geld zurück. So wird sichergestellt, dass das beschriebene Vorhaben auch in der versprochenen Qualität umgesetzt werden kann und die Geldsuchende nicht verpflichtet ist, die versprochenen Gegenleistungen ohne das benötigte Budget umzusetzen. Eine auf wenigen Crowdfunding-Plattformen angebotene Ausnahme bildet das „Nimm-was-du-kriegen-kannst“-Prinzip, bei dem der Geldbetrag unabhängig vom Erreichen des Fundingziels ausgezahlt wird. Das Gegenleistungs-Prinzip Der Begriff selbst sagt es schon: Der Geldgeber bekommt eine Gegenleistung für seinen Einsatz, z.B. das Endprodukt schon vor der offiziellen Veröffentlichung oder andere Dinge, die so überhaupt nicht im Handel zu haben sind. Möglich sind auch Gegenleistungen ideeller Natur, etwa die Nennung im Abspann eines Films oder im Booklet einer CD, eine Einladung zu einer exklusiven Vorstellung oder ein Besuch am Set wäh­ rend der Produktion. Das Transparenz-Prinzip Die Starterin macht den Stand der Finanzierung und der Projektrea­li­ sierung gegenüber der Crowd so transparent wie möglich. Dadurch baut sie Vertrauen auf, informiert die Interessenten und potenziellen Unterstützerinnen offen und detailliert noch in der Planungsphase eines Projekts und lädt sie zu Rückmeldungen darüber ein. So erreicht sie eine große Öffentlichkeit für ihr Vorhaben, noch bevor es realisiert ist.

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Was ist Crowdfunding?

Die Crowdfunding-Kampagne

Die Kampagne ist das zentrale Instrument beim Crowdfunding. Das Wort bezeichnet den Prozess, in dem ein Projekt auf einer Crowdfunding-Plattform oder der eigenen Homepage vorgestellt wird, um eine bestimmte Finanzierungssumme von der Crowd einzuwerben. Die Kampagne erstreckt sich über einen Zeitraum von meist vier bis zwölf Wochen und ist die intensivste Phase eines Crowdfundings. Sie erfordert gute Vorbereitung, und mit dem Stichtag für das Funding­ziel geht die Arbeit gleich weiter. Entsprechend chronologisch sind die Kapitel, die zur erfolgreichen Durchführung einer Kampagne anleiten, in diesem Buch angeordnet.

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W e l c h e P r o j e k t e e i g n e n s ic h ?

Welche Projekte eignen sich? Ein Crowdfunding-Projekt kann ganz klein sein oder riesig groß. Es kann technologisch hoch innovativ sein oder etwas Altbekanntes zum Gegenstand haben wie den Gartenbau. Projektstarter können jung sein oder alt, sie können allein sein oder ein Team, und das Projekt kann Hobby sein oder Business. Natürlich gibt es dennoch einiges darüber zu erzählen, welche Art von Projekten besonders gut funktioniert und sich leichter verwirklichen lässt als andere. Solche Erfahrungswerte bedeuten auf der anderen Seite aber nicht, dass es nicht auch ganz anders laufen kann. Denn wie die Erfahrung ebenfalls zeigt, gibt es immer wieder Ausreißer, Überraschun­ gen und neue Trends. Die wichtige Botschaft vorweg lautet deshalb: Egal, was du planst, egal wie ungewöhnlich (oder gewöhnlich) deine Idee ist – versuche es ruhig.

Branchen

Die meisten Crowdfunding-Projekte kommen derzeit aus dem sozialen und kreativen Bereich. Für lokale und gesellschaftliche Initiativen, für Kreativprojekte und Erfinder eröffnet Crowdfunding Möglichkeiten, die sie vorher nicht hatten. Mussten Musiker früher erst einen Plattenboss überzeugen, um ins Studio gehen zu können, und Filmemacherin­ nen die Gunst von Fördergremien, Produzenten und Verleihfirmen gewinnen, können Kreative heute ohne diese Instanzen auskommen und sich direkt ans Publikum wenden. Über den Erfolg entscheiden damit von Anfang an diejenigen, die die Musik oder der Film am Ende erreichen soll – und sie geben auch gleich das Geld dafür. Auch Projekte, bei denen es nicht um die Herstellung eines Produkts geht, können sich erfolgreich durch Crowdfunding finanzieren. Immer mehr Kampagnen kommen aus den Bereichen Sport, Bildung, Wissen­ 23


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schaft und Umwelt. Die Herausforderung besteht hier darin, konkrete Gegen­leis­tungen zu finden, die den Unterstützerinnen angeboten werden können. Am Schluss ist es bei diesen Projekten meist der gemeinschaftliche Gedanke, der überzeugt.

Sozialer, kultureller und ideeller Mehrwert

Viele Crowdfunding-Projekte haben einen sozialen, kulturellen, gemein­ nützigen oder ökologischen Hintergrund. Diese Werte sind auch bei Kampagnen relevant, die für neue Produkte gestartet werden. So spielt es oft nicht nur eine Rolle, ob sie der Crowd gefallen, sondern auch, unter welchen Bedingungen sie schließlich hergestellt werden sollen. Die Designer aus dem Projekt „FreiVon“ zum Beispiel haben auf vegane Schuhe aus hochwertigem Kunstleder gesetzt, und die Schuhe aus dem Projekt „Gutta Soles“ werden komplett aus recycelten Materialien aus und in Ghana hergestellt. Es kann sein, dass jemand nicht in erster Linie an den Schuhen selbst interessiert ist, aber trotzdem das Projekt unterstützt – weil er gut findet, unter welchen Bedingungen sie produziert werden, und diese fördern will.

Aktueller Bezug

Wo ein Produkt oder ein Projekt auf ein Thema Bezug nimmt, das aktu­ell viel diskutiert wird und öfter Gegenstand medialer Bericht­er­stat­ tung ist (wie etwa Nachhaltigkeit oder Flüchtlingspolitik), funk­tioniert Crowdfunding besonders gut. Bei dem Möbeldesign-Projekt „Cucula“ zum Beispiel steht nicht allein die Produktion von Holzmöbeln im Mittelpunkt, sondern auch die Tatsache, dass es Flüchtlinge integriert, die von Beginn an am Produktions- und Entwurfsprozess beteiligt sind. Dadurch profitiert es automatisch von der allgemeinen Aufmerksamkeit für das Thema.

Lokale Community

Zur Finanzierung von lokalen Initiativen und Community-Projekten ist Crowdfunding ebenfalls sehr gut geeignet. Urban Gardening, das gemeinsame Gärtnern in der Stadt, ist dafür ein gutes Beispiel. So 24


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konn­te der Prinzessinnengarten erhalten und weiter ausgebaut werden, den eine umtriebige Nachbarschaftsinitiative in Berlin-Kreuzberg auf einem brachliegenden Grundstück hat entstehen lassen – mit Gemüse­ anbau, Café und Bienenstöcken. Auch Festivals oder Kulturzentren pro­ fitieren bei Kampagnen davon, dass sich ihre Zielgruppen in unmittel­ barer Nachbarschaft befinden. Das heißt, auch wenn die Zielgrup­pe lokaler Projekte – absolut gesehen – kleiner ist, ist das erst einmal kein Nachteil. Sie bringt dafür ein erhöhtes Interesse an den Aktivitä­ten in ihrer Umgebung mit, und die Starter können sie direkter ansprechen.

Fanbase

Das Gleiche gilt für alle Projekte, deren Publikum gut identifizierbar ist. Ein Dokumentarfilm über Franz Jacobi, den Grün­der des Fußballvereins Borussia Dortmund, wurde per Crowdfunding finanziert. Die Zielgruppe für den Film war klar umrissen, nämlich Fans und Anhänger des BVB. Fußballvereine haben gut frequentierte InternetForen, Facebook-Seiten und Twitter-Accounts, auf denen die Fans direkt erreicht werden können. Und offline sind sie zuverlässig im Stadion anzutreffen. Vom gleichen Vorteil profitieren besonders Musikerinnen, Filme­ macher oder andere Persönlichkeiten/Teams, die schon vor der Kampagne Bekanntheit und Wertschätzung erworben haben. Sie können auf eine bereits vorhandene Community zurückgreifen.

Neue Nischen

Auch wenn keine bereits existierende Gruppe von Fans direkt ange­ spro­chen werden kann: Überall, wo sich potenzielle Projektunterstützerinnen durch gemeinsame Interessen herausfiltern lassen – ob es sich um Musik handelt, ein Hobby oder einen ganz bestimmten Bedarf –, bietet sich die Finanzierung (oder Teilfinanzierung) per Crowdfunding an. Je genauer sich die Zielgruppe bestimmen lässt, je genauer sich sagen lässt „Für diese Leute ist mein Projekt interessant, und an sie wende ich mich“, desto besser. Eine Idee, von der der Starter selbst überzeugt ist und die in seinem 25


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direkten Umfeld ebenfalls auf Interesse stößt, ist ein guter Anfang. Wenn er von einem Produkt jedoch mehr herstellen will als ein paar Unikate, braucht er genügend Käuferinnen, die den Aufwand und das finan­zielle Risiko einer größeren Produktion rechtfertigen. Das Berliner Unternehmen Dörrwerk beispielsweise hat über eine Crowdfunding-Kampagne herausgefunden, wie viele Konsumenten sich für ihren Snack aus Früchten, die aufgrund optischer Mängel nicht verkauft werden können, interessieren. Mit erfolgreichem Abschluss der Kampagne war klar, dass es sich lohnen würde, einen großen Dörrofen zu kaufen und eigene Räumlichkeiten zu mieten, um das Fruchtpapier in Serie herstellen zu können – und das Geld dafür stand zur Verfügung. Ob sich eine Nische für ein neues Produkt findet, ob sie groß genug ist und ob es der Starterin gelingt, sie für sich zu erschließen, kann mit einer Crowdfunding-Kampagne wunderbar in Erfahrung gebracht werden. Sie bringt – idealerweise – nicht nur Startkapital, sondern funktioniert auch als Marketing-Test; wie, steht im Kapitel Positive Nebeneffekte (S. 54). Auch wenn du dein Finanzierungsziel im ersten Anlauf nicht erreichen solltest, hat es sich gelohnt, die Interessenten ausfindig zu machen. Anhand ihres Feedbacks kannst du das Produkt so anpassen, dass es mit verbesserten Aussichten in eine zweite Runde gehen kann.

Ungewöhnliches und Experimente

Hin und wieder sorgen Ideen, die ausgefallen oder sogar ziemlich verrückt sind, für Furore. So wurde für die von Zerfall und sozialem Nieder­­gang gebeutelte Stadt Detroit im US-Bundesstaat Michigan per Crowdfunding eine überlebensgroße Statue des Detroiter FilmSuperhelden RoboCop finanziert. Obwohl klar war, dass damit kein Geld zu verdienen sein würde, sondern es nur um ein Objekt für den öffentlichen Raum ging, das in einer Stadt mit solchen Problemen eher wie reine Geldverschwendung wirken könnte, fand das Projekt massenhaft Resonanz. Es war gerade die Verrücktheit der Idee, die Menschen für das Projekt begeisterte und ein außergewöhnliches Zeichen der Hoffnung angesichts des Niedergangs setzte. Die Crowdfunding26


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Kampagne führte dazu, dass Menschen von überall in den USA sich an der Finanzierung beteiligten. Dadurch konnte das Projekt nicht nur realisiert werden, sondern wurde darüber hinaus zum Symbol der Solidarität mit Detroit. In Deutschland hat Michael Bohmeyer mit dem Verein „Mein Grund­einkommen“ ein ungewöhnliches Crowdfunding-Projekt ge­ startet: Zum ersten Mal im Jahr 2014 konnte sich dabei auf meingrundeinkommen.de jeder für ein bedingungsloses Grundeinkommen in Höhe von 1.000 Euro im Monat bewerben, indem er vorstellte, was er mit dem Geld machen würde. Parallel dazu war es über die Plattform möglich, Geld zu dem Experiment beizusteuern. Damit soll tatsächlich einer Person – die ausgelost wird – ein Jahr lang ein solches Grundeinkommen gezahlt werden. Am Ende dieses Jahres wird dokumentiert, wie sich das Leben dieser Person da­durch verändert hat. Ziel des Projekts ist es, das Konzept des bedingungs­losen Grundeinkommens bekannter zu machen und als politische Idee voranzubringen. Im Verlauf der Kampagne kam so viel Geld zusammen, dass bisher sechs Leute in den Genuss der monatlichen 1.000 Euro kamen. Die Gegenleistung für die Unterstützerinnen war dabei rein ideeller Natur, nämlich die Beteiligung an der Verwirklichung einer Idee. Solche Beispiele spiegeln nicht das Gros typischer CrowdfundingProjekte wider, aber sie zeigen, dass Experimente ihren festen Platz im Crowdfunding haben.

Im privaten Kreis

Obwohl das Wort „Crowd“ eine große Menschenmenge suggeriert, können Crowdfunding-Projekte auch kleiner und privater Natur sein. Vielleicht machst du eine Reise nach Madagaskar und glaubst, dass dein Freundes- und Familienkreis deine wunderschönen Bilder vom Land anschließend gern in einem Fotoband oder einer Filmdokumen­ tation sehen würde. So ein Projekt zieht dann wahrscheinlich keine weiten Kreise, muss das aber auch gar nicht. Gerade im kleinen Umfeld kann eine solche Aktion gut funktionieren und ist mit sehr viel weniger Aufwand verbunden als eine größere Kampagne. 27


G r u n ds ä t z lich e s

Zusammenfassung

Große und kleine, klassische und außergewöhnliche Projekte zeigen auf jeweils eigene Weise, was immer am Anfang von Crowdfunding steht: ein Projekt, für das sich genügend andere Menschen begeistern können; im einen Fall viele, im anderen ein paar wenige. Wenn es dir gelingt, dein Vorhaben diesen Leuten so vorzustellen, dass sie es selbst gern haben, lesen, sehen, hören, anziehen, spielen, ausprobieren, erleben wollen, hast du gute Chancen, es zu realisieren.

CHECKLISTE Mein Projekt …

hat einen gesellschaftlichen, kulturellen und/oder ideellen Mehrwert spricht eine lokale Community an steht in Bezug zu einem aktuellen Thema richtet sich an eine klar definierbare Zielgruppe bzw. besetzt eine Nische kann auf eine bereits vorhandene Community zurückgreifen ist ein Experiment oder etwas Ungewöhnliches ist eine Innovation

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Da s S o z i a l u n t e r n e h m e n

Cucula Das Sozialunternehmen „Cucula“ bedeutet in der westafrikanischen Haussa-Sprache „etwas verbinden, gemeinsam machen“. So passte es gut für ein Projekt, in dem von Flüchtlingen Möbel gebaut werden, nach Entwürfen des De­ signers Enzo Mari. Cucula ist Verein, Werkstatt und Bildungsprogramm zugleich. Als soziales Start-up soll es Flüchtlinge dabei unterstützen, sich selbstständig eine berufliche Zukunft zu schaffen. Das Projekt entstand im Winter 2013 im JugendKunst- und Kulturhaus Schlesische27 in Berlin-Kreuzberg, wo für einige junge Flücht­ linge, die über Lampedusa aus Mali und Niger gekommen waren, zunächst ein Kälteobdach eingerichtet worden war. Die ersten Möbel bauten Ali, Saidou, Moussa, Malik und Maiga zusammen mit dem Produktdesigner Sebastian, um ihr eigenes Zimmer einzurichten. Aus dieser Zusammenarbeit sollte mithilfe der Crowdfunding-Kampagne ein Projekt mit längerfristiger Perspektive werden, das sich selbst tragen und möglichst noch mehr Flüchtlingen eine Ausbildung und eine Zukunft in Deutschland bieten kann. Darüber hinaus bietet Cucula Deutschunterricht, Rechtsberatung und Alltagshilfe für Flüchtlinge. Neben Sebastian gehören die Sozialpädagogin Jessy, die Künstlerin und Geschäftsführerin der Schlesische27 Barbara und die Designerin Corinna zum Projekt. Ab einer Funding-Schwelle von 70.000 Euro sollten fünf Ausbildungsstipendien für Flüchtlinge realisiert werden – und tatsächlich brachte die erste Kampagne sogar 123.491 Euro von 820 Unterstützern ein, wodurch das Ausbildungsprojekt gestartet werden konnte. Das meiste Geld bei den Gegenleistungen brachten die in der Cucula-Werkstatt gebauten „Botschafter-Stühle“ aus in Lampedusa eingesammeltem Schiffsholz ein, die in einer limitierten Auflage von fünfzig Stück zu je 500 Euro verkauft wurden; die meisten Unterstützerinnen fand eine Sammlung von Flüchtlingsgeschichten in Buchform für 20 Euro. 29


Fa l l b e i s p i e l

Wie seid ihr zum Crowdfunding gekommen?

Wir hatten uns schon eine ganze Weile mit dem Gedanken beschäftigt, unser Projekt mit Crowdfunding zu finanzieren. Eine Flüchtlingsfirma ist schließlich etwas sehr Ungewöhnliches. Welcher Investor würde schon in ein Unternehmen investieren, in dem Flüchtlinge mit ungewissem Aufenthaltsstatus arbeiten? Crowdfunding war von Anfang an unsere große Chance und ein demokratisches Mittel.

Wie ist eure Crowdfunding-Kampagne verlaufen?

Als wir mit unseren ersten Sachen zur Möbelmesse nach Mailand fuhren, wollten wir die Kampagne eigentlich gleich anschließend starten. Dann merkten wir aber, dass uns zu vieles noch unklar war und dass so eine Kampagne gut vorbereitet werden muss. Wir beschlossen, erst noch mal gründlich zu überlegen, wie das Ganze überhaupt funktionie­ ren soll; schließlich wollten wir unser Projekt ausbauen. Und außerdem wollten wir die Prinzipien und Mechanismen von Crowdfunding richtig verstehen, bevor wir loslegten. Wir redeten dann erst einmal mit ein paar Leuten, die schon Erfahrung damit gesammelt hatten, und nahmen sogar an einem Crowdfunding-Workshop teil, bevor wir ein halbes Jahr später mit der Kampagne online gingen. Die Kampagne selbst verlief dann sehr rasant und sehr turbulent. Zum Glück hatten wir eine ganze Menge Helfer mobilisiert, die bei der Pressearbeit halfen, Flyer verteilten und Werbung für das Projekt mach­ten; andere hatten im Vorfeld Kamera und Schnitt für den Film gemacht und prominente Botschafter für das Projekt gewonnen. Sprich: Wir hatten vorher alles sehr gut durchgeplant und uns Gedan­ken über den Verlauf und die Choreografie der Kampagne gemacht, sie mit einer Auftaktparty gestartet – und dann geht es plötzlich los, kommt ins Rollen und findet wirklich und in Echtzeit statt. Das war sehr aufregend und intensiv, besonders die ersten Tage und Stunden. Unsere Kampagne lief über Weihnachten, und es war ein gewisser Unsicherheitsfaktor, ob das sinnvoll sein würde oder eher nicht. Es half, dass die Presse sehr an der Kampagne interessiert war; über die gesamte Zeit wurde darüber berichtet wie von einem spannenden Event. 30


Das Cucula-Team mit selbstgebauten möbeln in der Berliner Werkstatt.

Da s s o z i a l u N t e r N e h m e N

Welche Erfahrung hat euch am meisten überrascht?

Wir hatten nicht erwartet, dass die Kampagne so kontinuierlich unterstützt werden würde. Die Unterstützungen pendelten sich bald auf einem relativ konstanten Wert ein: ca. 120 euro pro Person und ca. 2.500 euro pro Tag. Die große resonanz hat uns am meisten überrascht, so optimistisch waren wir vorher gar nicht. Wir fanden es auch interessant, dass tatsächlich viel geld durch viele kleinere Beträge zusammenkam und nicht durch wenige große. Als wir die fundingSchwelle erreicht hatten, entspannten sich unsere nerven etwas, wir überlegten aber gleich, was wir jetzt noch so alles erreichen könnten. ganz wichtig waren für diesen erfolg unsere Helfer – freunde, Bekannte, engagierte haben uns in allen Phasen der Kampagne mit ihren Kompetenzen oder auch nur durch Weiterleiten und Verbreiten extrem unterstützt. Interessant war, wie sich die Pegida-Bewegung auswirkte, die während der Laufzeit der Kampagne laut wurde. Als reaktion darauf erfuhr unsere Initiative viel zuspruch. 31


Fa l l b e i s p i e l

Was ist für euch das Besondere am Crowdfunding?

Neben der Finanzierung war es für unser Projekt so wichtig und hilfreich, weil wir Menschen eine Möglichkeit bieten wollten, sich zu beteiligen und mitzuwirken. Die Flüchtlingsdebatte ist sehr aufgeheizt und komplex, aber uns geht es um direktes Handeln. Über Crowdfunding wollten wir Leuten, die sonst nicht als Aktivisten in Erscheinung treten, die Möglichkeit bieten, selbst etwas zu bewirken und zu verändern – und zwar durch die Unterstützung und den direkten Kauf eines konkreten Objekts: „Kaufe einen Stuhl und schaffe einen Platz“ – das war unser Slogan. Wir hatten diese Utopie, Menschen Arbeit zu geben, die eigentlich nicht arbeiten dürfen. Damit möchten wir sie konkret dabei unterstützen, sich eine Perspektive zu schaffen. Zusätzlich können wir damit ein Modell aufzeigen, in dem der Unterschied zwischen dem, was ist, und dem, was sein könnte, deutlich wird. Durch das Crowdfunding wird diese Utopie nun gelebte Wirklichkeit. Unser Projekt ist nach außen eine Designmanufaktur – eine Flüchtlingsfirma – und zugleich nach innen eine Art Integrationswerkstatt und Bildungsprogramm mit einem großen Anteil an sozialer Arbeit wie Unterstützung bei Ämtergängen, Rechtsbeistand und allen möglichen anderen Angelegenheiten. Außerdem agieren wir als Hilfsprogramm für Flüchtlinge auch noch mit einem politischen Ziel. Die breite Unterstützung, die über die Kampagne sichtbar wurde, zeigt zudem den Rückhalt, den ein solches Projekt in der Öffentlichkeit bekommt; das ist sehr wichtig. Auf diese Art bewährte sich die Kampagne als Instrument, um das Potenzial einer solchen demokratischen Initiative aufzuzeigen. Durch das Crowdfunding sind Möbelbestellungen in der Firma eingegangen, das macht sie erst wirklich real. Crowdfunding war ein strategischer Schritt und gleichzeitig die beste Möglichkeit, das Projekt zu realisieren und auf diese Stufe zu heben. Und das Ganze war ein Test für das Geschäftsmodell und ein Aufmerksamkeitsgenerator.

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Da s S o z i a l u n t e r n e h m e n

Was waren die größten Herausforderungen vor, während und nach der Kampagne?

Es dauerte eine Weile, bis wir das Prinzip Crowdfunding richtig verstanden hatten und all die möglichen Plattformen einschätzen konnten, bevor wir uns für eine entschieden. Während der Kampagne war es die größte Herausforderung, die Crowd kontinuierlich teilhaben zu lassen. Irgendwann stand die Frage im Raum, wie man seine privaten Kontakte einbeziehen kann und soll: Das Ganze ist einem sehr wichtig, aber man möchte nicht nerven, bedrängen, überfordern und auch keinen in die Pflicht nehmen. Das war auf einmal eine neue Rolle im eigenen Bekanntenkreis. Hier sollte man ehrlich mit sich selbst sein und überlegen, wie weit man diese Rolle ausfüllen will. Das muss jeder für sich entscheiden. Nach der Kampagne ist die ganze Logistik eine wirklich anspruchs­ volle Aufgabe. Wir haben unsere Bestellungen nicht limitiert, und es wurden viel mehr Objekte bestellt als erwartet. Das ist toll. Aber 330 Stühle zu produzieren und gleichzeitig den Betrieb aufzubauen, ist eine Herausforderung. Von der Materialbeschaffung über die Herstel­ lung bis hin zum Versand ist das sehr viel Arbeit. Nebenher muss auch der Betrieb, der daran hängt, eingerichtet wer­den, also die Buchhaltung, die ganze betriebliche Organisation. Das alles muss parallel laufen und lässt sich nicht im Vorfeld erledigen, denn vor dem Crowdfunding weiß man ja noch nicht, ob es diesen Betrieb überhaupt geben wird. Außerdem wollen Unterstützer, Fans und die Presse auch nach dem Ende der Kampagne wissen, wie es weitergeht, die Kommunikation muss also auch aufrechterhalten werden. D. h. nach dem Ende der Kampagne gibt es keine Erholung – es geht gleich weiter!

Welche Tipps habt ihr für neue Projektstarter?

Sie sollten ihre Kampagne und ihre Projekte unbedingt sorgfältig planen, das ist das A und O. Dafür braucht man bei einem Projekt wie unserem ein verlässliches Team und eine gute Kommunikationsstrategie. Die Essenz des eigenen Projekts sollte man vorher selbst 33


Fa l l b e i s p i e l

wirklich verstanden und durchdrungen haben, um das Ganze dann auch erfolgreich kommunizieren zu können. Wichtig ist außerdem eine realistische Einschätzung aller Komponenten des Projekts. Lieferzeiten für Produkte sollten großzügig geplant werden, da wird es sonst schnell eng.

„Durch das Crowdfunding wird die Utopie gelebte Wirklichkeit.“

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V o r d e r K a m pa g n e

Von anderen lernen Schön – du bist zu dem Ergebnis gekommen, dass du und dein Projekt für Crowdfunding geeignet seid. Dann kann es jetzt losgehen.

Andere Projekte beobachten und analysieren

Eine gute Vorbereitung ist beim Crowdfunding das A und O. Und obwohl es in den folgenden Kapiteln genau darum gehen wird, findet der wichtigste Teil der Vorbereitung ohne dieses Buch statt. Denn alles, was es hier zu lesen gibt, wirst du besser verstehen, wenn du dir vorher – und auch zwischendurch immer wieder – ansiehst, wie andere es gemacht haben. Schau dir Kampagnen von Projekten an, die deinem eigenen Vorhaben in irgendeiner Hinsicht ähneln oder dich einfach so interessieren. Analysiere erfolgreiche Beispiele und lerne aus ihnen. Wenn du dir unsicher bist: Beobachte die Entwicklung von Projekten über die komplette Laufzeit. Einen guten Einstieg bietet oft die Kategorie „Empfehlungen“ oder „Featured“, die auf vielen Crowdfunding-Plattformen angeboten wird und besonders gut gemachte Kampagnen vorstellt.

Selbst unterstützen

Projekte von anderen zu unterstützen, ist eine ausgezeichnete Mög­ lich­keit, die Sicht der Crowd kennen zu lernen, bevor du deine eigene Kampagne startest. Auf diese Art wirst du zum direkten Adressaten einer laufenden Kampagne. Du erlebst, wie jemand anderes in unterschiedlichen Stadien der Kampagne mit Unterstützerinnen und Crowd kommuniziert und wie das auf dich wirkt. Mach dir bewusst, was du dabei lernen, was übernehmen, was besser machen kannst.

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V o r b e r e itu n g d e r K a m pa g n e

Delegieren und Teamarbeit Bei den meisten Crowdfunding-Projekten lohnt es sich, ein kleines und bei ehrgeizigen Zielen auch ein größeres Team aufzustellen. Manchmal gibt es ein oder zwei hauptverantwortliche Starterinnen und daneben eine Gruppe von Helfern, auch wenn sie nach außen gar nicht immer im Einzelnen in Erscheinung treten müssen. Das können hilfsbereite Freun­dinnen und Familienmitglieder sein, aber auch Spezialisten für bestimmte Aspekte oder Arbeitsschritte.

Die Zeit der anderen

Auch wenn du eigentlich ganz allein an deinem Projekt arbeitest, ist die Wahrscheinlichkeit hoch, dass du an irgendeiner Stelle Hilfe oder Zuarbeit gebrauchen kannst. Wenn du z. B. ein Buch schreibst, könnte ein externes Lektorat hilfreich sein sowie jemand, der das fertig gesetzte Manuskript auf Rechtschreib- und Satzfehler Korrektur liest. Vielleicht kennst du eine Gestalterin, die dir einen schicken Umschlag entwirft oder dir Tipps zur Drucklegung geben kann. Es ist nicht verkehrt, diese Faktoren frühzeitig einzuplanen. Überlege, an welcher Stelle wessen Hilfe notwendig sein könnte. Je größer dein Projekt ist, umso eher brauchst du ein Team. Möglicherweise hast du ganz bestimmte Personen für eine oder mehrere anfallende Aufgaben im Auge. Damit die Betreffenden dann nicht gerade im Urlaub oder mit einem eigenen Projekt beschäftigt sind, solltest du dich erkundigen, wann sie Zeit haben. Das kann auch Leute betreffen, die nicht unmittelbar bei deinem Projekt mithelfen, die aber gebraucht werden, damit du selbst ungestört arbeiten kannst. Wenn es um Abendveranstaltungen geht, könnte das ein Babysitter sein. Und auch mit der Familie solltest du dich vielleicht abstimmen, damit dein Event nicht mit Omas neunzigstem Geburtstag kollidiert, oder mit den Reiseplänen deines Partners. 76


Delegieren und Teamarbeit

Aufgabenverteilung

An Erfindergeist und technischem Know-how fehlte es Oliver Lang und Andreas Guba, den Köpfen hinter den in Berlin produzierten Clicc-Solarmodulen, nicht. Da es ihnen aber nicht nur darum ging, das Baukasten-Solarmodul-System in Form von Prototypen zu entwickeln, sorgten sie dafür, dass sie Verstärkung bekamen: Sie machten bei ihrer Kampagne von Anfang an transparent, wer die betriebswirtschaftlichen Kenntnisse mitbrachte, wer sich um den Vertrieb kümmern würde, wer um organisatorische Aufgaben und wer um die Produktion der Erfindung. Auch wenn es nach Erbsenzählerei klingt: Besprecht vorher genau, worin besonders gut ist und wie viel Zeit einbringen kann; und wer darum welche Aufgaben übernimmt. Haltet das Ergebnis am besten schriftlich fest. Das erspart euch Stress, denn ihr müsst im Verlauf der Kampagne nicht anfangen, über Zuständigkeiten zu diskutieren. Je besser ein Team organisiert ist, desto reibungsloser funktioniert es. Am Schluss dieses Kapitels findest du ein Beispiel für eine Liste aller Aufgaben, die vor, während und nach deiner Kampagne auf dich zukommen. Wenn du also ein konkretes Projekt vor Augen hast, lege eine solche Liste am besten gleich parallel zur Lektüre dieses Handbuchs an. Zur Aufstellung der Aufgaben in den verschiedenen Abschnitten gehört, wann sie anstehen (Einmal? Mehrmals? Kontinuierlich? Zeitpunkt noch unbekannt?) und wer dafür zuständig ist. Wenn diese Liste sorgfältig und so umfassend wie möglich zusammengestellt ist und geklärt wurde, wer die Aufgaben darauf zuverlässig übernimmt, hast du einen wichtigen Schritt in der Vorbereitung getan.

Klarheit und Verbindlichkeit

Die Aufgabenliste solltet ihr im Team gemeinsam durchgehen – bei einem oder mehreren Treffen, per Mail, im Chat, wo und wie auch immer. Überlegt, womit ihr gut zurechtkommt und womit ihr euch noch schwertut. Legt fest, auf welche Art ihr während der Kampagne kommuniziert, damit die Zusammenarbeit möglichst einfach und reibungslos funktioniert und nicht zu einer zusätzlichen Belastung wird. 77


V o r b e r e itu n g d e r K a m pa g n e

Es sollte klar umrissen sein, was die Aufgaben in den verschiedenen Phasen beinhalten, damit alle wissen, worauf sie sich jeweils einlassen und abschätzen können, ob das machbar ist oder sie sich damit übernehmen würden. Jeder, der eine Aufgabe übernimmt, sollte sich ausdrücklich und verbindlich dafür zuständig erklären – je wichtiger die Aufgabe, desto wichtiger ist Verlässlichkeit. Erfahrene Projektstarterinnen wissen, dass sich eine Gruppe von Begeisterten im Verlauf der arbeitsintensiven Phasen schnell auf ein deutlich kleineres Team dezimiert. Nur diejenigen, die wirklich an das Projekt glauben, werden ernsthaftes Interesse an seinem Gelingen zeigen, indem sie notfalls auch mal Abend- oder Nachtschichten mitmachen. Bei größeren Projekten, wo am Schluss viel (und auch finanziell viel) vom Beitrag der einzelnen Beteiligten abhängt, können deshalb sogar Verträge zwischen den Teammitgliedern sinnvoll sein. Das hat nichts mit mangelndem Vertrauen zu tun, sondern ist ein konstruktiver Weg, um Konflikten und Missverständnissen vorzubeugen.

Wichtig für später

Wenn das Fundingziel erreicht ist, geht es gleich weiter. Alle, die eine Aufgabe in dieser Phase übernommen haben (du eingeschlossen), müs­ sen sich dafür die nötige Zeit frei halten. Wer an der Kampagne bis zum Ende der Finanzierungsphase nicht aktiv beteiligt ist, sich aber bereit erklärt, dir beim Versenden der Prämien zu helfen, muss wissen, wann die Kampagne beziehungsweise die Herstellung der Produkte abgeschlossen ist und sich die Zeit danach zuverlässig frei halten. Dann nämlich geht es ans Packen, Wiegen, Frankieren und Versenden der Briefe, Päckchen und Pakete; wenn Unterstützer aus verschiedenen Ländern zusammenkommen, kann das bedeuten, dass die ver­schie­den­ sten Zollbestimmungen und Portokosten zu recherchieren sind. Im Kapitel Ziel erreicht (S. 198) wird genauer darauf eingegangen, was beim Versand und der Abwicklung einer erfolg­reich finanzier­ten Kampagne zu beachten ist. Vorab verraten: Auch ein simpel scheinen­der Arbeitsschritt wie die Versandabwicklung kann mit weitreichenden Entschei­ dun­gen und mehreren Tagen Arbeit verbunden sein. 78


Delegieren und Teamarbeit

Wer darf was?

Bei der Koordination von Teamarbeit geht es nicht nur um Aufgaben, es geht auch um Befugnisse. Wenn ihr mehrere gleichberechtigte ProjektStarter seid, müsst ihr zum Beispiel klären, wer die Kommunikation mit der Crowd übernimmt und wie. Vertrauen die anderen diese Aufgabe vollständig einer Person an, oder sollen wichtige Updates vorher immer von allen abgesegnet werden? Auch diese Vereinbarungen können schriftlich fixiert werden.

Teamarbeit üben

Sehr ehrgeizige Projekte mit hohem Fundingziel und einer entsprechend großen Crowd können häufig nur mit der Unterstützung einer externen Crowdfunding-Expertin oder einer Marketingagentur, die Erfahrung auf dem Gebiet hat, gestemmt werden. Der Kommunika­ tionsaufwand weit vor, während und nach einer solchen Kampagne wird schnell zum Fulltime-Job. Wenn du also etwas Großes vorhast, könnte es sinnvoll sein, die Dynamik einer Crowdfunding-Kampagne und die Arbeit mit der Crowd im Team zunächst an einem kleineren, eigens zu diesem Zweck vorangestellten Projekt kennenzulernen, ehe du dich an die Realisierung großer Vorhaben mit externen Teams machst. Für viele Projektstarter ist das erste eigenständig geplante Crowdfunding-Projekt eine wichtige und überaus wertvolle Erfahrung, mit der sie sich professionalisieren und Erkenntnisse sammeln, deren Wert gar nicht hoch genug einzuschätzen ist. Mit Crowdfunding kannst du Ideen testen und Ideen verwirklichen; darüber hinaus ist eine Kampagne auch ein ziemlich tolles Übungsfeld für eine ganze Reihe von Fähigkeiten und Einblicken, die dir in vielerlei Hinsicht nützlich sein werden.

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V o r b e r e itu n g d e r K a m pa g n e

CheckLISTE

V O R H ER

Was Projektpräsentation  Projektbeschreibung formulieren  Kampagnengrafiken erstellen  Bilder erstellen / bearbeiten Finanzen

 Projekt kalkulieren  Gegenleistungen kalkulieren

Pitch-Video

 Konzept erstellen  Videodreh  Videoschnitt

W Ä H REN D

 Kommunikation planen Kommunikation  Social-Media-Kanäle einrichten  Kontaktliste erstellen (Presse- und Social-Media-Kontakte, private und sonstige Kontakte)  Kommunikation mit der Crowd Kommunikation (Projektseite), Social Media  Kommunikationsplan umsetzen (Blogeinträge, Newsletter, Presse- und Projekt-Updates)

N A C H H ER

 Produkt / Projekt / Gegenleistungen Produktion realisieren

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Versand

 Gegenleistungen verschicken

Finanzen

 Rechnungen schreiben / Abrechnung

 Kommunikation mit der Crowd, Kommunikation Blogeinträge, evtl. Presse


Delegieren und Teamarbeit

Was muss im Zusammenhang mit der Kampagne wann passieren, und wer k端mmert sich darum?

Wer Wann

Notizen (Kosten, Zeitaufwand, Verantwortung)

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Fa l l b e i s p i e l

SHIFT – iCrane Der Entwickler „Crowdfunding ist absolut mein Ding, und ich denke nicht, dass man mich noch mal in Gesprächen mit Banken oder Investoren erleben wird“, sagt Carsten, Designer und Erfinder aus dem ländlichen Nordhessen. Carsten hat mit dem SHIFT7 und dem SHIFT5 eigene, fair pro­du­zierte Tablets und Smartphones gebaut, die schön und dazu noch nachhaltig sind, sich also upgraden und reparieren lassen. Außerdem hat er den iCrane konstruiert, einen kleinen, hochwertigen und dennoch erschwing­lichen Kamerakran. Mit „iCrane“, „SHIFT7 Phablet“ und „SHIFT reloaded“ hat Carsten bislang drei erfolgreiche CrowdfundingProjekte auf den Weg gebracht. Die beliebtesten Gegenleistungen waren bei den SHIFT-Projekten die Geräte und Geräte-Updates, und auch beim iCrane wurde zumeist das Produkt selbst ausgewählt. Eine Besonderheit ist dabei die vorläufige Beschränkung auf den deutschen Markt. Anstatt sich gleich mit dem Dschungel aus Regulierungen, Auflagen und Zöllen des internationalen Markts zu konfrontieren, hat Carsten beschlossen, vorerst lieber mit hoher Qualität und gutem Service in kleinerem Maßstab anzutreten und dabei Kontrolle und Überblick zu behalten. Seine Projekte illustrieren insbesondere die große Autonomie, die ihm die Finanzierung per Crowdfunding bietet. Die Summen, die er von seinen Unterstützern einsammelte, zeigen, dass sie ihm und seinen Projekten von Anfang an eine Menge Vertrauen schenkten: Das SHIFT7 Phablet erzielte 101.431 Euro von 818 Supportern, das SHIFT reloaded kam auf 59.837 Euro von 613 Unterstützerinnen. Für den iCrane bekam Carsten ganze 100.193 Euro von nur 299 Unterstützern.

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Carsten Waldeck demonstriert den iCrane.

Der eNtwickler

Deine Projekte würden auch international funktionieren.Warum hast du dich gegen eine international aktive Plattform entschieden?

Die meisten amerikanisch-internationalen Plattformen gehen für meinen geschmack schon ein bisschen zu sehr in die kommerzielle richtung. Außerdem habe ich bei meinem SHIfT-Projekt schon genügend damit zu tun, den deutschen markt ordentlich abzudecken. Smartphones und Phablets sind ja keine Dinge, die man einfach einmal verkauft, sondern meine Unterstützer und Kunden brauchen auch längerfristig Support und gewährleistung. Wer sich darum schon einmal auf internationaler ebene gekümmert hat, weiß, was das bedeutet. Lieber klein starten und es gut machen, als sich gleich übernehmen und es nicht richtig machen können.

Wie ist deine Kampagne verlaufen?

Das iCrane-Projekt war mein erstes Crowdfunding-Projekt. ehrlich gesagt, hatte ich gar nicht so richtig daran geglaubt, dass es funktio73


Fa l l b e i s p i e l

nieren könnte. Ich habe Crowdfunding in Deutschland im Jahr 2012 noch nicht so sehr viel zugetraut. Meinen Kran-Prototyp hatte ich bereits vor der Kampagne gebaut und ihn schon bei mehreren Filmprojekten eingesetzt. Ich dachte: Was kann ich verlieren? Ich investie­ re jetzt einfach mal einen Tag und mache diesen Film, schreibe was dazu, und dann sehen wir ja, was daraus wird. Und dann ging es richtig ab. Mein Projekt wurde zum erfolgreich­ sten Crowdfunding-Projekt zu dem Zeitpunkt in Europa, mit einer 500-prozentigen Überfinanzierung! Damit hatte ich absolut nicht gerechnet, und ich musste dann erst mal sehen, wie ich das alles organisiert bekomme. Das war eine echte Herausforderung – aber natürlich eine sehr schöne. Die Erfahrungen aus der ersten Kampagne konnte ich dann für die SHIFT-Kampagnen nutzen. Das Wichtigste war für mich, meine Supporter mehr einzubeziehen. Am Anfang habe ich mich ziemlich allein abgekämpft. Gleichzeitig gab es Leute, die sich beschwerten, dass ihnen etwas nicht schnell genug ging, besonders in der Kommunikation. Ich habe dann gemerkt, dass die größten Meckerer auch zu den größten Unterstützern werden können – wenn sie mitmachen dürfen. Oft ist die Unzufriedenheit darin begründet, dass die Leute ungeduldig sind, weil sie selbst mehr Zeit zur Verfügung haben oder den Eindruck haben, sie könnten es besser. Wenn sie selbst aktiv werden dürfen, ändert sich die Stimmung meist schlagartig, und oft werden so die Kritiker zu den Supportern, die am meisten bewegen. Diese Erkenntnis hat für mich vieles verändert.

Was fandst du besonders unerwartet oder überraschend? Was bedeutet Crowdfunding für dich?

Die wichtigste Erfahrung, die ich beim Crowdfunding gemacht habe, ist: Es funktioniert!!! Ich liebe Crowdfunding, weil es so direkt ist und man unmittelbar mit den Menschen zu tun hat. Ich lerne meine Suppor­ ter und ihre Wünsche und Bedürfnisse kennen und habe ein Gefühl für den Markt, noch bevor ich groß ins Risiko gehe. Außerdem ist die Einstiegshürde extrem niedrig im Vergleich zum Aufbau eines Unterneh74


D e r En t w i c k l e r

mens mit Investorensuche, Businessplan usw. Und das Wich­tigste: Die Ideen und die Kreativen bleiben frei. Es entstehen keine langfris­ti­ gen Abhängigkeiten zwischen macht- und profitorientierten Personen und solchen, die auf kreative Weise etwas in dieser Welt verändern möch­ten. Solche Abhängigkeiten habe ich leider meist als sehr ungesund erlebt. In diesem Sinne ist Crowdfunding für mich ein erster guter Schritt hin zu einer Unabhängigkeitserklärung der Kreati­vität.

Welche Tipps würdest du anderen Startern geben?

Meine wichtigsten fünf Ratschläge für Leute, die eine eigene Crowdfunding-Kampagne starten möchten, sind: 1. Starte Dinge, für die du dich wirklich begeisterst. Solche, die die Menschen wirklich brauchen und die langfristig etwas zum Besseren verändern. 2. Nimm dir Zeit für deine Supporter und lerne sie kennen, so gut du kannst. 3. Weniger versprechen – mehr tun. 4. Nimm deine Supporter mit in die Projektentwicklung! Deine größten Kritiker können zur größten Hilfe werden, wenn sie aktiv werden dürfen. 5. Genieße es! Etwas Neues zu starten und kreativ arbeiten zu können, ist etwas ganz Wunderbares!!!

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V o r b e r e itu n g d e r K a m pa g n e

Laufzeit Zu guter Letzt musst du entscheiden, wie lang die Laufzeit deiner Kampagne sein soll und wann du sie freischaltest.

Die richtige Länge

Einerseits muss deine Kampagne lang genug sein, um sich ausreichend verbreiten zu können, andererseits verlieren zu lange Kampagnen leicht an Dynamik. Zwischen diesen Parametern bewegt sich die richtige Laufzeit für eine Kampagne. Das Gefühl „ist ja noch lange hin, läuft ja noch ewig“ lässt Interessenten die Entscheidung, dich zu unterstützen, tendenziell aufschieben und eventuell sogar vergessen. Typischerweise erleben CrowdfundingKampagnen etwa in der Mitte ihrer Laufzeit einen Durchhänger. Diese Phase verhält sich proportional zur Länge der Laufzeit, d. h. bei lang laufenden Kampagnen dauert sie länger als bei kürzeren. Bereits feststehende Termine mit Öffentlichkeitswirkung (Konzerte, geplante Medienauftritte) könnten ein Grund dafür sein, die Laufzeit einer Kampagne auszudehnen; umgekehrt kann ein aktueller Anlass so wichtig für dein Projekt sein, dass du nicht viel Zeit für die Kampagne hast. Nach der Erfahrung der großen Crowdfunding-Plattformen, sowohl in Deutschland als auch international, liegt die ideale Laufzeit bei etwa 30 bis 40 Tagen. Weniger als 30 Tage wären sehr kurz, bei 45 wird es all­mäh­lich lang. 90 Tage sind bei den meisten Plattformen die längstmögliche Laufzeit.

Zum richtigen Zeitpunkt

Terminiere deine Kampagne so, dass sie zu deinem Projekt passt. Eine wichtige Rolle können Veranstaltungen spielen, die thematisch damit korrespondieren, und bei denen du Leute erreichst, an die du sonst nur viel umständlicher herankommen würdest. Wenn dein Projekt ein Comic 160


Laufzeit

oder eine Graphic Novel ist, bietet es sich an, dass du das Werk während der Kampagne auf einem Comic-Festivals präsentierst und so darauf aufmerksam machst. Neue und alte Fans können die Kampagne dann gleich an deinem Stand oder von ihrem eigenen Handy aus unterstützen. Allen, die es sich noch überlegen wollen, kannst du einen Flyer mitgeben (vgl. Kapitel Werbung, S. 166). Du hast Gelegenheit, dich vor Ort mit der Presse zu treffen, die über die Veranstaltung berichtet, und Interviews zu geben (in denen du natürlich auf deine laufende CrowdfundingKampagne hinweist). Auch befreundeten Zeichnerinnen kannst du dein Vorhaben dort zeigen und sie bitten, ihren eigenen Fans via Facebook, Blog oder Twitter von deiner Kampagne zu erzählen. Im Gegenzug wirst du die Kollegen natürlich bei ihrer nächsten Veröffentlichung (oder bei ihrer eigenen Crowdfunding-Kampagne) unterstützen. Wichtig ist es, in der Zeitplanung zum Beispiel auch die Schulferien und die Jahreszeiten zu beachten: Wenn dein Projekt sich an Eltern von Schulkindern richtet, ist es nicht empfehlenswert, die Kampagne in den Schulferien zu starten. Ein Projekt wie z. B. „hamaka“, eine ultraleichte Hängematte, wird vermutlich im Frühjahr mehr Menschen erreichen als im Winter.

Feedback der Plattform einplanen

Bei einigen Plattformen musst du den Wechsel in die Test- bzw. Finanzierungsphase beantragen und auf eine Freischaltung warten. Bis dahin können 1 bis 3 Tage vergehen, oder die Freischaltung kann von den Projekt­betreuern bei der Plattform abgelehnt werden, sodass du deine Projektseite noch mal überarbeiten musst. Das Feedback, das du im Rahmen einer solchen Freischaltung bekommst, ist wertvoll, und du solltest es ernst nehmen.

Verzögerte Auszahlung

Wenn dein Projekt erfolgreich finanziert wird, hast du das Geld dennoch erst ca. zwei bis drei Wochen nach Ende der Laufzeit auf dem Konto. Berücksichtige das für deine Projektplanung und für den Zeitpunkt der Freischaltung deiner Kampagne. 161


V o r b e r e itu n g d e r K a m pa g n e

Übersicht Zeitlicher Ablauf einer Crowdfunding-Kampagne:

m i n d e st e n s 1 4 T a g e

162

Vorbereitung

optio n al ; 1 – 3 0 T a g e

Testphase

3 0 – 9 0 Ta g e

Finanzierungsphase

1 4 – 2 1 Ta g e

Abschlussphase

j e n ach P r oj e kt

Nachbereitung


L au f z e it

 Crowdbuilding  Auswahl der Plattform  Teamaufbau  Analyse anderer Projekte  Konzeption der Projektseite

 Feedback der Crowd einholen

 Werbung für dein Projekt  Interaktion und Kommunikation mit der Crowd

 Prüfung, Bestätigung durch Plattform  Auszahlung der Gelder  Abrechnung  Versand  Kommunikation

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