MAG 02: Romeo und Julia

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Philharmonia 26

Solche Ausbruchslust und Haltlosigkeit im Komponieren ist faszinierend und irritierend. Aber sie hat stets auch das Bedürfnis nach Einhegung hervorgerufen: Die SchumannRezeption ist geprägt vom Wunsch, seine Musik im Zaum zu halten, in den Griff zu bekommen, zu begradigen. Das beginnt bei Clara Schumann und Joseph Joachim, die das Violinkonzert wegen vermeintlich minderer Qualität nach Schumanns Tod unaufgeführt in der Schublade verschwinden liessen: «Es muss leider eben gesagt werden, dass eine gewisse Ermattung(...) sich nicht verkennen lässt«, schrieb Joachim über das Werk an einen Freund. Das schlägt sich nieder in dem vom Komponisten Felix Draeseke in die Welt gesetzten Verdikt, Schumann habe sich vom Genie zum Talent heruntergearbeitet, und setzt sich fort in der Einschätzung von Schumanns Orchestermusik, die der Dirigenten Felix Weingartner zu Protokoll gegeben hat und die von vielen Dirigenten bis heute übernommen wird: Schumann habe mit dem Orchester nichts anfangen können. Seine Instrumentierung sei ungeschickt, die Klangwirkung «dickflüssig und ungelenk», die Farbe «Grau in Grau». Der zentrale Punkt, an dem alle Ausgrenzungsversuche einhaken, ist Schumanns geistige Verfassung. Ein hochsenibler, exzessiver, widersprüchlicher Charakter war er immer. Rauschhafte Schaffensphasen wechselten mit brütenden Depressionszuständen. Er suchte vergeblich nach einer Balance zwischen einem wohlgeordneten (und in Haushaltsbüchern geradezu pedantisch protokollierten) bürgerlichen Leben und den Delirien der Kreativität. Er war ein hellwacher Zeitgenosse, der ästhetische und politische Entwicklungen seiner Zeit mit feinen Antennen registrierte, und gleichzeitig seine Wahrnehmung rückhaltlos nach innen stülpte. Davon künden die inneren Selbstgepräche der Davidsbündler oder die in der Musik zum Ausdruck kommenden jähen Angstattacken und Überschwangseruptionen. In den letzten zehn Jahren seine Lebens verschlechterte sich sein psychischer Zustand, wohl auch als Folge eines Syphilis-Erkrankung, die er sich in jungen Jahren zugezogen hatte. Zwei Jahre vor seinem Tod unternahm er einen Selbstmordversuch und sprang mitten im Karneval in Düsseldorf von der Rheinbrücke. Er wurde in die Nervenheilanstalt in Endenich eingewiesen und verstarb dort 1856 im Alter von 46 Jahren. Man muss sich nur die Physiognomie Schumanns in der letzten Phase seines Lebens vor Augen führen, um zu erahnen, wie quer er zur Welt stand: Sein Haut war teigig, sein Gesicht gedunsen, das Haar klebte ihm gatt und fettig am Schädel, Kurzsichtigkeit behinderte ihn. Er war intro­vertiert

und schweigsam, wenn er sprach, nuschelte er. Ein extremer Aussenseiter, dessen psychische Verfassung viele Fragen aufwirft. Seine geistige Zerrüttung hat einen Streit um den «späten Schumann» heraufbeschworen, der bis heute leidenschaftlich geführt wird. Er entzündet sich an der Frage, ob mit den Krankheitssymptomen auch seine Kreativität nachliess und er kompositorisch nicht mehr ernstzunehmen war oder ob er gerade in seiner Unzurechnungsfähigkeit zum grossen Zurechnungsfähigen des 19. Jahrhunderts wurde. Die eine Fraktion fühlt sich durch aktuelle medizinische Expertisen bestätigt, die nach der vollständigen Veröffentlichung der Krankenakten vor sechs Jahren bei Schumann zweifelsfrei Syphilis im Endstadium diagnostizieren und den Hirnerweichungsbefund von Schumanns Arzt in Endenich bestätigen. Die Verteidiger des Spätwerks halten die Pathologisierung von Schumanns späten Kompositionen als Werke eines Minderbemittelten für eine fatale Fehleinschätzung, sie entdecken Visionäres im Verqueren. Die Verunglimpfung der Romantiker als obskur subjektivistisch und krankhaft sei bereits in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts eine bewährte Methode der Kritik an der Romantik gewesen. «Krank», schreibt der Musikwissenschaftler und Dirigent Peter Gülke in seinem vor zwei Jahren erschienen Schumann-Buch, «ist die späte Musik nicht, nur anders.» Sie kreist in den letzten Schaffensjahren immer labyrinthischer und solipsistischer um sich selbst und die Verlaufsformen zerfasern. Demgegenüber steht eine Entwicklung hin zu harmonischer und formaler Vereinfachung, vieles erklingt überleitungslos und blockhaft nebeneinander gesetzt. Der Komponist Wolfgang Rihm hat in einem Essay das Charakteristische am späten Schumann benannt: «Die schnellen Wechsel der Dichten, der (Gemüts-)zustände, der Satzarten, das Nebeneinander von Klarheiten und trüben Stellen, die verrufenen Stellen und Aufschwünge, die quälenden Stellungskriege der musikalischen Gedanken, das Nicht-vom-Fleck-Kommen und Sich-in-den-Boden-Bohren, der trübe Blick und das Kreisen ohne Sinn und Wille.» Im ersten Satz des Violinkonzerts von 1853 kann man vieles davon vernehmen. Die Kritiker werfen dem Werk vor, es sei statisch komponiert, ohne jede geigerische Brillanz. Der Geigenpart liege viel zu tief. Der langsame Satz zerfliesse ins Formlose. Der tänzerische Schlusssatz komme nicht vom Fleck. Heinz Holliger hingegen entdeckt grossartige Musik: Man müsse sich den ersten Satz nur genau anschauen, dann sehe man, das alles steinquaderartig geschichtet sei wie in einer späten Bruckner-Symphonie. Das funktioniere nur in dieser archaischen Form von Motivik und Harmonik.


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