MAG 17: Pique Dame

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Pique Dame 12

Dieter Meier, Ende der sechziger Jahren haben Sie einige Zeit lang Ihr Geld mit Pokerspielen verdient. Wie kam es dazu? Nach dem Abitur begann ich Jura zu studieren; aber ei­ gent­lich wusste ich nicht wirklich, was ich mit mir an­ fangen sollte: Nichts ergab Sinn. In einem Billard-Lokal, wo auch Karten gespielt wurde, bin ich zum Rommé gekommen. Poker war damals verboten und wurde nur in privaten Zocker-Logen gespielt. Es galt, so wie alle Kartenspiele mit weniger als fünf Karten, als Hasard-Spiel. Poker ist aber gar kein Glücksspiel, im Poker gleichen sich die Karten aus über die Partien, und der schlechtere Spieler wird immer verlieren. Er wird aber trotzdem immer wieder an den Spieltisch zurückkommen, weil er mit der Illusion lebt, er hätte schlechte Karten gehabt. Zocken ist die radikale Weltflucht: Am Spieltisch sitzt man unter einer unsichtbaren Glocke, und dahinter gibt es keine Welt. Mit den sogenannt harten Drogen wie bei­ spiels­­weise Heroin, mit denen ich zum Glück nie etwas zu

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tun hatte, ist das ähnlich: Du musst alles unternehmen, um an das Gift ranzukommen, das dich kurzfristig erlöst; vor allem aber ist die Jagd danach eine pervertierte Form der Sinnstiftung. Für den Junkie ist der rein physische Entzug einfacher als dieser Sinnverlust. Beim Poker sitzt du am Tisch mit fünf oder sechs Leuten, jeder will dich finanziell zerstören, möglichst schnell möglichst viel Geld gewinnen. Alle drei, vier Minuten nimmst du ein neues Blatt auf, bekommst eine neue Chance, wie ein neues Leben. Ich merkte sehr bald, dass ich mich selbst betrog – ich redete mir ein, wenn ich dann einmal viel Geld ge­ wonnen habe, dann fahre ich nach Indien oder Afrika, um dort ein Buch zu schreiben. Das ist absoluter Blödsinn, der Spieler spielt nur, um am anderen Tag wieder spielen zu können. Es geht also immer um das Spielen selbst? Es geht um die Flucht vor der Welt. Ein süchtiger Spieler sieht keine Welt mehr hinter dem Roulette-Tisch. Ich glaube, wie viele andere Menschen ist auch Dostojewski, der die Sucht in einem Roman beschrieben hat, vor seinen psychischen Problemen an den Spieltisch geflüch­ tet, weil diese im hermetisch abgeschlossenen Irrsinn ausge­blen­det sind. Der Unterschied beim Poker ist, dass du dich mit dem, was das Schicksal dir an Karten als Ersatz­leben in die Hand gibt, auseinandersetzen und so oder so spielen kannst. Die Glücksspiele im Casino dagegen sind völlig idiotisch, weil du garantiert verlierst, sonst gäbe es ja keine Casinos. Worin bestand für Sie das Suchtpotenzial beim Spielen? Spielen ist eine extreme Form der pervertierten Ge­bor­gen­­­ heit. Du sitzt am Spieltisch, es geht jede Minute um sehr viel Geld, du bist jede Sekunde existenziell gefordert, wie ein Boxer im Boxring, «busy surviving», austeilen und nichts einfangen, das ist das Prinzip. Im Ring gibt es kein Leben, ein Boxer blendet in dieser Extremsituation alles aus. Verliert ein Spieler also durch seine Spielsucht den Bezug zur Realität? Ein Spieler verbringt seine Tage in seiner Sucht und ist nicht mehr interessiert daran, sich mit Menschen aus­zu­tau­schen. Der Dialog findet statt mit den Karten und dem, was man am Spieltisch mit diesen Karten macht. Wenn ich mal keine Partie hatte, habe ich den Schachspie­ lern Geld gegeben, damit sie gegen mich Poker spielten. Ein Pokerspieler ohne Pokerpartie ist wie ein verlorener, streunender Hund, der sich irgendwie in der Stadt


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