MAG 04: Der fliegende Holländer

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Staatsoper, fiel der wache Co-Dirigent auf. «Komm nach Berlin, Barenboim muss dich hören», sagte er. Ob er am Samstag könne? Welches Stück? Er assistiere gerade bei den Meistersingern. Also gut, das Vorspiel. Altinoglu reist an. Barenboim probt Pique Dame. «Es wird 11 Uhr. Pause. Es wird 12, 12.30... ich dachte, hier passiert nichts mehr. Um fünf vor eins sagt Barenboim: ‹Ladies and Gentlemen, hier ist ein junger Dirigent, den ich hören möchte, können Sie für ihn spielen?› Die Noten wurden verteilt. Ich fing an, und die Staatskapelle spielte, als wäre es das letzte Mal im Leben. Ein Schock für mich, in Frankreich haben Sie nicht diesen Wagnersound! Amazing! Barenboim sass neben der Oboe und sah mich an, und ich blickte rauf zur Bühne, da stand Domingo und sah mich an... so!» Er macht den Blick nach, besonders behaglich wird einem nicht dabei. Hinterher habe das Orchester applaudiert, und Barenboim engagierte ihn erstmal für Donizettis Maria Stuarda. Und damit ging es dann richtig los. Der Musikbetrieb hat solche hochbegabten Steilstarter zum Fressen gern. Manches Talent wird bis auf die Knochen abgenagt, ehe es zur Besinnung kommt, zum eigenen Weg. Altinoglu hat selbst erlebt, wie einen jungen Dirigenten die ungekannte Macht berauschen kann: «Man muss aufpassen, sich nicht wie Supermann zu fühlen.» Nicht so einfach, wenn man an der MET den Einsatz zu Carmen gibt und das Orchester «losgeht wie ein Ferrari... R AAHHHH!» Er lernte, dass auf ein und dieselbe Geste eines Dirigenten jedes Orchester anders reagiert. Nie wieder wird er in New York seinen Auftakt so rasant geben – er wäre fast aus der Kurve geflogen. Beim selben Orchester erlebte er, wie ein anderer junger Hoffnungsträger in kleine Teile zerlegt wurde. Während die New Yorker genau gezeigt haben wollen, wo was passiert, sind die Wiener ganz anders. Dort debütierte Altinoglu an der Staatsoper mit Gounods Roméo et Juliette. «Ich merkte beim ersten Schlag, dass sie keinen Kapellmeister brauchen, kein eins-zwei-drei-vier. Die können allein spielen. Aber wofür brauchten sie mich? Ich musste ihnen die französischen Farben zeigen.» Es steckt, glaubt er, ein Kern Wahrheit in den Klischees von den nationalen Idiomen der Musik. «Man spielt etwas, wie man spricht. Ich habe Ravels Boléro mit einem berühmten russischen Orchester gehört, das war ein Schock!» Er stimmt eine Art Wolfs-

geheul an, um den Unterschied zur direkten Attacke der Franzosen klarzumachen, freilich eine Übertreibung: «Es ist so subtil, man kann das nicht an jeder Note festmachen.» Die Erkundung von Musiksprachen, wie sie die Aufführungspraktiker betreiben, interessiert ihn unter Vorbehalt. Natürlich habe sie den Klang geändert, «weil fast in jedem modernen Orchester Leute sitzen, die auch historische Instrumente spielen. Aber wenn Tschaikowski wie Bach klingt, wie bei Norrington, geht es zu weit.» Furtwängler, eines seiner Vorbilder, habe darauf hingewiesen, dass sich

Der Musikbetrieb hat solche hochbegabten Steilstarter zum Fressen gern. Manches Talent wird bis auf die Knochen abgenagt, ehe es zur Besinnung kommt, zum eigenen Weg. Interpretation nicht in Bezug auf die Werke ändere, sondern auf die Welt der Interpreten. So, wie im 19. Jahrhundert Bach wie Wagner klang, präge uns heute der Wechsel zwischen unzähligen Kanälen, «und wenn Sie heute Freude zeigen, tun Sie das anders als damals.» Für seinen Weg zu Wagner findet er Adorno hilfreich, dessen Versuch über Wagner er gerade liest, «der mag und hasst ihn gleichzeitig. Wie kann ein bad man so unglaublich komponieren?» Wer Altinoglus Diskografie anschaut, stösst überwiegend auf Franzosen, nicht zuletzt Ravel, dessen Lieder er als Pianist mit seiner Frau aufgenommen hat, der Mezzosopranistin Nora Gubisch. Vielleicht kann so einer ganz neue Wege durch Wagners Erlösungsnöte bahnen. Wer erlebt hat, welch beschwingten Bizet er mit den bedächtigen Dresdnern zaubert, ist erst recht gespannt auf sein Debüt in Zürich. Einen schweren Dreimaster mit Moos und Muscheln werden wohl weder er noch der Regisseur Andreas Homoki im Fliegenden Holländer vor Anker gehen lassen. Homokis Konzept erinnert den Vielleser Altinoglu eher an Franz Kafka. Gibt es nichts, wovor er Angst hat? «Das Stück ist so lang! Zweieinhalb Stunden ohne Pause! Ich finde es schwierig, den grossen Bogen vom Anfang bis zum Ende Volker Hagedorn zu spannen.»


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