MAG 19: Il ritorno d’Ulisse in patria

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Il ritorno d‘Ulisse in patria 16

Die jungen Menschen Melanto und Eurimaco bilden dazu einen starken Kontrast: Sie leben ihre Liebe und geniessen den Augenblick. Für sie hat Monteverdi vitale tänzerische Dreierrhythmen geschrieben im Gegensatz zu den metrisch freien Lamentobögen der Penelope. Penelope fehlt, was Melanto und Eurimaco musikalisch haben: Schwung, Spontaneität, das Fliessende, das Spiele­­ri­sche, die Überraschungsmomente in der Form. Bei Penelope gibt es nur in der allerletzten Szene in der Wie­ der­­begegenung mit Ulisse Vergleichbares. Da lässt sie endlich los und hat zum ersten Mal eine Musik, die fliesst.

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Je sehnsüchtiger wir warten, desto unausweichlicher ist die Enttäuschung, wenn das Erwartete eintritt

Es gibt noch eine andere Figur in dem Stück, die in die­sem Zusammenhang eine interessante Position bezieht – Iro, der Schmarotzer und Anti-Philosoph. Iro frisst das Leben, wie es kommt. Er nimmt sich immer das, was am nächsten liegt. Ohne abzuwägen, ohne zu denken. Liegt in der Disziplin des Wartens, in der sich Penelo­pe übt, denn gar nicht Positives? Natürlich will der Mensch auch Beständigkeit. Dass Penelope auf Ulisse wartet, heisst ja auch, dass sich da ein Gefühl gegen das Vergängliche behauptet. Sie glaubt an Höheres als den gelebten Augenblick? Ob das etwas Höheres ist, weiss ich nicht. Ich meine ihre Unerschütterbarkeit in der Liebe und den Glauben an den Wert von Treue. Genau. Dass es etwas gibt, das stärker ist als der Alltag und die Erosionen, die dieser mit sich bringt. Treue ist ja auch was Tolles. Wir sind da in einem Zwiespalt, denn wir wollen immer beides – Beständigkeit und Leben. Wir geben auf der einen Seite Melanto sofort recht, wenn sie sagt: Leben ist immer richtig und das Lieben nie falsch, und sind zugleich voller Bewunderung für Pene­lo­­pes Beharrungskraft. Man denkt manchmal im Ver­lauf des Stücks, Herrgott, ist diese Penelope zickig. Man möchte

ihr sagen: Dann lass es doch einfach, wenn du dich so quälst! Das ist doch nicht mehr menschlich! Und dennoch hat ihr Verhalten Grösse. Sie ist eine grosse Liebende. Von Liebe ist ja immer ganz schnell die Rede, auch im Stück. Aber wo fängt Liebe an? Fängt wirklich tiefe Liebe nicht erst an, wenn sie sich mit dem Wunsch nach Dauer verbindet? Wenn sie sich über Hindernisse hinweg bewährt und tief wird. Wenn Paare trotz aller Widrig­ keiten zusammen bleiben. Ich denke oft, dass zur Liebe auch Dauer gehört. Ulisse kehrt in der Oper als Greis nach Ithaka zurück. Im Handlungsgefüge des Stücks ist das eigentlich als eine Verkleidung gemeint, denn er soll zunächst un­ erkannt bleiben. Aber Ulisses Greisenhaftigkeit er­ zählt unabhängig davon auch etwas sehr Wesentliches: Das sehnsüchtig Erwartete ist, wenn es schliesslich doch erscheint, nicht mehr das, was es einmal war. Es entspricht nicht mehr dem Bild, das der Wartende mit sich herumgetragen hat. Völlig richtig. Ulisse kehrt als ein anderer zurück. Er ist gleichsam überschneit mit alldem, was hinter ihm liegt. Seine Seele ist alt geworden. Penelope weigert sich extrem lange anzuerkennen, dass der Fremde ihr heimgekehrter Ulisse ist. Alle an­ deren um sie herum haben es längst kapiert: Nur sie will es partout nicht wahrhaben. Warum? Weil sie ihn vielleicht gar nicht erkennen will. Weil genau das eintritt, was wir gerade beschrieben haben. Das Erwartete ist anders. Die Realität stimmt nicht mehr mit der Erinnerung überein. Penelopes Warten hat sich verselbständigt, ist zu einem Zustand geworden, der gar nicht mehr aufgelöst werden soll. Wir können nur darüber spekulieren, ob der Ausgang des Stücks wirklich positiv ist und die beiden noch einmal zusammen glücklich werden. Aber klar ist, dass sie nicht mehr an ihrer Situation von vor zwanzig Jahren anknüpfen können. Die Fortsetzung ihrer Ehe ist nur als kompletter Neu­ beginn denkbar. Es ist ja nicht nur in der Liebe so, dass die Dinge anders kommen, als wir sie ersehnen. Das gilt etwa auch für politische Utopien: Der Sozialismus als Projekt der Gerechtigkeit und des Mensch­ heitsglücks hat sich als Idee stark unterschieden von dem, was dann Realität wurde. Deshalb sind Erwartung und Enttäuschung immer ganz eng miteinander verwandt. Fast möchte man sagen:


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