Die Bibliothek auf dem Klo

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Arnt Birkedal

DIE BIBLIOTHEK AUF DEM KLO Aus dem Norwegischen von Volker Oppmann Illustriert von Liv Raab



Nº 1  Bei

uns zuhause war das Klo im Keller. Umgeben von kalten, feuchten Mauern. Und zwischen dem ganzen Abfall auf der Fensterbank lagen tote Schnaken. »Und nimm nicht wieder so viel Papier!«, rief mein Vater nach unten, wo ich mich eingeschlossen hatte. Das tat ich nämlich. Man brauchte Blatt für Blatt für Blatt, wenn man sich wohl fühlen wollte. Man musste Schicht für Schicht auf die Klobrille legen, wenn einem vor lauter Kälte nicht der Hintern abschimmeln sollte. Man brauchte Blatt für Blatt für Blatt, wenn man nachher wieder genauso sauber und trocken sein wollte wie zuvor. »Und nimm nicht wieder so viel Papier!«, rief mein Vater. Das tat ich nämlich, klar. Ich konnte locker eineinhalb Rollen am Stück verbrauchen. Denn hatte ich eine ganze aufgebraucht, nahm ich gerne noch eine halbe dazu. Damit es nicht nach so viel aussah. Nº 2  Beim

Abendessen erzählte mein Vater, was alles passieren konnte, wenn man rollenweise Klopapier nahm und dann die Spülung zog. Dann konnte sich das Ganze nämlich verklumpen und die Rohre im Keller verstopfen. Irgendwo unter der Waschmaschine oder in


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der Nachbarschaft. Und der ganze Dreck und die Ablagerungen und das – zumeist saubere – Papier quollen aus dem Abfluss wieder heraus. Das ist es, woran ich mich von ganz früher noch erinnere: Mein Vater macht die Kellertüre auf und ruft zu mir, der ich schon längst fertig bin, hinunter: »Und nimm nicht wieder so viel Papier!« Seine Stimme war durchdringend, wälzte sich die schmale Kellertreppe hinunter, füllte das ganze Kellergewölbe und sammelte noch etwas extra Echo, bevor sie sich der Klotür näherte. Ich fand kaum Ruhe und Zeit zu lesen. Nº 3  Ich

las nämlich. Das war es, was ich machte. Die ganze Zeit. Ich las, während ich frisches Klopapier auf die Klobrille legte. Las, während ich das machte, was man dort eben so macht. Während ich das machte und noch ein bisschen länger. Und ich las, während ich mir wieder und wieder den Hintern abputzte. Das Klo war der beste Ort zum Lesen. Das habe ich gelesen, das habe ich gehört und das weiß ich schon, solange ich denken kann.



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Ich hatte also auch immer etwas zu lesen dabei. Etwas nahm ich unter den Arm, anderes stopfte ich mir in die Hose, unter das Hemd. Wieder anderes hatte ich bereits unten in einer Fahrradtasche versteckt. Donald Duck und Superman, gerne ganze Ordner voll, Jahrgänge davon. Zwei bis fünf Asterix-Hefte. Eine Bibel, ein Liederbuch mit Noten und die Märchen der Gebrüder Grimm. Nº 4  »Und

bleib nicht wieder stundenlang sitzen!«, schrie er von oben herunter. Obwohl da oben überhaupt niemand war, der gerade musste. Das ist es jedenfalls, woran ich mich von ganz früher noch erinnern kann, zumindest an das letzte Stückchen davon. Feucht und kalt, Schimmel und Schnaken, Geschrei und Spektakel. Mir wurde mehr und mehr klar, dass es weder meinen Büchern noch meinen Comicheften oder mir selbst guttat, in einer derart feuchten Nasszelle zu sitzen. Es gab kaum ein trockenes Eckchen, wo man die Bücher und Hefte hinlegen konnte, während man sich


die Hände wusch. Ich legte sie in die offene Hose oder den trockensten Rand des Waschbeckens. Aber mit dem Kopf in einem Buch, und mit dem Buch im Kopf, hat man sich auch schnell vergessen. Und allzu oft ging das schief. Denn neben dem Klo war noch der Waschkeller. Nº 5  War

das Klo schon nasskalt, war der Waschkeller noch schlimmer. Er war eine Sumpflandschaft aus schleimigem Dschungel, beherrscht von Fruchtfliegen. Die Tse-Tse-Fliegen stachen einen, bis man wochenlang schlief. Und im Abfluss hausten Schleimaale. Es zog mich also überhaupt nichts dorthin. Nur im Sommer sprang ich schnell hinein, drehte den Wasserhahn zu, drehte ihn wieder auf. Und auch wenn ich die Wäsche holen musste, sprang ich nur so kurz wie irgend möglich hinein und wieder heraus. Freiwillig bin ich da nie reingegangen. Außer wenn ich völlig in Gedanken war. Wenn ich mitten in einem Buch war und es unbedingt zu Ende lesen musste. Ich schlenderte dort auf den letzten Seiten


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die englischen Treppen hinauf. Die Möwen schrieen, und ein Schiff lag am Kai und wartete. Die Schiffsglocke läutete. »Na, wird’s bald!«, rief der dritte Steuermann, als ich gerade aufhören musste zu lesen und die Welt sich wieder um mich herum ausbreitete. Ich war mitten im tiefsten und feuchtesten Waschkeller gelandet und saß auf einem umgedrehten Bottich. Da hörte ich ein Wiehern und ein Glöckchen. Nº 6  Das

Wiehern kam von einem hübschen kleinen Eselchen, das auf mich zutrippelte. Das Glöckchen lag in der Hand eines Mönches. Der Mönch saß auf dem Eselchen und läutete dann und wann mit seinem Glöckchen. Unter dem anderen Arm trug er eine Lehrermappe ältester Schule. Er zog seine Kutte zur Seite und stieg von seinem Eselchen, um mir die Hand zu geben. Ich konnte sehen, dass er einen Schirm vor den Augen trug, einen Blindenschirm, wie er später erklärte. Das Glöckchen war dazu da, die unreinen Geister zu vertreiben. Es knurrte etwas in meinem Magen, fühlte ich – knurrte und verschwand.


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Er stellte sich als Habakuk vor, als einer der letzten Propheten. »Ich hab nur 3 ½ Seiten in der Bibel bekommen«, erzählte er mir. »Ich sah das Licht und wurde blind. Und konnte nicht mehr schreiben. Aber ich habe es geschafft, das hier zu zeichnen.« Habakuk stieg von seinem Eselchen, öffnete die Lehrermappe und holte eine Rolle Ziegenleder heraus. Ein ganzes Buch, so wie Bücher früher eben waren. Er legte sich auf alle viere auf den Zementboden und breitete dort die Rolle aus. » Jetzt schau mal her und hör gut zu.« Nº 7  Und

ich dachte, dass er mir jetzt bestimmt die Leviten lesen würde. Jetzt bekomme ich die Strafe dafür, dass ich so viel Klopapier verschwendet habe. Für all die Regenwälder, die ich abgeholzt habe, ohne an die Indianer, ein Heilmittel für Krebs, die Affen und den letzten Dinosaurier zu denken. An der Rolle gezogen und abgerissen. Papier, das man noch hätte verwenden können. Für Bücher, Hefte und Zeichenblöcke. Er sagte aber etwas ganz anderes:


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